Erstes Buch

Es war Abend, als Rodrich in die Thore der Hauptstadt einfuhr. Die erleuchteten Straßen zeigten ihm das Getümmel vieler Tausende, die des Lebens Spiel kreisend hin und her trieb. Glänzende Wagen, ferne Citherklänge, verworrenes Rufen und Flistern, alles rauschte durch seine Sinne, und trieb ihn unruhig über die neue Welt hinweg, bis er endlich bei den hohen Pallästen verweilte, in deren Inneres er wie in einen magischen Spiegel flüchtig hinein schauete. Der Zierrath der Gemächer wie die reichen Diener entzückten ihn. Oft hörte er lustige Musik,[3] sah schwebende Gestalten längs den hellen Fenstern hingleiten, und hätte die Welt darum gegeben, mitten unter ihnen zu seyn. Da gedachte er plötzlich seines unscheinbaren Daseyns, und das widrige Gefühl in dem Strom gemeinen Wirkens ungekannt, unbeachtet mit fortzuschwimmen, stellte sich recht feindselig zwischen die aufgedeckte Herrlichkeit der Welt und ihn. Wie erhaben er sich auch den Mittelpunkt eines Staates, den Hof und seine Umgebungen gedacht, so stand er selbst, ohne es zu wissen, unter den Hauptfiguren der bunten Gemälde. Was dort im Glanz einer lebendigen Phantasie in einander verschmolz, stand jetzt einzeln und abgerissen vor ihm da. Die übersprungenen Stufen geselliger Verhältnisse erschienen ihm plötzlich wie die[4] unersteigliche Himmelsleiter, und er blickte zum erstenmal geringschätzig auf sich und die ärmlichen Mittel, die seine Ansprüche geltend machen sollten. Voll Unmuth schloß er die Augen, und flüchtete zu den Erinnerungen der Vorwelt, in die er sich so oft versenkte, um die eigne Beschränkung in den weiten Kreisen menschlicher Thätigkeit zu vergessen. Die Heroen der Profan- und Heiligengeschichte stiegen vor ihm auf. Er hatte die Letzteren immer geliebt, um der Kraft willen, mit der sie das einmal Unternommene vollführten. Ja, rief er, nach kurzem Sinnen, die Welt bleibt ewig dieselbe, und wem die rechte Feuerkraft im Busen glüht, der muß vom Schicksal erzwingen, was es ihm kärglich versagte.

In dieser Stimmung betrat er den[5] ziemlich ansehnlichen Gasthof, vor welchem sein Wagen hielt. Der Trotz der noch in seinen Mienen lag, und die etwas gebieterische Stimme, mit welcher er eingelassen zu werden forderte, ließen auf einen vornehmen Gast schließen. Er bekam ein gutes Zimmer und anständige Bedienung. Indeß war er viel zu bewegt, um hier lange in müßiger Beschauung zu verweilen. Was ihm allein zu thun übrig blieb, das sollte gleich geschehen. Überdem brannte er vor Begier, irgend einen Menschen zu finden, dem er einigermaßen angehöre, mit dem er reden und ihm seine Wünsche und Hoffnungen mittheilen könne. Er beschloß also noch diesen Abend zu dem Künstler zu gehen, an welchen sein Meister ihn gewiesen hatte, und eilte, bei dem Wirth die[6] nöthigen Erkundigungen deshalb einzuziehen. Ein Maler also? fragte dieser, und blickte nachlässig zu ihm auf. Nie hatte ihm dies Wort so seltsam und fremd geklungen, als in diesem Augenblick. Er erschrack selbst darüber, und wandte sich mit dem verdrießlichen Ja von dem Neugierigen, der ihm statt einer Antwort eine Frage zurückgab. O, sagte dieser einlenkend, wollten Sie nicht einige Augenblicke verweilen; Sie werden hier an der Abendtafel mehrere Kunstfreunde finden, die Ihnen vielleicht nähere Auskunft geben können. Sie nannten gewiß einen unserer berühmtesten Meister, allein ich kann Ihnen seine Wohnung nicht sogleich bezeichnen.

Rodrich ging still im Zimmer auf und nieder. Einer der Berühmtesten,[7] dachte er, und sie kennen seine Wohnung nicht einmal! Ach, wer kommt denn auch zu der einsamen Werkstatt des Künstlers, der in abgeschloßner Welt sich selbst und der innern Gottheit lebt! Er fühlte jetzt, wie mühselig der Weg sey, den er eingeschlagen hatte, und wie wenig er zu der unstäten Beweglichkeit seines Gemüthes passe. Er gedachte der Worte seines Lehrers, der ihm oftmals sagte: daß er die Kunst nicht um ihrer selbst willen liebe, und sie alles Fleißes ohnerachtet nur als Mittel betrachte. Er hatte das immer bestritten und gemeint: der Wunsch, durch die Kunst berühmt zu seyn, ließe sich von der Liebe zu ihr nicht trennen. Auch jetzt wollte er es sich nicht ganz gestehen, und suchte den schwankenden Willen mit aller Kraft zu[8] befestigen. So gelang es ihm denn, während er die innere Stimme durch tausend große Worte übertäubte, und die gesunkne Achtung für sein Gewerbe auf alle Weise anregte, die alte Begeisterung aufs neue zu entflammen. Und um sich selbst zu entfliehen, zögerte er nicht länger, den Maler, aller Gegenrede des Wirthes ohnerachtet, aufzusuchen.

Er war lange Zeit gegangen, ohne irgend jemand angeredet und um Auskunft gebeten zu haben, weil er überall nicht gern bat, am wenigsten den gaffenden Pöbel. So kam er zu einer langen prachtvollen Brücke, von deren jenseitigem Ende sich ein breiter Kastaniengang längs dem Ufer hinwand. Unzählige bunte Schiffchen glitten noch über das stille Wasser hin, während[9] viele andere unfern der Brücke landeten und dem dunklen Gange manch' fröhliches Paar zuführten. Rodrich gesellte sich zu diesen, indem er sich hier, wo ihn nichts so drückend auf die eigne Nichtigkeit zurückführte zum erstenmal wieder wohl und leicht fühlte. Das dumpfe Geräusch der Wagen, wie das ganze Gewirr der Menge, ward in der einsameren Gegend von den lustigen Liedern der Schiffer übertäubt, die längs dem Ufer das dürftige Mahl an kleinen Feuern verzehrten. Das seltsame Spiel des Lichtes zwischen den dunklen Bäumen ergötzte ihn unendlich. Er glaubte den Zauber der Beleuchtung noch nie so gekannt zu haben, und entwarf tausend Plane, die vor ihm schwebenden Gruppen darzustellen, als er bei einer[10] Beugung des Ganges plötzlich vor einem geöffneten Gitterthor stand, das die Vorübergehenden recht gastlich zum Eintreten einlud. Die blühenden Ufer waren hier zum kunstreichen Garten umgewandelt. Zwischen duftigen Blumengewinden glänzten helle Springbrunnen, deren silberne Stralen sich in Marmorbecken ergossen. Dunkle Pinien und Cypressen beschatteten Kunstwerke der besten Meister. Rodrich stand wie in einem Zauberkreise vor den steinernen Gebilden, die in der stillen Nacht seltsam auf ihn herabblickten. Mit innerm Grausen betrachtete er einen Lakoon, der auf einem hervorspringenden Hügel einsam am Ufer stand. Ihm war, als neige sich jetzt erst das schmerzenvolle Haupt gegen den sterbenden Knaben. Er glaubte[11] das Angstgeschrei zu hören, und unwillkührlich schloß er den starren Marmor an die bewegte Brust. Da hörte er von fern leise Musik. Die Töne zogen ihn fort zu einem kleinen Pavillon, der, wie von Wellen getragen, dicht am Wasser stand. Aus dem Innern erschollen die Worte:


Blumen, süßes Angedenken,

Blumen, meiner Liebsten Gabe,

Seyd ein Bild der kurzen Freuden,

Die mit euch verblühend schwanden.


Seh euch todt nun vor mir liegen,

Muß mit Wehmuth die betrachten,

Deren reiches frisches Leben

Freudig meinen Sinn erlabte.


Zaid nimmt die welken Blumen,

Drückt sie gegen Mund und Wange,

Will mit Thränen sie benetzen,

Will mit Küssen sie erwarmen.
[12]

Und der Thränen helle Perlen

Glänzen in des Mondes Stralen,

Bebend so in Lichtes Wonne

Spielen sie viel tausend Farben.


Blumen, wollt auch ihr mich täuschen,

Neu erblüh'nd im nächt'gen Glanze?

Wollt euch dem Gestirn verbünden.

Das im Dunklen trüg'risch waltet?


Leben habt ihr mir gelogen,

Will euch länger nicht bewahren;

Denn für solch' ein falsches Leben

Wähl' ich's einsam zu verschmachten.


Und er wirft die Liebespfänder

Von dem steilen Meeresstrande

Tief hinunter in die Fluthen,

Sie auf ewig zu begraben.


Wie die Blumen dort verschwimmen,

Gar vergessend aller Farben,

Hat die Thrän' auf ihren Blättern

Bald zur Perle sich gestaltet.
[13]

Hier fiel Rodrich, ohne zu wissen, was er thue, ein und sang:


Perlen sind ja Liebesthränen;

Denn von Wehmuth süß umfangen

Ruht des Feuers ew'ger Funke

Mild verklärt im stillen Wasser.


Plötzlich rauschten die seidnen Vorhänge auf, und ein weiblicher Kopf beugte sich aus dem geöffneten Fenster. Rodrich war vergebens bemühet, die zarten Umrisse aufzufassen. In der Dunkelheit schwankte alles verwirrt in einander. Tausend Erinnerungen flogen wie Schatten vorüber; je fester er die Blicke heften wollte, desto beweglicher wogten die wechselnden Bilder auf dem dunklen Grunde. Zuletzt glaubte er die Züge des Lakoon wieder zu erkennen; da sank der Vorhang leise nieder,[14] und er wandte sich gedankenvoll zur Stadt.

Als er sich dem Gasthofe nahete, hörte er in den untern Zimmern sehr lebhaft sprechen, und im Hineintreten fand er eine zahlreiche Tischgesellschaft in allgemeinem Streite begriffen, der indeß bald durch seine Ankunft unterbrochen ward. Das Fremde und Stolze in seinen edlen Zügen, die dunkel glühenden Augen, der hohe Wuchs, alles erregte die Aufmerksamkeit der Anwesenden, die ihn mit neugierigen Blicken maßen, während er ganz unbefangen einen leer gebliebenen Platz einnahm, und sich des günstigen Eindruckes freuete, der sichtlich bei seiner Erscheinung aus jedem Auge sprach. Diese stille Bewunderung, in welcher er sich zum erstenmal klarer als in einem[15] Spiegel erkannte, gab seinem Wesen Haltung und Sicherheit, und söhnte ihn mit der ungekannten Welt aus, die ihm Anfangs so fremd und abstoßend erschien. Indeß ward, nach einigen lebhaften Erkundigungen bei dem Wirthe, der eben mit Rodrich gesprochen hatte, das vorige Gespräch nach und nach wieder angeknüpft. Je mehr ich nachdenke, sagte ein Mann, der mit verschränkten Armen und niederhangendem Kopfe da saß, je wahrer finde ich, was Sie vorher sagten: es giebt in der That Worte, deren Bedeutung wir auf Treu und Glauben annehmen, die uns eben deswegen niemals klar wird, und dennoch mit uns aufwächst, sich uns anschmiegt und glauben läßt, sie gehöre zu unserm Wesen, während es nur eines kräftigen[16] Stoßes bedarf, um sie als etwas ganz Fremdes uns Aufgedrungenes zu erkennen. Zu diesen gehört die äußere Ehre in dem Sinne, wie sie allgemeingültig angenommen wird. – Welchen Unterschied, ich bitte Sie, rief ein lebendiger Jüngling ihm zur Seite aus, machen Sie denn zwischen äußerer und innerer Ehre? und was ist Ehre überhaupt, nach ihren Begriffen? – Ehre, erwiederte ein Offizier, der bis jetzt von seinem Nachbar verdeckt, Rodrich unbemerkt geblieben war, Ehre ist freie Selbstständigkeit, innere Consequenz des Willens, die sich durch ein folgerechtes Leben behauptet. Der Zweck, wie der Ausgangspunkt, sind als freie Erzeugungen ganz individuel, und es ist nichts seltsamer, als allgemeine Prinzipien über etwas aufstellen zu wollen,[17] was seiner Natur nach auf der Eigenthümlichkeit der Ansicht beruhet. – Daß die Ihrige Ihnen allein angehört, sehe ich, fiel der junge Mann rasch ein; denn sie ist mir in der That fremd. Nur thun Sie doch nicht gut, die Individualitäten so scharf von einander abzuschneiden, wir könnten bei consequenter Folgerung auf den Punkt kommen, wo alle Ihre Worte verschwendet wären, wo wir wirklich nichts, gar nichts von einander wüßten, und Menschen so kalt gegenüber ständen, wie abgeschloßne Welten. Indeß könnte ich Sie fragen, um mich auf einen Erfahrungssatz zu berufen, wie es kam, daß Jahrhunderte hindurch eine Religion und eine Ehre alle Gemüther beseelte, und das Größte erzeugte, was die Welt sah, wenn sich nicht das ewige[18] Licht über Alle ergoß und die Gluth einer Liebe jede Brust entflammte? – Zeitalter, antwortete der Offizier, haben wie Menschen ihren eigenthümlichen Charakter. Ich tadle diese nicht, daß sie den ihrigen durchführten, nur finde ich es etwas lächerlich, daß wir unaufhörlich auf morschem, verfallenem Grunde fortbauen, ohne zu fragen, was wir wollen und können? Hat Graf Alvarez, dessen früher Tod unserm Gespräche neues Leben gab, so durchaus in der Glückseligkeit seiner Schwester gelebt, daß sie ihm das Höchste war, und er die Treulosigkeit ihres Geliebten für eine Beschränkung seines höchsten heiligsten Willens ansah, so that er recht, mit einem verfehlten Leben auch den frechen Störer desselben zu vernichten. Hat ihn aber[19] das blos Formelle der Ehre, der verblichne Schein jener alten Ehrfurcht für die Reinheit und Unverletzbarkeit des Familien-Namens hingerissen, so opferte er einem kränklichen Wahne ein sehr lebendiges Streben auf. – Kränklicher Wahn! rief der kecke junge Streiter, was Sie so nennen, ist im Grunde ganz Eins mit dem, was Sie selbst zuvor als Idee der Ehre aufstellten. Die freie Selbstständigkeit des Mannes ist von der Unbeflecktheit seines Namens unzertrennlich. – Andre Zeiten andre Sitten, erwiederte der Offizier. – Die unsrigen, fiel jener ein, müssen doch von der für Sie verrufenen Zeit nicht so absolut losgerissen seyn, weil sich in eines jeden Brust der heiligste Zorn regt, so bald sein Vaterland, sein Staat angegriffen wird, um wie viel mehr[20] denn der Name, den er trägt. – Eine Ausnahme, sagte der Offizier lachend, wirft Ihre ganze Regel über den Haufen. Ich gebe Ihnen meinen Namen für eine Hand voll tauber Nüsse hin, mich selbst aber verkaufe ich theuer, das versichre ich Ihnen. – Es beruhet nur darauf, hub der langsame Denker nach einem kurzen Schweigen wieder an, den Wendepunkt zu finden, in welchem die individuelle wie die allgemeine Ehre Eins wären. Hier fiel Ursprung und Zweck der That zusammen, und es könnte nicht mehr von einer augenblicklichen Erzeugung des Willens, sondern einzig von einem innern bleibenden Moralgesetz die Rede seyn, das, wie für alle Zeiten, auch für alle Individuen gelten müßte. – Was für Alle gilt, Herr Doktor, sagte der[21] Offizier, schließt alles Charakteristische, alles, was einem Dinge Gestalt und Physiognomie giebt, aus, und so hätten wir unrecht, über einen einzelnen Fall zu streiten. – Das Einzelne, erwiederte der Doktor, ist auch überall nur wirklich etwas, in so fern es sich zur allgemeinen Idee erhebt. Von diesem Standpunkt müssen wir das Ganze betrachten, dann lernen wir die Geschichte des Menschen als unendliche Entwickelung eines Gedankens erkennen. – Dies zugegeben, sagte der Offizier, so müssen Sie mir eingestehen, daß keine Rückschritte zum Ziele führen, und daß jener Maßstab einer längst entwachsenen Zeit seltsame Carikaturen erzeugt. Warum Autoritäten aufrufen, die alles produktive Vermögen ersticken! Trägheit ist es, die den[22] Menschen auf dem früher geebneten Wege fortzieht, und ihm weis macht, es passe kein andrer für ihn.

