XIII

Der Brief des Chevaliers

[201] Theodor oder Rosalinde? Wie soll ich Sie nennen? Wie gern möchte ich Sie bei Ihrem wirklichen weiblichen Namen rufen. Er wäre mir der Inbegriff aller Poesie.

Ich kenne Sie kaum, und doch schreibe ich Ihnen. Es fällt mir sehr schwer, dies zu wagen, aber, wenn ich es nicht täte, würde ich zugrunde gehen. Niemand weiß und niemand kann ermessen, was ich leide. Ich selber vermag es nicht in die rechten Worte zu fassen. Für solche Seelenpein und Herzensnot gibt es keine Worte. Versuchte ich es: es würde unnatürlich, überspannt klingen.

Rosalinde, ich liebe Sie! Ich bete Sie an! Ich habe nie eine andre geliebt, nie eine andre angebetet. Ich liege vor Ihnen im Staub und möchte alles um mich her mit in die Knie zwingen. Sie sind mir mehr als die ganze Welt, mehr als ich selbst, mehr als Gott. Wo Sie nicht weilen, ist alles öd, dunkel und tot. Sie allein beleben meine Welt. Sie sind meine Sonne. Ihr Lächeln ist mir das Licht, Ihre Traurigkeit die Finsternis. Sie sind ein Traumbild, aus Himmelshöhn herabgekommen.

Ich kenne Sie kaum drei Monate, aber ich liebe Sie über diese Zeit hinaus. Schon ehe ich Sie zum ersten Male sah, war ich voller Sehnsucht nach Ihnen. Ich rief Sie. Ich suchte Sie. Ich wollte verzweifeln, weil ich Ihnen auf meinem Lebenspfade[202] nicht begegnete. Ich wußte, daß ich niemals ein ander Weib lieben könnte. Sie waren mir allzuoft erschienen. Ich hätte Sie malen mögen, in den Ihnen eigentümlichen Gesten, mit Ihrer Kopfhaltung, im vollen Schmucke Ihrer Schönheit.

So steht Ihr Bild seit meinen Knabenjahren vor mir. Als ich mannbar ward, begann es mich zu quälen. Verächtlich lächelnd drängte es sich zwischen mich und die Frauen, die sich mir schenkten. Sein Himmelsglanz verdunkelte sie alle. Und so kam es, daß ich Frauen häßlich fand, die in Wirklichkeit entzückend waren und jeden andern Mann glücklich gemacht hätten. Die Vorahnung Ihrer Herrlichkeit machte mich unglücklich. Und noch unglücklicher bin ich jetzt, nachdem ich mein hehres Traumbild in Ihnen erschaut habe. Rosalinde, es liegt in Ihrer Macht, mir das Tor zu meinem Paradiese zu öffnen. Sie wachen an seiner Schwelle. Der goldene Schlüssel ruht in Ihren schönen Händen. Rosalinde, sagen Sie: Wollen Sie?

Ich erwarte nur ein einziges Wort von Ihnen. Es wird mir Leben oder Tod verkünden. Sprechen Sie es aus!

Sind Sie Apoll? Oder Aphrodite, die Schaumgeborene? Sind Sie Hermaphrodit? Ach, seit die alten Götter gestorben, gibt es die nicht mehr. Sind Sie ein Weib?

In dem Augenblick, da ich Sie sah, zerriß ein Schleier vor mir. Ströme von Licht umfluteten mich. Ich sah tief in das Leben. Alle Schatten, alle Rätsel wichen. Alles lag licht und hell vor mir bis in die blauen Weiten, im warmen Sonnenscheine. Ich bin nicht mehr bloß Träumer. Ich liebe, ich lebe!

Solange ich daran zweifelte, Sie je zu finden, hieß ich mein Traumbild Trug. In meinem Groll haderte ich mit meinem Schicksal. Ich verhöhnte mich selber, daß ich nach einer Vision suchte. Ich schalt die Natur armselig und unfruchtbar und den Schöpfer unfähig, das Ideal eines armseligen Menschenherzens zu verkörpern. Prometheus hatte den edlen Wahn,[203] den Göttern gleich einen Mann schaffen zu wollen. Ich hatte in meiner Phantasie ein Weib gestaltet. Ich ergab mich darein, für meine Vermessenheit lebenslang dadurch gestraft zu werden, daß ein unstillbares Verlangen mein Herz zerfleischte wie ein Geier.

Da kamen Sie!

Die gefürchteten Qualen verschonten mich, aber ich habe andre erlitten. Ich sah, daß mein Traumbild leibhaft auf Erden wandelt. Insofern hatte mich meine Vorahnung nicht betrogen. Aber Sie standen vor mir in der rätselhaften schrecklichen Schönheit einer Sphinx. Sie waren von einem Geheimnis, umhüllt, dessen Schleier ich nicht aufzuheben wagte, aus Furcht, tot umzusinken.

Wenn Sie wüßten, mit welch atemloser angstvoller Aufmerksamkeit ich Ihnen folgte, Ihren geringsten Bewegungen, während ich versonnen und zerstreut schien! Nichts entging mir. Gierig spähte ich nach jedem bißchen Nackten, das am Hals oder an den Armgelenken von Ihnen sichtbar ward. Ich versuchte Ihr Geschlecht zu ergründen. Ihre Hände wurden mir Erforschungsgebiete. Ich kannte bald jedes Äderchen, jedes Grübchen, jede Linie an Ihnen, soweit ich Sie sehen durfte. Ich zergliederte Ihren Gang, die Art, wie Ihre Füße den Boden berühren, wie Ihre Hand das Haar zurückstreicht. Damit wollte ich Ihrem Körper sein Geheimnis entlocken. Besonders studierte ich Sie, Wenn Sie lässig und müd waren, in der Meinung, in diesem Vergessen und Sichgehenlassen die weiblichen Linien zu finden.

Stundenlang gab ich mich solchen Beobachtungen hin, zurückgezogen in einen Winkel des Salons, ein Buch in der Hand, in dem zu lesen mir nicht einfiel. Ich habe mich sogar einmal in Ihrem durch die herabgelassenen Jalousien halbverdunkelten Zimmer hinter einen Vorhang versteckt aufgehalten. Aber gerade[204] da benahmen Sie sich ganz als Mann, als Weltmann. Ebenso enttäuschten Sie meine Ahnung, Sie seien ein Weib, wenn Sie mich zum Fechten oder zum Tennisspiel holten.

Ich wollte vor Sie hintreten und Ihnen sagen: Ich bete Sie an! Da ward ich Zeuge, wie Sie sich gerade zärtlich-galant zu einer Dame neigten und ihr Schmeicheleien zuflüsterten. Ein andermal bemerkte ich, wie eine Dame Ihren Arm nahm und Ihnen abseits etwas anvertraute. Ich geriet in Zorn oder in Eifersucht, wenn ich Andre so mit Ihnen plaudern sah. Es ist doch ein Mann! sagte ich mir in meiner Qual. Aber noch eifersüchtiger wurde ich, wenn ich Sie ungezwungen und freimütig mit Herren reden sah. Dann dachte ich Sie mir als Weib, wenn es auch jene nicht ahnen mochten. Kurzum, ich war der Spielball einander feindseliger Leidenschaften. Ich verlor alles Gleichgewicht in mir.

Ich machte mir Vorwürfe, daß ich nicht die Kraft hatte, diesen Zwiespalt, dieses Liebesgift aus meinem Herzen zu reißen. Ich verwünschte Sie als einen Dämon, der in mich gefahren. Ich war nahe daran, zu glauben, Sie seien eine Teufelin.

Jetzt weiß ich bestimmt, daß Sie die schönste aller Frauen sind. Ich habe Sie in Frauenkleidern gesehen, ich kenne Ihre vollen Arme, Ihre runden Schultern und den Ansatz Ihres Busens. Sie sind ein Weib, und meine Liebe erscheint mir nicht mehr ungeheuerlich. Und darum gestehe ich Ihnen meine Liebe ein. Meine heimliche Geliebte, sind Sie überrascht? Hassen Sie mich? Lieben Sie mich! Können Sie mich wieder lieben? Ich weiß es nicht. Ich zittere. Ach, ich bin unglücklicher als je zuvor!

Manchmal dünkt es mich, daß Sie mich nicht hassen. Als wir beieinander auf der Bühne standen, legten Sie in gewisse Stellen Ihrer Rolle einen eigentümlichen Doppelsinn, der mich zu einer Erklärung reizte. Aus Ihren Augen und Ihrem Lächeln[205] vermeinte ich ein Versprechen zu lesen und im Druck Ihrer Hand eine Antwort auf meine stummen Fragen zu verspüren. Habe ich mich darin getäuscht? Ich wage mir Ihre Antwort nicht auszudenken.

Ich bin kühn geworden – aus Liebe. Und so schreibe ich Ihnen. Vor Ihnen in Ihrer Männerkleidung könnte ich nicht reden. Rosalinde, ich flehe Sie an: Wenn Sie mich noch nicht lieben, so versuchen Sie es! Lieben Sie mich, der ich Sie trotz allem hebe, trotz Ihrer Verkleidung, die Sie zweifellos nur aus Mitleid mit uns Männern tragen! Stoßen Sie mich nicht für den Rest meines Daseins in die fürchterlichste Not, in unheilbaren Überdruß! Bedenken Sie, daß ich Sie liebe, solange ich ein denkender Mensch bin, daß Sie mir vorbestimmt waren! Sie sind Sinn, Inhalt und Ziel meines Daseins. Ohne Sie führe ich nur ein Scheinleben. Wenn Sie die Flamme, die Sie in meinem Herzen entzündet, auslöschen, dann bleibt von mir nichts zurück als ein elendes Häufchen toter Asche. Sie haben tausend Mittel in Ihren Händen, mein Liebesweh zu heilen. Machen Sie mich gesund! Ich bin schwer krank. Werfen Sie die Ganymedhülle ab und reichen Sie Ihre weiße Hand


Ihrem Orlando.

Quelle:
Theophile Gautier: Mademoiselle de Maupin. München 1921, S. 201-206.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Mademoiselle de Maupin
Mademoiselle de Maupin
Mademoiselle de Maupin: Roman
La novela de una momia ; Mademoiselle de Maupin

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