[Mir war es einst, als hätte mich der Felsenaar zum Licht getragen]

[33] Mir war es einst, als hätte mich der Felsenaar zum Licht getragen,

Da hob mich Zeus, im Flügelthal, zum Unermeßlichgroßen,

Ein Fordern war mein Wonneflug, dem Mannesblick ein Jagen;

Ich wollte fort, blos fort, und nirgends dort, an Ziele stoßen.


Mir ist es oft, als ob ein Gott die keusche Jünglingsseele kühre.

Da sah mein Herz, noch jung und frei, um sich die Welt entweichen,

Und Zeus war froh, daß sein Geschöpf nicht Furcht und Höhenbangen spüre,

Ich wollte nichts – und wollte doch das Unerfaßbarste erreichen!


Es könnte sich die Weiblichkeit dem Schwane sanft ergeben,

Den schlanken Hals, voll Lustgewalt, um ihre Glieder schmiegen,

Ihr ganzes Sein, beim Gotteskuß, im größten Glück erbeben,

Doch nein, ach nein, es scheint im Weib die holde Urfurcht doch zu siegen.


Oh Sonne, wirf uns übers Meer die blendendlichte Lebensbrücke,

Die allen folgt, die weit von Dir zerstreut, durch Meere steuern,

Es scheint mir doch, oh Sonnenschein, daß jede Regung dich entzücke,

Denn Küsse sprühn, wo Gondeln ziehn, im Kranz von Lebensfeuern.


Durch Wellen schlängelt es sich her, mein Weltband hellen Sonnenlichtes.

Ein Schwanenhals erscheint es mir, am Gondelkiel und Buge,

Der jedes Boot, das schwankt, umkost, und sieh, aus Goldspiralen flicht es

Ein Sonnennetz und dieses folgt, leicht wogend, auch dem Gondelzuge.


Das Ruder schöpft sich Flimmergold aus morgenblassen Spiegelfluten,

Die Inseln rings umspinnen sich mit wunderhellen Sonneweben,[33]

Und dichter sehe ich, wie Gondeln ringsum mich umsputen,

Oh Rührigkeit, bald wird auch mich ein Glückgespinnst umgeben.


So manches Segel, gelb und rot, umschwebt mich, wie Venedig

Es freundlich mir, als Gruß aus seiner Buntheit, sendet;

Oh Herrin, bleibe mir, dem Schönheitspilger, hold und gnadig,

Es ist mein Blick von deinem Spiegelmeer geblendet!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 33-34.
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