Rodrich hatte bis dahin schwankend zwischen den verschiednen Meinungen da gesessen. Jetzt erregte der Offizier seine ungetheilte Aufmerksamkeit. Die letzten Worte trafen sein Inneres. So hatte er immer gefühlt, etwas Großes und Neues sollte geschehen, was gigantisch über den Trümmern der Vorzeit hinschreitend, eine nie gesehene Herrlichkeit offenbarte. Er betrachtete noch das seltsame Gesicht, auf welchem die hellsten Blitze des Verstandes mit der hingebendsten, trägsten Ruhe wechselten, und über dessen scharfe Züge sich wiederum eine Milde ergoß, die es unendlich anziehend machte, als der junge Mann, der von den Anwesenden[23] Ritter genannt wurde, aufs neue mit verhaltnem Unmuth begann: Wenn ich nur nicht hören müßte, wie man die alten ehrenwerthen Formen antastet, ohne zu erwägen, daß unsre ganze äußere Existenz ein stillschweigendes Anerkennen derselben ist, indem wir durch Sprache, Religion, Gesetze, und gesellige Verhältnisse hinlänglich darthun, daß sie uns wirklich ungetheilt angehören. – Wenn Sie mich darauf zurückführen, erwiederte der Offizier, daß der jetzige Zeitmoment in allen vorhergehenden bedingt ist, so vergessen Sie auch nicht, das Charakteristische der Gegenwart zu betrachten. – Das ist ohnmächtiges Wollen, fiel jener ein, kränkliches Zucken entschwindender Kraft. Seit der Blick verloren ging, mit dem wir einst das Alte betrachteten,[24] und der Muth, es würdig zu behaupten, überreden wir uns, etwas Neues, Unerhörtes erzeugen zu müssen. Kein Mensch weiß aber eigentlich was? Es ist erstaunlich bequem, so ins Blaue hinein zu produciren, und das unbekannte Ziel immer nur ahnen zu lassen, während man bei aller produktiven Kraft einschläft – bis uns das Alte über dem Kopf zusammenstürzt, unterbrach ihn der Offizier, da haben Sie ganz recht. Aber das liegt nicht daran, daß wir es nicht wieder herstellen; denn das wäre am Ende doch nur Flickwerk, und zerbröckelte wohl leicht in einer kräftigen Hand, die es derb anfaßte, eher indeß, weil es an Kraft und Genialität fehlte, aus dem Alten etwas Frisches und Lebendiges hervorgehen zu lassen.[25] Doch seyn Sie ganz ruhig, es geschieht dennoch vieles, was wir übersehen. Was in der Vergangenheit wie aus einem Guß geformt da steht, ist in der Gegenwart ein langsames Werden. Der Wein gährt still im verschloßnen Dunkel, ehe der Geist sich frei macht und die Gemüther entzündet. Er hob bei diesen Worten ein schäumendes Champagnerglas in die Höhe und rief mit freudigen Blicken: gute Zeiten und lebendiger Muth! Alle stießen an, und der Ritter sagte bewegt: wir verstehen einander dennoch. Solche, die das Schwerdt und die höhere Vaterlandsliebe verbindet, sollten eigentlich nie über Ehre streiten. Sie sind in der Hauptsache gewiß einig. – Dies fiel wie ein Blitz in Rodrichs Seele, das war der ungekannte Magnet, der ihn[26] in die Welt zog. Darum hatte er im Kloster nur Augen und Sinn für den Erzengel Michael; darum saß er Stunden lang vor dem Bilde und zeichnete mit unsichrer Hand die kräftigen Züge, bis es ihm gelang und Alle über die Geschicklichkeit des Knaben staunten. Jetzt war es, als träte er vor ihn hin, gewapnet, mit fliegendem Haar und eingelegter Lanze, das breite Schwerdt an der Hüfte, wie die alten Götter über die Erde hinschreitend. Seiner nicht mehr mächtig, rief er: Alle gute Geister verbinde das Schwerdt! – Bravo! sagte der Offizier, und flog auf ihn zu. In Ihren Augen glüht etwas, das mit früher verkündete, wie Sie Pinsel und Palette wohl am längsten würden geführt haben. Kommen Sie nur, der Wein erschließt die Herzen,[27] und der Mann darf dem Manne ein freies Wort sagen.

Sie waren bei diesen Worten in ein abgelegnes Zimmer getreten. Der Ritter hatte sich zu ihnen gesellt, und alle drei setzten sich in eine kleine Nische. Den perlenden Wein zwischen hellen Kerzen vor sich auf einem Tischchen, hub der Ritter an: Solche Momente sind die heiligsten, wo der innere Lebensblitz, plötzlich angefacht, einen flüchtigen Schein auf die dunkle Zukunft wirft, und ein prophetischer Laut uns die ganze Welt offenbart! – Sie wissen, erwiederte der Offizier, ich halte in der Regel wenig von jenen mystischen Anklängen und Offenbarungen. Daß uns das Regen einer lichthellen Vernunft so oft nur dunkle Ahnung bleibt, liegt darin, daß der Mensch[28] überall wenig auf sein Inneres achtet, die verworrenen Strebungen selten scharf und bestimmt auffaßt und mit Besonnenheit vor sich hinstellt. – Ach, sagte Rodrich, der beleuchtende Verstand tritt das Lebendigste im Menschen nieder. Ich habe das wohl in der Kunst erfahren, und weiß, wie das Gelungenste aus dem augenblicklichen Zusammenfallen von Gedanken und That entsteht. Auch im Leben will sich mir das so bewähren. Jene, fast bewußtlos herausgestoßenen, Worte, haben mir zwei Freunde gewonnen, zu denen ich endlich einmal aus voller Seele reden darf. – Wenn Ihr Gefühl Sie nie auf schlimmere Wege führt, sagte der Offizier, so folgen Sie ihm nur getrost. – Ja wohl, setzte der Ritter hinzu. Es ist nicht das Schlechteste im[29] Menschen, daß er sich so ohne weitere Beglaubigung rücksichtslos hingeben und das überfließende Herz eröffnen kann. – So nehmen Sie mich denn hin, sagte Rodrich in höchster Bewegung, ich gehöre ja ohnehin Niemand an! Er hielt einen Augenblick ein, und kämpfte, ob er seine dunkle Abkunft hier berühren und sich selbst als ein Kind des Zufalls hinstellen sollte. Doch bald fuhr er fort: Es wehet etwas Geheimnißvolles durch mein ganzes Leben, das mich oft selbst mit Bangigkeit erfüllte, und schon da mit der Welt entzweite, als sie mir noch fremd war. Meine frühesten Erinnerungen führen mich in ein Kloster an die Seite eines Greises zurück, der mit der zärtlichsten Sorge über mich wachte. Ich kann nicht sagen, ob ich je andre Umgebungen[30] gekannt; allein oft vor dem Einschlafen, und wenn Eusebio die Laute spielte, überfiel mich eine Sehnsucht, daß ich weinend nach einem hellen, bunten Hause verlangte, wo ich mit schönen Kindern spielen könne. Einst war ich mehrere Tage hindurch nicht zu beruhigen, weil mir im Traum eine Frau, in weiße Tücher gehüllt, auf einem Ruhebette liegend, erschienen war, nach der ich vergebens die Arme ausgebreitet und sie zu erfassen gestrebt hatte. Eusebio weinte mit mir, und schien mich mehr durch Liebkosungen als durch Bestreitung meiner Wünsche zu beruhigen. Nach und mach ward ich indeß stiller. In der steten Einförmigkeit schwieg indeß jedes unruhige Verlangen. Meine bescheidnen Wünsche drängten sich nicht über die[31] kleine Zelle hinaus, in deren Innerem alle dürftigen Freuden meines Lebens blüheten. Denn selbst der fruchtreiche Klostergarten ward mir durch die Aengstlichkeit, mit welcher ich in die Steigen gebannt war, zuwider. So verlebte ich meine Tage unter Gesang und Gebet, lernte Heiligenbilder zeichnen und fromme Thiere in Holz schnizzen. Die erlöschende Kraft, die nur in der Liebe zu Eusebio und beim Anblick des Erzengels Michael, der recht groß und hehr über dem Altar in unserer Kirche hing, aufblitzte, gab dem Prior die besten Hoffnungen für die Zukunft. Auch hatte Eusebio strenge Befehle, jede weltliche Anregung gewissenhaft zu vermeiden. Ich erfuhr das in einem Augenblick, der mir jetzt noch wehmüthige Erinnerungen giebt. Er[32] hatte mir einst ein Pferd in Holz geschnitten, und, ich weiß nicht, war es Instinkt, oder hatte ich sonst schon etwas ähnliches gesehen, genug, ich besaß einen zierlichen heiligen Georg, den ich auf das Pferd befestigte und mit lautem Freudengeschrei auf und nieder hüpfen ließ. Eusebio blickte lächelnd auf mich hin, während ein finsterer Mönch hereintrat, mir mein liebes kleines Spiel entriß und es unter Flüchen und Verwünschungen gegen die gottlose Entweihung eines Heiligen in die Flammen warf. Eusebio bekam einen harten Verweis und wir trauerten beide über die gestörte Lust.

So mochten wohl zehn Jahre verflossen seyn, als ich einst in der Nacht von einem leisen Geräusch erwachte. Ich blickte um mich, und sah beim[33] schwachen Schein einer Lampe, wie Eusebio sorgsam ein Kästchen unter seinem Lager hervorzog, es eröffnete, und einen reichgestickten Mantel mit goldenem Ordenskreutz daraus hervorzog. Er breitete ihn vor sich hin, blieb gedankenvoll stehen, und küßte dann ehrerbietig den Saum des Gewandes. Ich hatte mich während dem genahet, und rief voll Entzücken: Vater, was hast du da für herrliche Sachen! Der Alte ließ erschrocken die Arme sinken und sagte mit wehmüthigem Tone: Kind, das sollte Dir ewig ein Geheimniß bleiben! Mußt Du so voreilig in das bunte Gewebe deines Schicksals eingreifen! Begierig nahm ich indeß den Mantel von der Erde, hüllte mich hinein, und trat so in höchster Lust vor Eusebio hin, der von dem Anblick überwältigt,[34] mich in seine Arme schloß, und weinend ausrief: Ist mir doch, als sehe ich deinen unglücklichen Vater, als er das letzte mal vor der Welt und seinem König erschien. Ihn deckt die kalte Erde, während Du mit den Trümmern seiner Herrlichkeit spielst. War es doch immer mein Wunsch, Dich so geschmückt zu sehen! und, fuhr er fort, indem er mir die Hand auf die Stirn legte, ich ahnde es, diese Flammen werden ihrer weltklugen Weisheit spotten, was vermag der allmächtige Geist des Menschen nicht! Er sank bei diesen Worten erschöpft auf sein Lager. Ich kniete neben ihn, und um ihn zu erheitern, wie ich es sonst wohl that, nahm ich die Laute, die vor ihm auf einem Tischchen lag, und griff leise in die Saiten. Von dem Klange wie[35] begeistert richtete er sich in die Höhe, nahm mir das Instrument aus der Hand, spielte und sang folgendes Lied, das mir wie mit Flammenzügen eingegraben blieb.


Vergebens hab ich hier gerungen,

Vergebens war der eitle Wahn,

Es könne Leib und Geist durchdrungen

Auf Erden gleiche Lust empfah'n.


Ich fühlte Herz von Herz sich reißen,

Und Angst und Schmerz in wunder Brust

Wollt' ich dem Tod zu leben heißen,

Und kämpft' und rang in trüber Lust.


Ich seh' dich, farb'ge Pracht, erblassen,

Es naht sich bleich und kalt der Tod.

Ach süßes Kind, dich muß ich lassen,

Mich ruft ein göttlich ernst Gebot.


So rauscht denn einmal noch ihr Saiten,

Ihr dringt aus einer frischen Welt;

Der leise Hauch soll euch begleiten,

Der mich noch hier gefangen hält.
[36]

Die letzten Worte zerrannen fast auf seinen Lippen, und flossen so mit dem Klange zusammen, der immer leiser verhallte, bis die Laute den starren Händen entsank.

Auf mein Angstgeschrei eilten die erschrockenen Mönche herzu. Es währte lange, ehe sie mir begreiflich machen konnten, daß Eusebio todt und für mich verloren sey. Von dem Augenblick ward ich so kalt und verschlossen, wie die geliebte Leiche, die man mit Gewalt aus meinen Armen riß. Jener furchtbare Wechsel von Lust und Schmerz schien alle Lebenskraft in mir aufgezehrt zu haben. Der natürliche Trotz in meinem Gemüth lehnte sich gegen die ganze mir bekannte Welt auf, ich haßte alles, was sich mir nahete, da ich unter den erloschenen abgezehrten Gesichtern[37] nicht eins fand, das meinem Eusebio glich, und Niemand als er mich je geliebt hatte. Jede andre Erinnerung ward in das Grab meiner höchsten Freude versenkt, und erst sehr lange nachher unter freudigern Umgebungen gedachte ich des Mantels und jener bedeutenden Worte, die mich zuerst über die Klostermauern hinaushoben.

Als ich von Eusebio's Begräbniß zurückkam, ward ich in eine fremde Zelle unter die Aufsicht eines jungen Mönches gebracht, der in eigenen Schmerz versenkt, wenig auf mich achtete. Ich fühle noch heute die entsetzliche Angst, die mich in dem Augenblick überfiel, da man mich vor meinem alten, geliebten Zimmer vorbei in dies neue führte. Mit innerer Wuth schloß ich die Augen, um nichts zu sehen,[38] was mich so kalt und fremd abstieß. Auch lernte ich nie meinen neuen Aufseher lieben, vor dessen achtlosen Blicken ich dennoch thun konnte was ich wollte. Überall bekümmerte sich Niemand sonderlich um mich, man schien hinreichende Sicherheit in meinem dumpfen trägen Sinn gefunden zu haben. So kam es denn, daß man mich, als einst Feuer im Kloster ausbrach, mit anderem Geräth in den Garten schleppte, und dort allein ließ. Ich war weder erschrocken noch erfreut. Nur fuhr es einmal wie ein Blitz in mir auf: wenn die Flammen das häßliche Gebäude verzehrten, so müsse man mich wohl frei lassen, und ich könne dann hingehen, wohin ich wolle. Doch war das auch kein bleibender Wunsch, ich kannte ja nichts, wonach ich mich hätte[39] sehnen können. So ging ich gleichgültig auf und ab, bis ich eine kleine Pforte, die nach einem See hinaus führte, und durch welche man wohl in der allgemeinen Noth Wasser herbeigeschafft hatte, offen fand. Ich trat hinaus, ohne etwas Bestimmtes zu wollen, und ging Anfangs den schmalen Fußsteig, der den See hinauf führte, ganz langsam fort. Doch je weiter ich ging, desto freier hob sich meine Brust. Das Wasser rauschte und quoll so lebendig neben mir hin, ich athmete zum erstenmal frisches Leben, und der Gedanke zu entfliehen ward mir nun erst deutlich. Die erwachte Kraft beflügelte meine Schritte. Ich hatte bald die hohe Mauer im Rücken, und kam auf eine Wiese, die sich wie ein bunter Teppich neben dem klaren[40] Wasserspiegel ausbreitete. Jenseit sahe ich hohe Bäume, alles keimte und blühete nach einem kurzen Winterschlaf. Es ist unbeschreiblich, wie mich das erste Wehen des Frühlings in der reinen freien Natur ergriff. Wie berauscht brach ich Wasserlilien und lange zitternde Grashalme, und sie in der Luft schwenkend, lief ich unter Jauchzen und Schreien den bunten Vögeln nach, die sich auf den Blumenkelchen wiegten, und mich durch Feld und Wald nach sich zogen. Alle Lieder, die ich kannte, alle Gebete, die ich je von Eusebio hörte, alles rief ich den Lüften, den Bäumen, den Blumen entgegen. Ich wünschte, ich wollte nichts, als ewig so leben.

Mehrere Stunden mochte mich mein Entzücken so fortgetrieben haben, und[41] ich weiß nicht, welchen Raum ich durchlief, als ich endlich bemerkte, daß mein Weg mich an einem steilen Gebirge hinaufführte. Ich ging dennoch lustig weiter, und ergötzte mich an den farbigen Steinchen und hellen Krystallen, die auf den hervorragenden Spitzen glänzten. So erreichte ich den Gipfel des Berges, der mir alle Pracht einer lange verschloßnen Welt aufdeckte. In einem weiten unermeßlichen Thal sah ich Wälder, Triften, hohe Thürme, Häuser. Alles leuchtete und wogte im hellen Abendglanz. Die untergehende Sonne vergoldete die rothen Dächer, am Himmel glüheten Purpurwolken, um und über mir war ein Flimmern und Glänzen. Da gedachte ich Eusebio's, und sank betend nieder. Ich hatte keine Worte, aber in einen Laut[42] hätte ich alle Seligkeit der klopfenden Brust aushauchen mögen. Nie ist mir wieder so zu Sinne gewesen!

Nach einer Weile, als die trunknen Blicke sich wieder auf einzelne Gegenstände richteten, bemerkte ich am jenseitigen Abhange des Berges kleine zerstreut liegende Hütten. Ich lenkte meine Schritte dorthin, und stand bald vor einer derselben, aus deren Innerm die anmuthigsten Flötentöne erschollen. Ich trat in die geöffnete Thür und begrüßte eine schöne junge Frau, die mich erstaunt ansah, und nicht zu wissen schien, was sie aus mir machen solle. Die gute Sara hat mir nachdem oft gesagt: wie mein Anblick sie erschreckt, und sie mich für ein gespenstisch unnatürliches Wesen gehalten habe. Ich hatte nehmlich gleich Anfangs,[43] um schneller laufen zu können, meine Kleider abgeworfen, und trat nun so halb nackt, mit langen Blüthenzweigen um Haupt und Arme, vor die verwunderte Frau, die in meinen seltsam glühenden Augen ein überirdisches Feuer zu sehen meinte. Ganz scheu fragte sie mich, woher ich käm? Die Frage erschreckte mich, ich hatte das Kloster bis dahin ganz vergessen, jetzt fürchtete ich mehr als jemals dahin zurückgebracht zu werden. In der Angst sagte ich halb Wahrheit, halb Lüge: wie mich die Flammen weit jenseit des Berges vertrieben, und ich schon längst als ein hülfloses Kind, unter Fremden lebend, hier einen Zufluchtsort suchen wolle. Die Frau sah mich noch immer mißtrauisch an, und hieß mich in der Laube vor der Hütte ruhen, während sie[44] gutmüthig einige Erfrischungen herbei holte. Indem kam ein lieblicher Knabe, mit der Flöte in der Hand, zu mir heraus. Wie ich ihn erblickte, fiel ich ihm, außer mir vor Entzücken, in die Arme, und rief unter lautem Schluchzen: ein Kind, ein süßes Kind, so lieb und schön, wie der heilige Johannes zu der Mutter Gottes Füßen. Sara, die sich während dem genahet hatte, sagte mit erheitertem Gesicht: siehst Du, Florio, sagte ich Dir's nicht immer, daß Du dem Heiligen auf ein Haar gleichest, jetzt bekräftigt's der Knabe dort auch. Sie strich ihm die blonden Locken von der Stirn und küßte ihn mit innerm Wohlbehagen. Mir ward bei dem Anblick unbeschreiblich wehmüthig, ich ergriff ihre Hand und blickte flehend zu ihr auf. Armer[45] Junge, sagte sie gerührt, willst gern bei uns bleiben? Nun, es trifft just daß wir einen Treiber bei der Heerde brauchen; warte nur bis der Vater zurück kommt, er wird dich wohl behalten, wenn du fein ordentlich bist.

Der Vater kam und gestattete mein Dortbleiben. Ich lernte mich bald in alles fügen, und trieb die Schäfchen sorgsam im Thale. Florio begleitete mich überall. Wir saugen und spielten. Ich schien mir selbst oft wie neu geboren, so verdrängte die lustige Gegenwart jede Erinnerung des Vergangenen, und wenn ich zuweilen des Klosters gedachte, so schloß dennoch die innere Angst meine Lippen, daß ich nie mein voriges Leben verrieth.

Des Abends, wenn wir zurückkehrten und die Mutter am hellen Kamin[46] trafen, erzählte sie uns wohl manche seltsame Geschichte. Am liebsten sprach sie von einer wunderschönen Dame, die im Thale in einem großen glänzenden Hause gewohnt habe, und von den Hirten wie eine Heilige verehrt worden sey. Wie ein Engelsbild wäre sie oft plötzlich dem Hülfsbedürftigen erschienen, und hätte jedem Trost und reiche Gaben gespendet. Zu ihr durfte indeß Niemand, und man glaubte, der Garten, dessen Gitter stets verschlossen blieb, sey bezaubert. Doch sey sie wie allgegenwärtig im Thale gewesen, und Niemand habe je vergebens ihren Beistand gewünscht. Nach und nach wäre sie indeß selbst wie ein Schatten vergangen, und endlich mit ihrem Gemahle, von dem man wunderliche Dinge erzählte, verschwunden.[47] Zwar wollten die Hirten diesen noch lange nachher, des Nachts, die Harfe im Arme, wie einen Geist zwischen den Bergen herumstreifend gesehen haben, und, setzte sie leiser hinzu, oft ist mir auch im Schlafe, als höre ich die Harfentöne von fern herüber schallen. Das große Haus, sagte sie dann klagend, steht nun verödet und leer. Einst hat man viel Fahrens und Reitens dort in der Nacht vernommen, nachdem ward aber alles still, und Niemand geht hinein.

Ich hatte ein großes Verlangen nach dem Hause und lag der Mutter beständig an, mir den Weg dahin zu zeigen; allein sie kannte ihn selbst nicht, und der alte Martin, der bei diesen Erzählungen immer nachdenkend vor sich hin sah, verwies mir meine Neugier[48] sehr ernst. Wir blieben dann Alle einige Augenblicke still und betrübt, bis Florio ein Lied von einer lustigen Schifffahrt anstimmte, das die Herzen mit einem eignen Zauber belebte.

Ich trug indeß das Bild der schönen Dame immer mit mir herum, und hoffte um so eher, sie solle mir einmal erscheinen, da Florio behauptete: sie komme oft im Traume zu ihm, und bringe ihm dann eine goldne Harfe und so wundervolle Blumen, wie er nie wachend gesehen habe.

Voll von diesen Vorstellungen hatte ich mich einst im Gebirge verspätet und trieb meine Heerde ängstlich die Klippen hinunter, als ich ein Klingen aus dem Innern des Berges vernahm. Der Laut drang recht sehnsüchtig zu mir herauf; allein was ich zuvor ungeduldig[49] wünschte, erfüllte mich jetzt mit Bangigkeit. Mir grauete vor dem eignen Schatten, und die abgestorbnen hohlen Bäume schienen mir, wie gewaltige Riesen, lange dürre Arme entgegen zu breiten. So stürzte ich athemlos in die Hütte, und erzählte: daß der Berggeist mich gerufen, und wie ein Nebel über mich hingegangen sey, als ich einen stattlichen Fremden am Kamin erblickte, der mir neugierig zuhörte, und Martin nach der Bewandniß jener Erscheinungen fragte. Weiber- und Kindergeschwätz, sagte dieser gleichgültig, was wird's sonst seyn! Er zog Florio an sich, und fragte halb lachend, halb besorgt: hast du nicht auch was gesehen? Doch ohne seine Antwort abzuwarten, wandte er sich von ihm, und ging geschäftig in der[50] Hütte umher. Der Fremde blickte gedankenvoll in die Flamme, während ich mit Kohle allerlei Gestalten an die Wand zeichnete und eben einen stattlichen Ritter vollendet hatte, als das Feuer einen so seltsamen Schein auf das Bild warf, daß des Ritters fliegender Mantel von lauter Gold zu seyn schien. Ich gedachte jener Nacht, und rief plötzlich: da steht er leibhaftig vor mir! Sara dachte an den Berggeist und verhüllte schreiend das Gesicht; allein Martin rief mit fester Stimme: wer? Mein Vater, sagte ich ganz betäubt. Er trat hinzu, betrachtete mich einige Augenblicke, und sagte dann, sich still abwendend: heiliger Gott, was ist es mit dem Kinde!

Der Fremde, der dies wohl alles überhört oder anders ausgelegt hatte,[51] war ganz im Anschauen der Zeichnungen verloren, und wollte durchaus nicht glauben, daß Niemand dies Talent in mir geweckt und ausgebildet habe. Er ließ sich bald in ein Gespräch mit mir ein, und ich erfuhr, daß er ein Mahler und auf einer weiten Reise nach seiner Heimat begriffen sey, hier im Gebirge sein Fahrzeug zerbrochen habe und für diese Nacht ein Obdach in unserer Hütte suche.

Ich war damals, nach Sara's Schätzung, ohngefähr funfzehn Jahre alt, voll der lebendigsten Sehnsucht nach der weiten, regsamen Welt; und wenn ich die Erscheinung jener wundervollen Frau mit jedem Tage inniger wünschte, so geschah es nur durch ihre Macht dahin zu gelangen. Ich ergriff daher des Mahlers Anerbieten,[52] ihn nach seiner Vaterstadt zu begleiten, und dort unter seiner Leitung ein angesehener Künstler zu werden, mit der lebhaftesten Freude. Meine Pflegeeltern gaben ihre Einwilligung, und Sara, in der sich wohl die alten Zweifel wieder regen mochten, sah mich gern von ihrem Herde weichen. Nur Florio hing weinend an meinem Halse, und bat und flehete, ich möchte nur noch einige Jahre warten, bis er groß genug sey, mir überall folgen zu können. Ich habe lange das süße Stimmchen und das liebe bittende Auge nicht vergessen können! Ach, und niemals wird die Seligkeit jener Frühlingstage wiederkehren, die wir mit einander verlebten! Sein frommer Sinn strömte so mild über mich hin, wie der stille Abendglanz über die wilden Gluthen[53] des Tages! Wohl hattest du recht, mein Florio, wir durften nicht getrennt leben; du bist der feste Stern, der meine unruhige Fahrt lenken sollte! –

Rodrich schwieg hier einige Augenblicke. Der Ritter faßte gerührt seine Hand, indem er sagte: wie liebe ich Sie dieser wehmüthigen zärtlichen Aufwallung wegen! Vielleicht haben Sie in der ganzen Zeit Florio's Andenken nicht so lebendig gefühlt, als eben jetzt, da Ihnen sein Verlust unersetzlich erscheint. Das ist das Eigenthümliche jener früheren kindlichen Verbindungen, daß sie mit tausend andern Erinnerungen verschwinden, und dann plötzlich, ungeahnet, in dem frischen Glanz der Jugend vor uns hintreten, und das erschöpfte Herz mit trüber Sehnsucht erfüllen. Doch dahin sind Sie noch[54] nicht. Der Himmelsfunke in ihrer Brust wird Florio's Bild noch lange beleben, und Sie werden ihn unter wechselnden Erscheinungen aufsuchen und finden. – Finden? wiederholte der Offizier, man findet in der Regel nie, was man sucht. Darum rathe ich Ihnen, nicht zu ängstlich an einem Wunsche zu hangen. Der Mensch büßt nicht selten seine Freiheit darüber ein, indem der klare Blick verloren geht, mit dem man die Welt um sich her betrachten soll. – Wen nicht irgend ein lebendiger Wunsch durch's Leben begleitet, fiel der Ritter schnell ein, ihn drängt, fortreißt, bis er das hohe Ziel errungen hat, dessen Kraft wird sich in tausend zwecklosen Anstrengungen zersplittern, und er wird nichts vollbringen, weil er alles umfassen wollte. – Eine Idee soll den Menschen[55] erleuchten, erwiederte der Offizier, ein Wunsch darf ihn nicht fortreißen. Oft glauben wir durch die Erfüllung des Ersteren die Letztere realisirt zu sehen; aber wer hintergeht sich nicht in Augenblicken, wo das Gefühl allein herrscht, und wer darf sagen, der menschlichen Thätigkeit sey ein Ziel gesteckt? Was sich absolut widersetzt, das lasse man fahren, und ergreife das Nächste mit neuer Kraft. Darin besteht eben die Consequenz der Allseitigkeit, daß man das Eine in Vielem reflektirt. Doch wir gerathen in unsern alten Streit, und gleichwohl, sagte er, sich zu Rodrich wendend, erwartet uns das Ende einer interessanten Geschichte. Was mir noch zu sagen übrig bleibt, erwiederte jener, läßt sich in wenig Worten zusammen fassen. Ich reiste viele Tage[56] und Nächte mit meinem freundlichen Meister durch das fortgehende Gebirge, bis wir am Fuße desselben in einem kleinen Städtchen anlangten, das mir damals von großem Umfang, doch weniger glänzend, als ich mir überall eine Stadt dachte, erschien. Hier lebten wir in dem Hause einer sehr bejahrten Frau, der Mutter des Mahlers, die den letzten Sonnenblick des Lebens von der Liebe und dem Ruhme eines angebeteten Sohnes empfing. Fünf Jahre verflossen mir unter dem eifrigsten Bemühn – und einer Anstrengung, die durch die Liebe meines Lehrers und die Aussicht auf ein ruhmvolles Leben immer wach erhalten ward. Ich lernte alte Sprachen, und durch sie die Geschichte der Vorzeit kennen. Welch eine Welt sich mir nun eröffnete,[57] wie mein Gemüth bewegt, wie die innere Gluth in mir angefacht wurde, das ist unmöglich zu beschreiben. Der Wunsch etwas Großes, ja Unerhörtes zu vollbringen, ließ mir nun keine Ruhe mehr, er trieb mich hieher, wo alle Plane, alle Erwartungen, alles vor einer ganz fremden Wirklichkeit verschwindet, und ich im Strudel widerstrebender Gefühle nur durch Sie Haltung und Sicherheit gewinne. – Vor allem müssen Sie die Welt in ihrer mannichfachen Gestaltung kennen lernen, sagte der Offizier. Was Sie bis jetzt davon sahen, war gerade hinreichend, Ihre Erwartungen auf eine Weise zu spannen, daß Ihnen Vieles schaal und nüchtern erscheinen wird, was dennoch eine innere Bedeutung hat, die Niemand übersehen darf. Die Kunst, die[58] eigentlich nichts anders ist, als was das Leben überall seyn sollte, Wiederschein einer innern erleuchteten Welt, Schöpfung eines freien, kräftigen Geistes, würde für Sie immer nur die eine Seite des Lebens ausmachen, und zwar die ideale. Sie müßten daher sehr bald in Widerstreit mit der wirklichen Welt gerathen, und in der quälenden Verwirrung sich selbst und ihr hohes Ziel verlieren. Wir finden nur zu oft den Künstler vom Menschen getrennt, ein Widerspruch, der sich, wenn die erste Frische des Gemüthes verloren ging, sicher auch in der Kunst selbst offenbart. Statt daß ein wahrhaft künstlerisches Gemüth sich entweder freiwillig beschränkend in der eignen abgeschloßnen Welt still fortwirkt, oder mit einem Götterblick die ganze[59] Natur durchdringt, überall denselben Geist ein- und aushaucht, das Einzelne und Getrennte in dem Brennpunkt einer gotterfüllten Seele auffaßt, und wie die Kunst zum Leben, so das Leben zur Kunst erhebt. – Es ist sonst nicht Ihre Art, unterbrach ihn der Ritter, zu hohe Anfoderung an die Menschen zu machen, und das Vollendete als Norm Ihres Urtheils anzunehmen. Indeß, wenn ich auch im Ganzen Ihrer Meinung bin, so sind Sie doch sicher im Einzelnen hier unbillig, eine völlig durchgeführte Einheit als einzige Beglaubigung eines ächten Künstlergenies aufzustellen. Sie müssen mir zugeben, daß ein Blitz oft das vortreffliche erzeugte, und wenn sich mehrere solche Momente an einander reihen, sie einen schönen Kreis bilden,[60] aus welchem jede Lücke verschwindet. –

Wenn von dem Streben eines ganzen Lebens die Rede ist, erwiederte der Offizier, so kann das Ziel wohl nicht hoch genug stehen. Und wenn ich Ihnen auch eingestehe, daß oft das Vortreffliche aus einem gestörten Leben hervorging, so ist dieser Weg dennoch sicher nicht der wünschenswerthe, am wenigsten wird ihn jemand mit Besonnenheit wählen. Es ist dafür gesorgt, daß keiner dem andern etwas absolut nehmen oder geben könne, und wenn Sie wirklich einen regen Kunsttrieb in sich fühlen, so werden meine Worte ihn nicht erlöschen, allein Sie ahneten es bei weitem früher, wie Sie auf eine Sphäre der Thätigkeit angewiesen sind, die unmittelbar in die äußern Verhältnisse[61] des Lebens eingreift, darum fassen Sie nur getrost das Schwerdt, und ziehen Sie nach allen Himmelsstrichen Radien, die ihr kühner Geist durchfliegen möge! Was Sie vergebens in der Künstler-und Gelehrtenwelt suchen, Gemeingeist, Verbrüderung, das finden Sie hier allein. Der Flachste unter uns ahnet ein inneres Band, das Alle zusammenhält, und Niemand wagt es zu zerreißen, ohne selbst unterzugehen. Er war bei diesen Worten aufgesprungen, und die Hand an den Degen gelegt, stand er mit flammenden Blicken wie ein Heros vor Rodrich, der im Begriff war, vor ihm niederzusinken, und sich ihm wie einem Gottgesandten hinzugeben, als er ruhig sei nen Platz wieder einnahm, und gelassen sagte: doch müssen Sie selbst sehen und urtheilen. Es ist[62] nur gut, setzte er lächelnd hinzu, daß hier der Egoismus einen ganzen Stand umfaßt, sonst könnten Ihnen meine Worte leicht verdächtig erscheinen. Was braucht es da viel langsamen Erwägens, fiel Rodrich ungeduldig ein, ich bin entschlossen, sagen Sie nur, wie es anzufangen sey, da mir jedes Mittel, wie überall jede äußere Bedingung fremd ist. Das wird sich alles ganz leicht fügen, erwiederte der Ritter, wenn Sie mir erlauben, meinen Oheim, bei dessen Regiment hier unser Freund Stephano dient, einigermaßen mit ihrer Geschichte bekannt zu machen, und Sie bei ihm einzuführen. Sie trauen mir zu, daß das Erstere auf eine Weise geschehen wird, die Sie vor jedem unbescheidenen Eindringen sichert, und daß ich überall den Mann als geprüft[63] und erkannt ehre, dem ich Ihr Geheimniß übergebe. Ob ich gleich den Degen scheinbar zu einem anderen Zwecke trage, so gehöre ich dennoch zu dem edlen Stande, dem ich Sie mit recht brüderlichen Gesinnungen zuführe. Rodrich umarmte den liebenswürdigen Jüngling, und nahm dankbar einen Vorschlag an, der ihm so unerwartet die Kreise eines freien beweglichen Lebens eröffnete.

Nach kurzen Verabredungen und dem Versprechen, den folgenden Mittag hier wieder zusammenzutreffen, trennten sich die neuen Freunde. Rodrich verweilte noch einige Augenblicke, während er die seltsamen Bilder seines Lebens überflog, als ihn der Wirth höflich erinnerte, einige Stunden dem Schlafe zu geben. Er blickte um sich,[64] und sah wie die niedergebrannte Kerze dem hereinbrechenden Tage wich. Die geleerten Flaschen, der Wein in den halbgefüllten Gläsern, alle Gegenstände im Zimmer erschienen in dem Doppellichte so bleich und verstört, ihn selbst überfiel ein leichter Frost, der ihn unangenehm aus seinem Traume weckte. Mein Gott, sagte er verdrießlich, muß mich denn der junge Morgen so kalt, so widrig anfassen, da ihm doch so warme Herzen entgegenschlagen! Er ging verstimmt auf sein Zimmer, und eröffnete sein Gepäck, um Florio's Bild, daß ihm in einer Stunde wehmüthiger Erinnerungen wohl gelungen war, unter andern Zeichnungen hervorzusuchen, als ihm die wenigen Goldstücke entgegenleuchteten, die er als Früchte seines Fleißes mit hieher brachte. Er übersah[65] den kleinen Reichthum, und fühlte schmerzlich, daß er nicht zureichen werde, die ersten nothwendigsten Bedürfnisse seiner neuen Lage zu befriedigen. Daran hatte er bis jetzt nicht einen Augenblick gedacht, und nun zog es ihn plötzlich wie mit tausend Armen in die Dunkelheit zurück. Sollte er wie ein Bettler vor seinen Freunden erscheinen, oder alle freudige Erwartungen hingebend aus dem eröffneten Paradiese fliehen? – Er saß, die starren Blicke auf das Geld gerichtet, da, und ließ es nachläßig durch die Finger gleiten, als müsse es sich unter seinen Händen vermehren. Plötzlich rief er aus: die Schlacken gehören der niedern Erde an, dein Feuer leuchtendes Metall erhebt mich zum Himmel! ich will nicht betteln, ich will fordern, was ich einst mit Wucher zurück zugeben[66] denke. Er beschloß, sich Stephano ohne Rückhalt zu entdecken und warf sich getröstet und von neuen Hoffnungen belebt auf sein Lager. Die innere Bewegung ließ ihn indeß hier keine Ruhe finden. Zukunft und Vergangenheit verwirrte sich in seltsamen Erscheinungen, die ihn halb wachend halb schlafend peinlich fortrissen. Zuweilen glaubte er wieder als Hirtenknabe unter einem großen schattigen Baume zu ruhen, und mit einem langen Stabe die kleine Heerde zu überzählen, dann waren es wieder die Goldstücke, die er zählte, und in kleine Säulen vor sich hinstellte, während der Berggeist zwischen den Klippen vorüberging; Florio wollte ihn zu ihm führen, und wie sie gingen, öffnete sich der Berg zu einem langen, dunkeln[67] Gange. Rodrich hatte das Gold noch immer in Händen, und zählte sehr ängstlich, doch unversehens fiel ein Stück auf den Boden, und in demselben Augenblick ergoß sich ein heller Glanz an den Wänden. Er warf nun alles Gold von sich, und die Hallen wurden immer weiter und strahlender, bis er in einen reich verzierten Saal trat, in dessen Mitte ihm Eusebio den glänzenden Mantel umhing, während der Ritter und Stephano ein goldenes Schwerdt zu seinen Füßen legten. Er wollte sie umarmen, da fühlte er sich ängstlich gehalten, und als er um sich sah, lag er mit Florio in einem engen Sarge; der Mantel bedeckte beide, das Schwerdt war ein friedlicher Hirtenstab geworden, von welchem eine schöne bleiche Frau mit heißen[68] Thränen einen Blutstropfen abzuwaschen bemühet war. Rodrich strebte vergebens sich frei zu machen. Florio's kalte Wange lag an seinem Herzen, und er konnte sich mit aller Gewalt nicht von ihm losreißen. In der entsetzlichsten Anstrengung fuhr er aus dem krankhaften Schlafe empor, und erkannte Stephano, der sich theilnehmend über ihn hinbeugte, und seine Hand auf die fliegende Brust legte, um ihn zu erwecken. Ums Himmels willen ermuntern Sie sich, rief er besorgt, solch ein Schlaf ist verzehrend, streifen Sie nur schnell die schweren Wolken ab, es ist schon hoch am Tage, Ihrer erwartet heut noch mancherlei, wozu Sie Besonnenheit und Klarheit bedürfen, ihre Angelegenheiten sind eingeleitet, und alles wird gut gehen. Ins Grab,[69] sagte Rodrich ganz verstört, dahin also – – Mein Gott, was haben Sie denn, rief Stephano ungeduldig! Kann ein Traum Sie so erschüttern? wie werden des Lebens Wogen Sie dann hin und herwerfen. Des Lebens Wogen? wiederholte Rodrich, ach ich lebte ja auch, wer kann hier eine Gränzlinie zwischen Traum und Wahrheit ziehen! Nun, nun, sagte Stephano lächelnd, kommen Sie nur, ein Sonnenblick, denk ich, soll die freudige Wirklichkeit aufdecken, und die matten Sinne aufs neue erfrischen. Junger Freund, fuhr er ernsthaft fort, als Rodrich noch immer im stummen Nachdenken verharrte, hüten Sie sich vor jener schlaffen Beweglichkeit, die dem Manne alle Kraft zu ernstern Kämpfen raubt. Es giebt weiche, kindliche Gemüther, die[70] in Freud und Schmerz gleich hingebend sich selbst verlieren. Die Natur formt nicht Alle auf gleiche Weise. Aber der Mensch kann viel gegen die Schwäche eigener Natur; und wer sich nach der ersten Erschütterung nicht wiederzufinden, nicht in der eigenen Freiheit wieder herzustellen vermag, für den werde ich nie sonderliche Achtung hegen. Er reichte ihm hierbei die Hand, um die Strenge seiner Worte zu mildern, Rodrich ging beschämt neben ihm her, bis sie ins Freie kamen, und die Schönheit und Regelmäßigkeit der Gebäude, die am vorigen Abend in dem gemeinsamen Eindruck des Ganzen für ihn verloren ging, jetzt seine Aufmerksamkeit erregte. Sie sprachen viel über alte Architektur. Rodrich stimmte für die Klarheit und in sich bedingte Größe[71] griechischer Formen. Hier ist überall Harmonie, fuhr er fort, weil der Zweck nicht außerhalb zu suchen ist. Dem Griechen erschließt sich der Himmel unmittelbar in der Anschauung, für ihn ist alles an sich ganz und ungetheilt da. Bei den Römern war das schon anders. Die Kunst ward ihm Mittel, er wollte das Ungeheure und stellte sich selbst auf die Spitze. – Wie gut Sie die Römernaturen verstehen! sagte Stephano lächelnd, fast glaube ich, Sie haben ihr eignes Bild in dem Römischen Künstler aufgestellt. Gewiß ist es, daß Corinthus Blüthen sehr bald in den Riesenmassen versteinten, doch auch so sind sie schön in ihrer Eigenthümlichkeit. – Nur daß sie sich in dieser Hinsicht mehr der Gothischen als der Griechischen Kunst nähern,[72] erwiederte Rodrich. Legen Sie doch nicht den Maaßstab des Einen an, um das Andere zu würdigen, entgegnete jener. Durch solche Vergleiche verrückt man nur zu oft den Standpunkt, von dem jedes Einzelne betrachtet seyn will. In ihrer Erscheinung sind alle drei höchst ehrenwerth, weil sie einen bestimmten Charakter aussprechen, wodurch sie sich allein schon von den heutigen Kunstwerken unterscheiden, die uns nicht selten zeigen, wie man drei in einem vereinigt. Glücklich genug, wenn wir ein gothisches Häuschen neben einem griechischen Tempel eng und zierlich nach dem Gesichtskreis des Beschauers zugeschnitten erblicken, oft ist es noch schlimmer, modische Pracht und antike Verzierung schmücken eine neu erbaute Rinne, und so umgekehrt. Doch auch[73] dies ist nicht charakterlos, es spricht die allgemeine Verwirrung des Zeitmoments aus, und wer will behaupten, daß nicht das Herrlichste daraus hervorgehen könne. Sie standen bei diesen Worten vor demselben Gitter, das Rodrich gestern offen fand. Er fragte begierig nach dem Besitzer des Gartens, und erfuhr, daß er zu dem Schlosse der Prinzessin Therese, Schwester des Herzogs gehöre, die seit dem Tode ihres Gemahls den kalten Norden verlassend, mit ihren beiden Töchtern zu dem kinderlosen Bruder zurückgekehret sey, und neues Leben über das verwaisete Land verbreite. Stephano sprach noch viel von der hohen Natur dieser Frau, die aus einem freudeleeren Bund eine seltene Heiterkeit gerettet habe, und sie auch den verschlossensten[74] Gemüthern mittheile. Rodrich fühlte bald den Einfluß jenes stillen Geistes, der überall in den freudigen Umgebungen athmete. Die beruhigten Sinne verweilten gern auf den hellen Wasserspiegeln, dem frischen Rasen, der reichen Fülle der schattigen Bäume. Alles stand so anspruchslos da, daß der dumpfe Mensch leicht daran vorübergehen konnte, ohne die ordnende Hand zu ahnden, die so unscheinbar alle einzelne Blüthen zu einem vollen Kranze sammelte. Nirgend war etwas Hervorstechendes, allein nirgend sah man auch der widerstrebenden Natur fremde Stoffe aufgedrungen. Umgebungen – Erde und Himmel, alles berührte sich in ungestörtem Einklang. Was ihm gestern im nächtlichen Schein so feierlich begegnete, trat jetzt leicht[75] und erfreulich hervor. Den Laokoon sah er nicht, wohl aber den Pavillon mit seinen hohen Fenstern, deren lichtblaue Vorhänge glauben ließen, der Himmel spiegle sich in dem chrystallenen Pallast der Nereiden. Hier, sagte Stephano, verlebt Prinzessin Miranda die schönsten Stunden in der Erinnerung früherer Kindheit, die ihr die Lage des Platzes, das ferne Gebirge, die Beugung des Stromes, alles wie sie sagt, auf eine eigene Weise zurückruft. Miranda? wiederholte Rodrich – der Name dringt seltsam aus der Ferne herauf, mir ist, als habe ich ihn einst wo gehört. Wie sollten Sie nicht, fiel Stephano schnell ein. Seit dieser Himmel unsre Erde erleuchtet, ist jedes Herz davon erfüllt. Schon als Künstler, setzte er hinzu, kann Ihnen[76] der Name nicht fremd seyn. Die herrliche Gestalt ist von tausend alten Mahlern und Bildhauern vergebens nach geformt; indeß Niemand das eigentliche Wesen, das, was ihrem Gesicht den unwiderstehlichen Zauber giebt, darzustellen weiß. Die Heftigkeit, mit welcher Stephano dies alles sagte, war Rodrich nicht entgangen. Er gedachte seiner gestrigen Erscheinung, des Liedes, das ihn so unwillkührlich fortriß, und beide gingen eine Zeitlang schweigend neben einander hin, als der Ritter schnell auf sie zukam und Rodrich bat, ihn sogleich zu seinem Oheim zu begleiten, der von allem unterrichtet, ihn ungeduldig erwarte. Er selbst, fuhr er fort, war früher durch Familienverhältnisse gezwungen, fast auf ähnliche Weise in fremde Dienste zu gehen.[77] Alle Widerwärtigkeiten seines reichen Lebens haben die jugendliche Wärme nicht in ihm erlöschen können, und ob ich ihm gleich nur im Allgemeinen von Ihrer Flucht aus dem Kloster sprach, so hat ihn dies allein schon für Sie eingenommen. Dieser Mann, sagte Stephano, als sie auf dem Rückwege begriffen waren, ist eine ganz eigne fast in sich widersprechende Erscheinung. Entschiedner Feind alles geregelten Formellen, ist er dennoch bis zur Uebertreibung streng im Dienste. Hier allein gilt ihm die feststehende Ordnung über alles. Es ist als trenne er den Soldaten durchaus vom Menschen, und in dieser Abgeschlossenheit erscheint er selbst völlig ein Andrer. Es entspringt dies nicht etwa aus einer bestimmten Ansicht des Lebens und seiner Verhältnisse,[78] in deren innere Tiefe einzudringen er als höchst trübselig und jedem ächten Genusse zuwider, verwirft. Es ist ihm wie sein übriges rücksichtsloses Wesen ganz natürlich, und er trägt es so wenig zur Schau, als daß er es verbirgt. Bei aller dieser scheinbaren Unbestimmtheit, sagte der Ritter, ist er der festeste, zuverläßigste Mann, der wohl eher fähig wär, äußere Wohlfahrt, Freiheit und Vaterland für den geliebten Freund hinzugeben, weshalb er auch dem düstern Herzog ewig fremd bleiben wird, der ihn nur auf das dringende Gesuch der Prinzessin Therese in seine Dienste nahm. – Sehr seltsam ist es, daß dieser leichtgesinnte Mann so ernsten tragischen Gemüthern das Daseyn gab. Jener Fernando Alvarez, dessen Namen Sie gestern hörten,[79] war sein Sohn, und die schöne Rosalie, das einzige ihm gebliebene Kind, vertrauert ein blühendes Leben auf einem nahe gelegenen Landgute, wo sie seit dem Tode des Bruders fast Niemand als die Miranda sieht, deren Gespielin sie ehedem im Auslande war.

