1.

[130] Nun wird es licht, nun will der Frühling nahn,

Durch blaue Lüfte schifft der wilde Schwan,

Von Berg zu Bergen webt der Sonnenstrahl,

Es jauchzt der Bach und springt ins Blütental,

Die Wolke treibt im Wind, die Seglerin, –

Was wogst du, Herz! O sprich, wohin, wohin?[130]


O Herz, du möchtest mit dem Schwane ziehn,

Du möchtest mit dem Bach zur Tiefe fliehn,

Du möchtest fahren in die Welt hinein

Mit Märzenwind und Frühlingssonnenschein –

Wohin? Wohin? – O still! Was fragst du viel?

Du weißt die Richtung, und du kennst das Ziel.


In hohen Wassern braust der grüne Rhein,

Die Berge schaun, die Burgen still hinein;

Durch Felsgeklüft und Reblaub geht die Bahn;

Dort haust die Fei, die dir es angetan.

Spann' aus die Flügel denn! Was zögerst du?

Zu ihr! Zu ihr! Denn dort nur hast du Ruh'!

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 130-131.
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