10. Perdita

[37] »Das Mitleid ist die letzte Weihe der Liebe, vielleicht die Liebe selbst.«

(Heine.)


»Le coeur a ses raisons que la raison ne comprend pas.«

(Pascal.)


Ja, mein Herd ist auch der deine,

Armes, heimatloses Kind!

Denn du liebst mich nicht zum Scheine,

Denn du liebst mich treu und blind.


Ach, die Welt war ohne Gnade,

Ohne Mitleid und Verstand;

Doch durch dornenlose Pfade

Führ' ich dich an meiner Hand.


Was du wolltest, ist geschehen;

That ich mehr als Menschenpflicht?

Bitten konnt' ich widerstehen,

Aber deinen Thränen nicht.


Bilder aus vergangnen Tagen

Thun mir in der Seele weh,

Und nur zitternd kann ich's sagen:

Bleibe hier, mein wildes Reh!
[38]

Ruh' dich aus auf grüner Weide,

Denke, schaue nicht zurück;

Du gehörst zu meinem Leide,

Du gehörst zu meinem Glück.


Daß wir gut zusammentaugen,

Daß das Rechte wir erwählt,

Haben deiner braunen Augen

Schwere Perlen mir erzählt.


O, wie flogst du mir entgegen,

Und wie kindlich war dein Ruf,

Wenn du nachts durch Wind und Regen

Hörtest meines Rosses Huf!


Und wie kann ich's je beschreiben,

Was mein Herz für dich gefühlt,

Während an den Fensterscheiben

Du die heiße Stirn gekühlt!


Lachen mag die Welt, die schlimme,

Ueber den gezähmten Leu;

Gerne folgt er deiner Stimme,

Denn du liebst ihn blind und treu.


Und bei ihm bist du geborgen;

Gastlich ist sein Haus, und still

Für sein armes Kind zu sorgen,

Das ist alles, was er will.

Quelle:
Ludwig Ferdinand Schmid: Dranmor’s Gesammelte Dichtungen, Frauenfeld 41900, S. 37-39.
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