Hat auch der Tod des Sohnes keinen tiefern Eindruck bei dem Grafen zurückgelassen? fragte Rodrich. Nichts beschäftigt ihn dauernd, was seine äußere Thätigkeit hemmt, erwiederte der Ritter. Der erste Augenblick bewegte ihn gewaltsam, nur war der Schmerz, der sonst die Sinne lähmt, ihm ein neuer Sporn zu den kräftigsten Maßregeln, die erschütterte Familienruhe wiederherzustellen, und sich selbst Genugthuung zu verschaffen. Er bestand mit Nachdruck auf der Verbannung des[80] Unglücklichen, der mit Rosaliens Liebe auch ihres Lebens Freude tödtete, und obgleich Ludovico des Herzogs Günstling war, so mußte sich dieser dennoch dem Willen eines Mannes fügen, der ihm in der mißlichen Lage seiner äußern Angelegenheiten unentbehrlich ist. Jetzt hat er seine ehemalige Heiterkeit unverändert wieder erlangt, und das Glück einer früher geschlossenen zweiten Verbindung mit einer überaus reizenden, ihm ganz gleich gesinnten Gattin, läßt ihn die Thränen der einsamen Tochter weniger empfinden, deren Schmerz er wie den Wahn einer frommen Träumerin schweigend ehrt. Doch hat er mehrmals versucht sie der Welt wiederzugeben, und er sagte mir heute, daß er Hoffnung habe, sie in kurzem hier in der Stadt zu sehen. Dies verdankt[81] er wohl Miranda's zärtlichem Bemühen, sagte Stephano, die mit ihrer eignen Klarheit dies zerstörte Gemüth aufzuhellen strebt.

Sie waren während dem zu des Grafen Wohnung gekommen. Stephano verließ sie hier, um den Mittag Rodrich mehrere Freunde zuzuführen, mit denen er in der Folge durch ein gleiches Verhältniß in nähere Verbindung treten sollte. Ein breiter Vorhof, den eine Reihe schattiger Platanen und hohe Vasen mit blühenden Sträuchern zu einem lustigen Garten bildeten, führte sie in einen offenen häuslich verzierten Saal. Die Arbeit der Gräfin, mehrere aufgeschlagene Bücher, eine Laute, alles lag hier zerstreut auf einem Ruhebette von indischem Zitz. Ein kleiner Tisch mit mehrern angefangnen[82] Zeichnungen stand zunächst der Thür. Rodrich entdeckte sogleich einen schönen weiblichen Kopf, in welchem der Ritter Rosaliens Bild mit sichtlicher Bewegung erkannte. Die Gräfin, sagte er, seine Verlegenheit verbergend, hat viel Talent, sie zeichnet vortrefflich, spielt und singt auf die anmuthigste Weise, überall ist sie nie unbeschäftigt, nur schweift sie, wie eine Biene, von einer Blüthe zur andern. Sie ist sogleich übersättigt und der geliebte Gegenstand muß nicht selten das augenblickliche Entzücken, das er erregte, durch einen dauernden Widerwillen büßen. Diese Beweglichkeit, die sie im Ganzen äußerst anziehend macht, bezieht sich indeß nicht auf ihren Gemahl, dem sie mit unverletzter Treue zugethan bleibt. Auch Rosalien liebt sie[83] zärtlich. Nur sind sie freilich durch die ganz entgegengesetzte Sinnesart von einander getrennt, und finden wenig Berührungspunkte im Leben. Während dem trat ein phantastisch gekleideter Knabe herein, und fragte mit vieler Zierlichkeit, ob sie bei der Gräfin vorgelassen zu werden wünschten. Rodrich blickte ihn befremdet an, allein der Ritter, nachdem er das Kind zurückgesandt, sagte lachend, es ist einer von Seraphinens launigen Einfällen, nur Kinder in ihrem Dienste zu dulden, die sie dann nach ihrem wechselnden Geschmack bald in dieser, bald in jener fremden Tracht auftreten läßt. Der Graf weidet sich an dieser schuldlosen Spielerei, und es ist in der That ein reizender Anblick, sie von den bunten Figürchen, wie fliegende Blumen,[84] umschwirrt zu sehen, die sie mit wahrhafter Feengewalt belebt und ihnen eine ganz eigne Lieblichkeit mittheilt. Aber was wird aus den Unglücklichen, fragte Rodrich, wenn Ueberdruß und Langeweile sie aus ihrer Nähe verbannen? Bis dahin läßt sie es nicht kommen, erwiederte der Ritter. Sie ist zu gut, um irgend jemand zu kränken, und da sie die Kleinen unaufhörlich unter der Anführung eines alten erfahrnen Aufsehers beschäftigt, so erwerben sie tausend Geschicklichkeiten, die sie zu ernstern Beschäftigungen fähig machen, wofür sie denn auch mütterlich sorgt, wenn sie heranwachsen und sie, wie sie sagt, mit ihren nüchternen Augen und schläfrigem Wesen zum Unwillen reizen.

Rodrich blickte verlangend nach Seraphinens Zimmern. Er wäre lieber[85] dem Knaben als dem Ritter gefolgt, der ihn ernstlich antrieb, zu dem wartenden Grafen zu eilen. Sie fanden ihn vor einer langen mit aufgerollten Karten bedeckten Tafel. Er durchflog die weiten Räume der Erde und entwarf manchen Plan, seinen Namen mit gewichtigem Arme auf die Nachwelt zu bringen, als Rodrich bescheiden vor ihn hintrat. Aller Stolz, alle Anmaßung verschwand beim Anblick des heitern benarbten Angesichts. Sobald ihn der Graf bemerkte, eilte er schnell auf ihn zu. Einen Augenblick betrachtete er ihn mit festem durchdringenden Blick, dann reichte er ihm vertraulich die Hand, indem er sagte: Seyn Sie willkommen, wenn der rechte Ernst und die rechte Lust Sie zu mir führen, und Sie das Soldatenleben von ganzer[86] Seele lieben. Ich kenne wenig vom Leben, sagte Rodrich, allein mein Herz bewegt sich freudig beim Gedanken eines muthigen Streites, und ich kenne nichts herrlicheres, als dem Tode mit lebendigem, frischem Sinne zu trotzen. Ich gäbe allen ruhigen Genuß kommender Tage für einen herzhaften Kampf, der den ganzen Menschen durchglüht, so daß auch der Nüchterne seine göttliche Natur nicht verleugnet. Auf Rodrichs Stirn flammte die heilige Wahrheit dieser Worte. Der Ritter drückte ihn freudig an die Brust, und der Graf reichte ihm statt aller Antwort einen Degen, den Rodrich mit Stolz und Wehmuth empfing, und, die hervorbrechenden Thränen nicht verbergend, im Uebermaaß des Gefühls ausrief: heller Stahl, laß die Welt in deinem[87] Glanze leuchten, oder trinke nie ruflos verspritztes Blut. Das ist der rechte Kriegersinn, sagte der Graf. Ich liebe Gemüther wie das, darum verehre ich Ihnen das erste Zeichen meiner Achtung. Solch ein Führer läßt Niemand sinken, und müßte er sich auch zuletzt gegen die eigne Brust wenden; und glauben Sie mir, wer nur recht kräftig durch die Welt hingeht, mit Gefahr und Tod spielt, dem kann das Schicksal nicht viel anhaben, es ermüdet endlich vor der unerschütterlichen Heiterkeit, und läßt den Menschen sein stilles Glück genießen!

Rodrich war über den unschuldigen Sinn gerührt, der sicher nur das Rechte gewollt, und so von aller Bitterkeit und feindlichen Gesinnungen rein geblieben war.[88]

Sie sprachen bald weitläuftiger über das Nähere seiner künftigen Bestimmung, und der Graf sagte ihm: daß der Herzog, wenig Theil an der innern Oekonomie der Armee nehmend, ihm ziemlich freie Hand lasse, und er daher im Stande sey das Möglichste für ihn zu thun. Indessen müsse er ihn schon noch vorstellen, weil seine Vertraulichkeit mit Stephano und dem Ritter Aufsehen erregt und die leeren Köpfe hin und her bewegt habe, die in seiner Erscheinung etwas Geheimnißvolles und Wichtiges aufzufinden meinten. Vorläufig, fuhr er fort, werde ich Sie als Volontair bei meinem Regimente vorschlagen, wogegen der Herzog wohl nichts einwenden wird, wenn ich mich für Sie verbürge. Bis dies geschehen, und alles eingerichtet ist, müssen Sie[89] sich möglichst zurückziehen. Sie dürfen nicht eher in die Welt treten, bis es mit allem Anstande und dem ihrer neuen Lage gebührenden Glanze geschehen kann. Noch Eins, fuhr er fort, als er in Rodrichs Miene eine ängstigende Verlegenheit wahrnahm: Sie sind wohl fremd mit den Bedürfnissen des Lebens? wollen Sie sich mir anvertrauen, mich vor der Hand als Ihren Sachwalter annehmen, so tritt wohl einmal ein bequemer Zeitpunkt ein, wo wir mit einander Rechnung halten und Sie sehen werden, daß ich auch meinen Vortheil nicht dabei vergaß. Rodrich war unbeschreiblich gerührt. So väterlich hatte Niemand seit Eusebio's Tode mit ihm geredet. Er glaubte die geliebte Stimme wieder zu hören, und beugte sich voll heiliger Ehrfurcht[90] über des Grafen Hand, der ihn umarmte und mit innerem Wohlbehagen in sein nasses Auge blickte. Wenn ich Sie nur erst in der Uniform auf einem raschen gewandten Pferde sehe! hub er nach einer Weile an; ja zu Pferde, da geht dem Krieger erst das rechte Leben auf, wenn er so über der Erde hinfliegt und Berge, Häuser und Bäume, alles ihm zu weichen scheint, und das wilde Thier sich unter ihm bäumt, und er es dennoch mit einem Fingerdruck regiert; dann sieht er in Noth und Tod mit Stolz auf die Menschen nieder, die dem kühnen Reiter scheu ausweichen. Ich hatte einen Sohn, fuhr er mit bebender Stimme fort, nicht wahr Alexis, der verstand zu reiten? Der Ritter bejahete es, wehmüthig lächelnd. Ja, ja, sagte der Graf,[91] es löst sich manches schöne Band, darum muß man recht fest zusammen halten und die wenigen Tage heiter mit allem, was man liebt, verleben. Indem öffnete sich die Thüre schnell; Seraphine trat mit einem aufgeschlagenen Brief herein. Nach einem flüchtigen Gruß, rief sie ihrem Manne freudig entgegen: Rosalie kömmt, Morgen ist sie hier und verspricht einige Zeit bei uns zu bleiben. Ich bin so voll von dieser Nachricht, daß ich schon das ganze Haus in Bewegung gesetzt habe; die Zimmer nach der Wasserseite werden für sie eingerichtet, alles soll ein recht festliches, heiteres Ansehen bekommen; ich denke, sie wird sich bald mit dem Leben versöhnen. Rodrich betrachtete, während sie sprach, die zierliche Gestalt, das feine blonde Haar, das[92] sich um einen blendend weißen Nacken ringelte und zu der lieblichen Unordnung ihres ganzen Wesens im Einklange stand. Auch sie hatte mehrere male auf ihn hingeblickt, und die schönen Augen wendeten sich immer wieder, den Fremdling zu betrachten, der ihr wie alles Neue eine willkommne Erscheinung war. Der Graf, der Rosaliens Brief noch nicht gelesen hatte, gab ihn dem Ritter, indem er sagte: lies mir doch diese Zeilen, es wird dir ja auch wohl lieb seyn, zu wissen, was sie eigentlich zu uns führt; und Sie, fuhr er fort, sich zu Rodrich wendend, nehmen auch unbekannt Theil an meinem Kinde. Rodrich neigte sich, und der Ritter las mit großer Bewegung folgendes:

