Zweites Buch

Rodrich hatte die Nacht kein Auge geschlossen. Des Ritters Worte erregten Wünsche in ihm, die seinem Herzen bis dahin sehr fremd waren. Jetzt fiel es ihm ein, ob er nicht wirklich Rosaliens Liebe gesucht und den großmüthigen Freund beleidigt habe? Er ward ungewiß über sich selbst, und die innere Angst wuchs in der einsamen Nacht. – Bald verscheuchte indessen Rosaliens Schmerz jedes andre Gefühl. Er sah sie wieder auf dem Altan wie eine schwankende Lilie in Liebeshauch zerrinnen, und begriff nicht, wie der Ritter sie mit rauhen Worten berühren, wie er es wagen könne, dies gequälte[149] Herz durch Vorwürfe zu verletzen. Welche Rechte, sagte er mit steigender Bitterkeit, darf er sich über sie anmaßen? und giebt es etwas widersinnigeres, als eine erzwungene Liebe? Kann der Verein zweier Seelen aus dem matten Hingeben erschöpfter Natur erblühen? und sollte nicht ein edles Gemüth diesen Sieg verschmähen? Je mehr er nachdachte, je schuldiger fand er Alexis. Zuletzt hielt er den Gedanken seines Unrechts so fest, daß er nichts als eigensüchtige ungestüme Thorheit in ihm erblickte. In dieser Stimmung fanden ihn folgende Zeilen der Gräfinn.

»Rosalie ist krank. Die unerwarteten Erschütterungen drohen sie umzuwerfen. Ich selbst bin matt, unfähig zu erheiternder Unterhaltung. Ueberdieß verschwimmt jede freudige Aufwallung[150] in diesem unversiegbaren Quell innerer Trauer, und was ich ihr reiche, wird mir unter den Händen zu Gift. Alle Freunde schweigen, auch Alexis. Rosalie scheint deshalb beunruhigt. Ist etwas zwischen ihnen vorgefallen? Eilen Sie doch, dies liebe bewegliche Herz zu beruhigen, und führen Sie uns so bald als möglich den Ritter wieder zu, mit dem ich gern zanken und so die gute Laune wiedergewinnen möchte.«

Rosaliens Krankheit weckte neue Schmerzen in Rodrichs Brust, und versöhnte ihn mit dem bekümmerten Freunde, zu dem er ungesäumt hingehen wollte, als Stephano in sein Zimmer trat und ihm zurief: was ist es denn mit dem Ritter? Ich komme aus seinem Hause, wo ich bis auf einen alten[151] Diener alles leer fand, der mir zwar versichern wollte, sein Herr kehre in wenigen Tagen zurück, allein ich glaube daran nicht; zu einer Lustreise sind die Anstalten zu ernsthaft, überdieß kann ihn nichts Geringes zu diesem Entschluß gebracht haben. Ist denn irgend etwas Wichtiges geschehen? Sie waren zuletzt mit ihm und Rosalien, können Sie mir keine nähere Auskunft geben? Denn von dort her kann es nur kommen, was ihn so plötzlich forttreibt. – Rodrich war so erschrocken, daß er lange keine Worte finden konnte; endlich erzählte er Stephano den Vorgang auf dem Altan, und wie Alexis hart und feindselig erschienen sey. Seltsam, sagte dieser, wie er Rosalien nur so wenig verstehen und die Tiefen ihres Gefühls[152] hier ganz übersehen konnte! Ueberall kenne ich Niemand, dessen Urtheil sich augenblicklich so verwirrt, wenn er selbst in die Handlung eingreift, und eine individuelle Beziehung statt findet! Wie, sagte Rodrich, ist es aber bei dem Reichthum seiner Phantasie, bei der innern Schwungkraft möglich, sich der Gegenwart so hinzugeben? Weil, erwiederte Stephano, es ihm an Elastizität, an Freiheit fehlt, die Wechselwirkung zwischen Innerem und Aeußerem lebendig zu erhalten. Er gehört entweder dem Einen oder dem Andern an. Daher die Ungleichheit in seinem Betragen, die ungebundene Fröhlichkeit in einem und der feierliche Ernst im andern Momente. Die Sinnenwelt blendet ihn, entrücken sie ihm diese, so ist er klar, besonnen, in sich fest. Es ist[153] gewiß, fuhr er nach einigem Nachdenken fort, er kehrt entweder bald, oder bei Rosaliens Leben nie wieder. Nie? wiederholte Rodrich, und wir sollten also Einen von Beiden aufgeben und für immer von ihnen scheiden müssen! Alle Liebe und Theilnahme des wohlwollenden Alexis stellte sich plötzlich vor ihn hin. Er fühlte es schmerzlich, daß er die Brust verwundet, die sich ihm so vertrauend geöffnet hatte! Lassen Sie uns eilen, rief er, vielleicht ist er noch zu retten; ich will mein Leben daran setzen, ihm seinen Argwohn zu benehmen? Werden Sie ihn überzeugen? fragte Stephano, – und gesetzt, es gelänge ihnen, fuhr er fort, was gewinnen wir? Kann in dieser Stimmung die nächste Stunde nicht dasselbe erzeugen? Wo das Uebel nicht aus[154] der Wurzel zu heilen ist, da kann man die Wirkungen niemals berechnen. Lassen Sie uns nicht so eigenmächtig in den Willen eines Menschen eingreifen, man bewirkt wohl etwas andres, selten aber das Bessere. Ach, sagte Rodrich, mich dünkt, wir schläfern unsre Theilnahme mit allgemeinen Klugheitsregeln ein, während der Freund vor unsern Augen versinkt! Stephano suchte ihn von ähnlichen Vorstellungen abzulenken, indem er ihn auf die Nothwendigkeit aufmerksam machte, Rosalien diese Nachricht mitzutheilen, ehe das allgemeine Gerücht sie erreiche. Woran erinnern Sie mich, sagte Rodrich, dies fehlte noch, um sie ganz elend zu machen! Wie wird sie sich trösten können, die dargereichte Hand so kalt und fremd zurückgestoßen zu[155] haben? Mußte Reue noch den innern Unfrieden mehren! Vielleicht, erwiederte Stephano, nimmt sie es auch weniger trübe auf, vielleicht glaubt sie, daß im Laufe fortschreitender Ereignisse die Unabänderlichkeit des Erfolgs auf dem Ursprung früherer That beruhet, der selten dem Einzelnen allein angehört. Man sagt sich das so gern zum Trost, wenn Neigungen uns fortreißen, und Zorn und Liebe mit unsrer Freiheit spielen. Sie waren unter diesem Gespräch zu des Grafen Wohnung gegangen, und betraten Rosaliens Vorzimmer, als ihnen die Gräfinn entgegen eilte, und im bittersten Unmuth zurief: sie weiß alles! Meine Ungeduld hat die Entdeckung beschleunigt! Ich bin außer mir über die kränkliche Weichlichkeit der Männer. Eine Thräne zieht[156] Euch aus Eurem Gleichgewicht und wiegt das Bischen Besonnenheit auf, das Euch zu Theil ward. Geht nur, fuhr sie fort, und helft bereuen, was ihr verdarbt, denn weiter versteht Ihr doch nichts. Ich bin recht unglücklich, von lauter Männern umgeben zu seyn! Miranda ist leider seit wenigen Tagen mit ihrer Mutter im Bade, und ich traue mir selbst nicht mehr, seit alles solche Wendung nimmt! Der Graf war indessen von Rosalien gekommen, und versicherte: sie sey um vieles ruhiger, seit sie Alexis Brief gelesen, den er ihr ohne Rückhalt mitgetheilt habe. Sie gingen insgesammt zu ihr hinein, und fanden sie auf einem Ruhebette, den Brief in der Hand, den sie Rodrich sogleich mit den Worten gab: Sehen Sie, das ist der Fluch, der mich traf,[157] daß mich alles wie eine giftige Blume flieht und ich das Liebste ins Grab stürze! Rodrich beugte sich in stummen Schmerze über ihre Hand, während sie ihn drängte, folgende Zeilen zu lesen.

»Tadlen Sie es nicht, mein gütiger Beschützer, wenn ich so plötzlich aus Ihrem Kreise verschwinde, und mich aufs neue dem ungewissen Spiele des Lebens überlasse. Sie fühlten es wohl eher, wie schwer es dem Menschen wird, von allem was er liebt zu scheiden, und in fremden Herzen die Theilnahme zu suchen, die er in der geliebten Heimath zurückläßt. Aber gewiß, es muß so seyn! Ich habe lange mit wachen Sinnen die Träume der Kindheit fortgespielt, und meine Arme sehnend nach einem Schattenbilde[158] ausgebreitet. Ein heftiger Sturm zerriß die Nebel. In der Erschütterung findet der Mann sich am ersten wieder. Ich thue endlich, was ich längst gesollt. Nicht jeder darf erwarten, hier seine Wünsche gekrönt zu sehen, und im fruchtlosen Kampfe gegen einen höhern Willen ermatten die besten Kräfte. Vielleicht war ich überall zu schweren Opfern bestimmt, vielleicht sollte ich das irdische Daseyn hinwerfen, um mich selbst zu behaupten! Ich folge der innern Stimme, und eile, meines Heilandes Ruhm auf fernen Küsten zu verbreiten oder unterzugehen. Tragen meine Wünsche mich einst zu Rosaliens Füßen, so wird sie den Helden im Märtyrer ehren, und ihm die Achtung wiederschenken, die sie dem schwankenden[159] Jünglinge versagte. Ach, mein geliebter Vater, könnte ich an ihrem Herzen alle Liebe und alle Sehnsucht ausweinen, und Ihren Seegen mit in die dunkle Zukunft nehmen! Aber ich soll Sie nicht mehr sehen! Ich muß, ich muß fort! Ewig der Ihrige.

Alexis.«


Ich hätte es wissen sollen, sagte Rosalie, wie das zurückgeschreckte Gefühl immer das Äußerste ergreift und sich selbst in der verlornen Hoffnung vernichtet. Aber ich kannte nur den eignen Schmerz und sah überall nichts als den Spott eines höhnenden Schicksals! – Warum mußte ich auch gerade da mit dieser ängstigenden Beständigkeit geliebt werden, wo mein Herz unverändert schwieg! Die Gräfinn die nur froh war, daß Rosalie wieder[160] sprach, und im eignen Unglück Trost und Entschuldigung für Alexis Schmerzen suchte, fragte begierig, wie es zugegangen sey, daß der Ritter bei so viel Liebenswürdigkeit und einem fast demüthigen Hingeben auch in frühern Kinderjahren nie einen günstigen Eindruck auf sie habe machen können? Ich weiß nicht, erwiederte Rosalie, warum mir die Wünsche meiner Mutter, die Alexis sehr liebte, und die kleinen Neckereien meiner Gespielinnen, ehe ich sie noch ganz verstand, Widerwillen erregten, und ich ein Glück verschmähete, das mir von allen Seiten gezeigt ward. Das frei ausströmende Gefühl hätte sich vielleicht dahin gerichtet, wohin man es absichtlich zu lenken suchte; allein jeder Schein von Zwang empört ein jugendliches Herz, und ich betrübte[161] oft die gütige Mutter durch einen Widerstand, in welchem sie mehr Eigensinn als Abneigung erblickte. Ach, und sähe sie mich jetzt! Verstoßen, zernichtet den Unglücklichen, den sie beschützte, elend durch mich, die ihn beglücken sollte! War es doch von jeher mein Loos, die Erwartungen derer zu täuschen, die mit voller Seele an mir hingen! Welche Mutter, sagte Stephano, darf auch hoffen ihre frommen Wünsche gekrönt zu sehen? Darum blicken wir so wehmüthig auf unsre Kindheit zurück, weil der einsame Mensch die goldnen Träume wieder erkennt, die seine Wiege umflatterten, und das Paradies, das ihm in der mütterlichen Liebe erblühete, so unschuldig aus den Trümmern eines zerbrochnen Lebens hervorsieht! Rosalie, die aufgestanden[162] war, trat zum Clavier und sang folgendes Lied:


Hier im Walde, süßes Leben,

Hier im Walde ruhe sanft;

Sieh, es neigen sich die Zweige,

Flechten dir ein Blüthendach.


Und es rauschen durch die Blätter,

Von den Lüften angefacht,

Linde Töne, dich zu wiegen

In den lang ersehnten Schlaf.


Will dich auf den Rasen betten,

An der frischen Quelle Rand;

Wächter sind dir meine Sorgen

Schutz und Wehr, der Mutter Arm.


Blumen sprießen aus der Erde,

Hüllen dich in farb'ge Pracht,

Und die zarten Düfte weben

Luft'ge Schleier um dein Haar.


Wie sich schon die Augen schließen,

Und der Wimpern dunkles Schwarz,[163]

Auf dem ros'gen Hauch der Wangen,

Athmend auf und nieder wallt.


Reitzend schmiegen sich die Glieder

Wie Crystalle licht und klar

Auf dem frischen Blüthenteppich,

Schimmernd in der Sterne Glanz.


Lößt sich doch mein ganzes Innre,

Seh ich dich so reich begabt;

Und die Freudenthränen fließen

Auf dich Engelsbild herab.


Jesus, schreit das Kind im Traume,

Jesus, sieh das Schlangenpaar,

Wie es sich durch Blumen windend,

Drohend aus dem Dickicht nah't.


Mutter, nun hat's mich ergriffen,

Sieh die Ringel um den Hals;

Blut'ge Thränen muß ich weinen,

Wie es mich am Herzen faßt.


Schlangen, Kind, sind goldne Reisen,

Sagt sie lächelnd, küßt es wach,

Und die Thränen deuten Perlen,

Dich zu schmücken am Altar.
[164]

Sinnend ging das Kind von dannen,

Bis es Traum und Wald vergaß.

Ach ihm zeigte bald das Leben,

Was die flücht'ge Ahnung war.


Alle fühlten sich auf eine eigene Weise durch das Lied bewegt. Selbst die Gräfinn gedachte mit Rührung einzelner vorüberrauschender Anklänge ihrer Kindheit, und fühlte zum erstenmal schmerzlich, niemand zu haben, in dessen aufblühendem Daseyn sie jene entschwundene Hoffnungen und Freuden wiederfände. – Ganz anders blickte Rodrich auf sein verlassenes Leben! Hatte je eine Mutter Freudenthränen auf sein kümmerliches Lager vergossen? oder waren die matten Wünsche eines sterbenden Greises die einzigen Segnungen, die für ihn zum Himmel stiegen? Warum mußte er unter Tausenden[165] so loßgerissen und verlassen da stehn! Was war alle Theilnahme fremder Menschen gegen das innige Zusammenhalten, das Ineinanderströmen aller Gefühle einer Familie! Ach, und wie durfte der Glückliche klagen, der in der bedrängten Gegenwart noch die Erinnerungen seeliger Vergangenheit rettete. War er nicht überall, auch an Florio's Seite, ein Fremdling gewesen? und sah ihn die sorgsame Mutter aus ihrem Kreise treten? Drängt mich, fragte er sich bitter, das Schicksal etwa darum so gewaltsam in mich selbst zurück, daß die riesenhaften Wünsche übermäßig emporschießen und ich die Welt wie ein Atlas auf meinen Schultern tragen soll? Die innern Schatten gingen über sein düsteres Gesicht, und Seraphine, die ihn eine Zeit lang angeblickt,[166] sagte lächelnd: mir wird fast bange in dieser trüben Gesellschaft. Kinder, ich bitte Euch, laßt uns nur einmal wieder aus voller Seele lachen und aller störenden Erinnerungen vergessen! Was hülfe das, sagte Rosalie, der Schmerz lebt immer wieder auf, man wird ihn trotz allem Widerstande niemals los. Sagen Sie das nicht, erwiederte Stephano, es ist entweder überall, oder nirgend Glückseligkeit zu finden. Wie verstehen Sie das? fragte Rosalie. – Ich meine, erwiederte er, wer es dahin gebracht hat, die Bedeutung jeder Störung zu ahnen, müsse die innere Harmonie sogleich wiederherstellen und über jeder momentanen Unterbrechung schweben können. Das kann nur die Unschuld, oder die göttliche Weisheit, erwiederte Rosalie, was[167] dazwischen liegt, wird gleich einem Ball hin und her getrieben, und erliegt endlich der steten Anstrengung. Ach, und sagte nicht der Heiland am Kreutze: Herr, wenn es seyn kann, so laß diesen Kelch an mir vorübergehen! Warum sollten wir uns mit einer störrigen Tugend brüsten, die jeder irgend einmal verleugnet. Es ist doch eigen, sagte der Graf, der während dem nachdenkend auf und ab gegangen war, wie Familienähnlichkeiten so wiederkehren. Ich hatte einen ältern Bruder, den mir Alexis lebhaft zurückruft. Er verschwand einem Freunde zu Liebe aus der Welt, und sein verschollnes Andenken lebt nur noch in meiner Brust. Wir beide, setzte er hinzu, erregten den Zorn der Geistlichkeit, weil wir der Kirche einen Diener entzogen, weshalb[168] ich auch mein Vaterland niemals wiedersah! Auch Alexis Mutter traf das Schicksal ihrer Brüder. Eine schnell vollzogene Heirath rettete sie nur vor kränkenden Verfolgungen. So gewiß ist es, sagte er halb vor sich, daß der Einzelne, wie er sich selbst ungetreu wird, alle Andre mit ins Verderben zieht. – Die Zeit, fuhr er nach einer Weile fort, hatte nach und nach einen Theil unsrer zerstreuten Familie hier wieder versammelt, und wer weiß, wo wir noch einst den theuren Jüngling antreffen! In der geliebten Heimath, mein Vater, sagte Rosalie, wo die beruhigten Herzen still an einander schlagen und alle Wünsche sich in einer seligen Umarmung auflösen. Der Graf blickte wehmüthig auf ihr bleiches Gesicht und drückte sie schweigend an die[169] Brust. Vergebens hatte Seraphine wiederholt gesucht das Gespräch auf freudigere Gegenstände zu lenken; sie stand endlich ermüdet auf, und begann hunderterlei kleine Geschäfte, wobei sie unruhig nach der Uhr sah und jedem vorüberrollenden Wagen verlangende Blicke nachsandte. Rosalie, die es bemerkte, sagte endlich: Geliebte Seraphine, Ihre Wünsche tragen Sie nach dem Schauspiel. Lassen Sie doch, um alles, durch mich die gewohnte Lebensweise nicht unterbrechen; ich wäre sehr unglücklich, wenn meine Gegenwart auch Ihre schuldlosen Freuden trübte. Und glauben Sie nur, setzte sie hinzu, als die Gräfinn im Begriff war, den Vorschlag abzulehnen, ich bedarf der einsamen Stunden, um mich zu sammeln, und Ihnen Allen ein heitres Gesicht zu[170] zeigen. Der Graf war Rosaliens Meinung, und fand es um so nothwendiger, gerade heute öffentlich zu erscheinen, um des Ritters schneller Abreise den Anschein des Gewöhnlichen und Vorhergesehenen zu geben. Du weißt, sagte er, wie sehr die allgemeine Aufmerksamkeit auf unser Haus, als Fremdlinge und Anhänger der neuen herzoglichen Familie, gerichtet ist, und wie oft man sich schon der innern Störungen gefreut hat. Seraphine sah ihre Wünsche gern durch so triftige Gründe gerechtfertigt und lud Rodrich und Stephano ein, sie zu ihrer Loge zu begleiten. Rosalie reichte ihnen beim Abschiede die Hand, und sagte gerührt: geht nur, Ihr Glücklichen, die noch alles freut und jede neue Lust eine frohe Zukunft voraussagt; was Euch bewegt,[171] glühete auch einmal in diesem verödeten Herzen!

Als ihr Wagen an den Fenstern vorüberrollte, wo die einsame Rosalie wie ein Marmorbild an einer Säule lehnte, hub der Graf an: Wenn ich nur begreifen könnte, wie das tiefe Gefühl der Frauen so oft der kalten herzlosen Eitelkeit der Männer erliegt, und ihre leidenschaftliche Ausdauer allein das matte Spiel erhält. Dieser Ludovico war ein feiner, anmuthiger Jüngling, voll kleiner Talente für die Gesellschaft, geschmeidig, hingebend, ohne Liebe und ohne Haß, leidenschaftlich, so viel es braucht um ein Weiberherz zu berücken, doch ohne Zärtlichkeit und Mitgefühl. Er wählte Rosalien, wie er jede Andre gewählt haben würde, und verließ sie eben so. Er folgte auch hier[172] nur den willenlosen Regungen verzärtelter Herzen, und wollte ihr eigentlich nicht wehe thun. Er meinte, es solle sich alles so fügen, und es ist wohl nicht unbedeutend, wie das Schicksal so kurzsichtiger Plane spottet. Der lächelnde, schwankende Ludovico, der nichts als gefallen und der herrschenden Meinung jedes Opfer bringen wollte, mußte die unsichre Hand in das edelste Blut tauchen und scheu das Vaterland fliehen. Es ist unbegreiflich, sagte Rodrich, wie Rosaliens hohe Natur sich bis zu ihm neigen konnte! Die gänzliche Charakterlosigkeit, erwiederte Stephano, hat dies mit der reichsten Fülle gemein, daß sich in beiden die ganze Welt spiegelt. Frauen wollen in der Regel im Einzelnen das Ganze umfassen. In der gränzenlosesten Hingebung[173] vergessen sie, daß sich der leere Grund flacher Seelen wie eine Schraube nach allen Seiten dreht, und nur den Schein des Bildes aufnimmt. Erwägen Sie noch, sagte die Gräfinn, daß der erste Blick, der ein unbewachtes Herz berührt, für das ganze Leben entscheidet, und die spätere Überlegung jenes Zusammenfallen keimender Gefühle nicht wieder aufhebt. Tiefen Gemüthern bleibt dann der Schmerz, indessen Leichtgesinntere mit der Liebe spielen, oder sie, wie ein verzehrendes Gift scheuen. Eine flüchtige Röthe überzog bei diesen Worten ihr Gesicht. O, sagte sie schnell, als der Graf ihr lächelnd die Hand reichte: gedankenlose Tändeleien gehören nicht hieher. Ich bin leicht über das Leben hingegangen, ohne je meine Eigenthümlichkeit[174] einzubüßen, und was mir Eitelkeit als wahr aufdringen wollte, habe ich bald gegen etwas edleres vertauscht, setzte sie schmeichelnd hinzu, und hüpfte, als der Wagen eben hielt, zu dem breiten schönen Portal hinein, an dessen Eingang der Gelehrte stand, und ihnen sagte, daß der Herzog oben und das Spiel bereits angefangen sei. Was wird denn gegeben, fragte Seraphine gleichgültig? Alle lachten, daß Niemand bisher daran gedacht hatte, und als der Gelehrte Macbeth nannte, sagte die Gräfinn, ich hätte so etwas erwarten können, da der Herzog zugegen ist. Liebt er das Tragische so ausschließend, fragte Rodrich? Ich weiß nicht, erwiederte Seraphine, allein es ist, als wolle er sich an den Riesengestalten aufrichten, und als bedürfe[175] er es, alle Schauer der Hölle außer sich zu sehen, um innerlich ruhiger zu werden. Wieder das alte Mißtrauen, rief der Graf unwillig; ich dächte, vorherrschende Neigungen sollten in Dir eine billige Richterinn finden. Nun mindestens, erwiederte sie, wollen die schlaffen Sinne durch eine derbe Erschütterung gehoben seyn, denn so außer allem Zusammenhange mit dem übrigen Menschen stehen seine Neigungen doch wohl nicht. Ich weiß nicht, sagte der Gelehrte, ob die Sehnsucht nach dem Gediegenen, in sich Feststehenden, gerade von einer kraftlosen Seele zeugt, oder ob nicht vielmehr dies Bedürfniß selbst schon erweckte Kraft ist, die sich nach einem Wiederschein von außen sehnt. Auch für Sie, sagte die Gräfinn lachend, ist es genug, daß man[176] den nordischen Dichter liebt, um etwas Edles in dieser Vorliebe zu finden! Gewiß, erwiederte er, sind es nur befangene Menschen, die sich in ihm so wenig als in der reichen Gestaltung der Natur finden können. Das Nationale der Farbenmischung, so wie alles dasjenige, was dem Zeitmoment angehört, sollte billig für Niemand eine Störung seyn, der die mannichfache Bedeutung der Natur aufsucht. Und wie Shakespear auch in der blos äußern Darstellung frühere Zeitalter verstand, wie südliche Gluth in ihrer höchsten Fülle, in der zartesten Lieblichkeit ihn durchdrangen, das sehen wir in den historischen Stücken und in Romeo und Julie.

Sie traten jetzt in die Loge, und Rodrich ward durch den Anblick der[177] wogenden schimmernden Menge, die das weite Haus umfaßte, wie durch den Glanz der herzoglichen Umgebungen angenehm überrascht. Er kannte bis jetzt nur einzelne herumziehende Truppen, und der hohe Maaßstab römischer Amphitheater war zu dem beschränkten Raum elender Breterbuden zusammen geschrumpft. Jetzt eröffnete sich ihm ein neuer ungeahneter Genuß. Vergangenheit und Gegenwart traten lebendig vor ihn hin und rissen ihn unaufhaltsam fort. Die Schauspielerinn, welche Lady Macbeth darstellte, spielte mit einer erschütternden Wahrheit. Rodrich fühlte die Gewalt, mit welcher sie den in seiner Grausamkeit schwankenden Gemahl zum Ziele riß. Und als nun die That geschehen war, und die freche Sünde noch einmal mit[178] der Reue stritt, bis diese sie gespenstisch anfaßte und der bleiche Tod auf den starren Zügen lag, da überfiel ihn eine Angst, daß er kaum aufzublicken wagte. Um sie los zu werden, theilte er Macbeths Trotz, und focht in Gedanken für ihn um den Thron, bis sein blutiges Haupt die furchtbare Prophezeyung löste und das Verderben der Rache die Hand bot.

Rodrich saß mit klopfendem Herzen da, auf allen Gesichtern lag Entsetzen. Zufällig blickte er nach der herzoglichen Loge. Die tief gebrannten Lichter warfen unsichere Schatten, ihm war als schwankte der Herzog und wolle niederfallen, unwillkührlich sprang er auf, als ihn Seraphine bei der Hand faßte, und unruhig sagte: Lassen Sie uns fortgehen, die blutigen Gestalten[179] ängsten mich. Fühlen Sie wohl, sagte der Gelehrte, wie ächte Poesie durch alle Zeiten fortschreitet und nach Jahrhunderten die innere Wahrheit sich in aller Herzen behauptet. Ich wünschte, sagte die Gräfinn, sie nahete sich in freundlichern Gebilden; diese Verzerrungen bemächtigen sich wohl des Gefühls, lassen aber eine widrige Störung zurück. Es kommt darauf an, erwiederte er, ob man bei dieser stehen bleibt, oder bis zur Idee des Gedichts hindurchdringt. Das Laster in dem verblichnen Schein mattherziger Tugend auftreten zu lassen, so wie das Verbrechen auf den halben Weg zu führen, um ein verpfuschtes Leben durch ohnmächtiges Wollen und thörichtes Vollbringen zu verwirren, das war jenen frühern Dichtern fremd, die alles scharf[180] und bestimmt außer sich hinstellten, und wie die Urkräfte der Natur das Chaos gewaltsam durchbrachen. – Das mag seyn, sagte die Gräfinn, aber wir sind längst über den Zeitpunkt hinaus, wo das rohe Walten jener Kräfte dem Menschen so nahe lag, daß er sein eignes Daseyn darin wiederfand, und wie Sie es auch stellen mögen, die Erscheinungen heutiger Zeit sind dennoch milder, beruhigender, kurz unserm Herzen verwandter. Je beschränkter der Kreis, erwiederte der Gelehrte, je näher berühren sich die Gegenstände, und dem ohngeachtet, könnten Sie plötzlich das allgemeine Band einengender Rücksichten von den Herzen der Menschen lösen, und mit ihm den Schein des Gleichartigen weghauchen, Sie würden jetzt, wie damals, das Hohe vom Niedern[181] getrennt im schärfsten Gegensatze erblicken. Daß so oft das einzelne Große in der allgemeinen Nichtigkeit verschwimmt, daß liegt nicht sowohl daran, daß die Menschen nicht können, was sie wollen, sondern daß sie nicht wollen, was sie können. Nun, erwiederte Seraphine, ich kann und will Ihnen gute Nacht sagen und dem langweiligen Streite ein Ende machen, wo jeder Recht behält; denn ich will nun einmal nicht die lustige Gegenwart für jene halb verwischte, unkenntlich gewordene Bilder der Vergangenheit hingeben. Wer so frisch und lebendig in ihr erscheint und alles um sich her verschönt, sagte der Gelehrte, der hätte auch Unrecht, eine so reitzende Einheit zu unterbrechen. Gottlob! sagte sie lachend, Sie ersetzen mir den Ritter;[182] nun, wir wollen bald mehr streiten, jetzt schlafen Sie wohl. Sie eilte an des Grafen Arm zum Wagen, und ließ Rodrich mit den beiden Andern zurück, die das Gespräch noch weiter fortsetzten. Sie verkennen in der That das Streben heutiger Welt, sagte Stephano, das sich gerade in der allgemeinen Verwirrung darthut. Sehen Sie denn nicht den Wunsch alles zu umfassen, sowohl aus dunklen als erkannten Regungen hervorleuchten. Und ist es nicht natürlich, daß, seit die Richtungen mannichfacher wurden, der Einzelne den aufgeschloßnen Weg nicht mehr so streng verfolgt, sondern sich nach allen Seiten neigt und die Kräfte auf tausend Weisen übt. Mich dünkt aber, sagte Rodrich, der erweiterte Kreis werde den innern Reichthum nicht schmälern,[183] so bald ein fester Punkt da ist, wohin man zurückkehrt, und es ist ja nach früher geäußerten Grundsätzen auch wohl Ihre Meinung, daß darin die Consequenz der Allseitigkeit bestehe, in Vielem das Eine aufzusuchen und zu reflektiren. Ganz richtig, erwiederte Stephano, aber dies Eine ist jetzt nicht sowohl der Mensch, als die Menschheit überhaupt. Dasselbe, sagte der Gelehrte, war weit früher und auf eine weit würdigere Weise die Tendenz des Christenthums, und ist die Aufopferung des Individuums im Staale bei den Römern etwas anderes? Ganz gewiß, erwiederte Stephano, denn Christenthum und Römischer Staat sind zwei abstrakte Begriffe, die sich in der Idee der Menschheit erst auffinden. Daher die Einseitigkeit, zu der beide ausarteten.[184] Und was ist denn die jetzige Universalität? fragte der Gelehrte. Ich sage nicht, daß sie überall schon etwas ist, erwiederte Stephano, allein man darf ahnen, wohin alles führt. Manches Licht glüht im Verborgnen, und – ein zerlumpter Knabe nahete sich hier mit einer Laterne, und fragte, ob er ihnen zu Hause leuchten sollte. Sie sahen mit Erstaunen, wie das alles leer und dunkel um sie war. Der wieder aufgezogene Vorhang zeigte ihnen die erloschnen Lampen, und schmutziges Gesindel, das den Weihkessel der Prophetinnen, Birnams Wald und Maebeths blutiges Schwerdt hin und her zerrte. Das nackte Gerüst blickte sie frostig nach dem lebendigen Spiele an, der Zugwind strich durch die geöffneten Thüren und bewegte die halb sichtbare[185] Thalia auf dem Vorhange schauerlich hin und her, das letzte Licht erlosch und sie mußten des Knaben Anerbieten benutzen, um die langen Gänge hindurch zu finden. Schweigend begrüßten sie einander im Vorhofe, und jeder ging den eignen Weg.

In Rodrichs Seele stiegen dunkle Ahnungen auf, und kämpften mit dem unbezwinglichen Drange nach Größe und Herrlichkeit. Was ist es denn mit den Wünschen der Menschen, sagte er muthlos, wenn ihn am Ziele die vergeudete Kraft und die hingeworfene Blüthen unter Trümmern eines gescheiterten Glückes begraben, und alles was ihn hier bewegte, in einen erstarrten Blutstropfen zusammendringt! Und wird nicht einem jeden, wenn die Jugend zerronnen und der frische Glanz verblichen[186] ist, die Wirklichkeit wie ein Gerippe erscheinen? Thäte man denn nicht besser, sich langsam vom Strom dahin treiben zu lassen, wohin man doch einmal gelangt, als mit ängstlicher Hast die wohlthätige Trägheit der Zeit zu beflügeln? Hier ging ein Mädchen mit einer Cyther vorbei, von deren vorüberrauschendem Gesange er nur folgende Worte erhaschte:


Laß die Schatten zieh'n und wandeln,

Flüchtig Spiel fand nimmer Stillstand,

Wünsche wechseln wie Gedanken,

Bleibend Licht erfreut hier Niemand.


Leben ist ein streitend Lieben,

Lieb' im Streit des Lebens Anfang,

Wie sich Muth und Kraft entbinden,

Strömt erst siegend kühler Balsam.


Die schlanke Gestalt hüpfte so leicht über die Straße hinweg, während sie[187] mit den zierlichsten Bewegungen den Takt der Musik angab, daß ihr Rodrich noch lange nachsah, als die Töne schon in der Ferne verhallten, und er nur noch ganz schwach »Leben ist ein streitend Lieben« zu hören glaubte, Worte die sein Herz mit der wehmüthigsten Sehnsucht erfüllten. Er konnte sich viele Tage hindurch nicht wiederfinden, und die Geschäfte seines neuen Berufs ermüdeten ihn zum erstenmale, statt ihn aufzurichten, selbst der Ernst des Grafen schien ihm erkünstelt, wie das ganze Treiben zwecklos. Die weite Aussicht einer thatenreichen Zukunft beschränkte sich immer mehr auf einzelne wiederholte Uebungen, die mit dem Reitz der Neuheit auch jede anregende Kraft verloren. Rücksichten, die er früher nicht geachtet, dünkten ihn[188] jetzt lästig. Ja ihm war, als schlänge sich die Kette des Alltäglichen immer fester um ihn herum, und werde ihm zuletzt jede freie Bewegung rauben. Die behagliche Wohlhabenheit seiner Lage achtete er nicht mehr, seit er sie besaß. Der üppige Erguß des Glückes hatte ihn überfüllt, und er betrachtete die Welt wie jemand, der in der aufblühenden Jungfrau die erstorbenen Züge der Matrone erblickt. Die innere Unzufriedenheit wuchs, da er immer auf demselben Punkt blieb, und nirgends einen Fortgang sah. So lange er der Kunst gelebt, erkannte er einen großen Zweck, dem er kräftig entgegenarbeitete. Was er damals suchte, war ihm plötzlich nahe getreten, er hatte es erfaßt, und glaubte mit einem raschen Anlauf das höchste Ziel zu er schwingen.[189] Jetzt ging alles den gewöhnlichen Gang, und was er wünschte und haßte, was er früher geträumt, schwebte in verworrenen Bildern vor Ihm her, und verfinsterte seinen Weg. Oft wollte er sich Stephand entdecken, allein ihn schreckte sein kalter Blick und die Verstandesruhe, mit welcher er über menschliche Verhältnisse hinaussah. Rosalie war krank, und ließ Niemand vor sich. Seraphine hatte einigemal sein langweiliges Gesicht belacht, er verlor die Lust an ihrer Gesellschaft, seit er aufgehört hatte, ihr neu und interessant zu seyn. So verflossen ihm mehrere Wochen. Die wechselnden Gegenstände erregten seine Aufmerksamkeit nur schwach, und er selbst ging unbeachtet als eine gewohnte Erscheinung an den Menschen hin.[190]

