LVII. Brief

[102] Innig geliebter Gatte! – Endlich ist meine Laune wieder etwas heiter. – Was dachtest Du heute wohl von mir? – Meine Augen haben, dünkt mich, mehr gesprochen, als sonst, wenigstens hiengen sie wonnetrunken sehr lange an den Deinigen. Siehst Du, wie mein Zutrauen wächst? – – Folge fein meinem Beispiel, hörst Du? – – –

Friz, wie viele Briefe hast Du wohl schon von mir, ich habe von den Deinigen über fünfzig Stükke. – Es sind lauter theure Pfänder Deiner Liebe, redende Beweise Deiner Zärtlichkeit, und feurige Versicherungen Deiner Standhaftigkeit,[102] nie sollen sie aus meinen Händen kommen diese reizende Gemälde Deiner schönen Seele! – –

Heute habe ich auch wieder Deine Haarflechte frisch geflochten, die ich Dir mit eigner Hand aus Deinen langen Haaren herausschnitt. – O diese Haarflechte ist gerade so weich, wie Dein Herz! – Mein Röschen ist ein loses Ding, sie machte mich mit ihren Schäkkereien fast närrisch, immer schrie sie, während als ich die Haarflechte frisch auskämmte, geben Sie doch Acht, es thut Ihrem Friz ja weh! – Dann zukte ich wieder während dieser Arbeit mit einem lauten Schrei, worüber sie sich fast zu Tode lachte.

Ich bin dem Mädchen recht gut, weil sie ziemlich viel von Dir zu sprechen weis, Stunden lang schwazt sie mir von Dir vor, ist das nicht ein gutes, braves Röschen? – – Komme morgen recht frühe, damit ich Dir Millionenmal sagen kann, wie sehr Dich liebt Deine

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 102-103.
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