»Ich habe lange geglaubt, die Einsamkeit solle die wunde Brust heilen,[93] aber ich fühl' es wohl, seit mich die Liebe verließ und die Erde das treueste Herz verbirgt, mußte ich hier in Sehnsucht vergehen, wo sich alles so kalt und todt von mir abwendet. Wie manches habe ich versucht, die ewige Leere eines erschöpften Lebens auszufüllen. Ich wollte Blumen ziehen, Vögel abrichten, ach! ich vergaß, daß keine Blume unter kranken Händen gedeihet, und keine Macht das Widerstrebende fesselt. Dann glaubte ich wieder, die zerstreueten Sinne sammeln und auf ernste Gegenstände lenken zu können. Ich flüchtete zu den Wissenschaften, aber die strengen Göttinnen verschließen sich dem Unheiligen, der sich ihnen nicht ungetheilt hingiebt. Und welche Kleinigkeiten zogen mich ab! ein Wort,[94] eine Aehnlichkeit des Lautes, ein groß gezeichneter Bubstab. Liebe, gütige Freundin, ich darf Ihnen diese Schwäche gestehen, Sie fanden wohl eher in Ihrem wohlwollenden Herzen Nachsicht für eine Unglückliche, die zu Ihnen zurückkehrt, um in dem rosigen Schein Ihres Himmels das eigne quälende Daseyn zu vergessen. – Ja, Liebe, ich verlasse aufs neue den selbstgewählten Zufluchtsort. Plötzlich treibt mich alles von hier weg. Mir ist nun, als könne ich auch nicht eine Stunde länger hier verweilen. Schon Morgen bin ich bei dem besten Vater, der das einzige Kind gern mit der alten Liebe aufnehmen und in seiner Nähe dulden wird.«

Der Graf wandte sich gerührt ab, und Seraphine sagte mit ihrer gewohnten[95] Heiterkeit: Ihr seht, wie sie selbst des lästigen Schmerzes müde, sich nach freudigem Genusse sehnt, und wie wenig es der langweiligen Verstellungen bedarf, um eines Menschen gesunde Natur hervorzurufen. Rosalie ist durch sich selbst geheilt, und es ist jetzt die Aufgabe, sie durch etwas Neues, Ungewohntes an die Gegenwart zu fesseln, um nach und nach alle trübe Erinnerungen in ihr zu verwischen. Es kommt darauf an, erwiederte der Ritter, wie nah' oder fern ihr diese Gegenwart steht. Was sie jetzt zu uns führt, ist das unendliche Bedürfniß einer liebenden beweglichen Seele, die in Allem das entschwundene Glück aufsucht, und sich dann mit Schauder von dem abwendet, was sie am glühendsten umfaßte, weil sie nirgend das Alte wiederfindet.[96] Wie sehr die scheinbare Veränderlichkeit auf der Oberfläche ihres Wesens spielt, sehen wir aus dem steten Zurückkehren zu dem einen herrschenden Gefühle. Was kann denn auch die Leere einer verödeten Brust erfüllen! Ihr Leben wird unter einseitigen Versuchen und traurigen Behelfen verschwinden! Nun wahrhaftig, sagte die Gräfin lachend, Ihre eigene Muthlosigkeit schreibt der armen Rosalie das Todesurtheil. Ich hege ganz andre Hoffnungen für sie. Freilich, wenn alle ihre Freunde so lässig und trocken da stehen, und Niemand recht herzhaft angreift, so kann ich sie nicht allein retten. Ihren Beistand, Alexis, darf ich nun schon gar nicht in Anspruch nehmen. Sie würden das Lustigste mit so feierlichen Sonntagsmienen und so[97] trübseligem Ernst begleiten, daß ich wohl selbst davon angesteckt werden könnte. Ihr Spott, sagte der Ritter beleidigt, trifft mich mehr, als Sie es vielleicht wollen. Allein trauen Sie mir zu, daß ich ein verletztes Gemüth nicht zur Schau tragen, am wenigsten Ihre heitre Feste, schöne Gräfin, damit trüben werde. Der Graf faßte hier gutmüthig seine Hand, indem er sagte: Nimm nicht alles so ernst, was dort über die schönen Lippen fliegt, und mische keine Bitterkeit in die allgemeine Freude. Laß ihn nur, sagte Seraphine, er muß alle Tage einigemal so in sich selbst zurückgeschreckt werden, um dann wieder aus voller Seele lachen zu können. Der Zorn ist ihm eine heilsame Erschütterung, er ist nie witziger, als wenn der Ärger und die wiederkehrende[98] Fröhlichkeit noch in ihm streiten. Und am Ende, fuhr sie fort, indem sie die kleinen Hände auf seine Schultern legte, müssen Sie mir es noch danken, daß ich Ihnen zeige, wie Sie sich selbst alles verderben, oft plötzlich den geebneten Weg durch einen muthwillig hingeworfenen Stein versperren, und alle kluge Maßregeln zu Schanden machen. Maßregeln kenne ich so wenig, als ängstliche Rücksichten, wenn es die Wahrheit meines Gefühls gilt, erwiederte der Ritter. Es ist die Frage, sagte die Gräfin, ob diese Wahrheit die rechte ist, und ob Sie durch sie zum Ziele gelangen. Das Erstre wohl ganz gewiß, entgegnete der Ritter, denn ich empfinde wirklich so, und nicht anders; es möchte Ihnen bei allem Zauber weiblicher Beredsamkeit[99] dennoch schwer fallen, mich vom Gegentheil zu überzeugen, und wenn das Zweite nicht die Folge des Vorhergehenden ist, so könnte es nur beweisen, daß ich überall ein falsches Ziel habe. Ich weiß, erwiederte Seraphine, Sie folgen den unmittelbaren Eingebungen. Für Sie ist das Licht des Verstandes eine überflüssige Zugabe, denn ein Gott hat Ihnen gegeben in die verborgene Tiefe zu schauen. Lassen Sie mich ausreden, fuhr sie schnell fort, als der Ritter im Begriff war zu antworten; die Überlegung ist uns beiden gleich fremd, nur daß ich einzulenken verstehe, wenn ich den Blüthen des Augenblicks vorüberging, die Sie, nach der Frucht greifend, trotzig verschmähen. Die Frucht, erwiederte der Ritter, muß sich mir in der Blüthe offenbaren, sonst[100] werfe ich den tauben Glanz hin. Und doch, entgegnete die Gräfin, wird Niemand gerade von diesem so sehr angezogen als Sie, der im einzelnen Moment höchst vornehm auf den Wahn befangener Gemüther blickt. Wie lange zählt Sie die kleine Prinzessin Elwira schon unter Ihre Verehrer, und Sie haben recht, wer wird auch den Blüthenstaub weghauchen, um zu sehen, was darunter liegt, nur seyn Sie überall derselbe, und fordern Sie heute nicht mehr von dem flüchtigen Lebensgenuß, als gestern. Ihr Muthwille, sagte der Ritter halb lachend halb erbittert, wird mich noch zur Verzweifelung bringen! Wären Sie nicht so schön, oder ich keine Dame, fiel Seraphine ein, der blutigste Kampf könnte nur zwischen uns entscheiden. Gewiß[101] lieber Alexis, fuhr sie fort, so herzlich gut ich Ihnen bin, so kann ich doch nie das Lachen lassen, wenn ich Sie so ernst und bedeutend über das Leben hinblicken, und gleichwohl in der nächsten Stunde durch höchst gewöhnliche Regungen gefesselt sehe. Nicht eine vorherrschende Stimmung ist bleibend bei Ihnen, so willig geben Sie sich dem bunten Spiele hin. Daß Sie recht haben, schöne Seraphine, unterbrach sie der Ritter, beweise ich jetzt. Allein wer beugt sich nicht vor solcher Gewalt. Und gewiß, ich muß es Ihnen danken, daß Sie mich eines so heitern Spieles würdigten.

Der Graf, der Seraphinens kleinen Neckereien immer wohlgefällig zuhörte, erinnerte sich jetzt, daß es Zeit sey, mit Ernst für Rodrichs Zukunft zu denken,[102] weshalb er auch sogleich zum Fürsten gehen, und ihn von dem Erfolg der Unterredung benachrichtigen wolle. Rodrich schied voll dankbarer Rührung und hingerissen von Seraphinens Lieblichkeit, deren Bild in Gestalt der flüchtigen Horen vor ihm hinschwebte.

Sie waren noch nicht weit gegangen, als Stephano mit mehrern Offizieren zu ihnen stieß. Der Ritter schlug vor, den Tag bei ihm zuzubringen, was von Allen gern angenommen ward, da seine lebhafte Unterhaltung die kleine Gesellschaft schon jetzt beschäftigte, und eine freudige Bewirthung verhieß.

Des Ritters Wohnung war mit mehrern Kunstwerken verziert, die er auf seinen Reisen sammelte. Rodrich bemerkte unter diesen ein Bild von der Hand seines Meisters, das er mehrere[103] male nachgezeichnet hatte. Es war ein Einsiedler von überaus schönem Ansehen, der in einer dunkeln Höle vor einem Cruzifix kniete, von dessen Mitte ein Lichtstrahl ausging, und des Einsiedlers Gesicht wundervoll beleuchtete. Er hatte das Bild immer sehr lieb gehabt, und begriff nun, warum ihn der Anblick des Laokoon so bewegte; es waren dieselben Züge, die hier nur weicher und verklärter erschienen. Während er nachdenkend da stand, trat Stephano zu ihm, und ergoß sich im Lobe des Künstlers, der die individuellste Wahrheit höchst poetisch aufgefaßt und lebendig dargestellt habe. Das Ganze, fuhr er fort, hat etwas sehr rührendes, um so mehr, da eine geschichtliche Wahrheit zum Grunde liegt, die uns sehr nahe angeht.[104] Man sagt, es sey des Herzogs Vater, der ein früher gebrochenes Gelübde eines Lieblingssohnes nur durch die Entsagung der Welt zu lösen glaubte, und vor kurzem als Einsiedler starb. Dann freilich, sagte der Ritter lachend, geht er Ihnen nahe genug an. Rodrich fragte nach der Bedeutung dieser Worte, und erfuhr, daß Stephano ein natürlicher Sohn des Herzogs sey, der außer ihm keine Kinder habe. Mehrere der Anwesenden neckten ihn mit der vornehmen Geburt, und verhießen ihm hohe Würden, sogar die mögliche Nachfolge der Regierung. Er blickte indeß finster auf das Bild und beantwortete die Spöttereien mit einem erzwungenen Lächeln, das Rodrich unangenehm auffiel, den überall die ganze Unterhaltung ängstete, ohne daß er sich[105] einen Grund anzugeben wußte. Der Ritter suchte indeß auf alle Weise wieder einzulenken, indem er die Unterhaltung auf die verschiedenartigsten Gegenstände führte, und sich selbst mit unerschöpflicher Fülle in Anekdoten und Geschichtchen ergoß. Stephano blieb dennoch verschlossen, und wenn Rodrich des Ritters Beweglichkeit anstaunte, so suchte er sie vergebens in dem Gleichmuth und der ruhigen Klarheit wieder, die er gestern bewunderte. Auch in seinen Freunden erkannte er ihn nicht, die allesammt willige Hörer aber schlechte Redner zu seyn schienen, und deren Verdienst wohl allein darauf beruhete, daß sie sich an ihn anzuschließen verstanden. Ein rüstiger Jüngling schien zwar mehr absichtlich als aus Beschränktheit zu schweigen, denn zuweilen[106] drang ein ganz lustiger Einfall über den Ritter hervor, dessen lächerliche Seite er, wie die eines jeden Menschen, immer bereit war aufzufassen, ohne sich weiter um den Zusammenhang des Ganzen oder die innere Bedeutung zu bekümmern. Für ihn war die Sache, wie sie erschien, und so fand er überall Stoff zu unendlicher Belustigung. Er selbst war, wie Stephano sagte, ganz ohne Bildung, allein voll natürlicher Anlagen, die er sehr geschickt anwandte, die Schwächen Andrer herauszuheben, ohne daß sie es merkten. So wußte er dem Ritter eine Lieblingsgeschichte nach der andern abzulocken, während er die listigen Augen voll Begier auf seine Lippen heftete, und jedes Wort mit steigender Ungeduld zu erwarten schien, was diesen nur noch[107] mehr anfeuerte und fast immer unaufhaltsam fortriß. Selbst Stephano, der ihn ganz genau kannte, ging nicht selten in die Falle, indem er durch ihn, der nicht ein Wort davon verstand, verleitet, alle seine spekulative Betrachtungen und scharfsinnige Definitionen zu Tage fördern mußte, wobei er mit großer Ruhe ganz fremde Dinge trieb und wenig auf ihn achtete. Die schuldlose, ja kindische Freude, mit welcher er dies versteckte Spiel immer auf's neue begann, reizten jeden zur Theilnahme, und ließ selbst den Angeführten ohne Bitterkeit. Rodrich gewann ihn bald lieb, und als der Wein die Gemüther freudiger stimmte, trat auch Stephano aus seiner trüben Laune hervor, und riß alles durch die Kraft und den Reichthum seiner ausströmenden[108] Fröhlichkeit hin. Ja es war, als hätte er den Schmerz mit Gewalt niedergetreten und wollte jetzt allen Mächten des Schicksals zum Trotz den Himmel erstürmen. In dem allgemeinen Taumel zeigte er kühn die Gewandheit und Sicherheit seines Körpers. Mit einer Art von Wuth trug er ungeheure Lasten, maß im Sprunge einen Raum, vor dem jeder sich entsetzte, balanzirte Leichtes und Schweres gleich geschickt, kurz, er zwang seinen bewundernden Freunden neues Erstaunen und neue Achtung ab. Bald führte man auch muthige, schön verzierte Pferde auf den geräumigen Hof, und mancher, der nun erst an seinem Platze war, zeigte, wie selbst die flache Unbedeutenheit in der edlen Uebung freier Kräfte liebenswerth erscheine. Rodrichs Brust schwoll beim[109] Anblick der herrlichen Thiere. Er konnte der Lust nicht widerstehen, und schwang sich auf einen nahstehenden Rappen, der hoch mit ihm in die Lust stieg und in weiten Sätzen fortsprengte. Rodrichs Muth wuchs mit jedem Augenblick, er faßte kühn die Zügel und flog im Kreise an seinen Freunden vorüber, deren lautes Bravo ihm wie Sphärenmusik erscholl. Schäumend stand das wilde Thier endlich auf seinen Wink, und Rodrich sah erstaunt den Grafen, dessen Ankunft er nicht bemerkt hatte, mit den freudigsten Mienen vor ihn hintreten und ihm ein versiegeltes Papier überreichen, indem er sagte: so gebe ich Ihnen mit doppelter Lust meines Fürsten Befehl und die Erfüllung meines herzlichsten Wunsches. Rodrich erbrach schnell das Siegel und das Offizierpatent[110] sah ihm recht feierlich mit des Fürsten Unterschrift entgegen. Ganz außer sich vor Freude fiel er dem Grafen in die Arme, eilte dann zu Stephano, dem Ritter, den übrigen Offizieren; alle umfaßte er in dem Augenblick mit gleicher Liebe, alle sollten gleich sehr empfinden, wie glücklich er war. Der Graf nahm ihn darauf sehr ernst bei der Hand und stellte ihn den Uebrigen in seiner neuen Würde vor; allein er war viel zu bewegt, um ruhig unter Menschen auszuhalten. Er fühlte das, und erbat sich die Freiheit, diesen Abend allein zubringen zu dürfen. Der Graf gestattete ihm dies gern, nur, setzte er hinzu, müssen Sie mich morgen früh um 10 Uhr zum Herzoge begleiten, der Sie durchaus sehen will.

Die wechselnden Bilder seines wunderbaren[111] Lebens, Ahnungen einer hohen Geburt, einer glänzenden Zukunft, der er wie mit Zaubergewalt entgegen eilte, wachsender Stolz und sehnsüchtige Regungen, alles drängte Rodrich auf sein stilles Zimmer. Kaum war er indeß hier angelangt, so fand er es ganz seltsam, daß ihn die Freude von den Urhebern seines Glückes entfernt, hieher in die Einsamkeit trieb.

Er begriff sich selbst nicht, da er bei allem dem den innigsten Drang nach Mittheilung und Liebe fühlte. Da gedachte er des zärtlichen Florio, und zog sein Bild aus den zusammengerollten Papieren hervor Ach, und wie ihn die weichen kindlichen Züge so unschuldig anblickten, hätte er in Thränen zerfließen mögen; so, das fühlte er, hatte nie eines Menschen Auge[112] sein Herz berührt. Was war des verständigen Stephano und des phantastischen Ritters augenblickliche Theilnahme gegen einen solchen Blick voll Liebe und unaussprechlicher Hingebung! Er drückte das Bild an seine Brust und entschlief bald in der stillen Erinnerung seliger Kindheit.

Als er am folgenden Morgen erwachte, glaubte er zu träumen oder in die Feenwelt versetzt zu seyn, als ein stattlicher Diener mit einem Kästchen voll reicher Kleider an seinem Lager stand, und ihn ehrerbietig fragte: ob er sich anzukleiden, und dann in die neue Wohnung einzuziehen befehle? Rodrich fühlte nach einigem Besinnen die zarte Schonung des Grafen, und faßte sehr bald den Ton, der solchen Verhältnissen geziemt.[113]

Nach einigen Augenblicken stand er geschmückt, sich selbst unkenntlich, unaussprechlich schön da. Er wollte nun zum Wirthe gehen, um alles zu berichtigen, als dieser hereintrat, und ihm ein Packet mit Geld überreichte, das schon am vorigen Tage für ihn eingelaufen sey. Rodrich war nie so reich gewesen. Die Welt war in dem Augenblicke sein, und er verließ den Gasthof mit ganz andern Erwartungen, als er ihn vor einigen Tagen betrat. Zwar fiel es ihm wohl ein: ob das Glück nicht ermüden werde, ihn so ausgezeichnet zu begünstigen? und ob er diese ungeahnete Lust nicht einst werde theuer büßen müssen? Der Traum flog wieder an ihm vorüber und die bedeutsamen Bilder ängsteten ihn mehrere Augenblicke hindurch, doch siegte die[114] frisch erblühete Hoffnung, und et eilte leicht und froh zu dem herzoglichen Schlosse, wohin ihn der Graf beschieden hatte. Wie er die breite Treppe hinauf stieg und ihn die weiten Säle mit ihrer alten gediegnen Pracht empfingen, überfiel ihn eine Angst, die er vergebens niederzukämpfen und den Stolz edler Naturen hervorzurufen bemühet war.

Er ging unsicher durch die hohen Bogengänge, und blickte halb scheu, halb verlangend, nach der Erscheinung des gewaltigen Geistes, der hier thronte. Ein seiner Mann trat auf ihn zu, und bezeichnete ihm, durch eine offen stehende Gallerie, das Zimmer, wo ihn der Graf bereits erwarte. Er folgte der Weisung, und kam an einer Reihe ernster Gemälde vorüber, die allesammt[115] in veralteter Tracht die Stammväter des fürstlichen Hauses zu seyn schienen. Der Einsiedler war darunter, und er wollte ihn eben genauer in der weltlichen Kleidung betrachten, als sich eine Seitenthür öffnete und der Herzog mit dem Grafen erschien. Die lang bekämpfte Scheu machte plötzlich einem Widerwillen Platz, dessen erster Anflug so unwillkührlich wie das Entstehen der Liebe ist. Zwar rechtfertigte ihn des Herzogs Anblick auf keine Weise. Die zerstörten Blüthen schimmerten noch aus den Trümmern hervor, und er galt überall für einen schönen Mann. Er begrüßte Rodrich mit Würde, und hatte eben einige fürstliche Worte unverständlich hingeworfen, als er plötzlich schnell auf ihn zutrat, die unsichern Blicke über ihn hingleiten ließ und ihn[116] dann schärfer und immer schärfer anstarrend todtenbleich in des Grafen Arme sank. Rodrich schauderte bei dem furchtbaren Ereigniß, und ohnerachtet ihm der Graf und mehrere herzueilende Diener versicherten, daß er öfters diesem Zufalle ausgesetzt sey, so wollte er doch nicht länger in dem Schlosse verweilen, wo ihn alles so peinlich drückte.

Auf dem Rückwege traf er den Ritter, der bei seinem Anblicke erschrack, und als er die Veranlassung erfuhr, ihn beruhigend, manch' ähnlichen Fall erzählte, und wie dieser krankhafte Zustand den Herzog in den liebsten Umgebungen an Miranda's Seite, die er anbete, überfalle, ohne daß er von außen die geringste Anregung erhalte. Das geschwätzige Volk, fuhr er fort,[117] das ihn ohnehin nicht liebt, hat tausend Ursachen dieses Uebels ersonnen. Vor allem glaubt man ihn nicht unschuldig an dem plötzlichen Tode seiner Gemahlinn, durch deren Hand ihm, als einem fremden Prinzen, dies Land erst zugefallen ist. Indessen hält ihn mein Oheim, der ihn seit langen Jahren kennt, und auf dessen Schicksal er früher einen bedeutenden Einfluß hatte, solcher That nicht fähig. Auch ist es gewiß, daß der schwankende Mensch zum Morde nicht reif ist, wenn ihn der Augenblick nicht fortreißt. Diesen, fiel Rodrich ein, weiß nur der Starke herbeizuführen, der in der lebendigen Anschauung der That, das Verbrechen zur Tugend adelt. Er dachte hier an Brutus, und was diesen selbst vom Cassius unterschied. Allein der Ritter[118] betrachtete ihn verwundert und er selbst erschrack über die Heftigkeit, mit welcher er eben gesprochen hatte. Sie schwiegen beide einige Augenblicke. Er war verstimmt und wußte das Gespräch auf keine Weise wieder anzuknüpfen. Doch bald lud ihn sein Freund in Seraphinens Namen zu einem Conzert für diesen Abend ein, wo er Rosalien und viel schöne Frauen der Stadt sehen werde. Seraphinens Bild verscheuchte jeden ängstigenden Gedanken. Er nahm die Einladung gern an, und trennte sich mit erheitertem Gemüth vom Ritter.

Ungeduldig hatte er den Augenblick erwartet, wo es ihm vergönnet war, vor der Gräfinn zu erscheinen. Endlich betrat er ihre freudige Wohnung, und kam durch eine Reihe ungewöhnlich[119] bunt verzierter Gemächer zu einem Saale, dessen eine Hälfte ein halber Kreis glänzender Schönen, auf grünen Polstern ruhend, einnahm, die in dem wechselnden Farbenschmuck wie ein fortlaufendes Blumengewinde auf dunklem Grunde prangten. In dem andern Theile des Zimmers waren die Herren mit verschiedenartigen Unterhaltungen beschäftigt, als sich oberhalb der Kuppel plötzlich eine Gallerie, von einer beweglichen chrystallnen Sonne beleuchtet, eröffnete, und Chöre von Knaben und Mädchen, hinter bläulichem Flor geisterartig schwebend, Rosaliens Ankunft in weichen gleitenden Tönen feierten. Indem trat diese an der Gräfinn Hand in die Versammlung. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Sie erschien mit den bleichen Mienen des[120] Kummers, in der einfachen Kleidung, unendlich rührend. Ihr dunkles Haar lag ganz schlicht auf der Stirn, und ward nur von einer Perlenschnur zusammen gehalten. Ein schwarz sammetnes Kleid von ungewöhnlichem Schnitt bildete den schönsten Faltenwurf, und während es sich der schlanken Gestalt anschmiegte, erhob es den seltnen Glanz ihrer Haut. Sie neigte sich mit einiger Verlegenheit gegen die Gesellschaft, zu deren neugierigen Blicken sie ungern hinaufsah. Indessen wehrete Seraphine jedes unzarte Wort von ihr ab, und als sie bemerkte, wie sehr die Musik sie bewege, winkte sie mit der Hand; die Sonne verschwand; ein frisches Laubdach überzog die Kuppel und breitete sich längs den Wänden herunter. Bald erschienen die kleinen Sänger[121] in vielfacher Hirtentracht, und tanzten zu dem Klange der Flöten und Schalmeyen, wie Rodrich nur im Gebirge hatte tanzen sehen. Er ward lebhaft an seine Kindheit erinnert, und theilte vielleicht unter Allen Rosaliens Rührung am meisten.

Die Gesellschaft hatte sich indessen immer bunter in einander gemischt. Man ging und kam aus anstoßenden geschmackvoll erleuchteten Cabinetten, wo man Erfrischungen, Bücher, Musikalien, tausend klone Spiele, kurz die mannichfachste Unterhaltung fand. Seraphine war überall, und überall von ihrem kleinen Gefolge umringt, in dessen Mitte sie wie eine Feenköniginn erschien. Der Ritter hatte sich jetzt Rosalien genahet, die ihn mit höflicher Kälte entfernte. Sie schien das zu fühlen,[122] und suchte es durch einige freundliche Worte wieder gut zu machen, die den armen Alexis, auf's neue bethörend, unablässig an ihre Seite fesselten. Rodrich bemerkte mit innerer Angst wie sie sich in dem Maaße von ihm abwandte, als er sie ungetheilt fesseln wollte. Ihre Ungeduld wuchs, in den gespannten Zügen lag Widerwille und Aerger. Er nahete sich, um durch ein verändertes Gespräch seinem Freunde diese Entdeckung zu ersparen. Einige allgemeine Höflichkeiten veranlaßten bald die Frage: ob er schon mit den Umgebungen der Stadt bekannt sey? und als er es verneinte, erzählte sie ihm von schönen Wasserfällen, Thälern und überaus anziehenden Spaziergängen in den nahen Gebirgswäldern. Stephano, der herzugekommen war,[123] sagte: was indessen von allem das Interessanteste und dennoch hier ganz ungekannt seyn möchte, ist ein altes Bergschloß, in dessen Trümmern eine Köhlerfamilie lebt. Es ist unmöglich, eine prachtvollere Lage zu erdenken. Von einer steilen Anhöhe sieht man auf der einen Seite in einen dunklen dicht verwachsnen Wald, den ein reißender Bach durchschneidet, während er mit dumpfem Rauschen eine ferne Mühle treibt. Von der andern Seite eröffnet sich eine ganz entgegengesetzte Welt. Bebaute, blühende Felder, Gärten, Triften, ruhig weidende Heerden, kleine Landhäuser, alles still, friedlich, wenn Sie wollen gewöhnlich, allein durch den Contrast gehoben, und gleichsam da, um die aufgeregten Sinne zu beruhigen. Im Innern des Gebäudes finden sich noch[124] einige wohl erhaltene Zimmer, vorzüglich eine Gallerie, die zu einem hervorspringenden Altane nach der Feldseite führt, von wo sich erst die rechte Herrlichkeit offenbart. Rosalie bezeigte ein großes Verlangen, das Schloß zu sehen, und die Gräfinn, die sich ein neues Fest davon versprach, sah mit Ungeduld einer Wanderung nach dem Walde entgegen. Stephano's Beschreibung hatte mehrere herbeigezogen, und alle stimmten für den Plan, nächstens dort ein ländliches Mahl einzunehmen. Wenn Sie die verwöhnten Sinne einmal mit einfacher Kost reizen wollen, sagte Stephano, so will ich schon dafür sorgen, daß die Köhlerfrau mindestens Ihren Hunger stille. Die jungen Leute sprachen viel von dem Poetischen solcher Feste, und verhießen einander großen[125] Genuß von den lustigen Waldscenen. Ich, sagte eine junge Dame mit vielem Nachdruck, ich liebe nichts so sehr, als das unmittelbare Leben in der Natur. Da streifen die Menschen alles Conventionelle ab, und zeigen sich in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit. Ach meine Liebe, sagte die Gräfinn, das thun Sie in jedem unbewachten Augenblick. Es braucht dazu keiner Wälder und Ruinen, um die Gebrechlichkeit zu ahnen. Verdammen Sie das Formelle nicht so absolut, es bedeckt manche Blöße, und viele gehen in dem Festgewande noch ganz erträglich einher, die in den gewohnten Kleidern widerwärtig erscheinen würden. – Überdem, sagte ein Gelehrter, der zu Seraphinens täglicher Gesellschaft gehörte, ist es noch die Frage, ob sich die Menschen auch[126] so wahr in der freien Natur zeigen, als Sie mein Fräulein es glauben, oder ob nicht vielmehr die ungewohnten Umgebungen dem Gemüthe nur etwas neues aufdringen, das gerade der Neuheit wegen für das Rechte gehalten wird. Die Unschuld des Sinnes, das geheime Band zwischen Mensch und Natur, der eigentliche Schlüssel ihrer Hieroglyphen-Sprache, kann sich wohl auch in conventionellen Verhältnissen erhalten, und wo der einmal verloren ging, da wird ihn kein vorüberrauschendes Lüftchen wieder erzeugen. Sehr wahr, sagte Alexis, und ich sehe es nicht wohl ein, warum man sich unaufhörlich in Luft und Duft ertränken müsse, um die Herrlichkeit der Welt zu erkennen! Im Gegentheil, dünkt mich, zeuge es von einer Beschränktheit, alles[127] nur von außen zu erwarten. Nun, sagte die Dame empfindlich, so fliehen Sie nur gleich in eine Zelle, und trennen Sie sich von einer Welt, die Ihnen so entbehrlich dünkt. – Wer den Muth hat, erwiederte der Ritter, freiwillig, aus einer angebornen Lust, eine Scheidewand zwischen sich und der Welt zu ziehen, der muß gewiß einen großen Reichthum in sich tragen. – Die Bären, sagte Stephano, zehren auch von dem eignen Fette, daher verschlafen sie auch die halbe Lebenszeit. – Wer weiß, fiel Alexis ein, zeigt sich Ihnen im Traume nicht etwas Besseres, als wachend an ihnen vorübergeht. Rodrich hatte einst die ganze Fülle ausströmender Seeligkeit in der erwachten Natur empfunden, unwiderstehlich zog ihn alles zu ihr hin. Er war nie[128] besser, nie gotterfüllter, als wenn er in dem reinen Luftmeere schwamm, und die ewig bewegte Fluth alle Bilder des Lebens an ihm vorüberführte. Jetzt hörte er das Klosterleben preisen, das, seine Jugend verdunkelnd, eine widrige Störung zurückgelassen hatte. Er blickte unwillig auf den Ritter, indem er sagte: ich zweifle nicht, daß Sie in strenger Abgezogenheit eine Welt in sich hervorrufen könnten, die als ideale Anschauung für Sie keine Spur der Mangelhaftigkeit an sich trüge; ob indessen die lebendige Frische, die Beweglichkeit in ihr zu finden wäre, die uns die stete Reibung gemeinsamer Kräfte täglich offenbart; ob der gesunde Sinn nicht dennoch einen kränklichen Schimmer in ihr wahrnehme, bleibt unentschieden, bis Sie ihr Inneres in irgend einem[129] bleibenden Kunstwerke außer sich hinstellen. Ihr seyd seltsame Menschen, sagte die Gräfinn, Euch über den mannigfaltigen Lebensgenuß zu streiten, und so eigenmächtige Abtheilungen darin vorzunehmen, während ihr mit vollen Sinnen in der Gegenwart lebt, und Euch, wie mich dünkt, ganz wohl darin gefallt. Und Sie, Alexis, kommen trotz alle dem, von der kleinen Wallfahrt nicht los, so bitter Sie sich auch über die milden Einflüsse der Natur auslassen. Der Ritter küßte ihr lachend die Hand, indem er sagte, womit verständen Sie nicht die hartnäckigsten Gemüther auszusöhnen, liebenswürdige Seraphine! Ich werde den dunklen Wald mit allen Schlangen und Kröten für ein Elysium halten, und Mücken und Käfer als eine Würze[130] der Speisen tapfer mit hinunter schlucken. Sie sind ein feindseliges Gemüth, sagte die Gräfinn unwillig, und wenig geschickt zu kleinen Aufopferungen. Weil ich, erwiederte er ernst, in den größern zu streng geübt werde. Rosalie begann schnell ein anderes Gespräch, und bald darauf ging man unter frohen Erwartungen des lustigen Festes aus einander.

Mehrere Tage waren Rodrich unter Beschäftigungen verflossen, die seine neue Lage herbei führte, und deren edle Bedeutung ihn mit den freudigsten Aussichten erfüllte, als er eines Morgens zu der Gräfinn beschieden ward, um nach eingenommenem Frühstück die verabredete Wanderung anzutreten. Er folgte sogleich ihrem Befehle, und fand im Vorhofe schon Wagen und Pferde[131] zur Abreise bereit. Seraphine trat ihm in einem dunkelgrünen Reitkleide freudig entge gen. Der kleine Hut mit weißen Federn gab ihrem zarten Gesichtchen etwas keckes, wie überall der halb männliche Anzug der zierlichen Gestalt sehr wohl stand. Rodrich fand sie jeden Augenblick reitzender, ihre Bewegungen schienen ihm wie lustige Musik jedes ihrer Worte zu begleiten, er konnte die Augen nicht von ihr abwenden, und als er ihr nachher auf's Pferd half und sie sich vertraulich an ihn lehnte, fühlte er eine Unruhe, die ihn für den ganzen Tag weich und reitzbar stimmte. – Die übrige Gesellschaft machte sich nun auf den Weg, der sie mehrere Stunden leicht und angenehm über Wiesen und Felder führte. Doch beim Eintritt in dem Wald ward er[132] uneben, und manche Stöße und Schläge weckten die Reisenden aus ihren Träumereien. Stephano hatte dafür gesorgt, daß ein Platz vor dem Schlosse geebnet, und des Köhlers Reichthum an Stühlen, Tischen, Milch und Brodt herbeigeschafft wurde. Der Ritter und der Gelehrte sahen mit nüchternen Mienen auf die ärmliche Kost. Ueberdem war es drückend heiß. Kein Lüftchen durchstrich den dichten Wald, und der gutmüthig dargebrachte Honig der Köhlerinn, der den Durst nur noch mehr reitzte, war für die Feinde des Wassers und der Milch kein erfreuliches Labsal. Seraphine weidete sich einige Augenblicke an der innern Unzufriedenheit der meisten, die sich jedoch bei vielen hinter emphatischen Ausbrüchen erzwungenen Entzückens verbarg; dann winkte[133] sie ihren Knaben, und Saumthiere mit Wein und Speisen wurden herbeigeführt. Sie ordnete alles geschäftig an, und indem sie das Köstlichste vor Alexis und seinen Freund hinstellte, sagte sie: Euch gebühren vor Allen die stärkenden Speisen; denn sonst lauft ihr Gefahr, der Erde ohne Widerstand in den Schooß zu sinken.

Alles erheiterte sich jetzt, und viele gestanden, daß es mit den gewohnten Bequemlichkeiten doch eine schöne Sache sey, und man sich ungern davon losmache. Wie wäre es aber, Alexis, sagte die Gräfinn, wenn Sie sich hier eine Einsiedelei anlegten? Der Wald, die Trümmer der Vorzeit, die Abgeschiedenheit der Welt, hier eine Quelle, dort das Echo, das Ihre frommen Seufzer nachhallt, Wurzeln, Kräuter,[134] kurz alles, was der genügsame Mensch bedarf. Nur Ihr Anblick nicht, schöne Gräfinn, sagte Alexis; wie könnte ich mich trösten, Ihnen nicht mehr als Gegenstand des heitersten Spottes zur Seite zu stehen! Gewiß, erwiederte Seraphine herzlich, Niemand läßt sich so willig auslachen und erwiedert meinen Spott mit dieser wohlwollenden Güte. Sie reichte ihm hier die Hand, und die Gesellschaft folgte ihnen und Stephano über zerbrochne Stiegen und halb verfallne Gewölbe in die oberen Zimmer des Schlosses. Sie hatten lange Zeit vom Altane die herrliche Aussicht genossen, als ein dumpfes Rauschen im Walde sie er schreckte. Stephano trat hinaus, und sah wie die Bäume ihre Wipfel bewegten, und das fliegende Gewölk sausend über ihnen[135] hinzog. Indem kam der Ritter lachend heraus, und sagte, daß der Köhler ein entsetzliches Unwetter prophezeye, und er daher der Gesellschaft, die vielleicht nie solche Gelegenheit zur Contemplation ähnlicher Naturscenen finden werde, rathe, hier versammelt zu bleiben, da des Köhlers Stübchen ohnehin die Menschenzahl nicht fassen könne. Während er sprach, blitzte es entsetzlich; die Frauen liefen mit verhülltem Gesichte davon, und einige versicherten, lieber in das unterste Gewölbe zwischen Molche und Kröten zu flüchten, als hier die Angst zu ertragen. Seraphine trat beherzt unter sie und stellte ihnen vor, daß sie nirgend sichrer als gerade hier in der gewölbten Gallerie seyn könnten. Laßt uns daher, fuhr sie fort, ruhig dort bleiben, und das gestörte[136] Fest trotz allem drohenden Ungemach auf irgend eine erfreuliche Weise enden. Die geängsteten Schönen fügten sich widerstrebend der Nothwendigkeit. Morsche Bänke wurden zusammen geschoben und alles drängte sich in einen engen Kreis, während das Gewitter immer schwerer heraufzog. Der Wind heulte furchtbar durch die zerbrochnen Thüren. Steine rollten krachend von den Mauern herunter; wie ein Feuerregen schossen die häufigen Blitze ihre Strahlen durch die fensterreiche Gallerie. Seraphine war keinesweges gleichgültig. Sie zitterte heftig, und hielt sich in der innern Angst an Rodrich und Stephano, die ihr zur Seite saßen. Plötzlich sprang sie auf; laßt Musik kommen! rief sie. Wir wollten ohnehin im Freien tanzen, warum nicht[137] hier? Freudige Klänge verscheuchen böse Geister.

Die Knaben kamen mit ihren kleinen Instrumenten. Seraphine nahm Rodrich bei der Hand, alles folgte unwillkührlich, jeder übertäubte sich selbst in der Todesangst. Rosalie schweifte geisterbleich an des Ritters Arm durch die Reihen. In dem Augenblick fuhr ein Blitz schlängelnd durch das Gemach. Das zitternde Licht brach sich zischend an den Wänden, und verschwand durch die Fenster. Die erschrocknen Tänzer blickten sich erstaunt an. Alle glaubten Rosaliens Gestalt doppelt gesehen, und ein leises Wimmern vernommen zu haben; sie selbst lag ohnmächtig in Seraphinens Armen. Rodrich trug sie schnell in ein Nebenzimmer, während der zerrüttete[138] Alexis in einen Wald floh, und seine Ahnungen und Schmerzen in bittere Klagen ausströmte. In der allgemeinen Verwirrung schwieg die Musik, der Tanz war aufgehoben, man trat zusammen, ohne daß jemand das Herz hatte zu reden. Endlich sagte Stephano mit leiser Stimme: warum erschrecken wir vor einer ganz natürlichen Begebenheit? Der Hang zum Wunderbaren verblendet die klarsten Menschen und reißt alle gesunde Überlegung mit sich fort. Was ist es denn, das diese Bestürzung erregte? Ein Blitz, Rosaliens Ohnmacht und der jammervolle Ton, der während dem aus ihrer Brust drang? Was wir sonst sahen oder zu sehen glaubten, ist nur eine Folge des Vorhergehenden. Schon früher als der Blitz uns verwirrte,[139] hatte Rosaliens sterbendes Auge Alle erschüttert. Der Schreck über sie und diese unerwartete Erscheinung treffen zusammen, wir sahen mit kranken Sinnen. – Ihrer Erklärung, sagte der Gelehrte, geht es, wie allen Erklärungen dieser Art; sie sind unbefriedigend. Daß nichts allein, losgerissen von mitwirkenden Ursachen, deren jede wieder die Wirkung einer andern ist, und so ins Unendliche fort, scheinen Sie auch beweisen zu wollen. Diese mögen wir indessen wohl nicht in einer Folgereihe aufstellen können. Sichtbare und unsichtbare Kräfte berühren sich, wir sehen die Sternenwelt durch ihr Licht mit der unsrigen verbunden; ist der Schein anders und leichter zu erklären, als der Ton? Und lassen Sie es einen Wahn seyn, der mindestens sehr ausfallend[140] Alle zugleich bethörte, was ist denn Wahn? Ist es ein absoluter Gegensatz der Wahrheit: so sage ich, daß er gar nicht statt finden, und dem Menschen einwohnen könne; ist er nur das Zufällige der Wahrheit: so lassen Sie uns das Bleibende darin aufsuchen und dies ist Glaube an die Verwandtschaft aller Kräfte, Liebe zu jener innern Mystik, Sehnsucht nach einer Offenbarung derselben. Wenn Mißgriffe daraus hervorgehen, so steigen Sie bis zum Grunde, und Sie werden eine innre Wahrheit empfinden. Vieles hat sich dem menschlichen Geist aufgehellt, und wir werden die verborgenen Tiefen verstehen lernen. – Wenn Sie es so meinen, sagte Stephano, sind wir einig; ich bestritt auch nur die Mißgriffe.[141]

Das tobende Unwetter hatte sich indessen mit dem letzten Ausbruch erschöpft. Es ward nach und nach stiller. Der heraufkommende Abend wiegte die beruhigte Natur in den seeligen Schlaf der Frommen. Rosalie erholte sich, und trat mit ergebenem Sinn auf den Altan. Rodrich, den ihr Bild seit dem Augenblick, da er sie wie einen sterbenden Engel an seinem Herzen fühlte, nicht mehr verließ, war ihr gefolgt, und hörte sie mit leiser Stimme singen:


Ich ging im bittern Schmerze,

Tief in der Berge Grund

Verklungen Lust und Scherze

Im Innern todeswund.


Was Jugend mir gelogen,

Was Liebe mir verhieß,

Wie ich mich selbst betrogen,

Vom Schein bethören ließ,
[142]

Und fort, in schnellen Flügen

Das Rechte übersah,

Das stand in Flammenzügen

Vor meiner Seele da.


Mir war die Welt verschlossen,

Gebleicht der frische Glanz,

Aus Liebe Leid entsprossen,

Zerrissen Blüth' und Kranz.


Da zog es mich zur Tiefe

Durch öder Felsen Spur

Der grausen Hieroglyphe

Umwandelnder Natur.


Und über mir im Bogen

Sprang hell ein Wasserstrahl,

Des Perlen niederflogen,

Benetzend Fels und Thal.


Da grünten frisch die Moose,

Und aus dem kalten Stein

Wand eine weiße Rose

Sich einsam und allein.


Ich weiß nicht welch ein Sehnen

Mich plötzlich überfiel,[143]

Es flossen meine Thränen,

Als ständ' ich hier am Ziel.


Ach Rose, süße Blume,

Du nah'st dich mir auf's neu;

Im dunkeln Heiligthume

Bewahrt dich stille Treu'.


Du wirst mich neu beglücken,

Dich färbt der Liebe Hauch!

So rief ich voll Entzücken,

Und nahte mich dem Strauch.


Und wie ich sie berühre,

So theilt sich schnell das Laub;

Ich sah des Grabes Thüre,

Und alles sank in Staub.


Ich kann den Fluch nicht lösen,

So rauscht es fern herauf;

Dich traf die Macht des Bösen

Im herben Lebenslauf.


So walle nun von dannen,

Im Leiden wirst Du groß.

Was Lieb' und Lust gewannen,

Birgt nun der Erde Schooß.
[144]

Rodrich weinte heftig zu ihren Füßen. O um Gottes willen nicht diese stille Verzweifelung, rief er, ich möchte meines Herzens Blut geben, um Ihnen einen freudigen Augenblick zu gewinnen. – Sie wollen mein Elend, sagte der Ritter, der plötzlich hinter ihnen stand. Muthwillig geben Sie sich der Erkältung, dem Tode hin, oder fachen die Geister dieses Zauberschlosses neue Flammen in ihrem Busen an? – Rodrich verstand ihn anfangs nicht, doch als er den Sinn seiner Worte ahnete, sagte er bewegt: Du zerreißt das edelste Herz, das ohnehin in Kummer vergeht. Die welkende Blume, sagte Rosalie, blühet ihm noch zu frisch, er muß sie völlig in den Staub treten. Sie ging stolz und empört an Alexis vorüber, der ihr[145] schweigend nachsah, dann sank er an Rodrichs Brust und rief schluchzend: ach! hüte diesen Himmelsfunken, wenn du ihn anzufachen verstandest; ich werde ungesehen mein Leid tragen. Seraphine rief sie hier zur Rückreise ab. Alles war bereit, und die muntre Gesellschaft kehrte erschöpft und verstimmt von dem gehofften Feste zurück.[146]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Roderich. Ein Roman in zwei Theilen. Teil 1, Berlin 1806–1807, S. 1-147.
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