10.

[307] Es liegt am öden Dünenstrand

Das Kloster halb zerfallen,

Um Gang und Stufen weht das Schilf,

Die Flut spielt in die Hallen.


Und wo die Pfeiler stehn im Schutt,

Da kreist bei Sturm und Stille,

Bei Tag und Nacht ein Möwenschwarm

Mit ängstlichem Geschrille.


Das sind die Seelen, glaubt das Volk,

Der Ursulinerinnen,

Die hier meineidig einst geschwelgt

In frecher Lust der Sinnen.[307]


Nun müssen sie mit Klageruf

Den morschen Bau umfliegen,

Bis einst die Stätten ihrer Schuld

Im Meer begraben liegen.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 307-308.
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