[Nun bist Du mein! Denn wunderbar ist Liebe]

[268] Nun bist Du mein! Denn wunderbar ist Liebe,

Ein Tag von Stimmen, über uns gekommen.

Wir haben uns im trüben Lautgetriebe

Nur allzutief und klar und ganz vernommen.


Stets überwellten Wünsche Deine Brüste

Und ich bedrückte Dich durch Liebesschwüre,

Doch heute ruhen diese Herzgelüste

Und Deinen Nacken zieren Perlenschnüre.


Erinnerungen schimmern durch die Freuden

Und traut und traurig seh ich Bilder wieder,

Ich harre in unendlichen Gebäuden

Und Träume wachen auf als lauter Lieder.


Ich will das Unvergleichliche verstehen

Und sehe mich im Mondlicht über Seen,

Ein Fieberwind kann mich so mild umwehen,

Daß alle Sterne zitternd untergehen.


Aus Perlen können zarte Träume thauen,

In ihrem Wesen schlaft ein Abgrundgrauen,

Das sie geängstigt immerdar erschauen,

Und Schicksal scheint aus ihnen aufzublauen.
[268]

Auf einmal wandle ich in tobten Hallen.

Sie scheinen gothisch und am Mond entstanden,

In Gängen seh ich Wesen heimisch wallen,

Und schon gefall ich mir in diesen Landen.


Unweigerliche, ehrliche Zypressen

Umwuchten dort das einfachste Gebäude,

Da drinnen kann man seine Welt vergessen

Und schöpft aus Seelenbrunnen Himmelsfreude.


Ein Marmorhaus mit seltenem Kirchengibel

Erschimmert jetzt in sanfter Perlenbleiche,

Und hehre Bildergruppen aus der Bibel

Erschauen sich im goldenen Himmelreiche.


Orkane, die zumeist als Traum verblaßten,

Vielleicht das Mittelalter meiner Ahnen,

Gewalten, die sich niemals klar erfaßten,

Beginnen mich bestimmt an sich zu mahnen.


Ein Dom, gewiß dem Monde zugewendet,

Versteinert ringsum seine grünen Muster.

Dort, wo die Hostie ruht bin ich geblendet.

Was glimmt! Ich werde urbewußter.


Ich trete vor und höre hohle Stimmen,

Das ist das KryptaEcho meiner Todten,

Jetzt fängt das Blut der Steine an zu glimmen,

Oh Gott, der Mensch erkennt Dich in Geboten:


Es singt der Fels sein Lied in Strahlengarben.

Oh Herr, gestatte, daß ich einsam werde.

Ich mag um sanfte Marmorstille darben.

Beruht auf ihrem Nordlichte die Erde?
[269]

Oh kalte Flamme, leichter als das Leben

Und stiller als die nackten Felsenriesen,

Ich will Dich wie der Stein in mir erstreben,

Oh Herr, Du seist im jüngsten Glück gepriesen.


Der Tempel ist noch immer nicht verschwunden.

Wie kann ich diesen Traum so lange bannen?

Ich bin ihm jetzt durch Wirklichkeit verbunden

Und blos ein Wille bringt mich nun von dannen.


Da schwelgt die Stadt in bleicher Perlenzierde.

Mit Marmorthürmen blickt sie zu den Hügeln.

Doch keine Rhythmen zeigen hier Begierde,

Und Linien seh ich nirgends Sehnsucht zügeln.


Der Fluß mit seinen WaldIntimitäten

Vertheilt gerecht des Thales Ernst und Milde,

In Buchten drängt er sich mit Bußgebeten

Und vor Gemäuer schwemmt er Mondlichtschilde.


In heimlicher Entfernung ragen Vesten,

Der stille Perlenstrom gelangt zu jeder.

Auch ruht ein Nebel fern auf Burgesresten,

Und scheint mir eine Ghibelinenfeder.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 268-270.
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