Zweytes Kapitel

[57] Meine Tante konnte und durfte nun freylich keinen andern Willen haben, als den Meinigen; gleichwohl that ich dieses Mahl was sie wünschte, und nahm meinen Weg nach Berlin. Theils weil ich keine Hoffnung hatte, Marie in England zu finden, theils weil mich in Berlin ein angenehmer Zirkel von Freunden und Bekannten erwartete.

Ich bekam Empfehlungsbriefe die Menge und noch vor Ende des Junius waren wir vollkommen einheimisch daselbst.

Heinrich warf sich nun von Neuem auf seine Bücher, während ich auf den Spaziergängen herumstrich, und keinen Abend[57] das Schauspiel verfehlte, um Marie wo möglich zu entdecken.

Das Einzige, was mich noch etwa außerdem beschäftigte: war Musik und Geschichte. Musik, um für meinen Schmerz einen Ausdruck zu finden, und Geschichte, um Heinrich durch Thatsachen niederzuschlagen; wenn er etwa für gut finden sollte, mir seine Puppe die Vervollkommung des Menschengeschlechts anzupreisen,

Ach meine, durch die Liebe genährte und unterdrückte Sinnlichkeit, und die beständig getäuschte Hoffnung Marie zu finden – alles gab meinem Charakter jetzt eine Bitterkeit, welche bey dem gänzlichen Mangel an Selbstüberwindung oft in eine Art von Wuth überging.

Mehrere meiner Empfehlungsschreiben waren schon abgegeben, aber noch hatte ich mich zu keinem Besuche entschließen[58] können. Im Gegentheil war ein alter Freund meiner Tante wirklich durch mich beleidigt.

Er begegnete mir auf einem Spaziergange, und erkundigte sich mit vieler Theilnahme nach meinem Befinden. Meine Tante hatte mich allenthalben als krank angekündigt; und leider war es dem Herzen nah nur gar zu wahr.

Aber in dem Augenblicke, da ich ihm meine Dankbarkeit bezeigen wollte; ward ich ein Frauenzimmer gewahr, das mir eine auffallende Aehnlichkeit mit Marien zu haben schien. – Mehr bedurfte es nicht, um mich den guten alten Mann und alles was er mir sagte, vergessen zu machen. Ich eilte hinter dem Frauenzimmer her, und wurde erst spät meine große Unhöflichkeit gewahr.

Aehnliche Züge, besonders das anscheinend zwecklose Verfolgen der Frauenzimmer,[59] erwarben mir bald den Nahmen des schönen Verrückten, und es wurde für die Damen ein interessantes Geschäft, sich einander zu erzählen: wann, wo, und wie oft, sie den schönen Verrückten gesehen hatten.

Jetzt drang man mit einer Menge Einladungen auf mich ein, und ich mußte mich, ohngeachtet meines großen Widerwillens, entschließen, wenigstens mit einem Hause den Anfang zu machen.[60]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 57-61.
Lizenz:
Kategorien: