[163] So sehr mir die Marquise den Aufenthalt in Neapel interessant machte, so unangenehm war er für Heinrich.
Er litt unbeschreiblich unter dem Einflusse des brennenden Himmels, und sehnte sich nach Raphaels unsterblichen Werken zurück, um seine Phantasie wieder mit erhabenen Bildern anzufüllen.
Vergebens war mein Rath, sich dem Einflusse des Clima's nicht zu widersetzen – vergebens mein Spott, da mein Rath nichts helfen wollte. Er wankte nicht in seiner unerbittlichen Strenge gegen sich selbst. »Nein!« rief er – »ich kann mein edleres Selbst nicht dem unedleren aufopfern!« –[163]
»Edleres! unedleres Selbst!« – wiederholte ich – »welche verworrene Begriffe! Ist irgend etwas unedel, was die Natur befiehlt?« –
Er. Die Natur befiehlt Ordnung, und besieht nur durch sie. Ich handle dieser Ordnung zuwider, wenn ich mich zu den Thieren erniedrige. Für sie mag Sinnlichkeit Zweck seyn – für mich kann sie nie etwas Anderes als Mittel werden.
Ich. Lauter Extreme! – Wer sagt dir: daß du dich zu den Thieren erniedrigen sollst? – Liebe die Person, mit der du dich sinnlich verbindest, so ist der Unter schied, der dir so gewaltig am Herzen liegt, erwiesen.
Er. Lieben! – Wie kann ich sie lieben, wenn ich sie nicht achte! – Wie kann ich sie achten und lieben und sie unglücklich machen wollen? –
[164] Ich. Mache sie glücklich! das hängt ja nur von dir ab.
Er. Wollte Gott, daß es so wäre! aber ich kann noch nicht heurathen.
Ich. Also für das liebliche Ehestandsjoch sparst du dich, opferst die schönsten Jahre des Genusses einer Chimäre auf? –
Er. Immerhin! mir ist diese Chimäre Wahrheit!
Ich. Hm! – Was ist Wahrheit! –
Er. Alles, was den Menschen veredelt, ist menschliche Wahrheit.
»Ich bleibe hier!« – rief ich ärgerlich – »was du thun willst, hängt von dir ab.«
»Was ich thun will« – antwortete er mit Festigkeit – »wirst du sehen. Ich habe deiner Tante versprochen, dich nicht zu verlassen. Ich halte es, aber ich rette mein Herz!« –[165]