Einst als ihn ein langer Spatziergang vor dem alten Schlosse vorüberführte, gedachte er jenes Abends mit neuer Rührung. Rosaliens Bild schwebte auf dem Altane, er begriff nicht, wie er es je verkannt hatte, daß sie in seinem Herzen lebe und ihn von der Welt entfernt habe, wo er sie längst nicht mehr fand. Alexis plötzliches Verschwinden hatte auch jene frühere Eindrücke betäubt, und die Worte der kleinen Sängerinn verwirrten seine Gefühle, statt sie zu entfalten. Jetzt war ihm alles so klar, er fühlte es bestimmt, daß sie es war, die ihm fehlte. Voll heitrer Erwartungen wandte er sich zur Stadt. Er wollte sogleich zu ihr gehen, sie sollte in dem milden Schein der zartesten Liebe genesen; nie, das gelobte er sich, dürfe ein kühnes Wort ihr[191] Gefühl verletzen. Im Verborgnen solle die Blüthe reifen und einst die innigste Treue lohnen. Alles schien ihm leicht und sicher. Sein Inneres wogte wie die reichen Kornfelder, die er froh durchstrich. Er blickte heiter um sich her. Ueberall ruhete ein seliges Schweigen, man hörte nur das Flistern der vollen Aehren, die sich leise zu einander neigten; die ganze Flur schwamm im klaren Sonnenlichte und die hochrothen Dächer der Stadt glüheten wie eine Purpurwolke. Ihm war fast wie an jenem Morgen, da er das Kloster verließ, nur fühlte er sich stiller, die Welt hatte andre Erwartungen in ihm erregt, und er lauschte sehnend auf jeden Athemzug der Freude. In dieser weichen, zärtlichen Stimmung, trat er unter die Platanen, wo er Seraphinen[192] bei ihren Blumen antraf. Kommen Sie Rosalien Glück zu wünschen? fragte sie heiter, ihr die den ersten Tag außer dem Bette zubrachte, und wieder Zerstreuung sucht und findet. Gehen Sie nur hinein, sie wird Sie gern empfangen. Es war ihm nicht eingefallen, daß Rosalie für ihn nicht sichtbar und fortwährend krank seyn könnte, und dennoch ward er durch die Nachricht ihres Wohlseyns überrascht, und sah sie als eine günstige Vorbedeutung seiner Wünsche an. Er fand Rosalien schöner als jemals. Das zarteste Weiß umfloß wie ein Hauch die edle Gestalt. Sie saß an einem offnen Fenster und freuete sich der milden Luft, die mit ihrem Haar spielte. Die untergehende Sonne spiegelte sich in dem Strom und färbte mit den letzten Strahlen die[193] bleiche Wange der Kranken. Vor ihr stand ein offnes Kästchen, in welchem sie beschäftigt war Briefe zu ordnen. Helfen Sie mir, sagte sie lächelnd, meine Liebe zu Grabe tragen. Diesen Schatz will ich in die Erde versenken, damit kommende Geschlechter sehen, wie geschickt man einst heimlich zu morden wußte. Nein, fuhr sie nach einer Weile fort, Niemand ward je so unerhört betrogen! Lesen Sie, ich bitte Sie, lesen Sie diese beiden Briefe, sie sind um wenige Tage aus einander. Ach Gott, ich müßte Ihnen wohl mehr sagen! nun ja – Sie wissen, ich liebte – ein Strom von Thränen benetzte ihr Gesicht; ach, ich habe ihn unbeschreiblich geliebt, sagte sie wehmüthig; unbeschreiblich! Wenn ich der ersten süßen Regungen gedenke, wie alles so[194] friedlich war und die bescheidnen Wünsche mich in selige Träume wiegten, und wie dann plötzlich alles die Gränzen überschritt und die gewichtige Leidenschaft die heiligsten Bande zerriß! Rodrich war in der peinlichsten Lage. Diesen Beweis ihres Vertrauens hätte er gerade heute gern entbehrt, und sein Herz ward durch die Ausbrüche ihres Schmerzes tausendfach zerrissen. Mein Bruder, fuhr sie fort, mißbilligte meine Wahl, Alexis verspottete sie, während der Herzog, der da mals um Seraphinens Liebe warb, die Flamme auf alle Weise anschürte. Mein Vater blieb allein ruhig, und meinte, ich würde wohl selbst von dieser Thorheit, wie er es nannte, genesen. Nach und nach erhielt indessen unser Verhältniß eine Art von Gültigkeit vor der Welt, nur[195] ward Ludoviko fortgesetzt kalt, ja feindselig von meiner Familie behandelt, was mich den bittersten Kämpfen hingab, und oft dahin trieb, meine Wünsche und Hoffnungen hinzugeben, um ihm ähnliche Kränkungen zu ersparen. In einem solchen Augenblick schrieb ich ihm, als er den Herzog auf einer Reise begleitete, diese Worte, die ich der merkwürdigen Auslegung wegen späterhin wieder aufzeichnete und hier bewahre.

»Wie lieb' ich Dich, mein Ludoviko, der schonenden Ruhe wegen, mit der Du jede Unannehmlichkeit erträgst, die Dich meinetwegen trifft. Aber glaube nur, gerade was mich unauflöslich an Dich kettet, das flößt mir oft den Gedanken ein, mich selbst aufzuopfern, um Dich unter würdigern Umgebungen ein schöneres Glück genießen[196] zu lassen, als Dir meine Liebe giebt. Ach! fühle es nur, wie ich ganz in Dir lebe, um so etwas denken zu können, und bist Du stark genug, Dich meinetwegen zu verleugnen, so tödte die Schwäche nicht, mit der ich dennoch meinen Wünschen schmeichle.«

Bald darauf erhielt ich folgende Antwort.

»Dahin hat es also die kurze Trennung gebracht! Rosalie, so schnell konntest Du den Gedanken fassen, mich aufzugeben? so geläufig ist er Dir geworden, daß Du mir ihn ohne Rückhalt mittheilst? Will sich denn alles von mir wenden, und soll ich jede freudige Erscheinung meines Lebens schwinden sehen! Aber Du hast Recht. Der Kampf, der Dich zwischen[197] Deinem Bruder und mir hin und her treibt, fällt Deiner sanften Seele zu schwer. Einen von beiden mußtest Du fahren lassen. Ich weiche, Rosalie. Du hast mich die Nothwendigkeit einsehen gelehrt, und ich muß die zarte Hand segnen, die mir so schonend diese Wunde schlug.«

Ich war weit entfernt das Gift zu ahnen, das hier verborgen lag, und sah in allem nur ein Uebermaaß leicht zu verletzender Zärtlichkeit. In diesem Sinne und in einem Gemisch von Unruhe und dankbarer Rührung schrieb ich ihm eines Morgens, als mein Bruder mit so verstörtem Gesicht zu mir hereintrat, daß ich erschrocken aufsprang, ohne den Muth zu haben, nach der Ursach seines Kummers zu fragen. Er ging schweigend auf und ab, dann[198] nahete er sich mir mit einem Blick, in welchem Tod und Verderben lag. Rosalie, sagte er mit zitternder Stimme, wir sind beschimpft, Ludoviko hat dich verlassen, und mich und uns Alle dem Gelächter preisgegeben. Ich weiß nicht deutlich, was ich damals empfand, allein ich erinnere mich, daß ich freier athmete, seit ich wußte, was ihn so gewaltsam bewegte. Ich hatte etwas Aergeres gefürchtet, und sagte nur: also ist er doch nicht todt? – Wollte Gott, er wär' es, erwiederte Fernando; aber zweifle nicht an seinem Untergang, so lange ein Athemzug in mir ist, soll er die Schmach büßen. Oder trauest du meinen Worten nicht? Glaubst du, man kennet mich nicht genug, um mir ein leicht ersonnenes Mährchen aufzuheften. Sieh, ich schwöre dir, er ist[199] für dich verloren. Gestern war seine Verlobung mit einem schönen, unschuldigen Mädchen, das sich ihm so vertrauend hingab, wie du. Aber ich will diese Taube retten. Der Weg zum Altar geht nur über meine Leiche. Ich hatte alles in dumpfer Verwirrung angehört, und wußte nicht, was ich glauben und fürchten sollte. Mein Bruder schloß mich ungestüm in die Arme, und nachdem er mich auf die Stirn geküßt, sagte er: so stähle ich dich gegen alle glattzüngige Verführung, und könntest du diesen Kuß vergessen, so möge er dich brennend an meine Worte mahnen. Er stürzte außer sich zum Zimmer hinaus, ach! und niemals fühlte ich das treue Herz wieder an dem meinigen schlagen! Sie hielt einen Augenblick ein, dann sagte sie: wenn ich einen Augenblick nachdenke,[200] wie alles plötzlich so da stand, wie es mir oft in Fieberträumen vorschwebte, so ist mir's unbegreiflich, wie der Mensch die warnende Stimme überhört, die oft so furchtbar aus seinem Innern heraufdringt, und wie die anschwellenden Wogen ungezügelten Verlangens ihn von Klippe zu Klippe reißen, bis das lang Gefürchtete, Ungekannte ihn aus tausend Augen ansieht und er in dumpfer Verwirrung dem Verderben in die Arme sinkt! Ich faßte auch damals mein Unglück nur halb. Fernando hatte mich erschüttert, ohne mich zu überzeugen. Welch schuldloses Herz ahnet auch diese Verrätherei! Ludoviko's Brief löste endlich jeden Zweifel, und meines Bruders blutige Gestalt drängte mich aus einer Welt, wo mir nie eine Freude blühet![201]

Sie nahm hier ein Blatt aus dem Kästchen, und gab es Rodrich, der in der heftigsten Bewegung folgendes las:

»Du hast es gewollt, meine Rosalie! Ich folgte Deinem Wink, und faßte die Hand eines frommen Kindes, das auf der Welt Niemand hat, als mich, und dessen freies Gefühl dem Manne unbedingt angehört, der es zu beschützen und durchs Leben zu führen verhieß. Warum sollte ich es Dir verhehlen, daß ich mich in meiner jetzigen Lage ruhiger fühle, wo ich auch dich frei von ängstlichen Kämpfen und unsre Gefühle zu einer schönen Freundschaft veredelt sehe, die, sich nach den Umständen modifizirend, einen ganz eigenthümlichen, Dir angemessenen Charakter behaupten wird. Wie könntest Du auch ein Band lösen[202] wollen, das Du selbst so fest knüpftest! Wie könnte ich je die hohe edle Natur weniger in Dir lieben! Wir sagten es uns wohl früher mit Wahrheit, daß solch ein Bund unzerstörbar sey, und so bleibst Du mir die treue Freundinn und der schützende Engel meiner Serena. Sage Deinem Bruder, daß ich ihm jetzt, wie immer, die Hand zum Frieden reiche, und wie ich hoffe, daß er sie nicht verschmähen werde, da uns nichts Aeußeres mehr trennt.«

Wie ist es möglich, sagte Rodrich, daß Sie dieser feigen Halbheit nur eine Thräne schenken konnten! Tadeln Sie nicht so streng, erwiederte Rosalie verletzt, was Sie unter ähnlichen Umständen vielleicht nicht anders gemacht hätten. Es ist unglaublich, wie sich der[203] Mensch hintergeht, und oft das ganz Gemeine für eine große That erklärt. Nein, beim ewigen Gott, rief Rodrich aus, ich würde den Muth haben zu sagen, wie ich fühle, ohne dem rücksichtslosen Vertrauen eine Falle zu stellen, und dem edelsten Gemüth die Schmach aufzulegen, einen Nichtswürdigen geliebt zu haben! Sie sind wie Alexis! sagte Rosalie schmerzlich. Ach, daß doch Niemand ein krankes Herz zu schonen weiß! Rodrich gedachte seiner Vorsätze, und fühlte sich fremd und befangen in der Nothwendigkeit, so leise auftreten zu müssen. So schwiegen beide einige Augenblicke hindurch, als Rosalie sich aufrichtete und erschöpft in Rodrichs Arme sank. Unwillkührlich drückte er sie an die Brust; ach, süßer Engel, sagte er im Uebermaaß des Gefühls,[204] laß mich dich so durch's Leben tragen; lehne nur dein schönes Haupt an dieß Herz, das so stolz und so selig ist, seit es dein Bild im Innern verschließt! Rosalie blickte überrascht zu ihm auf, dann sagte sie wehmüthig: lassen Sie sich nicht durch flüchtige Regungen täuschen, bewahren Sie die frischen Blüthen vor nächtigem Reif. Rodrich, meine Hand ist kalt und starr wie der Tod, sie hat den Druck der Liebe verlernt, und was mich noch zuweilen in die Welt zurückzieht, das sind Aufwallungen einer sterbenden Jugend. Glauben Sie nur, es giebt Menschen, die so innig von ihrem Unglück überzeugt sind, daß sie auch in den Sonnenblicken ihres Lebens nur dies Geschenk einer liebenden Mutter erkennen, dem todtkranken Kinde die entsetzlichen[205] Schmerzen zu lindern. Er hatte sie sanft auf das Ruhebette gelehnt, und saß, das Gesicht in die Küssen verbergend, weinend neben ihr, als die Thür ausflog und eine unendlich schöne Gestalt, von Seraphinen und den phantastischen Knaben mit brennenden Kerzen begleitet, vor Rosalien hintrat. Miranda, rief diese, so sehe ich Sie noch einmal wieder! Die Prinzessinn neigte sich mit unbeschreiblicher Lieblichkeit zu der kranken Freundinn, und die klaren Blicke schwammen in Wohlwollen und Liebe, als sie nach den ersten gegenseitigen Begrüßungen und den allgemeinen Höflichkeiten, zu denen Rodrichs Vorstellung sie zwang, beruhigend sagte: ich finde Sie bei weitem besser, als ich es nach den üblen Nachrichten erwarten durfte. Jetzt sehe ich,[206] daß alles gut gehen wird, wenn sie nur den Freunden vertrauen wollen. Daher komme ich auch, Sie zu meinem Pavillon zu entführen, wo es mir so oft gelang, eine freudige Vergangenheit zurückzurufen und bessere Erinnerungen mit Ihnen zu feiern. Sie glauben gar nicht, fuhr sie fort, wie oft ich jetzt an der Küste unsrer nordischen Winterabende gedachte, wenn die scharfe Meeresluft uns zwang das Zimmer zu hüten, und wir Alle nach Sonnenuntergang in Shawls und Tücher gehüllt um den Kamin saßen! Es ist seltsam, wie man die bessere Gegenwart zuweilen gern für entschwundene Freuden hingäbe! Sie wissen, wie oft wir mit trüben Blicken auf der erstarrten Natur ruheten, und uns nach der südlichen Herrlichkeit sehnten, die[207] uns Persische und Arabische Mährchen und der Mutter lachende Schilderungen kennen gelehrt; wie wir dann bei den ersten Frühlingslüftchen auflebend, uns so gern überredeten, wenn sich mein Papagey auf den künstlich gezognen Orangen wiegte, wir wandeln in Asiens blühenden Haynen, und gleichwohl streift jetzt ein kalter Ostwind wie ein sehnender Ruf aus der Ferne an mir vorüber, und mitten in der Blüthenpracht freue ich mich der leichten Schauer und der wogenden Nebel, die mich im Fluge zu der alten Heimath tragen. Rodrich dachte hier an Florio, wie er der Einzige sey, mit dem er in die einsame Kindheit zurückgehen könne, und daß ihm dieser Eine nun so fremd geworden, und er nicht einmal wisse, wo er ihn aufsuchen solle.[208] Er war noch so bewegt von dem vorigen Gespräch, er fühlte es jetzt so lebendig, daß ihm Rosalie nie etwas werden könne, und daß er vergeblich suche dieser herbstlichen Rose den Frühlings-Glanz seiner Liebe zu leihen, so daß er gerührt ausrief: Wie glücklich sind Sie Rosalie, sich so schöner Stunden mit einer geliebten Gespielinn zu freuen! Und wie ganz anders muß der Mensch die Welt ansehen, dem theilnehmende Freundschaft zur Seite steht. Miranda betrachtete ihn aufmerksam, während er sprach. In seinem Auge glänzte noch eine Thräne, und Schmerz und Sehnsucht umwölkten das blühende Gesicht. Es ist nur gut, sagte sie lächelnd, daß es Niemand giebt, zu dem nicht irgend ein verwandter Laut dränge, und die öde Brust mit Freude erfüllte![209] – Was sind vorüberrauschende Klänge, erwiederte Rodrich, gegen die innere begleitende Musik des Lebens! Die vollen Accorde dünken uns nur schöner, sagte Miranda, je leiser sie verhallen, und dem unbefriedigten Herzen neue Genüsse verheißen. Lassen Sie uns nicht so ängstlich mit dem Schicksal über jede einzelne Unterbrechung rechten, da es nur von uns abhängt, den Ton da wieder aufzunehmen, wo wir ihn sinken ließen. Das hinge von uns ab? fragte Rosalie. Ach man sieht wohl, wie der Himmel seinen Liebling jedes dauernden Schmerzes überhob, und aus der augenblicklichen Störung neue Blüthen erwachsen ließ. Das ist wohl überall dasselbe, sagte die Prinzessinn, nur glaubt man oft ein trockenes Reis in den Händen zu halten,[210] wenn uns die sprossenden Keime schon mit verhüllten Augen anlächeln. Doch lassen Sie uns nicht über Lust und Schmerz streiten, Niemand glaubt dem Andern, bis er selbst sieht. Darum möchte ich Sie so gern der Einsamkeit entreißen, und in mein kleines Paradies hinüberziehn, wo die Blumen so lustig im Sonnenglanze spielen und alle Sorgen vor der heitern Stille weichen. Ihre Freunde suchen Sie dort auf und Sie genesen in unsrer Aller Liebe. Miranda umarmte sie hier und versprach den folgenden Morgen wiederzukommen, da sie jetzt zurückkehren müsse, weil der Herzog sie bei ihrer Mutter erwarte. Im Weggehen sagte sie zu Rodrich und der Gräfinn, die sie begleiteten: es ist wohl eigentlich wenig für Rosalien zu hoffen, sie betrachtet[211] alles in einem ganz eignen trüben Licht, und so bald man ihr ein andres aufdringen wollte, würde sie in dem Streite untergehen. Einzelne Blicke dürfen nur an ihr vorüberfliegen, die sie noch mehr reitzen und dem Schmerze Nahrung geben. Denn für Gemüther, wie das ihrige, wäre es ganz eigentlich der Tod, wenn sie je aufhören könnten zu trauren. Daher muß man nur auf seiner Hut seyn, sich in ihrer Nähe selbst zu behaupten, und weder etwas erzwingen zu wollen, noch sie durch zu große Nachgiebigkeit zu erschöpfen. Haben diese Wunden einmal ausgeblutet, so wird sich das innere Gift zerstörend gegen sie selbst wenden. Es ist sehr leicht, setzte sie hinzu, einen Unglücklichen zu verletzen, und nicht selten weckt das eifrigste Bemühen[212] gehässige bittere Gefühle. Sie sagte das so anspruchslos, so frei aus der innersten Seele heraus, die zärtlichste Rührung leuchtete dabei in ihren Augen, so daß man deutlich sah, wie angeborne Klarheit sie über jede Verwirrung hinaus hob. Rodrich fühlte sich stiller seit er sie gesehen, und tadelte selbst die Ungenügsamkeit, die ihn zu thörichten Wünschen verleite. Beschämt gestand er, daß er, sich selbst ungetreu, die lang genährte Störung öffentlich zur Schau getragen, und das freundlichste Wohlwollen dadurch von sich entfernt habe. Seine anmaßende Foderungen gemahnten ihn selbst lächerlich, und er konnte nicht begreifen, wie ihm jener klare Blick über die verschiedne Gestaltung des Glückes so lange fremd geblieben war. So erschien[213] ihm nun alles weit anders, und wie den trüben Sinn die eigne Dunkelheit gefangen hält, so erblühet dem heitern ein Licht nach dem andern, bis er auf glänzenden Schwingen die Welt überfliegt und überall nur Lust und Freude sieht. Er gefiel sich so wohl in dieser erhebenden Stimmung, daß er sich recht angestrengt bemühete, jeden ängstigenden Ruf aus dem Innern zu überschreien, und vor den eignen Gespenstern zu fliehen. Stephano fand ihn in diesem Lichtmeere schwimmend, und als er die Veranlassung erfuhr, beredete er ihn, sich bei der Prinzessinn Therese vorstellen zu lassen, wodurch es ihm allein möglich sey, Rosalien öfter zu sehen, und jene interessante Bekanntschaft fortzusetzen. Er willigte ein, und betrat schon am folgenden Tage[214] das leichte, fast feenartige Sommerhaus. Eine Reihe weißer Marmorsäulen, die es umgab, trug ein reich vergoldetes Dach. Alle Zimmer stießen auf diese äußere Halle und zeigten durch die geöffneten mit bunten Vorhängen gezierten Thüren die Pracht der innern Einrichtung. Durch sie gelangte man zu einem Saale, der den Mittelpunkt des Gebäudes ausmachte, und durch eine vielfarbige Glaskuppel die Beleuchtung erhielt. Nischen mit hohen Spiegeln versehen, fingen die bunten Lichtstrahlen auf und verbreiteten sie auf rosige Marmorwände und silberstoffne Polster. Alles wogte hier im blendendsten Glanz. Er glaubte von verklärten Gestalten umgeben zu seyn, als ihm die Prinzessinn mit ihren Töchtern entgegen trat. Doch bald zeigte ihm Elwire, die sich[215] mit einer ihrer Damen verstohlne Zeichen bei seinem Eintritte gab, daß er wirkliche Gebilde vor sich habe. Therese hatte von ihm gehört, und es war auf ihr Geheiß, daß ihn Stephano hier einführte. Sie redete ihn sehr verbindlich an, in ihrem Ton und Wesen lag eine unendliche Milde, und oft ruheten ihre Blicke wehmüthig auf den seinen. Indessen suchte sie beunruhigende Gedanken durch allgemein herbeigeführte Gespräche zu entfernen. Miranda sagte ihm, daß sie Rosalien vergebens erwartet habe, deren wechselndes Befinden sie unendlich beunruhige, je weniger sie selbst davon ergriffen scheine. Elwire, die während dessen unter vielem Lachen Stephano's Anzug gemustert, und oft ziemlich laut nach Alexis und dem Vorgange auf dem[216] Waldschlosse gefragt hatte, sagte jetzt unverholen, wie sie es nicht begreife, daß gerade Rosalie die treue Liebe des zierlichen Ritters so hartnäckig von sich weise, da sie in ihrer Lage wohl schwerlich auf einen ergebenern Anbeter rechnen dürfe. Man sieht aber, setzte sie hinzu, daß Kränklichkeit sie verstimmt, und das hat der gute Ritter auch wohl eingesehen und sich geschickt zurückgezogen. Stephano ließ sie gern reden, und freuete sich jedesmal über die Sicherheit, mit der sie ein falsches Urtheil hinstellte, ohne zu ahnen, daß sie gleich von irrigen Meinungen ausginge, und daß sie selbst diesen Meinungen keine sonderliche Aufmerksamkeit leihe. Allein Rodrich, den die gemeine Ansicht verletzte, wagte es, ohnerachtet der geringen Bekanntschaft, die Freunde[217] in Schutz zu nehmen, und sprach mit Wärme über die Heiligkeit einer unerschütterlichen Liebe, die man wohl nie wahrer, als in einer weiblichen Brust antreffe. Ach, sagte er, und was ist dem Menschen natürlicher, als das wegzudrängen, was ihm das einzige Glück des Lebens eine seelige Erinnerung trübt! Ja, erwiederte Elwire den Kopf schüttelnd, da hat nun ein Jeder seine Art zu sehen. Ich für mein Theil, fuhr sie ohne weitern Zusammenhang mit dem Vorhergehenden fort, ich habe den Ritter freilich oft sehr ermüdend gefunden, wenn er so in der grauen Vorwelt schwebte, und die farblosen Gestalten an mir vorüberziehen ließ, während alles im frischesten Glanze um und neben mir lebte und athmete. Einmal wollte er mir auf einem[218] Ball ein Mährchen erzählen, aber ich versicherte ihm, daß Mährchen seit meiner Kindheit eine narkotische Kraft für mich hätten, und ich Gefahr liefe, den Ball und alle ihm versprochene Tänze zu verschlafen. Alexis, sagte Miranda, setzt wie alle sehr lebendige Gemüther voraus, daß man nichts verschmähe, was den eigentlichen Gesichtskreis erweitern könne. In dieser Voraussetzung spricht er ganz unbesorgt, ob sich auch jedem die Bedeutung seiner Worte aufschließen werde. Und er hat im Allgemeinen nicht ganz Unrecht, wenn er auch im Einzelnen oft fehl greift. Es kommt doch wohl einmal eine Stunde, wo sich die harte Schaale löst, und der eigentliche Kern sichtbar wird. Wie schön dir der Schleier steht, sagte Elwire, und ordnete die länglichen Perlen,[219] die zwischen braune Locken auf Miranda's Stirn fielen. Therese blickte lächelnd auf sie hin, und schien sich der zierlichen Ungezogenheit zu freuen. Rodrich verstand nicht, wie sie nur die leeren Worte ertragen könne! Überall fühlte er bald, daß die Prinzessinn aus Furcht, die gesellige Freiheit einzuengen, oder irgend eine Störung zu veranlassen, dem Gespräch keine eigentliche Haltung wie dem herrschenden Tone keine Einheit gab, und man sich in dieser Schrankenlosigkeit sehr beschränkt gefühlt haben würde, wenn Miranda nicht alles an sich gezogen, und den schwankenden Strebungen eine gemeinsame Richtung gegeben hätte. Sie schwebte wirklich wie ein Genius über dem Ganzen, und wußte auch den leersten Köpfen irgend ein gutes Wort abzulocken,[220] wie sie überall einen seltenen Blick für das Bessere im Menschen hatte, und dem Lichte gleich, das verborgene Gold heraufbeschwor, weshalb ihr alle Herzen entgegenflogen, und der Gedrückte, Tiefgebeugte, in ihrer Nähe freier athmete. Stephano hing mit Entzücken an der edlen Gestalt, und Rodrich sah recht, wie diese Liebe ihn über sich selbst erheben, mit Verleugnung seiner widerstrebenden Natur dahin zog, wo Miranda frei, in sich fest, unbefangen da stand. Sie begegnete ihm wie einem lieben lang geehrten Freunde, der überall als ein Glied der Familie angesehen, durch eine ehrende Vertraulichkeit ausgezeichnet ward, und als späterhin der Herzog kam, und der Kreis immer größer ward, sah Rodrich mit steigender Bangigkeit, mit[221] welchen verheißenden Blicken sein Freund von den meisten betrachtet ward, ja wie selbst Miranda ein flüchtiges Erröthen nicht bergend, den vielsagenden Gruß des Herzogs empfing, und unruhig auf Stephano blickte.

Unter den vielfachen Gestalten; die Theresens Rückkehr aus dem Bade für diesen Abend herbeiführte, zeichnete sich eine der hervorleuchtendsten Physiognomien aus, die Rodrich jemals sah. Viormona, Nichte der verstorbenen Herzoginn, hatte sich nach dem Tode ihrer Verwandten in den dunklen Privatstand verloren, und nur mit Mühe die Hand eines edlen Fremden angenommen, um durch den Glanz äußerer Umgebungen die Hoheit der Geburt zu behaupten. Aller Stolz und alle Bitterkeit zurückgedrängter Herrschsucht lag in den hohen[222] Mienen und den glühenden Augen, die wie Feuerkreise über die Erde schweiften und alles zu entzünden droheten. Das seltsam geringelte Haar, der reiche Faltenwurf langer weißer Gewänder, der blendende Glanz ihrer Haut, alles gab ihr ein ganz eignes plastisches Ansehen, so daß sich Rodrich wie vor einer Juno neigte, und die Flammenblicke kaum zu ertragen vermochte. Miranda war ihr mit der feinen Höflichkeit entgegen getreten, wodurch eine edle Natur sich der andern gleichstellt, ohne Herablassung oder ängstliches Zuvorkommen zu verrathen. Und sie schien in diesen heitren Sonnenblicken sich selbst und ihr beschränktes Daseyn zu vergessen, als Elwire mit gutmüthiger Redseligkeit von den Badefreuden erzählte, und ein Hirtenfest beschrieb,[223] bei welchem Miranda auf einen Rosenthron erhoben von einer jubelnden Menge als Herrscherinn begrüßt worden sey. Viormona's Herz bebte bei dieser Hindeutung auf die Zukunft. Die gewaltsamen Regungen preßten ihr eine Thräne aus, die brennend in Rodrichs Seele fiel, der nach einigen flüchtigen Erkundigungen, von ihren frühern Verhältnissen unterrichtet, die Schmerzen so bittrer Demüthigung theilte. Ein Thron schien ihm das höchste Ziel menschlicher Strebungen. Hier allein könne sich die innere Unabhängigkeit darthun, und im Glanze eigner Klarheit die enge Sorge des Lebens lösen und die bedrängte Menschenbrust zu höhern Genüssen erschließen. Wie konnte nur ein edler Sinn die Schmach dulden, scheu in den Vorhallen zu weilen,[224] indessen eine fremde Hand im innern Heiligthume wühlte. Sein Widerwille gegen den Herzog wuchs in jedem Augenblick, er vermied es ängstlich seinen forschenden Blicken zu begegnen, die sich unwillkührlich auf ihn zu richten schienen. Alles bis auf den Ton seiner Stimme, jedes unbedeutende Wort war ihm an dem verhaßten Gegenstand zuwider. Selbst als er sich der Schwester nahete, und ihr die Ankunft des Cardinals ankündigte, zu dessen Empfang er recht glänzende Feste ersinne, um dem entfernten Verwandten die weite Reise vergessen zu machen, fühlte sich Rodrich unangenehm von dem ergriffen, was alle Andre mit frohen Hoffnungen erfüllte. Sein Auge traf Viormona, und es war, als sey ihr Inneres in dem flüchtigen Blick zusammengefallen.[225] Auch sie erfreueten die versprochnen Feste nicht, weil ihr die Veranlassung zuwider war, und der Unmuth in Rodrichs Mienen schien ein stilles Einverständniß ihrer Gedanken zu seyn. Als sich daher die Gesellschaft in die verschiedenen Gemächer und den Garten vertheilte, nahete sie sich dem ungekannten Freunde, und wußte geschickt die Vergangenheit herbeizuführen, wo man Feste andrer Art hier gekannt, und ein freier harmonischer Geist alle Herzen zu gleicher Freude gestimmt habe. Die Schönheit, sagte Rodrich, führte das goldene Zeitalter herauf, aber das eiserne behauptet seine Rechte in der verwirrten Menschenwelt, und nur der Donner des Geschützes theilt die Nebel des verfinsterten Horizontes. Er hatte diese Worte, ohne sonderlich auf sie[226] zu achten, herausgestoßen, allein Viormona faßte sie begierig auf, und drückte nur noch mehr vergiftete Pfeile in sein offenes Herz. Wüßten Sie, könnten Sie wissen, sagte sie lebhaft, wie alles zusammenfiel, seit die Sonne diesem Lande unterging, wie sich die lockern Verhältnisse lösten, und ein Band nach dem Andern zerriß, wie täglich tausend Dolche in den tödtenden Blicken seiner Unterthanen auf den Herzog gerichtet sind, wie man die rücksichtslose Heiterkeit des Grafen, Miranda's versteckten Stolz und des Bastards Anmaßungen verachtet, Sie hätten Ihre Dienste dem Volke, und nicht dem Fürsten angetragen. Rodrich war im Begriff ihre Hand zu fassen und einen verrätherischen Bund zu schließen, als Stephano nahete und ihn eilends fortzog.[227] Um alles in der Welt, sagte er, als sie sich in einen Seitengang verloren, was haben Sie mit dieser Frau? Sie ist die unversöhnlichste Feindin der herzoglichen Familie und ihre Nähe jedem Anhänger derselben gefährlich. So – ? erwiederte Rodrich gespannt, dem Einen dünkt oft gefährlich, was für tausend Andre heilbringend wäre! Sie waren bei diesen Worten zu einem freien Platz gelangt, wo Miranda neben einem Springbrunnen stand, und dem Spiel der zerrinnenden Tropfen gedankenvoll zusah. Als sie beide wahrnahm, heftete sie einen wehmüthigen Blick auf Rodrich und verschwand in's Gebüsch. Als wenn plötzlich alle Fesseln der gepreßten Brust zersprängen, so löste sich hier Rodrichs Schmerz in Thränenströme auf. Er fiel dem betroffnen[228] Stephano in die Arme, und sagte weich und ermattet: ach! leite mich auf dem unsicheren Wege, ich fürchte, ich werde der Gewalt des Schicksals erliegen, oder die wunderbar verschlungnen Knoten eigenmächtig zerreißen. Komm nur, sagte dieser gerührt, wir wollen mit einander reden. Freie Mittheilung soll die Verwirrung lösen. Das wild ausströmende Gefühl erhält im Gespräch wie im Leben Maaß und Ordnung. Es ist wohl thöricht, daß man die vertrauenden Ergießungen so lange zurückdrängt, bis sie der Augenblick herbeiführt. Aber komm nur, es ist noch nicht zu spät. Sie gingen schweigend zur Stadt, und als sie an die Brücke kamen, wo jetzt, wie an jenem ersten Abend, viel lustige Wandrer mit Rodrich den gleichen Weg gingen,[229] während die Lebenswege wohl scharf von einander geschieden waren, fiel es diesem auf, wie die vorgezeichnete Richtung unzählige gedankenlos zu dem gleichen Ziele triebe, ohne daß Einer den Muth habe, die Gränze zu überspringen und die wogende Fluth zu durchziehen. Man thut den Menschen Unrecht, sagte er, wenn man ihnen freche Willkühr und Liebe zu dem Ungebundnen, Schrankenlosen vorwirft. Sie sind in der Regel nur zu fügsam, und die hergebrachte Weise oder eine gefürchtete Rücksicht umstricken nicht selten die lebendigsten Regungen. Wie kommst du darauf? fragte Stephano. Ich weiß nicht – die Brücke – erwiederte jener zerstreut. Wolltest du sie hinter dir abbrechen? fiel Stephano ein. Glaube nur, dir entstände bei[230] jedem Schritt eine neue. Und es ist wohl gut, daß man so gar nicht von der Welt los kommt, und der holde Leib uns mit Liebesarmen umfängt, bis wir uns in den weichen Schlingen gefallen und leicht und lustig darin bewegen. Dann sinkt die Hülle und die befreieten Schwingen tragen uns zu unendlichen Fernen. Aber bis dahin? fragte Rodrich. – Bis dahin, sagte der muthige Krieger, ringen und kämpfen wir getrost, und die zusammengestürzten Wünsche und Hoffnungen werden uns ein Fels, auf dem wir mitten im Sturme feststehen und die unverletzte Brust neuen Kämpfen hingeben. Ach, ich sehe wohl, fuhr er fort, die Worte dieser Eris sind tiefer in dein Herz gedrungen, als ich glaubte. Und was konnte sie dir gleichwohl entdecken, was[231] dir nicht früher bekannt war? Die innern Spaltungen konnten dir nicht fremd seyn. Was ist es denn, das dich plötzlich so erschüttert und zwischen früher gefaßten Neigungen und abgedrungenem Mitleid hin und her wirft? Rodrich fühlte, daß er, um dem Freunde verständlich zu seyn, dunklen, halbverkannten Ahnungen Worte leihen, die eigne Schwäche offenbaren, und selbst dann noch eine Saite berühren müsse, deren Mißklang ihn vielleicht auf immer von Stephano entfernen konnte. Noch hatte er nie des Herzogs in seiner Gegenwart gedacht, und es schien ihm unzart, den unbezwinglichen Widerwillen gegen ihn laut werden zu lassen, der ihn vom ersten Augenblick ängstete. Alle diese Rücksichten traten kalt und fremd zwischen die hervorbrechenden[232] Flammen herzlichen Vertrauens, und verschlossen ihn für alles, wodurch ihn Stephano zu gewinnen meinte. Du schweigst? sagte dieser; vielleicht hat dich die hohe Schönheit deiner neuen Gönnerinn bestochen, und ein unbewahrtes Herz widersteht solchem Zauber wohl nicht leicht. Zwar begreife ich kaum, wie sie neben Miranda gefährlich seyn könne. Rodrich glaubte hier eine Schlinge zu sehen, um sein verborgnes Gefühl aufzudecken, und sagte gleichgültig: warum wollen wir Vergleiche anstellen? Ich hörte ja eher von dir, daß jedes in sich schön sey, und man das Urtheil nicht durch Verrückung des Standpunktes verwirren müsse. Du hast Recht, erwiederte Stephano, eine Vergleichung ist hier so unmöglich, wie ein Verein[233] dieser Gemüther. Ich glaubte dich nur für das ganz Entgegengesetzte nicht so empfänglich. Das ändert freilich viel. Unser Interesse ist getheilt, und du wirst mich so wenig verstehen wollen, als ich dir verständlich seyn kann. Nimm es nicht so ernstlich, sagte Rodrich einlenkend, aber gestehe mir, daß ihr Schicksal hart ist, und nichts den menschlichen Stolz so empört, als die Verletzung angeborner Rechte. – Wer kann, erwiederte Rodrich, im steten Wechsel des Lebens das Fliehende aufhalten wollen. – Und wie darf der Einzelne mit dem Schicksal rechten, da seit Jahrtausenden das ewige Spiel wiederkehrt und der verschollne Name ganzer Geschlechter, deren ehemalige Größe mit dem Staub ihrer Gräber verwehete, in die spurlose Vergangenheit sinkt. Flüchte nicht[234] so zu dem Allgemeinen, sagte Rodrich, wenn das Leiden beschränkter Gegenwart uns nahe tritt. Dieser Blick darf den Menschen wohl über sich selbst erheben, aber die lebendige Theilnahme soll er nicht ersticken. Was nennst du so? fragte Stephano. Wo das scheinbare Uebel Segen bereitet, da kann ich die augenblicklichen Schmerzen lindern, die fortlaufende Kette der Begebenheiten aber niemals eines einzelnen Vortheils wegen zerreißen wollen. Jedes Uebel, entgegnete Rodrich, ist von deinem Standpunkt aus scheinbar, und darf das kurzsichtige Menschenauge bestimmen, wie nahe oder fern das erwartete Ziel sey? Ist es nicht frech, so zermalmend hinzutreten und der weinenden Menge neue Blüthen aus den zusammengestürzten Trümmern zu verheißen?[235] Wie warm du die Rechte der Menschheit vertrittst, sagte Stephano, seit ein schönes Auge beredt in das deine sahe. Aber vergiß nicht, daß du kurz zuvor über dumpfes Hingeben, Beschränktheit des Willens und Armuth kräftiger Gedanken klagtest, daß dir die hergebrachte Weise erdrückend schien, und daß dein Urtheil, durch individuelle Beziehungen bestochen, einseitig ausfällt. Und kannst du die alte Ordnung herstellen, ohne die neue zu zertreten? Und welches blutige Zeichen müßtest du über ein Land aushängen, das dich gastlich aufnahm, das Miranda's milder Sinn beherrschen wird? Ist Miranda gewisse Erbin des Reichs? fragte Rodrich schnell. Nicht ohne Widerstand, sagte Stephano, aber ich habe auf dich, wie auf die Bessern, gerechnet,[236] und ich gelobe es fest, diesem hohen Ziele mein lebendigstes Streben, ohne irgend eine anderweitige Rücksicht, zu weihen. Rodrich bewunderte, wie Stephano, sich selbst täuschend, die Herzensschwäche hinter Vaterlandsliebe verberge. Indessen konnte er nicht leugnen, daß er sich ihm wahr zeigen wolle, und er schwankte, ob er diese Offenheit nicht durch die freieste Hingebung vergelten, und jedes Mißverständniß lösen müsse, als eine Botschaft des Grafen ihn eilends dahin abrief.

Er hatte dem edlen Beschützer lange nur die gewohnte Achtung gezeigt, zu welcher sein äußeres Verhältniß ihn zwang, ohne ihm die dankbare Liebe zu beweisen, die in den ersten Augenblicken sein Herz erfüllte. Er schämte sich jetzt, vor ihm zu erscheinen, und[237] trat mit einiger Verlegenheit in dasselbe Zimmer, wo er das Schwerd und die heilige Weihe seines Standes empfing. Der Graf trat ihm, wie damals, heiter entgegen, und sagte nach den ersten Begrüßungen: junger Freund, Sie wissen, ich lasse jeden seinen Weg gehen, ohne daß es mir, selbst bei denen die mir näher sind, einfiele, das Schicksal spielen, und ihnen eine eigenmächtige Richtung geben zu wollen, indessen glaube ich ohne Anmaßung sagen zu können, daß mir der Ihrige nicht gefällt. Der innere Mißmuth leitet sie abwärts, mit halbem Herzen thut man auch nur das Halbe, und der Soldat braucht mehr als ein Anderer frischen Lebensmuth, um sich selbst anzugehören. Das Gewöhnliche darf ihn nicht ermüden, weil es zu dem Außerordentlichen[238] führt; und wo die rechte Lust und Heiterkeit nicht obenauf schwimmen, da wird der Bodensatz des Gemeinen die schwerfällige Kraft bald erdrücken. Auch im Kriege ist es nicht viel anders. Das Seltene und Große läuft einem auch hier nicht bei jedem Schritt entgegen, und muß man sich oft durch langweiliges, mühseliges Harren hinschleppen, ehe der erste Augenblick eintritt. Freilich, setzte er beruhigend hinzu, als Rodrich beschämt zur Erde sah, freilich bedarf der Eine einen größern Wirkungskreis als der Andere, und so wird Sie die nahe Aussicht des Krieges freuen! Des Krieges? fragte Rodrich, aus allen drückenden Gefühlen plötzlich emporgerissen. O mein edler Wohlthäter, Sie sollen mich noch freudig in Ihre Arme[239] schließen, und es nicht bereuen, den Jüngling großmüthig beschützt zu haben, der alle Gluth eines lebendigen Lebens der Ehre und der Dankbarkeit weihete. Wann und wohin ziehen wir? fragte er mit verlangenden Blicken. So weit sind wir noch nicht, erwiederte der Graf lächelnd. Es ist nur von der Aussicht, nicht von der Gewißheit des Krieges die Rede; eine größere Macht bedroht die Selbstständigkeit des Staats, der Herzog kennt die Würde seines Namens und ehrt sein Volk. Er ist zu jedem Widerstande bereit. Wir erwarten nur das Ende einer Unterhandlung, deren Zweck abzusehen ist, um dem Feinde entgegen zu gehen. Die Grenzregimenter haben bereits geheime Ordre sich marschfertig zu halten, und ich werde Sie mit Aufträgen zu einem[240] unsrer Generale schicken, der bei der jetzigen Lage der Dinge einen bedeutenden Posten hat. Er ist mein Freund, und seine Bekanntschaft mag Ihnen einmal ersprießlich seyn, wenn im Laufe der Dinge sich manches ändert, und meine Hand Sie nicht mehr schützen kann. Rodrich ergriff die theure Hand und drückte sie gerührt an die Brust. Mein Sohn, sagte der Graf, ich hoffe, du bist meines Vertrauens werth, und meine zärtliche Vorliebe soll mich nicht getäuscht haben. Zügle dein strebend Gemüth und bewache dich in dunklen Augenblicken. Das Größeste bist du fähig zu leisten, aber das Kleine geht unbeachtet an dir vorüber, und darum hüte dich vor der steilen Höhe, der du so kühn, ja ich möchte sagen, so frech entgegen fliegst. Die mitgetheilte Nachricht[241] sollte dich aus deiner dumpfen Gleichgültigkeit aufschrecken, du bist aber so gespannt, daß ich vor meinem Geheimnisse fürchte. Darum sammle dich, und reise morgen in aller Frühe. Heute Abend erhältst du die nöthigen Instruktionen. Die Reise soll dir, denke ich, in jeder Art gut seyn. Ach, mein Vater, sagte Rodrich, wie demüthigt mich diese Güte, und wie zerrinnen meine hochfliegenden Plane vor dieser ruhigen Klarheit, und der Sicherheit eines so schuldlosen Gemüthes! Ich bin wohl recht unglücklich, daß mein Gefühl so oft in mich zurückgedrängt ward, und der starre Trotz die mildesten Regungen gefangen nahm. Mir ist davon in manchen Stunden eine Kälte geblieben, die mich oft selbst geschreckt, und die nur solcher Liebe weicht. Der Graf[242] umarmte ihn, und bat ihn zu Rosalien zu gehen, die gern von Miranda und der Gesellschaft diesen Abend hören wollte.

Er fand sie äußerst matt, durch Erschöpfung entstellt, neben der Gräfinn sitzen, die bemühet war, aus verschiednen vor ihr liegenden Büchern, eine leichte fast spielende Unterhaltung aufzufinden. Mit großer Geduld nahm sie ein Heft nach dem andern zur Hand, wenn Rosaliens unruhige Blicke die innere Langeweile verkündigten, und lächelnd, wie der Genius des Lebens, verhieß sie ihr von jedem Neuen Genuß. – Das ist noch mein größtes Elend, sagte die Kranke bei Rodrichs Eintritt, daß ich zu dem Geist- und Herzertödtendsten meine Zuflucht nehmen muß, um die innere Angst los zu[243] werden. So lange ich den Schmerz liebte, war ich eine seelige Martyrerinn. Jetzt ist das weit anders. Eine rechte Sehnsucht nach dem freudigen Leben der Jugend drängt und quält mich. Ich möchte die Fesseln eignen Unvermögens zersprengen, und mich der Lust der Welt hingeben. Die Briefe, ach die unglückseeligen Briefe, haben mich so verwirrt. Seitdem führen mich alle Träume in jenen Zauberkreis zurück, und mir ist, als müsse ich das Fliehende erjagen. Seraphine glaubte wirklich in diesem unstäten Verlangen die ersten Regungen rückkehrender Lebenslust zu entdecken, und freuete sich Rodrichs Ankunft, dessen frühere Neigung ihr wie dem Grafen frohe Hoffnung einflößte. Aber in Rodrichs Innerem wogten die aufgefaßten Bilder[244] unruhig durcheinander, und die verworrenen Anklänge hemmten jedes stille Ineinanderfließen der Gefühle. Jetzt insbesondere, da sich die helleste Ferne vor ihm aufthat, und alle ängstigenden Rücksichten vor einem freien, beweglichen Leben schwanden, jetzt fühlte er sich in der Nähe dieser gestörten Natur gedrückt, und die Zuckungen ohnmächtigen Schmerzes legten sich erkältend an sein Herz. So kam es denn, daß er, ohne sonderlich auf Rosaliens Worte zu achten, einzig um quälende Gedanken zu verscheuchen, von Theresens Bekanntschaft, ihren Umgebungen und dem Eindruck des Ganzen sprach. Seraphine stimmte seinem Lobe bei, und setzte hinzu, daß ihr nichts so auffallend gewesen sey, als wie die Prinzessinn bei der fast verschwindenden Weichheit[245] ihres Charakters, ihrer kleinen Zauberwelt diese Haltung und Einheit gegeben habe. Freilich, sagte sie, spricht alles die zarteste Milde aus, aber auch diese hat ihren bestimmten Charakter, und man vermißt in ihrem ruhigen Schein den Mangel an großen Gegenständen nicht, da das Ganze weder farblos noch peinlich ist, und in sich einen großen Reichthum hat. Es ist kaum zu begreifen, wie sie hier so sicher geht, da sie oft im Leben durch zu zärtliches Nachgeben ein Ansehen von Willenlosigkeit erhält, das Mancher mißbraucht. Vor allen, sagte Rodrich, ist mir diese Nachsicht bei Elwiren auffallend gewesen, deren flache Unterhaltung sie nicht einmal zu ermüden schien. Nun Elwiren nehme ich in Schutz, sagte die Gräfinn, das ist[246] ein zierliches Wiesenblümchen, das an seinem Platz unendlich reitzend seyn würde. Sie hat nur das Schicksal anzuklagen, welches sie in diese Kreise versetzte. Ein Anflug halber Bildung, wie der Wunsch neben Miranda nicht ganz zu verschwinden, heben sie zuweilen über sich selbst hinaus. Sonst ist sie die Güte, die Sanftmuth selbst, und die ganz eigne Liebenswürdigkeit ihres wohlwollenden Gemüthes bricht frei hervor, sobald der Wunsch zu glänzen nicht mit der innern Unzulänglichkeit kämpft. Es ist überall schwer, den Punkt anzugeben, wo man eigentlich steht, vorzüglich denen, die nicht zu den höhern Stufen gehören. Und was ist denn am Ende hoch und niedrig? wir sind mit dieser Rangordnung sehr schnell bei der Hand, indem wir[247] uns selbst unbedingt auf die Spitze stellen. Rodrich war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um irgend einen Gedanken fest ins Auge zu fassen, am wenigsten, um ihn ruhig zu bestreiten, nur schien ihm Seraphine mehr wohlwollend als zärtlich, und ihr Urtheil eher durch friedliche Gesinnungen, als durch klare Einsicht bestimmt zu seyn. Schon in frühern Streiten mit Alexis, erkannte er diese behagliche Ruhe, die sich so gern mit allen befreunden, und die scharfe Ecke aus dem Leben verbannen mögte. Es fehlte ihr keineswegs an Besonnenheit, aber sie drängte das Störende hinweg, und haßte nichts so sehr, als die schwerfälligen Gemüther, welche bei jeder Mangelhaftigkeit stehen bleiben, und für welche die Sonne nur scheint, wenn sich kein Wölkchen[248] am Himmel blicken läßt. Es fiel ihr sehr selten oder nie ein, sich in den innern Zusammenhang der Dinge zu versenken, und die Bedeutung eines Übels aufzusuchen; sondern sie eilte leicht darüber hinweg, und Wenige standen vielleicht so fest in der Gefahr. Er hatte dies wohl eher im nähern Umgange erkannt, und sich willig dem reitzenden Leichtsinn hingegeben. So ließ er es denn auch jetzt geschehen, daß sie seine Meinung bestritt, während er selbst ungewiß war, ob er nicht vielleicht wirklich zu hohe Anforderungen im Leben mache, und zu wenig auf die verschiedene Natur und das seltsame Gemisch menschlicher Gefühle achte. Erwägen Sie noch, fuhr die Gräfinn fort, daß die Augenblicke so ungleich sind, und daß es Zeiten giebt, in welchen der[249] Erhabenste recht jämmerlich dasteht, so wird im Ganzen Ihre Bewunderung weniger gespannt, und Ihr Tadel milder seyn. Rodrich ergriff diesen Gedanken begierig. Er hatte sich dem Grafen gegenüber beschämt gefühlt, und es vermieden, tiefer in sich selbst zurückzugehen. Die wechselnden Eindrücke dieser Tage hatten ihn zu den leidenschaftlichsten Ausbrüchen hingerissen. Er erkannte sich selbst nicht mehr in der unstäten Sehnsucht, dem Abstoßen und Hinneigen seines Herzens, und flüchtete gern zu der allgemeinen Gebrechlichkeit, um die eigne Schwäche zu entschuldigen. So blickte er beruhigt in Seraphinens Augen, die ganz unbefangen alle Vorgefühle höhern Strebens, das kindliche Anstaunen wie die erhebende Bewunderung einzelner[250] großer Erscheinungen in Anspruch nahm, um das Gleichgewicht Leben im herzustellen.

Rosalie, die während dessen ermattet eingeschlafen war, lächelte jetzt im Traume, und sagte halblaut, sieh Ludoviko, wie uns Fernando winkt; ach er ist wieder ein Kind geworden, und spielt wie ehemals mit bunten Steinchen, die in seinen Händen Blumen werden, um die Braut zu kränzen. Siehst du den Stern in seiner Brust, wie er sich hin und her bewegt, und die Strahlen sein schönes Gesicht verklären? Sie hatte die Augen geöffnet, als sie die letzten Worte sprach, und beide überfiel ein Schauer, und sie gedachten der Erscheinung im Waldschlosse, wie sie sich langsam aufrichtend, eine Bewegung machte, als flechte sie Blumen[251] durch das Haar. Seraphine reichte ihr eilend stärkende Essenzen, und führte sie an ein geöffnetes Fenster, wo sie kaum die frische Luft anwehete, als sie tief athmete und sich von einem ängstigenden Traume loszumachen schien. Bald verlangte sie aus dem Zimmer, und zu Miranda gebracht zu werden. Die Gräfinn machte sogleich die nöthigen Anstalten, und Rodrich verließ sie in einem Zustand, der ihn aufs neue aus seiner kaum gewonnenen Ruhe aufschreckte.

Am folgenden Morgen trat er, mit den Aufträgen des Grafen versehen, seine Reise in aller Frühe an. Als er durch die einsamen Straßen ritt, wo schon längst kein Wagen mehr rollte, und die laute Freude zu stilleren Genüssen flüchtete, blickte er wehmüthig[252] auf die armen Menschen, die das drängende Bedürfniß schon wieder zu dem mühseligen Tagewerk jagte und deren ärmliches Ansehen wunderlich gegen die Pracht der Gebäude abstach. Er fühlte sich leichter, als ihn sein Weg endlich an den Gärten vorüberführte, und die wohlhabenden Besitzer den Reichthum überschauend, seinen Morgengruß im behaglichen Wohlseyn erwiederten. Je weiter er kam und die blühende Ebene sich vor ihm aufthat, je freier ward ihm um's Herz, und wie sein Pferd lustig forttrabte, und die Morgenluft ihn so erfrischend anwehete, fühlte er sich zu jedem Geschäfte freudig gestimmt. Er sah recht, wie er thätig in's Leben eingreifen und die träge Ruhe von sich verscheuchen müsse.

Alles, was ihn in dieser Zeit gedrückt,[253] alle Fieberschauer, die seine kränkliche Heftigkeit entzündet hatten, alles schwand vor dem hellen heitern Leben der Natur. Im freiesten Spiel seiner Kräfte sagte er froh: unter steter Anstrengung, muß der Mensch den Genuß des Augenblicks erringen! Was sich ihm so ungesucht aufdringt, und während es den Sinnen schmeichelt, die lebendigste Kraft gefangen nimmt, das widersteht dem Uebersättigten, und die innere Lust erkrankt in trüben Bildern. Sich so recht in die wogende Fluth zu tauchen, zu wagen und zu wirken, die verschlossenen Quellen des Lebens zu eröffnen und im Fluge das Glück zu erhaschen, das zog ihn unwiderstehlich in die Welt, das reitzte ihn zum freudigen Kriegerleben. Und jetzt erweiterte sich so ungehofft der beschränkte[254] Kreis seines Wirkens. Die ersten Schritte waren gethan, und er sah in Gedanken die reiche, gehaltvolle Zukunft. Was konnte nicht alles geschehen, wenn der rechte Ernst die Herzen entflammte, die oft bei einer flüchtigen Anregung kräftig schlugen. Jede bessere Aufwallung seiner Cameraden kam ihm jetzt ins Gedächtniß. Er liebte sie alle, seit er hoffen konnte, an ihrer Seite zu fechten und die gleiche Lust und Gefahr mit ihnen zu theilen. Selbst an Stephano konnte er ohne Bangigkeit denken, und es reuete ihn fast, ihn diesen Morgen nicht aufgesucht und durch einen freundlichen Abschied den störenden Eindruck des gestrigen Gesprächs ausgelöscht zu haben. So wohlwollend hatte er noch nie auf die Menschen geblickt, die ihm alle in dem erheiterten[255] Sinn gut und liebreich erschienen.

So ritt er, durch freudige Bilder fortgezogen, immer schneller und schneller, als ihm sein Diener eine schön gebauete Capelle zeigte, die sich hinter dunklem Gebüsch auf einem Hügel erhob. Die Sonne stand in voller Pracht über der glänzenden Kuppel und die nahe stehenden Silberpappeln zitterten wie tausend lichte Flämmchen in ihrem Schein. Er betrachtete sie noch aufmerksam, als die Messe eingeläutet ward, und der helle Klang durch Berge und Klüfte wiederhallte. In dem Augenblick vernahm er auch einen volltönigen Gesang und ein Trupp geschmückter Landleute ging aus einem nahen Dörfchen den Weg zur Kirche hinan. Vier Knaben mit langen Blüthenzweigen[256] und blendend weißen Tüchern, die sie hoch in der Lust flattern ließen, eröffneten den Zug, in ihrer Mitte ging eine Jungfrau mit einem neugebohrnen Kinde, dessen bunte Deckchen mit Blumen und Bändern geziert, den lustigsten Anblick gewährten. Hinter ihnen kamen Männer und Frauen im schönsten Festtagsputz, Crucifixe und Heiligenbilder tragend, die sie in frommer Andacht zum Himmel erhoben und bei jedem Schlusse des Chors ein freudiges Halleluja aus voller Brust anstimmten. – Rodrich hatte seit der Flucht aus dem Kloster nie eine Kirche besucht. Jene düstre Erinnerungen verschlossen sein Herz für die Seligkeit heiliger, hingebender Andacht. Nur einmal hatte er die Entzückungen des Gebets erkannt. Wie ein himmlisch Licht[257] hatte es seine Seele durchdrungen, hingerissen, aufgelöst in Wonne hauchte er sein ganzes Wesen in einem unaussprechlichen Ton der Liebe aus. Was konnte ihm jenen Augenblick zurückführen, der das Ende seines Lebens hätte seyn sollen! Wie konnten schaale Gebräuche ihn erheben, deren tägliche Wiederholung seine Kindheit so unbarmherzig trübten! Mit wahrer Bitterkeit hatte er sich davon abgewandt, und es sorgfältig vermieden, sein Inneres durch so gehässige Gefühle zu zerreißen. Hier in der Einsamkeit rührte ihn der einfache Gesang zum erstenmal, und als die frommen Knaben sich naheten, wiederholte er unwillkührlich die Worte des Liedes, bis ihn der Ton immer mehr fortriß, und er sich plötzlich am Eingange der Capelle befand. Er stieg[258] vom Pferde und trat in das weite herrliche Gebäude. Ein schöner Greis mit glänzenden Silberlocken stand vor dem Hochaltar, vor welchem drei weiße Grabsteine eingesenkt waren. Auf einem derselben kniete die Mutter mit dem Kinde, das von ihren Lilienarmen umringt, hell und verheißend über die Gräber hinaus sah! Rodrich hatte sich dem Altar gegenüber an ein Monument gelehnt, hinter welchem herbeigelaufene Kinder leise Versteck spielten. Er betrachtete jetzt das steinerne Bild näher, das ihn halb verdeckte und erkannte bald den Tod in der Gestalt eines schönen Jünglings, dessen umgewandter Fackel, Blumen wie einem Füllhorne entströmten, während sich auf den Mohnstengeln Genien in einem Schlangenreise wiegten. Rodrich[259] glaubte, dies Denkmal müsse Beziehung auf die Grabsteine haben, und als er dorthin sah, war es gerade, daß der Geistliche das Kind aus des Mädchens Arm nahm und es schwebend über den Weihkessel hielt. Die vielfachen Bilder verwirrten sein Inneres. Er glaubte, die Gräber hätten sich aufgethan, und die Jungfrau träte mit dem Jesuskinde hervor, und reiche der harrenden Zeit noch einmal die ewigen Blüthen des Lebens. Und als die Einsetzungsworte gesprochen, und Alles andächtig zur Erde sank, da kniete er weinend nieder, denn er sah die unaussprechlichen Martern, und den Erlöser am Kreutz; ihm war, als stehe das Elend und der Hohn und die Schmach schon bereit, ihn zu empfangen; ach, und die verkannte Liebe brach nun so[260] plötzlich hervor, daß er sich lange nicht fassen konnte, als die Knaben schon ihr Lied angestimmt und die muntre Schaar an ihm vorüberzog. Sein Diener, den indessen weniger heilige Dinge beschäftigten, ging unruhig mit den Pferden unter den Bäumen auf und ab, und da er die Kirche leer sah und merkte und sein Herr nicht kam, so wagte er es, sich zu nahen und den Kopf durch eine Seitenthür zu stecken, als die Pferde plötzlich ungewöhnlich stampften und wieherten, worauf Rodrich erschrocken aus seinen Träumen aufsprang, und durch ein Versehen den losgehakten Degen mit großem Geräusch die Stufen des Monuments herunter fallen ließ. Der Capellan, der eben sein stilles Gebet geendet, sahe verwundert umher, und als sich Rodrich entschuldigend nahete,[261] sagte er heiter: es geht den Kriegern nicht anders, die einmal fromm seyn wollen, die Welt ruft sie auf tausend Weisen zurück, und rächt ihr augenblickliches Vergessen durch irgend einen Hohn der Kirche.

Rodrich ließ sich bald in ein weitläuftigeres Gespräch mit ihm ein, und eilte, ihn nach der Bedeutung des Denkmals und der Gräber zu fragen. Hier, sagte der Geistliche ernst, ruhen drei Herzen neben einander, die sich im Leben durch Haß und Liebe verfolgten. Es waltet oft ein furchtbares Verhängniß über den Sterblichen, der es erkennt und geängstet in die Arme der Tugend flüchtet, aber die losgelassenen Wünsche ziehen ihn fort und fort ins Verderben. Die Erbauerinn dieser Capelle, fuhr er fort, war aus fürstlichem[262] Stamme. Ihr leidenschaftlicher Sinn umfaßte alles mit einer Heftigkeit, die sich bald in der Neigung zu einem schönen Knaben offenbarte, den ihr Vater im Pallast erziehen ließ. Sie war nicht fest genug, diese Liebe auf Kosten des väterlichen Zornes geltend zu machen; daher beugte sie sich in die Nothwendigkeit, und das lockende Dunkel des Geheimnisses barg und nährte ihre Flammen. Wie denn aber Sicherheit und Gefahr oft Hand in Hand gehen, so nahete sich ihr die letzte, ehe sie es ahnete. Die Entdeckung ihrer Liebe ließ ihr die Wahl zwischen dem Kloster oder der Hand eines vornehmen Verwandten. Der heitre Strom ihres Lebens war getrübt, ihr Glück zertrümmert, und dennoch schauderte ihr vor der Einsamkeit. Sie willigte also, nach[263] den ersten Ausbrüchen des Schmerzes, in die vorgeschlagne Verbindung. Ihr Geliebter wandte sich still von dem Schauplatz der seligsten Erinnerungen und opferte ohne Klage ihrer Ruhe alle gehofften Freuden. So verstrichen mehrere Jahre, während denen ihr verwöhntes Herz zwischen Pflicht und unbefriedigter Sehnsucht schwankte. Ein einziges Kind, das in der verzehrenden Gluth ihrer Liebe aufwuchs, erregte unaufhörlich ihre Sorgen, und wenn sie sich einen Augenblick den seligen Genuß seines Anschauens gewährte, so erschrack sie über die sorglose Ruhe und ahnete irgend ein Unglück, das sie zu beschleichen drohe. Ihren Gemahl betrachtete sie wie das gewaltige Schicksal, das mit eisernen Schritten auf ihrem Wege hin und her gehe. Daher[264] erschreckte sie sein Anblick jedesmal, und sie erkrankte endlich bei der wachsenden Reitzbarkeit ihrer Sinne. – Ihre Familie, die das Uebel von körperlicher Schwäche herleitete, bot jedes Mittel zu ihrer Herstellung vergeblich auf. Aerzte und Heilige scheiterten an der innern Unzugänglichkeit dieser zerrütteten Natur.

Sie ward nach und nach immer stiller und man sah sie nur zuweilen mit ihrem Kinde im Arme zu einem nahen Kloster wallen, wo sie unter eifrigem Gebet oft mehrere Stunden zubrachte. Einst als sie dort in der heftigsten Anstrengung vor einem Heiligenbilde kniete, sank sie ohnmächtig nieder, und wie sie die Augen aufschlug, stand ihr Geliebter an ihrer Seite. Sie breitete sehnend die Arme aus, allein[265] ihre Frauen, durch dies plötzliche Uebel erschreckt, trugen sie ins Freie, wo sie in der süßesten Verwirrung alles um sich her anstaunte, und selbst nicht zu unterscheiden wußte, ob ihr jenes Gesicht im Traume, oder wirklich erschienen sey. Von diesem Augenblick an genaß sie. Die wiederkehrenden Blüthen ihrer Schönheit, die Milde und die Weichheit in ihrem Betragen, alles täuschte ihre Freunde über den wahren Zustand ihres Herzens, das durch neue Hoffnungen belebt, eine verderbliche Liebe hegte. Das Kloster betrat sie nie mehr, wohl aber umfingen sie die dunklen Schatten dieser Bäume jeden Abend, in deren Geflister sie die Vergangenheit hervorrief. Einst saß sie hier bis spät in der Nacht, da trat der schöne Jüngling reich geschmückt vor sie hin.[266] Schweigend sanken sie einander in die Arme, und keins wagte die entzückende Stille zu unterbrechen. Da stürzte ihr Gemahl aus dem Dickicht, und nach einem kurzen lautlosen Kampfe sanken beide zu Boden. Starr und todt lagen sie auf derselben Stelle, die nun ihr Grab geworden. Ich fand die Unglückliche ohne Zeichen des Lebens wie eingewurzelt an einen Baum gelehnt, während die kleine Viormona ruhig zu ihren Füßen schlief. Viormona! rief Rodrich aus, und seine Augen trafen die Inschrift des Leichensteins, die ihm bald sagte, daß jene wundervolle Gestalt, die ihn so unwiderstehlich fortriß, aus dem bittern Streit der quälendsten Gefühle hervorging.

Diese lebt in Glanz und Herrlichkeit, sagte der Greis, und weiß wohl[267] wenig von den Leiden ihrer Mutter, die nur noch ein Jahr lebte, in welchem sie die prächtige Villa niederreißen und diese Capelle erbauen ließ, die nun alle drei in ihrem Schooße birgt. Rodrich konnte sich von dem Anblick der Gräber und der seltsamen Gedanken nicht losreißen, ob ihn gleich der Geistliche, durch Berufsgeschäfte abgehalten, bald verließ, und die Winke und das halblaute Flistern sei nes Dieners ihn zur Fortsetzung der Reise mahnten. Alle Schmerzen, alle Kämpfe eines ganzen Lebens, sagte er betrübt, sinken so schnell in die Vergessenheit, daß sie nur noch bei äußeren Anregungen in dem Gedächtniß eines verlebten Greises wieder erwachen. Was die Unglückliche liebte und litt, das ruhet mit dem armen herzen in der Erde. Ach,[268] und Niemand, selbst die verwaiste Tochter ahnet ihre Qualen! Es konnte ihn nicht trösten, das nun alles vorüber, und das Leben wohl nur ein langer Traum sey. Dies spurlose Vorüberziehen einer großen Gegenwart war ihm schmerzlich, und er konnte lange seine vorige Stimmung nicht wiederfinden.

Als er endlich wieder zu Pferde und auf dem Wege war, fragte ihn Felix, ob er nicht lieber bei der großen Hitze in das Dorf einkehren wolle, um etwas zu genießen, was ihnen dort nicht fehlen könne, weil der Gastwirth, wie er von den Vorüberziehenden erfahren, heute das Kindtaufsfest feiere, und die allgemeine Lust sicher groß seyn werde.

Rodrich sehnte sich wirklich nach[269] Erholung, und nahm den Vorschlag an. Da sie nun den schmalen Fußsteig zwischen den Weinbergen hinritten, die vollen Trauben lockend aus dem Laube winkten und die Wirklichkeit sich in tausend üppigen Gestalten wieder vor seinen Augen verdichtete, dachte er daran, daß er fast hier wieder, wie so oft im Leben, den Genuß des Augenblicks für eine ungewisse Zukunft hingegeben hätte, ohne zu erwägen, daß sich die verschmähete Freude dann gern in der getäuschten Erwartung räche.

Er war jetzt in das Dorf eingeritten, wo ihm fast aus jedem Hause Gesang und Musik entgegen schallte. Vor einem derselben war das Mädchen aus der Kirche beschäftigt, in einer weit vorgebaueten geräumigen Epheulaube Tische und Stühle zu ordnen, während[270] ein kleiner Mann ihr zur Seite alles verbessernd musterte, und sie zur Eile antrieb. Felix sagte mit großer Zuversicht, dies sey ohnfehlbar der Gasthof, und er möchte nur getrost hier absteigen. Rodrich trat unter das grüne Dach, und bat das Mädchen, welches ihm in der Erinnerung noch so heilig vorschwebte, bescheiden um Milch und Früchte. Allein der eilfertige Wirth ließ ihr nicht Zeit zu antworten, er flog den vornehmen Gast zu bedienen. Rodrich setzte sich indessen zwischen den blühenden Ranken und freuete sich der lustigen Geschäftigkeit, die Groß und Klein in Bewegung setzte. Ueberall sahe man Vorkehrungen zu dem morgenden Tage, während die heutige Feier Geladne und Ungeladne herbeizog und Alle auf irgend eine Weise daran Theil[271] nahmen. Vor einem gegenüber stehenden Hause wiegten sich zwei zierliche Mädchen mit geschmückten glänzenden Strohhütchen, auf einem schmalen Bret, das über einem abgehauenen Baumstamm lag, während sie mit großer Geschicklichkeit Körbe flochten, die sie öfters in die Höhe warfen, und indem Eine die Andre hob, auf einem Stäbchen wieder auffingen. Ein jedesmal trat dann eine keiffende Alte zur Thüre heraus und verhieß ihnen nicht die freundlichste Hülfe; sie aber wiesen die fast vollendete Arbeit, und trieben das Spiel immer aufs neue, bis plötzlich ein feiner Knabe mitten auf das Bret sprang und ihnen die Körbe wegfing. Auf ihr Geschrei kam die Alte gelaufen, und Rodrich klopfte wirklich das Herz bei ihrem Anblick, denn er sah[272] alles Unheil, was nun entstehen mußte. Der betretne Knabe ließ die Körbe sogleich fahren, und die Mädchen folgten willig in das Haus, wo sie Rodrichs Blicke lange vergebens suchte, bis sie endlich aus einem Dachfensterchen hervorguckten, und den bunten Gasthof verlangend und neugierig betrachteten. Alle ihre Bewegungen drückten die höchste Lebhaftigkeit aus, die keine Unfälle beugen könnte, im Gegentheil schien ihre Zuversicht nur zu wachsen, denn sie zeigten einander ihre Arbeit, und klopften in die kleinen Hände voll froher Erwartungen. Bald kam auch der Knabe geschlichen und flisterte ihnen etwas zu, was Rodrich indessen nicht verstehen konnte. Sie bogen sich aber heraus, und lachten heimlich, indem sie ihm die Körbe hinhielten und[273] ihn unaufhörlich neckten, als höchst unerwartet das Gesicht der Alten zwischen den Cherubsköpfchen hervorsahe; doch die Körbe waren fertig, und sie küßten die dürren Wangen, bis sie ein Strahl ihrer Freude belebte und Alle bald wieder vor der Thüre erschienen. Rodrich war durch den kleinen Vorgang so gefesselt worden, daß er es nicht bemerkte, wie es nach und nach immer lebendiger um ihn her ward, und Gäste und Reisende um die besetzten Tische Platz nahmen. Die Emsigkeit des Wirthes, sein unaufhörliches Rufen: »Marie, hierher! Marie, Gläser! o eilig, eilig, ich wäre schon zehnmal wieder da!« machte ihn endlich auf die Anwesenden aufmerksam, und schon zog die Mutter des neugebohrnen Kindes seine Blicke auf sich. Ein langer röthlicher Mantel,[274] in welchen sie das Kind eingeschlagen hatte, und der die eine Schulter deckte, während er sich in den reichsten Falten um die Hüften schlang, gab ihrer übrigens ländlichen Kleidung etwas vornehmes und phantastisches, wie der leichte Anflug von Kränklichkeit und Erschöpfung über ihre funkelnden Augen eine zauberische Milde ausgoß. So oft sie das geliebte Kind an die Brust drückte, oder sich über dasselbe hin bog, flog die schönste Röthe über ihr klares durchsichtiges Antlitz, und sie blickte dann freudig auf Marien, die ihr Entzücken theilte, während der unruhige Vater mit einem flüchtigen Kuß und einer ungeschickten Liebkosung an dem zarten Kinde vorüberflog. Rodrich hatte sie lange Zeit mit Bewundrung angestaunt. Alle Madonnen, die er je gezeichnet[275] kamen ihm wieder ins Gedächtniß, und er sah recht, wie diese Weichheit, diese Demuth und Zuversicht mütterlicher Liebe, dies reiche Spiel wechselnder Gefühle in den strahlenden Zügen unerreichbar sey, als er zufällig einen Mann erblickte, dessen Augen von den aufgestützten Händen beschattet, unverwandt auf die Frau gerichtet waren, als wolle er das schöne Bild, rein von allen störenden Umgebungen, auffassen. Wie einen das Bekannteste, bei unerwarteter Erscheinung, oft fremd dünkt, so konnte er sich im ersten Augenblick nicht besinnen, wen er vor sich habe; doch plötzlich stürzte er voll Freude in die Arme des betroffnen Mahlers, der ihn zweifelhaft ansahe, und halb froh halb betrübt sagte: so schnell bist du der Kunst untreu geworden?[276] Rodrich war wirklich verlegen, was er antworten sollte, denn er fühlte wohl, daß seine Gründe wenig Eingang bei dem eifrigen Künstler finden würden, als dieser heftig fortfuhr: sieh' hieher, was kannst du herrlicheres vollbringen, als diesen ewigen Gedanken der Schöpfung, diese Mensch gewordne Liebe, in dem verklärten Bilde, was hier vor meinen trunknen Sinnen schwebt, immer und immer wieder außer dir hinzustellen und die Kunst in ihm zu verewigen? – Was kannst du noch anders wollen? und darfst du hoffen, bei dem unruhigen Gewerbe, das du ergreifst, je das Bleibende zu er fassen? Was ist bleibend, sagte Rodrich, als der Gedanke des Lebens? und spiegelt sich der nicht in dem steten Wechsel, wie in der ruhigen Wirksamkeit des[277] Menschen? Mich reißt der Augenblick fort, und ich muß mich dem beweglichen Spiele hingeben oder in der innern Unzufriedenheit vergehen. Und zu was, fragte der Mahler, soll dies zwecklose Spiel führen? Zwecklos? wiederholte Rodrich. Nennen Sie so das freieste Ringen und Entfalten der Kräfte, das wie Himmelsklang das Innere durchrauscht und jede trübe Sorge von dem reinen Spiegel einer muthigen Seele weghaucht? Und was, als dieses Entzücken, wird fortleben, wenn die Zeit auch Ihre blühenden Träume verwischt und die Früchte einer mühevollen Laufbahn verschwinden? –

Sie hatten sich gleich beim ersten Erkennen aus der Laube entfernt. Rodrich sprach mit vieler Heftigkeit, denn es erbitterte ihn, daß seine Freude so[278] ungetheilt blieb, und der Freund nur auf die Verschiedenheit ihrer Wege achtete. Und wiederum konnte sich dieser gar nicht zufrieden geben, so die besten Erwartungen getäuscht und alle Sorge und Fleiß verschwendet zu sehen. Er betrachtete Rodrich mit unwilligen Blicken, ohnerachtet dessen freier Anstand und die edle Haltung dem künstlerischen Auge nicht zuwider seyn konnte. Tausend Versuche ihn der Kunst wieder zu gewinnen, glitten an der verschloßnen Seele des gereitzten Jünglings ab, der endlich unwillig ausrief: Ich kann nun einmal weder die Ruhe, noch die Freiheit erringen, in den abgeschloßnen Bahnen eine Welt aus mir hervorzurufen, die reich und gehaltvoll genug wäre, um mein Verlangen zu stillen, und ich will der Natur den[279] Schimpf nicht anthun, zu glauben, als führe nur ein Weg zur Seligkeit. Ich habe es immer gefühlt, sagte der Mahler, daß dir die rechte Liebe fehle, aber ich glaubte dich nun schon zu vertraut mit der Kunst, um je wieder von ihr lassen zu können. Jetzt sehe ich wohl, es war der Ritter und das Schwerdt, was dich an jenem Abend in der Hütte bewegte, und nicht die Freude am Bilde selbst, wie ich thöricht glaubte. Und doch, sagte Rodrich, durch jene Erinnerungen erweicht, ich kann da nichts trennen, und ich wollte, ich hätte diese Einheit, dies Zusammenfallen oder Zusammenhalten der Gefühle in allen Verzweigungen des Lebens bewahren können, aber da spaltet und fächert sich alles so seltsam von einander, daß die rechte Lust in tausend Stückchen zerbröckelt,[280] und nichts übrig bleibt, als die dürre Ueberlegung, die in besonnenen Augenblicken das Gerippe zusammenhält.

Der Mahler wandte sich verdrießlich von ihm ab, und er blieb in dem Andenken des hervorgerufnen Bildes und der Stunde versenkt, die ihn zuerst der Welt zuführte. Alles was er dem gütigen Beschützer verdankte, die edlere Bildung, äußeres Wohlseyn, die jetzigen Verhältnisse, alles dies reihete sich unmittelbar an jene Erinnerungen, und es that ihm leid, sich so schroff und stolz gezeigt zu haben, da auch sein jetziger Tadel eine Theilnahme verrathe, welche die Liebe für ihn und die Kunst so umfasse, daß er sie vielleicht selbst nicht zu trennen wußte. Indessen war es ihm tröstlich, daß ihm[281] dieser Streit wieder neue Anregungen gegeben, und ihn klar einsehen lehrte, wie nur das bewegliche, flüssige Licht des Geistes durch alle Zeiten fortströme, und sich von Geschlecht zu Geschlecht in den Herzen verjünge, während die kleinen Werke der Menschen zerfallen und ihr unscheinbares Daseyn von der Erde verschwindet. Und so, rief er, ist auch die stille Liebe und Seligkeit der Unglücklichen, deren Grab ich heut betrat, nicht gestorben, denn alles, was nur recht tief im Innern empfunden wird, das ist so gewiß ewig, wie das Leben selbst. Er sehnte sich mehr als jemals nach dem Kriege, wo die Gegensätze recht scharf hervorspringen, und der Mensch so groß über die Erde hinsieht und sich freudig vergißt in der Ehre und dem Ruhm, der ihn weit[282] überleben soll. Unter diesen Gedanken ging er mit raschen Schritten auf und ab, als ganz unerwartet, die beiden Mädchen vor ihm standen, die ihn vor wenigen Augenblicken so ergötzten. Es waren zwei zarte Röschen, deren nahes Erschließen sich in den halb jungfräulichen halb kindischen Blicken und Geberden offenbarte. Die Älteste sah schon recht listig aus dem Strohhütchen hervor, und als sie Rodrich umschlang, wehrte sie den Kuß nur leicht ab, der den frischen Mund flüchtig berührte. Die kleine Laura erzählte nun alles, was sie auf dem Herzen hatte, und wünschte sehnlich, die Aufmerksamkeit des schönen Herrn auf sich zu ziehn. Rodrich hörte auch willig zu, und ließ sich gern von dem Syrenenstimmchen in den süßesten Taumel hineinschwatzen. Cyane[283] trieb indeß zur Eile, da die Musi klängst angefangen hätte, und in der Laube schon getanzt würde. Als sie unter das Laubdach traten, kam ihnen Marie mit einem Korbe der schönsten Kränze entgegen, die sie überall an den Ranken befestigte, und das bunte Gewinde in der Luft spielen ließ, was den lustigsten Anblick gewährte, indeß die bewegten Blumen erfrischenden Duft verbreiteten und die zarten Wangen der Mädchen mit ihrem Glanze färbten. Alles war wie berauscht, und der Wirth, der es wirklich war, lief mit lächerlichen Geberden umher, und indem er den vollsten Kranz herunterriß, und ihn auf die rothe Stirn drückte, glich er einem Faun, der mit seinen Bocksprüngen die Gesellschaft zum unversiegbaren Gelächter reizte. Rodrich[284] hätte Cyanen, die beim Tanzen den Strohhut ablegte, des Gegenstücks wegen die schönsten Blumen zwischen die braunen Locken geflochten, und fühlte, als er die Reihen mit ihr hinunterflog, nicht ohne Bewegung die kleine Brust an der seinigen schlagen. Die andern Mädchen hatten sich indessen vertraulich genähert, und sahen mit Wohlgefallen in die hellen Blicke des vornehmen Fremden. Der leichte Ton, den er sich hier erlauben durfte, die ungezwungene Art des Tanzes, die leichtfertigen freien Blicke seiner Tänzerinnen, alles riß ihn fort, und er wiegte sich an der Hand einer schlanken Blondine in lüsterne Träume, als seine Augen denen der einsamen Mutter begegneten, die in dem Anschauen ihres Kindes versenkt, in einer eignen[285] Welt lebte, und nur zuweilen und flüchtig auf die wogende Fluth blickte. Er wußte selbst nicht, wie es geschah, daß er an Miranda dachte, und sich jeder unheiligen Regung in tiefster Seele schämte. Marie, die dem Kinde auch ein Blumenkettchen gewunden hatte, kniete vor diesem nieder, und schlang den Kranz um die weißen Küssen. Die schöne Frau küßte sie auf die Stirn, und Rodrich, der sich genahet hatte, hörte daß sie ihr leise zuflisterte, bringe doch den Bruder zur Ruhe, die Thorheiten ängstigen mich. Großer Gott! dachte er, muß dieser Himmel gerade von der gemeinsten Rohheit getrübt werden, und ist denn nichts rein in der Welt, daß man sich an keinem Gebilde ohne wehmüthige Störungen erfreuen darf. Ach es ist wahr, das[286] Glück und die Freude spielen nur auf der Oberfläche des Lebens, und wenn man sie fassen will, so winken sie uns weit aus der unerreichbaren Tiefe, wo der Mensch schaudert, hinabzusteigen. Der Mahler trat jetzt auf ihn zu, und fragte spöttisch, bist du so schnell mit der Wirklichkeit zerfallen, daß Du mit diesen trübseligen Mienen in die allgemeine Freude hineinschauest? – Und dankt Dirs der fliehende Augenblick nicht besser, dem Du dich so gern hingiebst? Wer hat ihn, fesseln wollen, fragte Rodrich, durch die Frage schnell zu sich selbst gebracht. Dies Ziehen und Wandeln, dieser ewige Wechsel von Lust und Schmerz ist ja das rechte Leben, dessen höchstes Ziel wohl jedem gleich abwärts steht. Dem Künstler nicht, erwiederte jener, der[287] weiß den Streit zu lösen, und den Augenblick zu verewigen. In den reinen Himmel seiner Phantasie tritt nur das Urbildliche der Welt, und die niedre Mangelhaftigkeit schwindet vor dem ewigen Schönen, das seinen Blick verklärt. Wenn ihn dieser Blick nicht durch das ganze Leben begleitet, sagte Rodrich, so sind dies auch nur Erhebungen, die er überall mit den höhern Menschen gemein hat, und was ist denn der Künstler anders als ein rüstiger Streiter, dem die Siegespalme aus der Ferne winkt. Oder ist es nicht ein Streit zu nennen, wenn Gedanke und That mit einander ringen, und die Schöpfung langsam ans Licht tritt und oft ganz anders, dem schaffenden Geiste fremd da steht, und er das eigne Kind widerstrebend anerkennt? – Ist es etwa[288] keine Mangelhaftigkeit, wenn der zurückgezogne Blick aus der innern Welt hervortritt und die kleinen Sorgen des Lebens ihm begegnen, den frischen Muth anfallen, an ihm nagen und zerren, bis er geängstet in seinen Himmel flüchtet, und ihm das nur ein Zufluchtsort bleibt, was eigentlich gar nicht von dem Leben losgerissen, sondern Eins mit ihm in der innern und äußern Verklärung gedacht werden soll? Wohl dem, erwiederte der Künstler, der sich diesen Zufluchtsort nicht versperrte, er ist ihm ein sichrer Anker auf der tosenden Fluth, wo die meisten ohne Halt herumirren und rettungslos untergehen. Wer sich so frech dem Kampfe blosstellt, und mit Riesenarmen die ganze Fülle der Natur im bunten Wiederschein ihres wandelnden[289] Lebens umfassen will, dem widersteht alles, bis die Hand, in der jede Lust zerbrach, dem thörichten Herzen Fesseln schmiedet, und ihm in der gänzlichen Hoffnungslosigkeit erst die rechte Hoffnung erblühet. So ging es manchem frommen Einsiedler, den ein mühevoller Weg doch nur zum verfehlten Ziele drängte. Haben Sie, sagte Rodrich ihn schnell unterbrechend, den Heiligen gekannt, dessen Bild Sie mit der hinreißenden Wahrheit auffaßten, so daß ihn Niemand ohne Rührung sieht. Ja, sagte der Mahler ernst. Mein keimendes Talent entfaltete sich unter seinem Schutz. Er stand zu hoch, als daß ich in sein Inneres hätte dringen sollen, allein ich weiß, wie das Opfer eines geliebten Kindes die schuldbeladne Seele befreien sollte, und darum[290] ward er zum Märtyrer an des Sohnes That. – Rodrich, den diese Worte außerordentlich bewegten, wollte weiter in ihn dringen, und sagte ihm, was er selbst Näheres von dem Zusammenhange des Ganzen wußte; allein der Mahler bat ihn, diese Erinnerungen nicht wieder aufzuwecken. Hat doch, setzte er hinzu, die Hand des Himmels jede Spur getilgt, und es soll ja vergessen seyn.

Ein allgemeiner Lärm zog sie hier zu der Menge hin. Der Wirth hatte in der Trunkenheit das Kind von dem Schooße der Mutter gerissen, und sprang in den gefährlichsten Stellungen mit ihm umher. Niemand wagte sich zu nahen, aus Furcht, ihn zu wildern Ausbrüchen zu reitzen. Vergebens flehete Marie, vergebens streckte die weinende[291] Mutter die Arme aus, er schrie und jauchzte vor innerer Lust und trieb sein tolles Spiel ungestört. Rodrich kannte sich nicht vor Wuth, er theilte schnell die gaffende Einfalt und rief mit fürchterlicher Stimme: steh' Kobold, und gieb mir das Kind! Wie gebannt ließ der Erschrockne die Arme sinken, und Rodrich faßte leicht und behend den zarten Liebling, den er in der heiligsten Rührung an das geängstete Mutterherz legte, indem er sagte: die Engel der Unschuld mögen dich hier bewachen und jede Gefahr von dir abwenden; und als umfinge ihn diese Unschuldswelt, neigte er sich vor der segnenden Hand der bewegten Frau, die ihm nur weinend dankte. Der Mahler drückte ihn an das Herz und konnte lange nicht sprechen, dann sagte er:[292] lebe wohl, mein liebes Kind, ich muß dich jetzt verlassen, aber ich scheide ruhiger von dir, als ich dich begrüßte, und wer weiß wie alles kommt, du kehrst wohl noch einmal zu deiner frühern Beschützerin zurück. Rodrich dachte jetzt nicht an die Kunst, und freuete sich nur der wiederkehrenden Liebe seines Wohlthäters, der sich seinen Umarmungen entriß und forteilte. Er wollte nun auch seinen Weg verfolgen, da ihm ohnehin die vorige Störung das kleine Fest verleidet hatte, und als er hierzu Anstalten machte, sah er mit großer Beschämung den reich gekleideten Felix von der schönen Blondine mehr als sich begünstigt. Er ließ schnell die Pferde kommen und ritt eiligst davon.

Wie er nun endlich das Ziel seiner kleinen Reise erreichte und die alte stark[293] befestigte Stadt betrat, fühlte er eine innere Scheu, die sich beim Anblick des etwas feierlichen Generals nur noch mehrte. Er konnte Anfangs nicht begreifen, wie dieser für den heitern offnen Grafen passe, und was sie eigentlich verbinde. Allein es offenbarte sich ihm bald eine ganz neue Seite seines Standes, die er bis jetzt noch nicht so beachtete, und die der erfahrne Graf wohl zu ehren verstand. Es war nicht sowohl das freie muthige Soldatenleben, was er hier traf, sondern der tiefere Kriegersinn, das Wissenschaftliche der edlen Kunst, was sich im Laufe der ernsten Gespräche verkündete, und als Rodrich seine Unwissenheit hierin nicht bergen konnte, mahnte ihn der gebildete Feldherr zum Fleiß und strengen Studium an, und gab ihm mit vieler[294] Güte selbst einige Anleitungen, indem er ihm die reichen Hülfsquellen seiner Büchersammlung eröffnete. Ich sehe wohl, sagte er, es fehlt Ihnen nicht an dem schnellen Blick, der Gewandtheit und Kraft, die das eigentliche Geniale des Kriegers verkünden, und was keine Kunst der verschloßnen Natur aufdringt; allein verschmähen Sie nichts, was Sie tiefer in das Wesen der Sache einführt, und Ihren Gesichtskreis in jedem Augenblick erweitert. Es ist nicht selten, daß die jugendliche Fülle sich ohne innern Halt früh erschöpft, und das schnell verströmte Feuer eine leere, schlaffe Unthätigkeit zurückläßt. Ich habe Jünglinge gekannt, die wohl früher die Welt erstürmt hätten, und sich dann in den engen Kreis mechanischer Fertigkeiten zurückzogen, um ein[295] träges Leben hinter einer gemeinen Wirksamkeit zu verbergen. Und wer weiß, ist die früh geendigte Laufbahn vieler Helden nicht oft die Rettung ihres Ruhms gewesen. Manchem wollte das Schicksal nicht so wohl, der dann eine glorreiche Jugend durch kleine Rücksichten befleckte. Es ist nothwendig, eine große innere Thätigkeit in sich zu erhalten, um den gewaltsamen Drang nach außen zu beschränken, der nicht immer das Rechte erzielt. Nur da, wo die Einsicht Vorsicht wird, und den eigentlichen prophetischen Blick erzeugt, ohne welchen der Feldherr nicht einen Schritt thun kann, da soll sich die innere Kraft ungemessen ergießen, bei der wachsenden Gefahr immer stärker anschwellen und wie ein gewaltiger Strom alles zu dem hohen, erkannten Ziele fortreißen.[296]

Rodrich sah wohl daß ihm noch vieles mangele, um mit Sicherheit den leicht betretnen Weg fortzugehen, und daß er, wie es wohl mehrere thun, die umfassende Wirksamkeit zu flüchtig überschaute, um sie gehörig zu würdigen. Es beruhigte ihn daher, als der General fortfuhr: Sie haben durch die Kenntniß alter Sprachen vielfache Mittel in Händen, alle Stufen der Kriegskunst zu durchlaufen. Je tiefer Sie sich in die großen Begebenheiten der Welt verlieren, je herrlichere Ideen strömen Ihnen von allen Seiten entgegen. Dies weite Feld eigener Nachforschungen und spekulativer Folgerungen, kann nur der rohe Haufe zu betreten verschmähen. Ich dächte, auch ein wenig entzündbares Gemüth müsse es bewegen, die großen Worte des[297] Cäsar zu lesen, und wer nimmt ohne Ehrfurcht die Anabasis in die Hand und bleibt kalt bei den Beschreibungen der selbst erlebten, oft mitgefochtnen Schlachten großer Geschichtschreiber! Es gehört glücklicherweise zu den nicht mehr geltenden Gemeinplätzen, daß dem Soldaten Gelehrsamkeit unnütz sey, und ich freue mich Ihretwegen, daß Sie die größten Schwierigkeiten überwunden haben.

Mehrere Tage waren ihm auf die angenehmste Weise in dieser unterrichtenden Gesellschaft verflossen, als ein Brief des Grafen seine Rückreise beschleunigte. Er schied von seinem neuen Gönner und den leicht gewonnenen Cameraden in der besten Hoffnung, Sie Alle nächstens im Felde zu begrüßen und eilte der Hauptstadt entgegen, wo[298] er Alles in Bewegung und zum Aufbruch bereit zu finden meinte, statt dessen aber Straßen und Häuser festlich geschmückt, und viel Volk vor den Fenstern des Schlosses stehen, aus welchem laute freudige Klänge erschallten. Auf sein Nachfragen erfuhr er, daß der Cardinal den Abend zuvor eingezogen und heut seine Ankunft bei Hofe gefeiert werde. Er blickte nicht ohne Widerwillen zu dem Schlosse auf, wo die ersten unangenehmen Eindrücke seine Freude trübten, und ging dem Grafen seinen Bericht abzustatten. Allein hier war alles leer. Die große Feierlichkeit hatte die schöne Seraphine und ihren Gemahl nothwendig herbeigezogen, kaum erfuhr er noch, was sie alle beschäftige, da die ansehnliche Dienerschaft sie fast insgesammt, den Glanz[299] zu vergrößern, begleitet hatte. Er ging verdrießlich durch die leeren Zimmer, und da der Auftrag des Grafen einen Aufschub von wenigen Stunden litt, und er ihn noch nicht zurück erwarten konnte, so beschloß er, zu Stephano zu gehen, wenn er nicht auch etwa zu dem verhaßten Feste geladen sey. Im Hinausgehen bemerkte er indessen durch eine Seitenthür Rosalien, die emsig schrieb, während ihre Cammerfrau mit Einpacken beschäftigt, Anstalten zu einer Reise machte. Er trat hinein, um die Veranlassung dieses unerwarteten Entschlusses zu erfahren. Doch als er sich nahete, und sie die seltsam glänzenden Augen aufschlug, ohne ihn eigentlich zu sehen, ohnerachtet ihre Blicke auf ihm ruheten, fühlte er sich so befangen, daß er sie kaum anzureden wagte. Nach[300] einigem Besinnen schob sie indessen das Geschriebene fort, und sagte: Sie sehen, ich muß wieder fort! Es geht hier auch nicht. Ich finde überall keine Ruhe, und alles widersteht mir so leicht, so gar die Musik, ich kann keinen Ton mehr finden, der mir nicht die heftigsten Schmerzen erregte. Wenn ich nur so recht aus voller Seele reden könnte, bis sich alles löste und der Druck, der furchtbare Druck verginge! Aber die Worte versagen mir, und meine Freunde verstehen mich nicht mehr, und sehen mich so befremdet an, daß mir gleich die Lust am Gespräche vergeht. Darum will ich auch in die Einsamkeit zurück, und immer fort schreiben, bis ich selbst nichts mehr weiß. Das Papier nimmt alle meine Gedanken so willig auf, und ein leerer Bogen sieht[301] mich so lange lockend an, bis ich ihm mein heiligstes Geheimniß vertraue. Ich könnte gar nicht mehr leben, wenn ich die weiße Fläche nicht vor mir sehe. Nur fühle ich zuweilen hier, auf der Stirn einen unerträglichen Schmerz, dann wird mir so seltsam, alle meine Träume verschwinden, ich kann dann gar nichts denken. Die Cammerfrau sagte jetzt, daß alles bereit sey und der Wagen sie erwarte. Rodrich bat um die Erlaubniß, sie in ihrem Schlosse aufsuchen zu dürfen, und versicherte sie seiner zärtlichsten Theilnahme, die jeden Augenblick für ihr schönes Vertrauen dankbar seyn werde; allein sie schien auf nichts anders zu achten, als nur schnell fortzukommen, und so entkräftet sie war, eilte sie mit ängstlicher Hast dem Wagen entgegen.[302]

Rodrich sah ihr wehmüthig nach. Die schöne Gestalt, über die der Schmerz so hinziehend alle Blüthen eines edlen Geistes grausam abstreifte, rührte ihn unbeschreiblich. Er sah mit Schmerzen, wie das freie Spiel ihrer Gedanken sich verwirrte, und ihre Phantasie wie ein drehend Rad herumtrieb. Die hellen Flammen des Verstandes entzündeten wohl auch ihr Licht, aber der Brennpunkt war verschoben, und es kreisete alles wild durcheinander. Er hatte sich unter wehmüthigen Erinnerungen auf ihren Platz gesetzt, als ihm jene Blätter in die Augen fielen, die sie ohnlängst beschrieb, und ohne weiter einen Werth auf sie zu legen, hier vergaß. Er konnte sich nicht erwehren, hineinzusehn, und fand gleich zu Anfang folgende Worte.[303]

»Ich sehe die alte Liebe wieder in Deinen Augen glänzen, Du verschmähst nicht länger, was Dir ewig angehört. Wie könntest Du auch den schmeichelnden Regungen widerstehen, die Dich, wie mich gefangen halten. Ende darum nur bald das ängstende Spiel, und löse die Ketten, die Dich halten.«

Gleich darunter stand:

»Niemand darf unsre Verbindung ahnen. Die Todten sollen unser Glück beschützen. Ich fliehe aus der Stadt, am Grabe meiner Mutter erwarte ich Dich. Da ist es still und heimlich.«

Rodrich wußte kaum, was er las, die Sicherheit und der Zusammenhang dieser Worte machte ihn zweifelhaft, ob sie nicht mehr als einen glücklichen[304] Traum enthielten. Doch bald riß ihn Folgendes aus allen Zweifeln.

»Fernando weiß um unsre Liebe. Er wird mich begleiten. Fürchte Dich nur nicht. Der Stern in seiner Brust dreht sich zwar kreisend umher, und berührt mich oft mit seinen Strahlen, daß es wie Flammen auf meiner Stirn brennt; aber er hat mir versprochen, ihn zu verdecken, und darum sey nur ruhig.«

Rodrich hatte noch nie die Qualen seiner unglücklichen Freundinn so lebendig als heut empfunden. Alle Kämpfe dieser geängsteten Brust, das fruchtlose Ringen und der arme Trost einer geträumten Liebe, preßten ihm heiße Thränen aus. Er lag noch weinend vor ihrem Bilde in Seraphinens Cabinet, als ein nahes Geräusch ihm[305] die Ankunft des Grafen verkündete. Er sammelte sich so gut es gehen wollte, um mit Anstand vor ihm zu erscheinen. Doch kaum gedachte er mit rechtem Ernste seines Geschäfts und dessen Beziehung auf eine freudige Zukunft, so blitzte die alte Lust wieder in ihm auf, und er ging rüstig und frei zu dem Grafen und richtete seine Aufträge aus. Nach einer kurzen Unterredung, in welcher er mit Freuden hörte, daß die Entscheidung nahe und der Krieg mehr als wahrscheinlich sey, der Herzog aber die jetzige fröhliche Stimmung durch keine voreilige Nachricht trüben wolle, trat die Gräfinn herein, und berührte Rosaliens schnelle Abreise, die ihrem Gemahl noch unbekannt war, mit aller ihr eignen Schonung, indem sie hinzusetzte, daß der Arzt mit dieser[306] Veränderung ihres Aufenthaltes zufrieden sey, und von der Stille und Ruhe ländlicher Einsamkeit wenigstens körperliche Erholung erwarte. Allein der Graf war diesmal nicht so leicht zu beruhigen, und verlor sich in vergeblichen Muthmaßungen über diesen unerwarteten Entschluß. Rodrich, der wohl die tiefsten Blicke in ihr zerrüttetes Gemüth gethan, wußte ihm nichts tröstliches zu sagen, und so schwiegen sie alle betrübt, denn selbst Seraphine hatte nicht mehr das Herz ihre ewig blühenden Hoffnungen laut werden zu lassen. und blickte selbst muthlos in die Zukunft. Doch riß sie der Graf, der sich nie dem Kummer ergab, und den Schmerz als seinen bittersten Feind haßte, gegen den er schnell und immer ankämpfte, aus der augenblicklichen Verstimmung,[307] indem er selbst andre Gespräche herbeiführte, und sich mit vieler Laune über den Hof und seine ganz eigne Demuth gegen den Cardinal ausließ. Ich weiß nicht, sagte Seraphine, welche seltsame Scheu er auch mir einflößt, es ist nicht Ehrfurcht, nicht Andacht, die ich bei seinem Anblick empfinde; aber mir ist als wenn die göttliche Verdammniß über der Erde hinschritte, und ich sinke ordentlich zerknirscht in mich zusammen, jeder lustige Gedanke erstirbt mir auf der Zunge, wenn die scharfen Blicke so gerade auf mich hinzielen, und auf der glatten Fläche des kalten Gesichts keine Spur von Theilnahme und Wohlwollen zu finden ist. Ich begreife nur nicht, wie man noch seinetwegen Feste anstellen und freudige Menschen versammeln kann.[308] Er sieht so gleichgültig darüber hinweg und steht da, wie der rächende Engel, dem das Verderben von selbst in die Arme laufen müsse. Miranda ist die Einzige, die sich in seiner Nähe gleich bleibt, und welche die Achtung für seinen Stand, mit der eignen Würde zu behaupten weiß. Alle Andern sind verändert. und ich selbst schäme mich meiner Furcht. Mich hat er nicht gestört, sagte der Graf, ich kenne ihn lange und sehe gern über ihn weg. Diese Ruhe und lauernde Kälte ist ja nichts Neues bei den Heiligen der Welt, und mich befremdet nichts, was von dieser Seite kommt. Nun, sagte die Gräfinn, morgen werden Sie ihn ja sehen. Es ist eine Abendversammlung in Theresens Lustschloß. Jedermann hat Zutritt im Garten, und es werden[309] viel lustige Masken und Aufzüge dort erscheinen, indessen Sie und wir Alle, die zum engern Ausschuß gehören, seine Heiligkeit umgeben müssen.

Rodrich war unaussprechlich erfreut Miranda wiederzusehen, und hoffte, ihre ruhige Heiterkeit werde ihn vor jedem feindseligen Einflusse bewahren. – So trennte er sich heiter vom Grafen und erwartete in stiller geheimnißvollen Rührung den folgenden Abend.

Der erleuchtete Garten glänzte ihm schon von fern entgegen. Hohe duftende Blumenranken verbanden die Gebüsche und trugen in vielfachen Bogen farbige Lampen. Statüen und Springbrunnen traten in dem spielenden Glanze recht freudig hervor. Ueberall hörte man unsichtbare Musik. Auf dem Strome wiegten sich die beleuchteten[310] Schiffe wie bunte Flammen, unzählige Masken drängten sich durch einander, Gesang, Spiel und Tanz wechselten in den verschiednen Gegenden des Gartens ab, und mitten aus der allgemeinen Verwirrung strahlte das Schloß auf den hohen Terrassen wie ein fester Stern. Von dort aus übersah man das Ganze mit einem Blick, die seltsamsten Erscheinungen drängten sich daran vorüber, während im Innern alles die Ruhe einer abgeschloßnen Welt athmete. Rodrich trat in die glänzende Versammlung, deren leises Flistern und stilles Wesen seltsam gegen den äußern Lärm abstach, Wie er dem Cardinal vorgestellt ward, fühlte er sich keinesweges durch dessen Anblick überrascht. Er war fest überzeugt ihn wo gesehen zu haben. Dies Bild hatte ihm immer[311] vorgeschwebt, und jedem Geistlichen lieh er in der Erinnerung diese Züge und diese schreckende Kälte. Er zog sich indessen sogleich zurück und fand sich bald zwischen Miranda und Elwiren an einem geöffneten Fenster, das nach der Wasserseite sah. Das lustige Spiel der Menge nahm sie hier gefangen. Sie weideten sich an dem Reichthum und der geschmackvollen Anordnung prächtiger Masken. Ein Triumph des Aurelian mit der strahlenden Zenobia und dem gedemüthigten Tetrikus zog mit allem ersinnlichen Pomp vorüber. Auf dem Strom schwamm dagegen ein künstliches Fahrzeug, das einen Neptun zwischen Tritonen und Nereiden zeigte. Ein neckender Proteus stand am Ufer und verwandelte Harlekin und Colombinen in Meerkälber[312] und Ungeheuer, die er dann unter lautem Jubel den Strand entlang trieb. Alles drängte sich ihnen nach, während ein einsamer Sänger in wunderlicher alter Tracht aus dem Gebüsch trat und folgende Worte sang:


Blumen süßes Angedenken,

Blumen, meiner Liebsten Gabe,

Seyd ein Bild der kurzen Freuden,

Die mit euch verblühend schwanden.


Seh' euch todt nun vor mir liegen,

Muß mit Wehmuth die betrachten,

Deren reiches, frisches Leben

Freudig meinen Sinn erlabte.


Zaid nimmt die welken Blumen,

Drückt sie gegen Mund und Wange,

Will mit Thränen sie benetzen,

Will mit Küssen sie erwarmen.


Und der Thränen helle Perlen

Glänzen in des Mondes Strahlen.[313]

Bebend so in Lichtes Wonne,

Spielen sie viel tausend Farben.


Blumen, wollt auch ihr mich täuschen

Neu erblüh'nd im mächt'gen Glanze?

Wollt euch dem Gestirn verbünden,

Das im Dunkel trüg'risch waltet.


Leben habt ihr mir gelogen;

Will nicht länger euch bewahren,

Denn für solch ein falsches Leben

Wähl' ich's einsam zu verschmachten.


Und er wirft die Liebespfänder

Von dem steilen Meeresstrande

Tief hinunter in die Fluten,

Sie auf ewig zu begraben.


Wie die Blumen dort verschwimmen,

Gar vergessend aller Farben,

Hat die Thrän auf ihren Blättern

Bald zur Perle sich gestaltet.


Perlen sind ja Liebesthränen,

Denn, von Wehmuth süß umfangen,

Ruht des Feuers ew'ger Funke

Mild verklärt im stillen Wasser.
[314]

Ruhig athmeten die Wasser,

Sonne glänzt' im Liebeslichte,

Und auf sanft bewegten Wellen

Floß daher ein leichtes Schiffchen.


Schön gebaut aus seltnem Holze,

Reich geziert mit bunten Wimpeln,

Deren roth und weiße Streifen

Lieblich in der Sonne spielten.


Auf den sammtnen Polstern ruhend,

Unter seidnem Baldachine,

Lacht in Jugend, Pracht und Schönheit

Fatme, des Alhambras Zierde.


Muntre Fischer ihr zu Füßen,

Ihres Hofes edle Diener,

Die, auf Fatmes Winken lauschend,

Leicht geschürzte Netzchen hielten.


Hell ertönten zu den Flöten

Viele männlich schöne Stimmen,

Und die Zauberkraft der Töne

Drang hinunter in die Tiefe;


Und es folgten gern dem Rufe

Grün und goldgesprengte Fische,[315]

Aus der Tiefe sich erhebend

Zu des Meeres obern Spiegel.


Doch der Ton war ihr Verderben,

Denn auf Schiffesrand sich schwingend,

Warf das Netz ein feiner Knabe,

Leicht erspäh'nd der Herrin Willen;


Nahm sie allzumahl gefangen,

Die im frohen Liebesspiele

Sich erlabend an den Klängen,

In den seidnen Kerker liefen.


Er, ihr Schrecken nicht beachtend,

Öffnete behend die Schlinge,

Und was sich zuerst ihm zeigte,

War der schönsten Perle Schimmer.


Lächelnd wandt' er sich zur Herrin,

Sprach mit höfisch feiner Sitte:

Dir allein gebührt dies Kleinod,

Sieh' in ihm dein göttlich Bildniß.


Fatme nahm entzückt die Perle,

Drückte sie an glüh'nde Lippen:

Perle, mir vor allem theuer,

Die so unverseh'ns ich finde.
[316]

Will in feines Gold dich fassen,

Sollst das Haar mir glänzend zieren,

Und du, holder Knabe, lese

Meinen Dank in meinen Blicken.


Schöne Perle, schöne Perle,

Sieh mich weinend stehn am Ufer,

Laß dich meine Klagen rühren,

Folge meinem bangen Rufe.


Du, des reichen Schmuckes Zierde,

Bist nun meinem Blick entschwunden,

Und ich Arme muß vergebens

Dich am öden Strande suchen.


Süßes Kleinod, kehre wieder,

Zier' aufs neu' mir Haupt und Busen,

Laß in deinem Glanz mich leuchten,

Leben nur in deinem Ruhme!


Nein, du bist in Nacht geboren,

Bist ein Kind der schlimmsten Mutter;

Trüg'risch war dein sanftes Leuchten,

Zu verlocken meine Jugend.


Grausend steh' ich hier alleine –

Schäumend naht ihr, wilde Fluthen,[317]

Wollt auch mich hinunterreißen,

Wie die Perl' ihr habt verschlungen!


Ihr entgegen klingen Stimmen,

Wie aus tiefem Meeresgrunde:

»Holder Perle süßes Leben

Blüht im stillen Heiligthume.


Was der Tiefe ward entrissen,

Kühn aus Tageslicht gerufen,

Sinkt zurück in Liebesarme

Scheu vor euren wilden Gluten.


Steig hinunter in die Wasser,

Kühle deines Herzens Wunden,

Und im feuchten Schooße finde

Neu erblüht die Wunderblume.«


Alle drei blickten ihm schweigend nach, als Elwire wie aus einem Traum aufschreckte. Mein Gott! meine Lieblingsromanze, wie kommt die hieher? Sie sprang vom Fenster und Miranda sagte nach einigem Besinnen: Es ist sonderbar, vor kurzem ging es mir[318] fast eben so. Diese Lieder haben einen innern Zusammenhang, ich kannte sie sehr frühe schon und habe sie sonst niemals gehört! Rodrich wußte nicht, was er denken sollte. Er war Miranda gefolgt, die in die Halle trat, und ging neben ihr, ohne daß beide redeten, so heilig und still war es in ihrer Seele, und keiner bemerkte, daß der Weg immer einsamer ward, und sie plötzlich vor dem matt erleuchteten Pavllion der Prinzessinn standen. Sie traten hinein, und eine unbeschreibliche Wehmuth ergriff sie, als die vorigen Töne aufs neue vorüber rauschten. Sie mußten beide weinen, und in der seeligsten Rührung sanken sie einander in die Arme. Als sie aufblickten, stand der Sänger hinter ihnen, er hatte die Larve abgenommen und Rodrich rief[319] voll Entzücken: Florio, mein Florio; so mußte ich Dich wiederfinden! Miranda hatte ihm die Hand gereicht, und sagte mit bewegter Stimme: Bist Du der Engel, der uns zusammenführte, so bewahre das Geheimniß, daß es ewig in unsrer Brust verschlossen bleibe! – Sie eilte hinaus, und Rodrich zog den Wiedergefundenen eilig an sein Herz, das alle Seeligkeit der Welt auf einmal erfüllte. Komm nur, sagte er, jetzt kann ich noch alles nicht fassen, aber ich werde mich wiederfinden, und mein unaussprechliches Glück begreifen lernen. – Sie stießen hier auf Stephano, der einsam an einem Baum lehnte und weit über den Strom hinaus sah. Rodrich eilte auf ihn zu, schloß ihn stumm an die Brust, und ging unter Freudenthränen an Florio's Hand zurück in die Stadt.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Roderich. Ein Roman in zwei Theilen. Teil 2, Berlin 1806–1807, S. 3.
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