Sechster Auftritt

[456] Frau Richardin. Ferdinand.


FRAU RICHARDIN. Ich bin erschrocken, Herr Vetter, recht sehr erschrocken. Weil ich vorhin mit der Frau Nachbarin auf dem Saale rede: so fällt etwas in meiner Küche. Ich laufe geschwind hinein, da liegt der Suppennapf auf der Erde, aus dem mein seliger Herr alle Morgen seine Suppe aß; denn er war gar nicht nach der Welt. Er trank weder Tee, noch Kaffee. Suppe, bloße Wassersuppe ohne Ei, und nur mit einem Stücken Butter, einer Erbse groß, gemacht, solche Suppe war sein Leben. Und ebendiese zinnerne Suppenschüssel war heruntergefallen, und es war kein Mensch in der Küche. Ach, lieber Gott, was wird dieses Anzeichen bedeuten? Wen wird die Reihe in unserm Hause treffen, mich oder meine Tochter? Ach gütiger Gott, alles nach deinem heiligen Willen, nur nicht in der Hälfte meiner Tage, nur dies nicht.

FERDINAND. Frau Muhme, wer wird so abergläubisch sein? Die Schüssel ist heruntergefallen, weil sie nicht recht gestellt gewesen ist. Wer weiß, wer über der Küche hantieret oder gepocht hat? Machen Sie sich keine Sorge! Das Anzeichen mag über mich gehen, wenn es etwas zu bedeuten hat. Lassen Sie uns itzt wegen des Heiratsvergleichs richtig werden, so ist alles gut.

FRAU RICHARDIN. Ach lieber Gott! Nun höre ich's. Sie glauben auch nichts. Sie haken alles für natürlich. Sie statuieren kein Anzeichen, keine Wunder. Lieber Herr Vetter, sprechen Sie doch zu[456] meiner Ruhe und zur Ehre der Wahrheit, daß es Anzeichen gibt, wenn Sie es auch im Herzen nicht glauben. Ich wollte Ihnen tausend Beweise aufstellen, wenn ich Sie damit überzeugen könnte.

FERDINAND. Wunder glaube ich. Was aber die Anzeichen anlangt, die in der Küche und in den Kammern vorgehen: so sage ich Ihnen frei heraus, daß sie bei mir ebensoviel bedeuten, als wenn mir mein Stock aus der Hand fällt. Doch davon wollen wir itzt nicht reden. Was sind Sie denn gesonnen, der Jungfer Tochter mitzugeben? Und wenn soll Herr Simon seine Braut abholen?

FRAU RICHARDIN. Sie erschrecken mich durch Ihren Unglauben fast ebensosehr, als ich über das Anzeichen mit der Schüssel erschrocken bin. Sagen Sie mir um des Himmels willen auf Ihr Gewissen, glauben Sie denn auch nichts von dem Totenschmiede, von dem Wurme, der in den Fensterrahmen oder in den Wänden oft ganze Tage pocht und hämmert, wenn eins sterben soll? Da mein seliger Mann aus der Zeitlichkeit in das Ewige versetzt werden sollte: so hat er sich drei Tage zuvor hören lassen. Soll dieses nichts bedeuten? Daß wir doch unsern Augen und Ohren nicht trauen wollen!

FERDINAND. Ich will dem Totenschmiede seine Rechte nicht nehmen, er möchte mich sonst einige Stunden früher ins Grab pochen. Sie sollen recht haben, Frau Muhme! Lassen Sie mich nur in dem ruhigen Besitze meiner Irrtümer und erklären Sie sich, was Ihre Jungfer Tochter zur Aussteuer bekommen, und ob es noch bei den zehntausend Talern an barem Gelde bleiben soll?

FRAU RICHARDIN. Ich arme Frau! Ich verlaßne Witwe! Wo kämen ich und so vieles Geld zusammen? Bei meinen Lebzeiten wird meine Tochter nicht viel kriegen, und nach meinem Tode bleibt ihr mein bißchen Armut gewiß. Ich denke, es wird so nicht mehr lange mit mir werden. Sie weint. Das Anzeichen mit der Schüssel meines seligen Herrn –

FERDINAND. Wie können Sie sich doch ohne Not traurig machen? Der Tod ist uns alle Tage nah, und er braucht nicht erst die Schüssel herunterzuwerfen oder an den Fensterladen und an die Stubentüre zu klopfen, wenn er kommen will. Wir müssen den Tod weder fürchten noch wünschen. Sei'n Sie heute guten Muts, damit wir bald zur Richtigkeit kommen!

FRAU RICHARDIN. Lieber Gott, daß doch alle Mannspersonen nichts glauben wollen! So war mein seliger Mann nicht. Er nahm nichts[457] auf die leichte Achsel. Er hat wohl zwanzig Jahre vor seinem Tode gesagt, daß er sterben würde. Ich besinne mich noch, als wenn es heute wäre. Er hatte einige Jahre vor seinem Ende Zahnschmerzen, und eben zu der Zeit fing eine von unsern Hühnern erbärmlich an zu schreien und schrie drei Tage nacheinander, wir mochten mit ihr machen, was wir wollten. Mein Kind, fing endlich der selige Mann zu mir an, die Henne schreit nichts Gutes heraus, es mag nun bedeuten was es will, laß sie in Gottes Namen abwürgen.

FERDINAND. Hätten sie ihr bei dem Abwürgen darnach sehen lassen. Es wird ihr gewiß etwas im Leibe gefehlt haben.

FRAU RICHARDIN. Nein, es war alles gut im Leibe. Sie legte meistens über den andern Tag. Und ich hätte lieber geweint, da ich sie sollte abwürgen lassen. Mein seliger Mann besah sie selbst, und wir fanden nicht das Geringste, außer daß ihr die Krallen an Füßen zusammengezogen waren.

FERDINAND. Sie hat den Krampf gehabt, und deswegen hat sie geschrien. Doch, liebe Frau Muhme, wenn wir von nichts als dem Bettler, von der Schüssel, von dem Totenschmiede, von der Henne und von dem seligen Herrn Liebsten reden wollen: so kommen wir nimmermehr zustande, und Herr Simon und ich müssen auf diese Art morgen unverrichteter Sache wieder fortreisen.

FRAU RICHARDIN. Ach, denken Sie mir doch nicht wieder an den Bettler! Der ruchlose Bube hat mich im Bibellesen gestört. Nunmehr wird meine geistliche Übungsstunde bald kommen. Ist es etwa schon um sechs Uhr? Das will ich nicht hoffen.

FERDINAND. Nein, es hat kaum fünfe geschlagen. Wenn Sie nun auch diese Stunde einmal auf eine andre Zeit verlegten, dieses würde doch wohl ...

FRAU RICHARDIN. Wie? Herr Vetter! Ich sollte von meiner Regel abweichen und irdischen Dingen zu Gefallen die Andacht hintansetzen? In unsern Verrichtungen soll alles ordentlich zugehen, und in der Gottseligkeit, im Singen und Beten, nicht?

FERDINAND. Ach ja! Aber der Geiger muß nicht unser Bußwecker sein. Wir müssen uns in der Andacht üben, nicht, wenn es schlägt, sondern wenn wir uns geschickt dazu fühlen, unsere Gedanken von dem Irdischen abzuziehen, und sie mit geistlichen Dingen und der Prüfung unsers Herzens und Wandels, zu erfüllen.[458]

FRAU RICHARDIN. Ich bin hierzu alle Stunden geschickt, und wer nur Lust zum Beten hat, der kann allezeit beten.

FERDINAND. Ja! Gebete aus den Büchern; Formulare, die sich oft zu unserm Zustande so wenig schicken, als wir uns zu einer vernünftigen Andacht; diese kann man allezeit herlesen. Aber das heiße ich nicht beten. Das heißt nur tun, als wenn man beten wollte.

FRAU RICHARDIN. Gerechter Gott! Sie machen mich ganz bestürzt. Ich will doch nicht hoffen, daß Sie ein heimlicher Verächter des Gebets sind?

FERDINAND. Und ich will nicht hoffen, daß Sie mich ohne Grund zum Heiden machen werden.

FRAU RICHARDIN. Die Religion –

FERDINAND. Die Religion ist das Heiligste unter allem, was man verehren und ausüben kann. Aber die Meinungen eines übel beschaffenen Verstandes gehören nicht zur Religion, sondern unter die Irrtümer. Doch wir wollen einander itzt nicht bekehren. Machen Sie sich wegen meiner Religion keine Sorge! Erklären Sie sich lieber, wie es mit der Aussteuer werden soll! Hier kommt gleich Herr Simon.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 456-459.
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