Vorspruch

[258] Der Führer der Komödianten, genannt der actor, tritt auf, neigt sich und spricht.


Ein deutsches Spiel aus alter Zeit

tritt vor euch hin in neuem Kleid.

Es hat von Kindestag bis jetzt

schon manches Wämschen durchgewetzt,

fuhr einst mit Sängern, Springern, Narren

von Markt zu Markt im bunten Karren,

lustierte Herren und Banausen,

macht viele fromme Seelen grausen,

war bald ein Wirbel leichter Geister

und bald ein Sinnwerk tiefster Meister,

klebt' fester an die fette Erden

breit lachend den zufried'nen Mann

und wies mit ewigen Gebärden

den Menschengrübler himmelan.

Was je in deutschem Blute gor,

aus deutscher Seele los sich rang,

formt hier aus Tiefen sich empor

zu Licht und Lachen, Sinn und Klang.

Und ward auch göttlichem Gehalt

oft fremder Glätte Glanz gegeben,

blieb doch des Spieles Trutzgestalt

das hohe Lied vom deutschen Leben.


Doch nicht der Kampf um Gott und Welt,

der Sonnenweiten in sich bindet,

sei hier in engen Raum gestellt:

Mein Spiel ist einfach; unterwindet

sich keiner Tat der Ewigkeit,

sucht Neues kaum, noch Unerhörtes,

stellt nur Vertrautes und Bewährtes

zum alten Strauß von Lust und Leid.

Doch wenn ihr ihm zu Gunst und Lasten

dies oder jenes buchen wollt,

so ward das Bild im bunten Kasten

nur wenig anders aufgerollt.

Kaum dieser oder jener Aktor

ward frisch gekleidet und frisiert

und mancher halbvergess'ne Faktor

in das Exempel neu postiert.[258]

Besonders kam dem Schalk zugute,

was ernste Weisheit ihm verwehrt,

und wenn er keck im Übermute

zu weiten Raum für sich begehrt,

so wollt geneigtest nicht vergessen,

daß er in dieser kleinen Welt

noch heute seinen Platz behält,

den in der großen er besessen.


Nun mag euch wiederum ergetzen,

was euren Ahnen Freude war,

und in verwandte Regung setzen,

was groß sie traf und sonderbar.

Denn ob die Zeit ihr Antlitz wandelt:

Was Lust und Not dem Geist entrang,

Was je mit seinem Gott gehandelt,

das spottet jedem Untergang.


Mag unser Spiel euch dies erfassen

und neuen Mut draus schöpfen lassen.


Ab.


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 258-259.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon