Das Ein und fůnfftzigst Capitel.
Wie Gurgelstrozza den Bittergrollinger König Picrochol in Roche Clermault angriff, und ihnen nach erlegung seins Volcks auß dem Land pfiff.

[392] Gurgellangewang, als ein junger Hornübender Ritter, ward über das gantz Hör Feldoberster, dann sein Vatter Gurgelgroza blib in der Festenburg. Da redet ihnen Gurgelstroza getröstlich zu, ehe er sie außführet, unnd verhieß reiche beuten von armen Leuten, auch groß verehrung denen die sich Mannlich erzeigten. Damit satzten sie über den Furt zu Vede, durch hilff der mitgeführten Nachen unnd Schiffbrucken. Als sie nun auff ein guten Büchssenschuß davon waren, und die gelegenheit der Statt besichtigten, daß sie hoch und ihnen nicht zum bequemesten lag, giengen sie die gantz Nacht davon zu rhat. Aber Keibkam sagt zu Gargantua: Herr Oberster, das ist die Natur unnd art unsers Gallofrancken, daß sie nichts gelten, als in erster hitz, wann ihnen die Köpff noch glüen, da soll man das Eisen schmiden, da soll man sie anführen zum ersten anlauff, seind sie Teuffellischer dann Teuffel: Aber wann man sie erkalten und verligen laßt, und es lang verweilt, da seind sie Weibischer dann Weibisch. Mein raht wer, daß ihr euer Volck jetzund auff der stätt, wann sie sich nur ein wenig erschnaufft unnd erholt haben, gleich den Sturm anlauffen liessen. Der raht geful ihnen.

Hierauff führt er sein Hör ins Feld, und stellet die ersatzung unnd hinderhalt auff beide seiten des Bergs. Der Mönch nam zu ihm sechs Fänlin Fußvolcks, und zwey hundert Kürisser, mit denen setzt er mit sonderer geschicklichkeit[392] über ein Mur oder gemöß, also daß er die höhe auff der Straß gehn Loudin zum vortheil einname. Unter des gieng der Sturm in alle macht an: Die Picrocholisten wußten inn solchem plötzlichem getümmel nicht, ob rhatsamer wer außzufallen, und die anlauffende zuträngen, oder die Statt einzuhalten, unnd sich lassen pfrengen: Gleichwol wischten sie unbedacht mit etlichen Panern Hofgesinds hinauß, die wurden schön mit vielen Stuckbüchssen, so all gegen demselben halt gericht waren, empfangen: unnd damit man dem geschütz des mehr raum geb, es sicherer gegen dem Feind zugebrauchen, wichen die Gurgelstrozzianer in ein Thal hinab, da stoben die Köpff übersich, daß es sahe, als ob die Buben mit hütlein etwas vom Baum würffen.

Die in der Statt schützten sich zum besten, als sie mochten: Aber ihr Geschütz war inn der eil viel zu hoch gericht, unnd hielt die daraussen alle schadloß. Etliche der außgefallenen Bände, die dem geschüß entgangen waren, setzten dapffer inn unser Volck, aber richteten wenig auß, dann man sie redlich mit dem kopff voran nidersetzt: also, daß da sie es fületen, nicht lenger fuß halten wolten, sonder sich widerumb hindersich begaben. Aber der Mönch het sither ihnen denselben Ranck abgeloffen, derhalben begaben sie sich ohn alle Ordnung in die flucht: etlich der Strotzegurgler wolten ihnen den Rucken fegen unnd nachjagen, aber der Mönch erhielt sie, besorgend, wa sie den Flüchtigen zu girig nachtruckten, sie auß ihren Stellen und Ordnungen kemen, und also leichter, wa man auß der Statt füle, zutrennen weren. Hielt derhalben also ein gute weil in der Ordnung, unnd als er niemand freindlich kommen sahe: schicket er den Hauptman Phrontistem Mutrich zum Feldobersten Gurgellang, ihn zuverständigen, daß er kein müh noch fleiß spare, die seit zur lincken einzunemmen, dem König Grollenkoderer die außflucht zur selbigen Porten auß zuverschlagen: welchem Gargantua sehr fleißig nachkam, unnd schickt vier Regiment, so zu Sebaste gemustert worden, dahin: So bald mochten sie daselbs nit die höh eingenommen haben, sihe da, so traffen sie den Bittergroll mit seim Volck hin unnd wider zerstreuet an: den strichen sie nun zimmlich die Flöh ab: gleichwol gieng es ihnen auch nicht ohn schaden ab, dann die von der Mauren[393] sie heßlich mit Geschütz schädigten: So bald solchs Gurgellantua war genommen, entschüttet er sie mit aller seiner Macht, und ließ alles das Geschütz und die Maurbrecher so ernstlich und streng auff dasselb theil der Mauren abgehn, daß alle Macht der Statt zur rettung dahin gelocket ward.

Der Mönch, als er diß theil, da er hielt, gantz bloß unnd sorgloß von Wechtern vermarckte, bestig ers kecklich mit seim Volck, ohn die zwey hundert Kürisser ließ er zum Wagbestand draussen: so bald er nun hinein kam, schri er und sein gantz volck auß dermassen greulich, schlugen gleich die Wacht desselben Thors tod, thaten demnach den Kürissern auff, unnd eilten inn aller ungestüm schnell zu dem Thor gegen auffgang, da der gröst ernst unnd lärma war, schlugen hinden alles nider, also, daß da sie sich von allen enden von den Gargantuisten übergewältiget sahen, ergaben sie sich an den Mönch, der gab eim jeden ein stecken und ließ sie in die Kirchen sperren, doch nam er vor alle Kreutzstangen herauß, unnd bestellt Wachten unter die Thor, die nieman außliessen. Demnach ließ er die Port gegen Ost öffenen, und zog hinauß dem Gurgelstrozza zu hilff. König Picrochol aber meint, daß ihm hülff auß der Statt zustünde, und ward deßhalben noch hochmütiger, biß er den Gorgollantua höret raffen: Mein Freund Bruder Jan willkommen, glück zu mein Bruder Jan, da trefft ihr recht die Mettenzeit: Da gedacht Bittergroll, hie wird man dir und dem Volck das Requiem und Complet singen, unsers bleibens ist nicht mehr hie, verzagten derhalben, unnd floh ein jeder, wa er hinauß kommen mocht. Strotzegurgel jagt ihnen nach biß gehn Vaugaudrich, und legt sie auff der Straß nach ein ander, als wann man die Eyer zum Wettlauffen legt: darnach ließ er wider zum alten hauffen blasen, à la Retreck zum Profey.

Picrochol aber floh in solcher Zerrüttung auff die Insel Bouchart, unnd ward ihm sein Pferd unterwegen räch, da ergrimmet er so Cholerisch Bittergrollisch unnd Koderkolderisch drüber, daß ers selbs vor bittergalligem zorn erstach. Unnd als er niemand meh umb sich het, der ihm zu Pferd hulff, wolt er inn der näh eins Müllers Esel diebisch entlehnen, dieweil er meynt, es könt sich kein Dieb am andern vergreiffen: aber die Müller thaten zusamen, und zerbläueten[394] ihn rechtsinnig Picrocholisch und Bittergallisch wol, und blünderten ihm seine Kleider, und gaben ihm darfür ein gebletzten armseligen Küttel, welchen ein Müllerknecht da inn rauch gehengt hat, die Läuß darauß zuräuchen und zuscheichen: also zog der arm Bitterkoderisch Tropff darvon, wie ein verscheichter Haß: Unnd als er über dz Wasser bei dem Port zu Huaulx fuhr, und sein unglück da erzehlet, ward ihm von einer alten Loupidonischen Vettel vorgesagt, daß ihm sein Reich wider soll werden, wann die Coquecigruische Guckenhuserkränch kernen. Demnach hat er sich verloren, daß noch auff den heutigen tag niemand weiß, wa er hinauß kommen ist, etlich meinen er hab sich zu dem verlornen Hertzog Baldwin von Flandern: oder dem Meinicke Müller Woldemar zu Brandenburg, oder zu dem Keyser Friderich, der in Asien ertranck, unnd dessen man noch zu Keyserslautern warten ist, gethan, etlich er sey des Hertzogs Carls von Burgund unnd König Christierns gesell worden, und soll mit dem Geldrischen Keyser kommen, den die Fisch gefressen haben: oder mit dem Malerkönig Ballomer, der mit dem Oriflammenpanier vor Rosenbeck verloren ward: wann er anders nit zu Wetzflar verbrant ist worden, wie Tilockolup, welchen die von Colmar für Keyser Friderichen hatten auffgenommen. Gleichwol halten etliche Amadisischen Orianisten darfür, er werd in der Urganda Affenschiff wider kommen, wann dem König Artus die Mörfein Morgana in der gläsern Insul die Wunden wird geheilt haben, welche er inn der Schlacht bei Kamlan wider den Verrhäter Mordred hat empfangen. Aber man hat mir für gewiß gesagt, daß er jetzunder zu Leon ein Holtzträger sey und noch Bittergrollisch unnd Koderkolderischere wie vor, helff auch zuzeiten Ballen tragen und binden: Und bei allen frembden Kauffleuten, die dahin kommen, fragt er allzeit eygentlich nach, ob sie nichts von den Gugkenhäuserkränchen haben vernommen, wann dieselbigen sollen ankommen: dann er noch gäntzlich nach Propheceiung der alten Unholden hofft, er werd zu ihrer ankunfft wider eingesetzt werden. Nun aber rhatet ihr zu, wie man ihm thut, daß dieser Bitterkoderer nicht wider ins. Regiment komm? wie Nabuchodonosar, nach dem er etlich Jar ein Waldku, das ist, ein Hirtz gewesen war, Aha, man[395] thu ihm, wie Evilmerodach seim Vatter der ließ ihn zerhauen zu drey hundert stucken, und berufft darnach drey hundert Geier, und gab eim jeden ein Stuck zuverschlucken, unnd dasselb inn drey hundert Eck der Welt zu verzucken. Was gelts wo er mehr kommen ist? Dann die Bluttropffen konten nicht wie Medusæ abgehauener Strobelkopff Schlangen geben: Es seien dann unsere heutige Schrapherbscharffschärcharpische Herren von der Greiffen edlem Treck entstanden, welcher inn etlichen noch so Bitterkoderisch auffkoppet. Nach dem die Feind entkommen, überschlug Gurgelstrozza gleich sein Volck, unnd befand daß dessen wenig gebliben, ohn etliches auß des Tolmere unnd Hauptmans Hindennach von Benshaim Fänlin: Und das Lobkund ein schuß ins Wammest bekommen, daß ihm der Latz nottelt, und das Ohr auff ein seit hieng wie ein Welckror. Hieß folgends das gantz Hör rhuen unnd guter ding sein, befahl auch den Proviandmeistern allen auff seinen Kosten vollauff zugeben: Deßgleichen ließ er außschreien in der Statt kein gewalt noch mutwill zuüben, dann sie sey sein: warumb er dann die seinigen plagen wolt? Unnd auff den abend auff dem Burgplatz zu erscheinen, da werd man ihnen sechs Monat sold zahlen: welchs auch also geschah. Folgends ließ er auff gedachten Platz, alle die, so von Bittergrolls Volck überbliben, fordern, unnd that inn beiwesen aller seiner Fürsten und Hauptleut zu ihnen ein solche red, wie folgt.

Quelle:
Johann Fischart: Geschichtklitterung (Gargantua). Düsseldorf 1963, S. 392-396.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon