Ein Brief

[21] Das war ein lustig Ziehen

Und Reisen durch die Welt!

Das war ein Fackelsprühen

Von Zürich bis zum Belt!

Aus Herzen und aus Küchen

Stieg Weihrauch dir empor;

Pelotons von Tafelsprüchen

Schlugen knatternd an dein Ohr!


Ein neuer Held Sankt Jürgen

Durch Deutschland zogst du frei,

Im Fluge zu erwürgen

Den Molch der Tyrannei!

Wie kommt es, daß der Grause

Noch züngelt ungescheut?

Verpaßtest du beim Schmause

Vielleicht die rechte Zeit?


Du trotziger Diktator,

Wie bald zerbrach dein Stab!

Dahin der Agitator,

Und übrig nur – der Schwab'!

Verwelkt schon deine Blume!

Dein Kranz, o Freund, hängt schief!

Du schriebst dem eignen Ruhme,

Ach, den Uriasbrief!


Nun können sie dich bänd'gen,

Philister und Zelot:

»Da habt ihr den Lebend'gen!

Er schlug sich selber tot!«

Wen Ruhmeskleider zieren,

Der hüte sie, wie Schnee!

Wahr ist es: Renommieren

Verdirbt die Renommee!
[21]

Wer sagt, er stände Wache

Fürs Recht, der halte Stich,

Und gebe statt der Sache

Nicht immer nur sein Ich!

Der schwinge, wo fürs Ganze

Man ernste Speere bricht,

Ruhmredig nicht die Lanze,

Mit der die Hoffart ficht!


Wer so mit Wein der Ehren

Empfangen ward, wie du,

Wie mocht' er den betören,

Trank auch ein Volk ihm zu?

O Schmach, im Rausch zu fallen,

In Händen noch den Krug!

Berauscht sich zu erlallen

Des Lächerlichen Fluch!


Das ist's – Wohl wird geschlagen

Ein Held im Kriegsgewühl;

In alt und neuen Tagen

Schritt mancher ins Exil;

Doch rings im Volksgetümmel

Kein Höhnen und kein Groll:

Sein Stern erlosch am Himmel –

Doch rein und würdevoll!


Die Freiheit rang die Hände,

Da seine band der Strick!

Wie tote Fackelbrände

Der Freunde düstrer Blick!

Ringsum Gewitterstirnen,

Rings Murmeln durchs Visier,

Ringsum verhaltnes Zürnen –

O, ständ' es so mit dir!


Dir folgt, wie plumpen Schnittern,

Ein Rauschen, hörbar kaum;

Das ist der Triebe Zittern

Am jungen Freiheitsbaum!

Der Knospen und der Triebe,

Die freudig ihn geschmückt!

Die, ach, mit einem Hiebe

Du alle fast geknickt!
[22]

So ziehst du! – Was ich sagte,

Wohl klingt es schonungslos!

Doch wer uns Arndt verklagte,

Zog selber sich das Los!

Du nanntest den alten Riesen

Zu alt zu dieser Frist?

Du hast uns nur bewiesen,

Daß du zu jung noch bist!


Zieh hin, – doch um zu kehren!

Die Freiheit kann verzeihn!

Bring' ein die alten Ehren,

Mit Liedern bring' sie ein!

Der Dichtung Goldstandarte,

Laß wehn sie, doppeltreich: –

Poet, wetz' aus die Scharte,

Wetz' aus den Schwabenstreich!


St. Goar, Januar 1843.


Quelle:
Ferdinand Freiligrath: Werke in sechs Teilen. Band 2, Berlin u.a. [1909], S. 21-23.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon