An Hoffmann von Fallersleben

[84] Jetzo, wo die Nachtigall

Schlägt mit mächt'gen Schlägen;

Wo der Rhein mit vollerm Schall

Braust auf seinen Wegen;

Wo die Dämpfer wieder ziehn;

Wo die grünen Reben,

Wo die Blumen wieder blühn: –

Jetzt auf einmal eben


Denk' ich wieder, wie im Traum,

Jener Nacht im Riesen1,

Wo wir den Champagnerschaum

Von den Gläsern bliesen;

Wo wir leerten Glas auf Glas,

Bis ich alles wußte,

Bis ich deinen ganzen Haß

Schweigend ehren mußte.


Düster mit verkohltem Docht

Flackerten die Kerzen;

Düster und von Zorn durchpocht,

Brannten unsre Herzen;

Dennoch oft, gleichwie ein Blitz,

Finstrer Wolk' entquollen,[84]

Brach ein Lachen, brach ein Witz

Hell durch unser Grollen.


Also ward es rasch zwei Uhr!

Trocken die Pokale,

Und der jüngste Kellner nur

Harrte noch im Saale!

Schnarchend lag der kleine Mann

In des Sessels Hafen,

Und wir sagten: »Der Géant,

Wahrlich, ist entschlafen!«


Endlich stand der Junge wach,

Nahm das Licht verdrossen;

Wirr aus seinem Schlafgemach

Kam ein Lord geschossen;

Du doch stiegst die Trepp' hinauf,

Derb und nagelschuhig;

Schriebst noch in mein Stammbuch drauf:

»Kobelenz ist ruhig!« –


Wieder hat seit jener Nacht

Herbes dich bestroffen!

Strom und Frühling sind erwacht –

Hoffmann, wolle hoffen! –

Hoff' und laß der Marken Sand!

Mach' dich auf die Beine!

Deutscher Männer deutsche Hand

Wartet drein am Rheine!


Was, ob die gelehrte Spree

Feig sich von dir wandte:

In die Rheinflut senk' dein Weh –

Sie nicht bannt Verbannte!

Neue Freunde warten dein

An der rebumwallten –

Auf drum, und vergiß am Rhein

Schnödigkeit der alten!


Drum, wo mit der Rede Stahl

Badens Männer streiten;

Drum auch, wo im Wiesental

Lieder dich umläuten;

Wo die Düssel flutet hell,

Und in Dresels Keller[85]

Schlag ein Schnippchen dem Gebell

Deiner Widerbeller!


Ich auch, der ich jene Nacht

Finster mit dir zechte,

Ich auch, eben vor der Schacht,

Biete dir die Rechte!

Ja, auch ich steh' kampfbereit,

Gleich sind unsre Zeichen: –

Mit Bewußtsein wag' ich's heut,

Dir die Hand zu reichen!


Herz'ger noch als dazumal

Wag ich's, einzuschlagen:

Schiefer Stellung volle Qual

Mußt' ich damals tragen!

Noch nicht recht aus ganzem Holz

Schien auch dir mein Leben –

Drum auch war ich noch zu stolz,

Mich dir ganz zu geben!


Alles das ist nun vorbei!

Frei ward Lipp' und Zunge,

Frei das Auge mir, und frei

Dehnt sich Herz und Lunge!

Vom Gedanken bis zur Tat

Schlug ich dreist die Brücke;

Hüben steh' ich, und kein Pfad

Führt mich je zurücke!


Vorwärts denn – bis übers Grab!

Vorwärts – ohne Wanken!

Jede Rücksicht werf' ich ab,

Satt hinfort der Schranken.

Nur das Kühnste bind' ich an

Meinen Simsonsfüchsen –

Mit Kanonen mit Schlüsselbüchsen!


Sieh, so biet' ich dir die Hand,

Einer auch von denen,

Die sich an des Rheines Strand

Die entgegensehnen!

Die ins dornige Exil

Gern dir Rosen flöchten,[86]

Gern ein friedlich Rheinasyl

Dir bereiten möchten!


Komm darum und glaub' an mich –

Aber komm in Eile!

Komm, solang ich festiglich

Noch am Rheinstrom weile!

Eh' ich selber meinen Herd

Seh' zum Teufel stieben;

Eh' der eignen Lieder Schwert

Westwärts mich getrieben!


Horch, o horch! die Nachtigall

Schlägt mit mächt'gen Schlägen,

Und der Rhein mit vollerm Schall

Braust auf seinen Wegen!

Alles keimt und alles gärt,

Alles windet Kränze: –

Auch den herbsten Kelch geleert

Auf der Zukunft Lenze!


Asmannshausen, Mai 1844.


Fußnoten

1 Zu Koblenz, vom 16. auf den 17. August 1843.


Quelle:
Ferdinand Freiligrath: Werke in sechs Teilen. Band 2, Berlin u.a. [1909], S. 84-87.
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