VI

[120] Die Reue folgt der Tat aber auch nicht immer auf dem Fuße; Pausen des Friedens und der Wonne liegen zwischen ihnen. Und solch eine Pause war auch für mich die Zeit, welche dem Tage der Erfüllung folgte. Was jedoch soll, was kann ich weiter von ihr sagen? Das reinste Glück hat noch nie einen Maler gefunden.

Nach außen hin änderte sich unser Leben wenig und nach innen kaum mehr. Ich wußte, daß ich ein Kind zu einem Weibe gemacht und daß ich es nicht mit der späten Glut eines Mannes, der mehr als vierzig Jahre ohne Liebe gelebt, nun, da deren Forderungen sein Recht waren, aus dem Gleichgewicht bringen durfte. So möchte unsere Ehe, wie entgegengesetzt auch Naturen und Motive, wohl jenen gut bürgerlichen gleichen, die gewohnheitsmäßig, ohne starke Impulse geschlossen, und vielleicht darum eben, dem Maßstabe entsprechend, glückliche genannt werden. Nie trübte eine Wolke Loris reine Stirn. Das junge Herz schlug im frohen Takte, wie bisher, und das verjüngte genoß, ledig aller unruhigen Zweifelsucht, zum ersten Male im Leben der guten Stunde. Und diese friedliche, selige Stunde währte nahezu zwei Jahre. O, daß ich mit ihr meine Bekenntnisse schließen dürfte! Denn der Quälgeist im Hirn war nicht tot, er schlief nur, wie ein Wurm im Sonnenschein, um neugestärkt zu erwachen.

Den ersten Mißklang in unsere Harmonie, das heißt in[120] mein Gemüt allein, trug während des zweiten Winters unserer Ehe die Kunde von des Prinzen Rückkehr nach Dresden. Lori nahm dieselbe mit völliger Unbefangenheit auf; nahezu vier Jahre waren es, daß sie ein paar Abendstunden bewundernd zu seinen Füßen gesessen, sie hatte selten wieder an ihn gedacht und ihn daher so gut wie vergessen. »Wenn er zu uns kommt,« sagte sie lachend, »wirst du sehen, Väterchen, wie ich der Frau Oberforstmeisterin mit meiner Waldkonduite Ehre mache.« (Das »Ober« war dem Forstmeister als heiliger Christ und Lohn für den vollendeten praktikablen Heideweg angehängt worden.)

In erster Ordnung schien es daher – und war auch wirklich – nicht eifersüchtige Befürchtung, die mich verdrießlich stimmte, zumal auch von der anderen Seite dem Mißtrauen gleichsam ein Riegel vorgeschoben worden war, indem landläufig das Gerede sich verbreitet hatte – vielleicht einzig und allein den weiblichen Bewohnern unseres Heideschlößchens nicht zu Ohren gekommen –, daß jenes bereits erwähnte schöne Weib, die wilde Britin, oder Lady Pandura, wie der Volksmund sie getauft, auf ihrem Eroberungszuge auch die galante Polenhauptstadt nicht verschont habe, alldort unserem Prinzen nahegetreten sei und kurz vor ihm nach der sächsischen Residenz zurückgekehrt sei. Dieses Gerede, das mich völlig hätte beruhigen sollen, wurde zum Ursprung meiner Beunruhigung: ich witterte den ersten trüben Hauch über einem Herzensspiegel. Was war nach der Auffassung der Welt und im Grunde bei aller verbissenen Tadelsucht, auch nach der, an welche ich mich selbst gewöhnt hatte, was war dabei, wenn jenes Gerücht nicht bloß ein solches war? Das mehr oder minder flatterhafte Verhältnis eines hohen Herrn, obendrein eines unvermählten,[121] zu einer schönen Frau seines Lebenskreises, Neid und Mißgunst würde es erweckt haben, ein Ärgernis nimmer. Der Kodex für einen Fürsten ist nun einmal ein anderer als für den gemeinen Mann. Hatte doch selbst der feinsinnigste der Reformatoren eine doppelte Fürstenehe geweiht.

Aber Lori stand für mich außerhalb, nein, weit oberhalb der Welt und hoch über mir selbst. Wie eine Nonne ihren Schleier, sollte sie ihre Unschuld und den Glauben an unbedingte Tugend als Ehrenschmuck durch das Leben tragen; hätte ich früherhin den verführerischen Helden von ihr fernhalten mögen, nun, bei Gott! den gestürzten Helden, den Frevler noch viel mehr.

Der heimliche Mißton sollte nur allzubald zur lauten Unruhe werden.

Es war in der österlichen Zeit; die Zugvögel kehrten aus dem Süden heim. Der Schnepfenstrich hatte begonnen. Ein Frühlingskultus für hohe Herren; daß er es auch für schöne Damen sei, erlebte ich mit Ingrimm heuer zum ersten Male. Lady Pandura war zur Feier desselben als umhuldigter Gast eines standesherrlichen Hauses in unserer Nachbarschaft eingekehrt; ich hatte sie mehr als einmal, ganz allein, bloß den Büchsenspanner hinter sich, auf einem feurigen Berberhengst kreuz und quer durch die Heide sausen oder auch in weidmännischer Gesellschaft zwischen dem Unterholz nach einem der auszurottenden Eber zielen sehen und den Zufall gesegnet, daß Lori bei keiner dieser Begegnungen an meiner Seite gewesen, das Dasein der befremdlichen Amazone ihr demnach verborgen geblieben war.

Wo aber die Dame sich divertierte, konnte ihr deklarierter Kavalier ja nicht lange ferne bleiben, und in der Tat wurde er nach kaum einer Woche zum Weidgenuß in seiner städtischen[122] Residenz angemeldet. Daß er das Heideschloß nicht verschonen würde, darauf machte ich mich gefaßt, verschonte der Himmel es nur gnädig vor der Widerwart der Männin, die sich ein Weib zu heißen erdreistete!

»Nun gilt es die Probe der Unschuld auf Weltlust und Eitelkeit – und vielleicht auch noch auf jene stärkere Macht, die alle Schuld gebiert – aber auch alles Glück!« so murmelte der Störenfried im Herzen, während ich, abgesondert von meinen Mitbediensteten, zum Empfang des Herrn vor dem Stadtschlosse auf und nieder schritt.

»Sind Sie krank, Klösterley?« fragte der Prinz, als die Reihe der Begrüßung an mich gekommen war. »Ein junger Ehemann sollte bessere Miene haben.«

Ich sah, das heißt von meinem Stimmungslicht beleuchtet, sah ich einen ironischen Zug um seine Lippen spielen und übersetzte mir die Frage: »Alter Sauertopf, wie konntest du dich noch in den Irrgarten der Jugend wagen?« Um so dreister antwortete ich:

»Halten zu Gnaden, Durchlaucht, ich könnte mich nicht wohler fühlen.«

»Und Ihre kleine Waldfee?«

»Desgleichen, Durchlaucht.«

»Das freut mich, Freund!«

Mein Stimmungsohr hörte: »Das bezweifle ich, Narr!«

Indessen schien die Prüfungszeit gnädig zu verlaufen. Bei unseren geschäftlichen Unterhaltungen und den Jagdexkursen, selbst in Begleitung der Amazone, zeigte der Herr wiederum den praktischen Vorausblick, den ich an meinem früheren Gebieter so gründlich vermißt hatte. Über dem weidgerechten Schützen stand der holzgerechte Förster; er begriff, was der mißhandelte Wald künftigen Geschlechtern[123] zu bedeuten habe, lobte meine Einrichtungen und gab manchen Fingerzeig. Da er überdies nicht ein einziges Mal in unserem Schlößchen einkehrte, söhnte ich mich von Tage zu Tage mehr mit ihm aus, und sogar mit der schönen Widerwart, welche in Begleitung ihrer gräflichen Hauswirtin und anderer hoffähiger Damen regelmäßig, wie auch ich, an der prinzlichen Tafel teilnahm. Gott sei Dank, daß die Oberforstmeisterin Klösterley nicht hoffähig war und es zu sein auch nicht verlangte. Die Frist zur Schnepfenjagd war überdies nur kurz bemessen worden, weil der Prinz eine Frühkur in Karlsbad in Aussicht genommen hatte. Zu besserem Gedeihen ohne Zweifel unter liebenswürdigem Geleit. Die Lenzstille im frischgrünen Tepeltale mußte erotischen Stimmungen jedenfalls günstiger sein, als das Treiben der hohen Saison.

»Übermorgen ist die Luft rein!« Der Gedanke würzte mir jeden Bissen und Tropfen der letzten Tafel, zu der ich befohlen war. Ich vergaß in meinem Wohlgefühl, daß vor dem Übermorgen noch ein Morgen liegt.

Der Prinz hatte für den Tag der Reisevorbereitung mich vom Dienst entbunden und mit den Worten verabschiedet: »Grüßen Sie Ihre kleine Waldfee von mir.«

(Der Name Waldfee schien für Lori in der Nachbarschaft gang und gäbe und war mehr als einmal von dem Prinzen und seinen Tischgenossen ausgesprochen worden, wie mich dünkte, mit dem stillen Nebengedanken an einen Kobold oder Drachen, der das Feechen hütete. »La belle et la bête!«)

Ich küßte dem Prinzen mit Inbrunst, weil zum Lebewohl, die Hand und verbeugte mich vor seiner Dame, die nebenbei in einer Fensternische stand.

»A propos! Feenschlößchen!« rief sie mit ihrem kurzangebundenen,[124] metallischen timbre, »uns bleibt noch ein freier Tag, um es kennen zu lernen. Auf morgen denn, Monsieur!«

Es mochte wohl ein kläglich hülfeflehender Blick sein, den ich zu dem Prinzen hinüberwarf, denn er machte Mylady in ihrer Landessprache einen Einwand, den ich mir selbst nicht unterstehen durfte und der, seinem Tone nach, dahin auszulegen war, daß die Kenntnis nicht lohnen werde.

Widerspruch aber reizt.

»Ganz recht, Durchlaucht! Ich bin weder Märchenprinzessin, noch Schäferin,« sagte sie in verständlichem Französisch. »Eben darum aber liebe ich Feenspiele und Idyllen, würde auch gern eines von beiden, oder beide vereinigt, einmal in Wirklichkeit leben sehen. Erwarten Sie mich also, Monsieur.«

Der Prinz runzelte die Stirn. Verdroß ihn der ironische Trotz, die veränderte Disposition – oder was sonst? Noch schwieg er eine Minute lang.

»Melden Sie uns denn Ihrer lieben Hausehre für morgen nachmittag auf ein Schälchen Kaffee an,« sagte er endlich mit gezwungenem Lächeln, indem er mir die Hand reichte.

Er wagte, er durfte wagen, eine Kreatur von diesem Ruf – und wenn auch nur ein Bruchteil desselben Wahrheit war – in mein Haus, an meinen reinen Herd, unter die Augen meines kindlichen Weibes zu führen! Mein Großvater, der Schneider, hätte ihm die Tür weisen und sagen dürfen: »Herr, wir deutschen Bürgersleute pflegen andere Sitten.« Und wer weiß, ob er es nicht wirklich gesagt und getan haben würde. Sein Enkel, der Bewunderer antiken Tugendstolzes, öffnete chapeau bas mit einem untertänigen Bückling der Kurtisane und ihrem Cicisbeo die Tür.[125]

Aber auch mit welchem Gift im Blut!

Eine gewisse Genugtuung, ja, eine schwächliche Schadenfreude gewährte es mir, daß auch der Herr, als er seiner Begleiterin vom Pferde half, sich keineswegs in der Laune eines Amoroso zu fühlen schien. Er kniff die Lippen übereinander, wie er es bei verdrießlichen Anlässen zu tun pflegte. Hatten sie sich bei Wege überworfen? Es heißt zwar, tapfere Soldaten seien den Frauen gegenüber fromm, von Lady Pandura aber sagte die Welt, daß täglich wenigstens eine querelle d'Allemand, ein éclat, eine rupture, so gut wie ein Parforceritt, zu ihres Lebens Notdurft gehören. Oder – empfand der Herr in meiner Seele die Ungebühr dieser Heimsuchung, spürte er wohl gar die Schädigung eines unbefleckten Menschenherzens?

Sein Blick begegnete dem von Lori, die auf der Rampe ihren Gästen entgegenlächelte, in heiterer Erwartung, aber ohne einen Zug von Unruhe oder Mißtrauen in ihre gesellschaftliche Unerfahrenheit. Sie war nicht mehr das Kind von dazumal, trug keine langen Zöpfe und kurzen Röckchen mehr, allein auch weder einen modischen Panier, noch Puder und Turnüre. Im weißen Kleide, die blonden Haarwellen natürlich aufgewunden, mit den blühend gerundeten Wangen und den goldbraunen, nach innen dunkelnden Aurikelaugen, mit ihren ungekünstelten Bewegungen glich sie auch heute noch dem Bild der Unschuld, einem Kind. Wie sie sich jetzt vor der stattlichen Dame im goldverbrämten, scharlachroten Reitanzug und wallenden Federbusch verneigte, hätte die letztere ihre Mutter vorstellen können, freilich eine schönere Mutter, als die Tochter war, schöner, weil regeren Blutes, sogar als deren wirkliche Mutter es gewesen.

Eine Pariser Rose neben dem lebenden Veilchen. Wie[126] würde bei strahlendem Kerzenlicht dessen duftiges Blau vor Farbe und Parfüm der gemachten Blumenkönigin verschwunden sein! In klarem Sonnenschein stach die Natur das Kunstgebilde aus.

Ich machte diese Bemerkung nicht allein, vielleicht nicht einmal zuerst. Auch der Dame Stirn zog sich in eine Falte unter dem kleinen schwärzlichen Halbmond, welcher deren Weiße als Folie aufgedrückt war: ihre Blicke waren denen des Begleiters gefolgt, wie diese, sich senkend von der hohen Gestalt, auf der kindergleichen ruhten und die Sonnenwenden zu zählen schienen, welche die Waldblüte der Weltblüte nachzuleben hatte.

Lori hatte des Prinzen Hand gefaßt, dieselbe zu küssen, wie sie es Vater und Mutter dereinst getan, wie sie, meinem Sträuben zum Trotz, es auch mir noch bei jedem Morgengruße tat. Er duldete die Ehrfurchtsbezeugung nicht, aber er behielt ihre Hand in der seinen, als er, den merklichen dépit seiner Begleiterin unbeachtet lassend, nicht diese, sondern die junge Hauswirtin in das Zimmer führte, wo er an jenem verhängnisvollen Abende die Mutter zum letzten Male gesehen und welches unverändert die Spuren von deren Dasein trug. Ein warmer Druck der Hand mochte eine beileidige Erinnerung bedeuten. Eine Träne stieg in den klaren Kinderaugen auf; bald genug von einem fröhlichen Lachen abgelöst. Der ist ja lange tot, der vor einem Jahre starb, und seit Frau Lorenza starb, waren es ihrer drei; ihre Lori aber wußte nichts von konventionellen Gefühlspausen und war von Natur weder Schauspielerin noch Pleureuse.

Der Kaffee wurde genommen an dem nämlichen Tische und aus dem nämlichen Gerät, wie dazumal der Tee, und[127] wie dazumal war der hohe Gast nicht in ausgiebiger Stimmung. Die Dame hatte sich, nach einem schier indignierten Blicke auf ihren Galan, hinter dem voranschreitenden Paare drein das Armgeleit des Hauswirts gefallen lassen müssen; inmitten von drei bescheiden oder verdrießlich Schweigenden führte sie nunmehr das Wort. Offenbar, daß sie ihre Märchenneugier bereute. Ein schüchternes, unflügges Piepmätzchen in einem Schuhuneste aufgezogen und darin mit Argusaugen gehütet, mochte sie erwartet haben. Nun flatterte ein niedliches Waldvögelchen ganz wohlgemut vor ihr her, hohe Augen senkten sich gefällig zu ihm herab, und der alte Schuhu machte gute Miene zum bösen Spiele. Und da wollte es ihm, dem Schuhu nämlich, denn bedünken, als wäre es darauf abgesehen, nach dem zerstörten Märchenreiz, auch dem des Schäferspiels gründlich den Garaus zu machen und das Waldvögelein, das kein Piepmätzchen war, als richtiges Landgänschen darzustellen. Seinethalben! Er hätte um dieser Wirkung willen sein Vögelchen desto lieber gehabt! Wenn nur nicht der, auf welchen die Wirkung berechnet war, sich so geflissentlich zum Schwanenritter gegen den stolzen Paradiesvogel aufgeworfen hätte!

Das Frage- und Antwortspiel, das sich nunmehr erhob, gellt mir noch in den Ohren, als hätte ich es gestern gehört. Hier ein Bruchstück desselben, wenn es sich in deutscher Übertragung auch weniger pikant, als im welschen Original ausnehmen wird.

Lady. »Haben Sie Nachbarschaft, Umgang, Madame?«

Lori. »Zur Jagdzeit sehen wir manchmal Leute. Im Sommer aber kommt selten jemand, außer unser guter, alter Doktor.«

[128] Lady. »In dieser Einöde verbringen Sie auch den Winter?«

Lori. »O, gnädige Frau, wenn Sie uns einmal im Winter besuchen, werden Sie sehen, wie schön unser Wald da erst ist.«

Lady (in Parenthese: Es hieß von der tollen Britin, sie spiele die Geige wie ein Zigeunerhauptmann. Aber Hörensagen ist ja halbe Lüge. Vermutlich hat sie nur die Laute geschlagen). »Sind Sie musikalisch?«

Lori. »Ich glaube nicht, gnädige Frau. Mein bißchen Singen und Gitarrenspiel heißt wohl kaum Musik.«

Lady (in Parenthese: Sie galt für eine Philosophin, Freundin ihres Landsmannes Hume und gelehrte Schülerin seines geistreichen Vorläufers Locke. Soll sie doch ungescheut dessen These von der Denkkraft der Materie verteidigt und sogar weiter ausgeführt haben. Vielleicht, daß fälschlich aufgefaßt, sie nur das Denkvermögen ihrer diversen Anbeter in Schutz genommen hat, oder den Intellekt ihres arabischen Hengstes, des einzigen männlichen Wesens, dessen sie bei näherer Bekanntschaft bis dato nicht satt geworden war). »So lesen Sie zum Zeitvertreib wohl viel?«

Lori. »Wenn Väterchen, ich meine meinen Mann, mir vorliest oder von dem, was Hübsches in seinen Büchern steht, erzählt, höre ich es gern. Allein aber lese ich nicht.«

Lady. »Auch nicht Romane oder Gedichte?«

Lori, die, was ein Roman war, nicht wußte und von Gedichten etwa nur ein paar Gellertsche oder Hagedornsche Lieder und Fabeln kannte, schüttelte den Kopf.

Lady (zu dem Prinzen gewendet). »In Wahrheit ein Idyll! Wie finden es Durchlaucht?«

Prinz. »Höchst lehrreich, Mylady, da es auf Ihre psychologische[129] These in effigie die Antithese gibt, die Mylady uns schuldig blieben.«

Lady. »Und die wäre?«

Prinz. »Liebt man bisweilen, was man nicht ist, so ist man bisweilen, auch was man nicht liebt; zum Beispiel: ein Gedicht!«

Lady. »Scharmant! Die Poesie des deutschen Hausmütterchens, ein Stilleben am Herdfeuer und Spinnrocken!«

Lori (beschämt einfallend). »Ach nein, gnädige Frau. Unsere Frau Bach kocht ganz allein, und ich spinne auch schlecht und gar nicht gern.«

Lady (lachend). »Wirklich nicht? Aber um des Himmels willen, junge Frau, womit vertreiben Sie sich die Zeit, was machen Sie den lieben, langen Tag?«

Lori (gleichfalls lachend). »Ja, was mache ich denn, Väterchen? Ich glaube, nichts.«

Prinz (an Stelle des schweigenden Väterchens). »Sie macht Freude, Madame, das beste Geschäft für eine Frau, und das am seltensten gelingt.«

Lady (scharf). »Weil es auf Gegenseitigkeit beruht. Glücklich macht, wer glücklich ist.«

Prinz. »Oder gut!«

Lady (die Achseln zuckend). »Haben Sie nie Langeweile, Madame?«

Lori. »Niemals, gnädige Frau.«

Lady. »Keine Wünsche?«

Lori. »Was sollte ich mir wünschen? Ich habe ja alles!«

Lady (zu mir gewendet). »Mein Kompliment, Herr Gemahl. Sie sind ein Unikum.«

[130] Prinz (mir die Hand reichend). »Oder besitzen es, Freund! Hüten Sie es wie bisher. Unter der Brillantierung zersplittert manches Juwel.«

Lady (mit unverhülltem Hohn). »Ein wenig galanter Vergleich, Durchlaucht. Ungeschliffene Diamanten sind Kiesel. Warum sagten Sie nicht Perle?«

Prinz. »Das Produkt einer Krankheit als Bild der Herzensreine?«

»Trève d'allégories!« rief die Dame, erhob sich rasch und schritt mit flüchtigem Gruß nach der Tür. Ihr Kavalier folgte ihr nach einem Händedruck an Wirtin und Wirt. Die Idyllenprobe hatte kaum eine Viertelstunde gedauert; aber für zwei von den Vieren doch zu lange. Für den Schuhu und den Paradiesvogel!

Auch war es kein versöhnlicher Augenstrahl, welcher die Amazone streifte, als sie den Fuß auf die Hand ihres Ritters setzte, um ihren Araber zu besteigen. Wie ein Pfeil jagte sie voran. Der Herr folgte ihr, nachdem er noch freundlich dem ungeschliffenen Edelstein und seinem glücklichen Besitzer zugewinkt hatte. Ob er die zürnende Diana eingeholt hat, kann ich nicht sagen.

»Ist die Dame unseres lieben Herren Gemahlin?« fragte, als er unseren Augen entschwunden war, Lori, die, noch immer bestürzt über den jähen Aufbruch, an der Rampenbrüstung lehnte.

»Vielleicht wird sie es noch,« antwortete ich. »Vor der Welt heißt sie seine Freundin und er ihr Freund.«

»So wie wir es waren, ehe wir Mann und Frau wurden, nicht wahr?«

»Ungefähr so. Ich kann es nicht wissen, und du, Kind, würdest es nicht verstehen.«[131]

»Ich möchte aber gern verstehen lernen, Väterchen, was unseren Herrn glücklich macht.«

Ich ahnete, was ihn glücklich machen würde – und auch wer.

»Gefällt dir unseres Herrn Freundin?« fragte Lori von neuem nach einer nachdenklichen Pause.

»Sie wird als Schönheit und großer Geist in der vornehmen Gesellschaft bewundert,« wich ich aus, um weder zu lügen, noch schlechthin nein zu sagen.

»Bewundert? das hätte ich nicht gedacht,« versetzte Lori kopfschüttelnd mit großen, ungläubigen Augen.

»Du kennst eben noch keine berühmten Leute, die bewundert werden, Kind.«

»O, unseren Herrn!« rief sie voll Stolz, setzte aber nach abermaliger Pause vertraulich, als wäre sie zu einem besonderen Resultate gelangt, hinzu: »Weißt du was, Väterchen. Ein berühmter Mann gefällt mir viel besser, als eine berühmte Frau. Und weißt du was noch? Ich hätte unserem lieben Herrn eine andere Freundin gewünscht.«

»Dem Himmel sei Dank,« dachte ich, als ich mich nach diesem Tage der Unruhe am Abend zur Ruhe begab. »Morgen sind diese Berühmtheiten über alle Berge, und vor ihrer Wiederkehr wollen wir uns sicherstellen!«

Leichteren Herzens als seit Wochen, weil mit dem festen Entschluß, vor Beginn der herbstlichen Jagdzeit meine Dienstentlassung nachzusuchen, machte ich mich früh am anderen Tage zur Abschiedsreverenz auf den Weg nach der Stadt. Wie ein Keulenschlag gegen die Brust traf mich daher die Begegnung des hochbepackten prinzlichen Küchenwagens, den ich mitten in der Heide kreuzte. »Was bedeutet das?« fuhr ich den Kutscher an.[132]

»Proviant ins Schlößchen,« lautete die Antwort.

Ich sprengte weiter, halb betört.

Auf der Rampe des Stadtschlosses hielt statt des Reisewagens eine leichte Jagdkalesche. Des Prinzen alter Kammerdiener wartete des Herrn. Er war meines Vaters Freund gewesen und behandelte mich mit kameradschaftlicher Vertraulichkeit. Das runzelige Gesicht strahlte vor Vergnügen.

»Das Fegefeuer ist fort!« raunte er mir in das Ohr.

»Fort – fort – wohin?« preßte ich heraus.

»Ja, was weiß ich? Ins Pfefferland meinetwegen.«

»Und er – der Prinz – –?«

»Gott sei Dank, daß er noch so vor Torschluß mit einem blauen Auge davongekommen ist. Die fackelt nicht, das war sein Glück. Du meine Güte! Bei der im Joche stehen, – lieber Schildwache vor einem Pulverturme, wenn über einem ein Donnerwetter kracht.«

»Aber der Prinz, der Prinz – –«

Eben trat er aus dem Portal, dem Ansehen nach durchaus nicht wie ein abgesetzter Amoroso, sondern leichten Schrittes und frohen Auges, so, als ob ihm ein Stein vom Herzen gefallen wäre. Ja, von dem sei nen, auf meines!

»Ihr alter Weise«, sagte er, mir die Hand reichend, »findet die Jahreszeit für Karlsbad noch zu früh. Ich gebe auf diesen erfahrenen Mann mehr als auf unsere superklugen Speichellecker. Da er als Vorkur zu einem ländlichen Aufenthalte rät, bei starker Bewegung und schmaler Kost, finde ich Ihr Schlößchen den geeignetsten Ort. Ich hoffe, Sie nehmen mich gern für ein paar Tage darin auf.«[133]

Was solch ein hoher Herr nicht alles hoffen darf! In das Pfefferland zu seinem Fegefeuer hätte ich ihn jagen mögen.

Ich mußte zu ihm in den Wagen steigen; er war gesprächig wie noch nie, Gott weiß, über was. Ich kniff die Zähne aufeinander und preßte das Herzblut hinunter, das mir in jachen Stößen zu Kopfe stieg. In meinen Füßen lag es wie Blei. Der Prinz schoß bei Wege ein paar Schnepfen. Ich fehlte.

»Was haben Sie, Klösterley?« fragte der Prinz verwundert. »Ihre Hand zittert.«

»Ein Krampf, wie manchmal,« murmelte ich und ballte die Hand zur Faust.

Im Schlößchen brodelten bereits Kessel und Pfannen. Der Fourgon war angelangt, die frohe Mär von des Prinzen Einkehr hatte Herzen und Hände rege gemacht, die alte Michelin wollte es sich nicht nehmen lassen, neben der Frau Organistin wiederum in Funktion zu treten. Lori empfing uns unter dem Gartentor mit einem Jubelruf. Sie hatte sich einen Strauß von Himmelsschlüsselchen vor die Brust gesteckt und einen gleichen in einem Wasserglas in des Prinzen Kabinett gesetzt. Für das Väterchen hatte keiner mehr gepflückt werden können.

Der Prinz bat sich bei uns während seines Aufenthaltes zu Gaste, das heißt, es waren seine Töpfe, die er an unserem Herdfeuer schmoren ließ, und seine Leckerbissen, die wir an seiner Tafel in seinem Speisesaal ihm verzehren halfen. Wermut und Scheidewasser würden mir köstlicher gemundet haben! Am Abend nahmen wir den Tee in unserer »guten Stube«, dem Salon der seligen Baronin. Loris und mein gemeinsames Bereich war das[134] früherhin von mir allein bewohnte. O, hätte ich gedacht, daß ich, eines Tages, dieses Heiligtum mit Argusaugen hüten würde! Wir aßen sonsthin zum Nachtmahl eine standfeste deutsche Suppe; unser hoher Gast hatte jedoch englischen Brauch angenommen, und wir fügten uns ihm in geziemender Untertänigkeit.

Die halbe Nacht plauderte Lori von dem berühmten Mann.

»So schlaf doch, Kind! es ist spät,« rief ich aufgebracht.

»O, ich bin noch gar nicht müde,« sagte sie.

»Aber ich!« grollte ich.

Sie schwieg und schlummerte endlich ein. Aber noch lange bewegten sich die Lippen in flüsterndem Traum. Nur daß ich das Gelispel nicht verstand. Denn ich, ich schlief nicht.

Das Martyrium hatte angehoben, nein, die Folterqual!

Am Morgen ging der Prinz in meiner Gesellschaft oder auch allein auf die Pirsch; nach Tisch machten wir zu drei eine Waldfahrt; der Prinz und Lori im Innern der zweisitzigen Kalesche; ich an Stelle des Kutschers die Zügel führend; der Leibjäger folgte zu Pferd. Das weitere Gefolge, mit Ausnahme des Kammerdieners, war im Stadtschlosse zurückgeblieben, Gäste wurden nicht geladen.

So den nächsten Tag und alle folgenden. Nach dem Tee verweilte der Prinz noch ein paar Stunden bei uns. Er war mitteilsam gestimmt; wie vieles hatte er zu erzählen, und wie verstand er zu erzählen, einfach und anschaulich, humoristisch ohne Ironie, der Absicht nach gegenständlich, das heißt, von seiner Person abstrahierend und[135] doch unwillkürlich und ganz naturgemäß er selbst allezeit im Mittelpunkte der geschilderten Szene, der Held, welchem Ehrenpforten errichtet und Lorbeerkränze zugeworfen wurden. Lori horchte andächtig zu; ich, ich spannte mit Augen und Ohren, nicht auf das, was er vortrug, sondern auf die Art, wie sie es empfing. Denn der Weg der Liebe wie des Hasses geht zum Herzen weit weniger durch den Geist, sondern durch Auge und Ohr. Jeder Blick gab mir einen Stich, jeder Laut ätzte eine Wunde.

Und was sah und hörte ich denn, das mir das Blut so tödlich versetzte? Ach, wie es in der Erinnerung vor mir auflebt, nichts, als was ein Menschenkenner, der zu sein ich mich brüstete, hätte natürlich finden, was einen wahren Freund hätte erfreuen müssen. Daß einen von allen Reizmitteln der Existenz, von Genüssen und Gefahren übersättigten Mann ein Wohlgefühl überkommt beim Anschauen eines Wesens so unberührt von Lust und Verderben der Welt, wie Natur und Schicksal nur selten eines sich entwickeln lassen, ist das ein Frevel? Hätte nicht auch ihn, den mehr wie ich und noch in jüngster Zeit von Moschusdünsten Angewiderten, der Duft einer Waldblüte erquicken sollen, wie sie mich selbst erquickt hatte, hätte es ihm nicht Wonne und ein guter Lohn dünken sollen, sein reiches Leben zum ersten Male im Spiegel einer unentweihten Seele zu betrachten?

Und ist es nicht ein froher Anblick, wenn einem unentwickelten Menschenkinde ein Sinn nach dem anderen aufgeht, indem ein hochgestellter, geistvoller Mensch die Bilder eines ungeahnten Zeit- und Weltwesens mit geschickter Hand vor ihm entrollt? Wenn es, gleichsam aus einem Traume erwachend, mit Augen der Bewunderung und[136] Dankbarkeit zu ihm in die Höhe schaut? Jawohl, ein froher Anblick für den Erzieher, den Vater. Aber für den Gatten, mit der scheu verborgenen späten Glut sehen, wie ein anderer die Geliebte hören lehrt, hören, wie er sie reden, ahnen, wie er sie empfinden lehrt; wie durch Zauber eine neue Welt in ihr lebendig wird, aber nicht durch den, welcher sie zuerst geliebt, sie liebt ganz allein!

O, hütet euch vor denen, die nur einen einzigen Menschen im Herzen tragen, hütet euch vor der stillen Leidenschaft eines Zweifelmütigen! Kein gefährlicherer Brand als der, welcher unbemerkt unter der Asche geglimmt hat, keine giftigere Lohe als der Wahn des Toren, der seine beste Empfindung scheu wie eine Sünde unter Schloß und Riegel wahrt. Nein, nein, die Liebe zwischen Mann und Weib ist von Natur keine Tugend. Und wenn sie, wie keine andere Menschenkraft, hohe Tugenden gebiert, so gebiert sie nicht minder die niedrigsten aller Sünden: Eigensucht, Argwohn, Neid und Haß, bis endlich Zorn und Wut die übervolle Schale sprengen.

So dazumal! Ich sah aus der Wurzel der Bewunderung den Frühlingstrieb der Liebe in einem reinen Frauenherzen sprießen und unter dem Strom der Begierde den Augustschuß sich aus einem lustgewohnten Mannesherzen drängen. Und ich stand dabei, ein wurmstichiger Gesell, der nicht leben und nicht sterben konnte, mehr denn jemals der Kalmäuser. Denn was meine Eifersucht von der jedes Schildbürgers oder Theaterhelden unterschied, war der Widerspruch, daß sich wohl mein Argwohn, aber in keinem Augenblicke mein Groll gegen die richtete, welche die Qual einflößte und welche gemeinhin unter ihren Ausbrüchen zuerst und zumeist zu leiden hat. Lori hat meine Kämpfe[137] nicht geahnt. Schämte ich mich vor ihr, oder unbewußt vor mir selbst? Ich habe sie mit keinem Worte gewarnt, mit keinem Blicke gestraft, ihr, wozu doch schon der Vater verpflichtet gewesen wäre, ihr nicht die Augen geöffnet über die Gefahr, in der ich sie schweben sah. Ja, es gab Momente, wo Mitleid für sie das eigene Leiden überwog, wo ich jene vorempfundene Reue in Bitternis nachempfand. Hätte ich das Kind nicht seiner Freiheit beraubt, durfte das Weib jetzt glücklich sein, glücklich ohne Schuld. Nein, ich zürnte Lori nicht, ich liebte sie inbrünstiger denn je; den ich haßte, das war der Mann, der sie unglücklich machte, oder – glücklich durch Schuld.

Ich will den Becher voll Gift und Galle, den ich zwei Wochen lang tropfenweis geleert, euch nicht nachkosten lassen. Möchte ich doch, ich könnte mit einem einzigen Schrei auspressen, durch einen Blitz jene Heimlichkeit beleuchten, um deren Buße willen ich mir diese Beichte als eine Geißelung auferlege. Wenn Scham allein, Liebe allein entsühnen könnten, so wäre ich entsühnt.

Quelle:
Louise von François: Gesammelte Werke, Band 1–5, Band 5, Leipzig 1918, S. 120-138.
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