[55] Es war ein Capital zahlbar, und Herr Stark sass vor einem Tische voll Sächsischer, Brandenburgischer, Hannöverischer und Braunschweigischer Neuer Zweidrittelstücke. Er zählte, da der Doctor hereintrat, das angefangene Häufchen von funfzehn Stück geschwind zu Ende, und hiess ihn dann mit frohem Herzen willkommen. Seine erste Frage war nach ihm selbst, und gleich die zweite war nach den Kleinen.
Die sitzen zu Hause über den Büchern, sagte der Doctor.
Bravo! bravo! die fangen früh an; die werden schon vorwärts kommen. – Und ist denn wirklich Trieb da? ist Kopf da?
So viel ich jetzt noch beurtheilen[56] kann: beides. Ich bin zufrieden mit meinen Kindern.
Ich auch. Ich auch. – Ha, wenn ich die guten Kleinen nicht hätte! Wär' ich nicht da ein armer Mann mit alle dem Bettel? – indem er die Hand verächtlich gegen den Tisch warf. – Für wen in der Welt hätt' ich gesammelt? gearbeitet? Denn mein Sohn da, der Freigeist – –
Eben von dem, bester Vater, mögt' ich mit Ihnen reden.
Sehr gerne. Nun?
Nur müssen Sie auch Geduld haben, mich anzuhören.
Ich habe. – Zeit und Geduld; alles beides.
Sie sind so eingenommen gegen den Sohn. Sie werfen die Schuld seiner Fehler immer auf ihn allein. – Sollt' es nicht vielleicht einen Andern geben, der mit ihm theilte?[57]
Einen Andern? Der mögte mir schwer zu errathen werden. Der ist –?
Ein sonst guter, billiger, vortrefflicher Mann. – Denn um nur Eins zu erwähnen, und eben das was Sie doch am meisten auf ihn verdreusst: Ist's so ganz seine eigene Schuld, wenn er noch ledig blieb?
Nun? ist es denn meine?
Ein wenig, dächt' ich.
O ja! Oder wenn's um und um kömmt, wohl ganz. – Freilich, so ein Weib, wie man sie jetzt täglich zu seinem Ärger herumflattern sieht; – ein Weib mit Tausenden, das ihm Tausende durchgebracht hätte, das keinen Ball, keine Redoute versäumt, Triset und Liebesintriguen gespielt, weder Mann noch Kinder geachtet hätte; kurz, Herr Sohn – so ein Weib, wie sie die neueste Modeerziehung ausbrütet, und womit er am Ende wohl gar[58] – mir wird übel und wehe – zu Schimpf und Spott der ganzen Familie, vor's Geistliche Gericht hätte laufen müssen: so eins hätt' er wohl gerne gehabt, von Herzen gerne! Und konnt' ich das zugeben? konnt' ichs recht sprechen, dass er mit sichtlichen Augen in sein Verderben rennte? – Wenn ich zu ihm sagte: Sieh, Sohn! da ist ein hübsches, stilles, sittsames Mädchen, braver, ehrlicher Eltern Kind; – das wird zwar nur wenig haben, wird vielleicht nichts haben; aber es ist in Gottesfurcht und in Einfalt erzogen: – nimm's! und es wird dankbar gegen dich seyn; es wird dich lieben, wird deine Kinder lieben, wird sie erziehen, dass Gott und Menschen an ihnen Freude haben; wird dir mehr Tausende ersparen, als dir jenes zubringt: konnt' ich da durchdringen? – Stand er da nicht vor mir–[59] mit einem Gesichte, mit einer Unterlippe – so hangend! so albern!
Sie haben freilich Recht – völlig Recht –
Nun dann!
Aber wenn Sie's auch sonst in Allem, wenn Sie's in jeder erdenklichen Absicht hätten: – in einer einzigen, weiss ich doch nicht, ob Sie's haben? – Er sagte dies mit einem sehr bescheidnen, beinahe furchtsamen Tone.
Die mögt' ich doch näher kennen. Die ist –?
Ihre ganze Art, wie Sie Sich mit ihm nehmen. Ihr Ton, worin Sie von früh bis in die Nacht mit ihm reden.
Hm! Aber ich bin nicht unbedeutsam; ich nehme Lehre an. – Wie soll er gestimmt seyn, mein Ton?
Liebreicher, freundlicher, – väterlicher, wenn ich das sagen darf.[60]
Und ist er denn rauh? Ist er stürmisch?
Wenn er das lieber wäre! – Dann und wann ein wenig Jähzorn, Unfreundlichkeit, Eigenwillen: wer verzeiht das nicht gern einem Vater, und einem so guten Vater?
Verzeiht das! – Drollicht!
Nur dann wieder Güte, Offenheit, Liebe, Vertrauen! – Aber Ihr schneidender, Ihr empfindlicher Ton – – Hier rückte der Alte am Stutz; und der Doctor fand für gut, etwas lindernde Mittel hinzuzusetzen – – Sie müssen mir das nicht ungütig nehmen; es geziemt mir freilich nicht, so zu reden; ich sag' es nur im Vertrauen auf Ihre Nachsicht – – Ihre ewig fortgesetzten Spöttereien und Anspielungen, die, gleich kleinen Schlägen, jeder an sich nur sanft sind, aber,[61] zu schnell hinter einander und immer denselben Fleck treffend, zuletzt unerträglich werden; – kurz, Ihr Necken; Ihre witzigen Ausfälle – –
Genug! sagte der Alte: genug! Dagegen lässt sich nichts aufbringen. Sie haben Recht.
Und dürft' ich denn also hoffen –?
Was? – was? – indem er ihn mit ein Paar grossen und stieren Augen ansah, die den Doctor ganz irre machten: dass ich in meinen Jahren mich ändern; dass ein alter, verwachsener, knotiger Stamm sich nun noch biegen und ziehen sollte? – Das ist unmöglich, Herr Doctor, unmöglich!
Nun ward der Doctor, der es so gut gemeint hatte, auch an seiner Seite verdriesslich. – Sie verfallen schon wieder in Ihren Ton. –[62] Schon wieder? Und das mit Ihnen, mit dem ich doch sonst eben nicht witzle? – Er sagte das Wörtchen: witzeln, mit einem ganz eigenen Nachdruck. – Nun, Sie sehn dann wohl Selbst: es ist unmöglich, unmöglich! – Gleichwohl – habe ich Mitleiden mit meinem Sohn; und ich komme da eben auf einen Gedanken – auf einen, glaub' ich, guten Gedanken – den aber nur Sie würden ausführen können.
Nur ich? –
Sie haben mir so eben Ihre grosse Gabe dazu bewiesen.
Wie versteh' ich das? Welche Gabe?
Je, die glückliche Gabe, Fehler zu sehn und zu sagen. Wie, wenn Sie nun gingen, und meinem Sohn auch die seinigen sagten? – denn dass er ihrer hat, dafür steh' ich. Recht derbe Fehler! –[63] Wenn Sie zu ihm sprächen: »Sie müssen mir das nicht ungütig nehmen; es geziemt mir freilich nicht so zu reden; ich sag' es nur im Vertrauen auf Ihre Nachsicht« – oder wie Sie es sonst herumbringen; wie Sie sonst Ihre Pille versilbern wollten: – Sie werden ja das wissen, Herr Doctor –
Gut! gut! sagte dieser, und biss voll Unmuths die Lippen.
Kurz, wenn Sie sprächen: »Die bewusste Unterredung mit unserm Alten hab' ich gehabt. Es ist doch ein wunderlicher, eigenwilliger, hartnäckiger, alter Mann. Steif ist sein Rücken, und steif ist sein Kopf. Beide würden eher brechen, als biegen. – Wie, wenn lieber Sie, der jüngere Mann, die Fehler ablegten, die den grämlichen Alten auf Sie verdriessen? wenn Sie, zum Beispiel,[64] ein gesetzterer Mensch, ein sparsamerer Wirth, ein aufmerksamerer Kaufmann würden? Ich stünde Ihnen dann mit meiner Ehre dafür« – und hier meine Hand, dass Sie Ihr Wort nicht bereuen sollten! – »ich stünd Ihnen mit meiner Ehre dafür: der Alte sollte uns anders werden; er sollte seinen Sohn lieber haben, als seinen Witz; er sollte keine grössere Sorge auf dem Herzen tragen, als wie er den einzigen Erben seines Hauses und seines Namens glücklich machte.« – Hier drehte sich Herr Stark wieder gegen den Tisch, und griff nach den Beuteln – Denken Sie der Sache gelegentlich nach! Es ist ein Vorschlag zur Güte.
Ich sehe wohl, sagte der Doctor, der seinen Verdruss kaum mehr bergen konnte – es ist nichts mit Ihnen zu machen.[65]
Finden Sie das? – Das hat schon Mancher gefunden. Das ist fast immer so mit Leuten, die nach Grundsätzen handeln.
Und so muss ich's Ihnen denn nur gerade heraussagen. Sie werden erschrecken; aber – – Ihr Sohn – –
Mein Sohn?
Er will von Ihnen – will fort!
Dem Alten war jetzt eben ein Zweidrittelstück in die Hände gefallen, das ihm nicht so recht echt schien. Er besah es von vorn und von hinten, warf es auf den Tisch, um den Klang zu hören, und musterte es endlich aus. – Dreizehn, vierzehn, funfzehn – Will von mir? Wohin?
So gelassen dabei? – Aber Sie denken vielleicht: es sei nur Vorwand, nur Kunstgriff. – Ich schwör' es Ihnen dann auf Ehre: er will fort, will nach Br ..., auf nimmer Wiedersehen.[66]
Will er? – Hahahaha!
Sie lachen?
Über etwas sehr Lächerliches.
Nun beim Himmel! So finde ichs nicht.
Aber ich! – Lieber, lieber Herr Sohn! So etwas für Ernst zu nehmen!
Und wofür sonst?
Für nichtigen, leidigen, elenden Trotz.
Ich fürchte, Sie werden bald anders denken. – Ja, wenn es das erste mal wäre, dass er den Einfall hätte! Aber er hatt' ihn schon öfter. – Und so leicht es mir Anfangs ward ihn zurückzuhalten, so schwer ward mir's nachher.
Natürlich! Weil Sie Sich gleich Anfangs zu viele Mühe gaben.
Er geht aber. Denken Sie an mich, lieber Vater! Er geht! – Und nun – was wird die Welt davon urtheilen? Ihr[67] Sohn ist für keinen üblen Mann bekannt, und Sie Selbst werden ihn so nicht bekannt machen wollen. – Ihre Handlung werden Sie fremden Händen vertrauen müssen. Sie sind zu alt und mit andern Geschäften zu überhäuft, um diese Hände genug zu beobachten. – Ihre Frau wird ihren einzigen Sohn – denken Sie Selbst, wie ungern! verlieren; wir Alle –
Ach Thorheit! Thorheit! sagte der Alte, und zählte fort.
Wenn Sie's so ansehen – –
Wie anders?
Ich habe dann das Meinige gethan, und muss schweigen.
Lieber, lieber Herr Sohn! – und er drehte sich zu einem ernsthaften Gespräch herum, mit bei Seite gelegter Brille. – Ihre Gründe sind gut, sind vortrefflich; aber für wen? Für meinen Sohn, oder[68] für mich? – Wenn ihn die Welt als keinen üblen Mann kennt; so hoff' ich sagen zu dürfen: mich kennt sie als einen guten. Auf wen wird also der meiste Vorwurf, der meiste Tadel fallen? – Wenn die Handlung zu Grunde geht; wer ist's, der den Schaden trägt? der verliert? Ich, der Greis, der sein Gutes genossen hat und nun auf die Grube geht? oder Er, der Jüngling, der erst geniessen soll, und – so gerne geniessen mag? – Mit dieser einzigen, ihm ganz zufällig entfahrenen Spötterei, war der Alte auf einmal wieder in voller Laune, – Was? was? fuhr er mit einer Art von komischem Unwillen fort: ein Mensch, der nicht das Herz hat, bei einer Frau zu schlafen; der hätte Herz, dass er davon ginge? dass er sich auf seine eigene Hand setzte? dass er hier Alles im Stiche liesse? – Ach Thorheit! Thorheit!
Ausgewählte Ausgaben von
Herr Lorenz Stark
|
Buchempfehlung
Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro