Neunter Auftritt

[461] Die Vorigen. Lorchen.


LORCHEN. Endlich hat sich die Frau Richardin entschlossen. Sie will ihrer Tochter fünftausend Taler an Wechseln mitgeben. Aber auch keinen Heller mehr. Und wenn ich Ihnen wohlmeinend raten soll, so spannen Sie die Saiten nicht zu hoch. Die Frau Richardin möchte sonst gar nein sagen. Lassen Sie es bei dem Gelde bewenden, Hr. Simon; sie bekommen doch alles nach Ihrer Frau Schwiegermutter Tode.[461]

SIMON. Ach, liebe Mademoiselle, das Geld liegt mir nicht an der Seele. Sie kennen mich besser, und ich wollte gern mein halbes Vermögen hingeben, wenn meine Braut nur ... lebhafter wäre. Ich will es Ihnen aufrichtig gestehen. Sie scheint mir etwas einfältig zu sein.

LORCHEN. Dieses Geständnis höre ich sehr ungern. Ich bin Ihrer Braut von Herzen gut, und ich erschrecke, daß Ihnen eine Person nicht gefällt, die Ihnen vor allen andern gefallen und die in Ihren Augen die liebenswürdigste und klügste sein sollte.

SIMON. Ach lieber Gott ...

LORCHEN. Hören Sie mich doch, Herr Simon! Es ist wahr, Ihre Braut hat keinen gar zu geübten Verstand; aber es ist kein Fehler der Natur, sondern einer unachtsamen und sklavischen Erziehung.

SIMON. Bin ich dadurch gebessert?

LORCHEN. Ja, bringen Sie nur Ihre Liebste in vernünftige und muntere Gesellschaft. Ich wette, daß sie in kurzer Zeit eine angenehme Lebensart an sich nehmen soll. Sie hat das beste Herz. Sie läßt sich zureden. Sie wünscht, daß man sie tadeln und bessern soll. Allein ihre Mutter hat alle diese guten Regungen zurückgehalten und ihrer Tochter nur die Anleitung gegeben, eine Betschwester und eine karge Wirtin zu werden. Und Dank sei Christianchens gutem Naturelle, daß sie keinen von beiden Charakteren angenommen hat.

FERDINAND. Wie? Singt sie auch so gern wie ihre Mutter?

SIMON. Ist sie etwan auch geizig?

LORCHEN. Nein, meine Herren, keines von beiden. Sie ist weder geizig noch närrisch andächtig. Sie ist erst sechzehn Jahr und zu beidem noch zu jung. Kurz, sie ist noch gar nichts. Sie hat aber die Fähigkeit, die beste Frau von der Welt zu werden, wenn ihr Mann die Geduld hat, sie dazu zu machen. Die Liebe kann in kurzer Zeit eine Person ändern, und ein gutes Naturell wird durch gute Beispiele bald witzig und belebt.

SIMON. Sie reden sehr wahr und verdienen die größte Erkenntlichkeit und Hochachtung von mir. Allein, wenn nur meine Braut schon das wäre, was sie nach Ihrem Urteile werden wird, so wollte ich sie unendlich lieben. Ich glaube, daß alle diese guten Eigenschaften in ihr verborgen liegen; aber ich bin so sinnlich, daß ich nicht die zukünftigen, sondern die gegenwärtigen Vollkommenheiten liebe. Wird nicht meine Geduld oder meine[462] Gewogenheit zu ihr sich mitten in der Bemühung, sie recht liebenswert zu machen, verlieren?

LORCHEN. Nein, ich glaube es nicht. An einem unschuldigen Herzen werden die kleinen Fehler unmerklich, und Sie werden Ihr Christianchen um desto zärtlicher lieben, wenn Sie sehen, wie bereit sie ist, Ihnen liebenswürdig und gleich zu werden.

SIMON. Das muß ich gestehen. Sie setzen meine Braut wieder in die vorige Hochachtung bei mir. Und ich weiß nicht, ob ich Ihren edlen Vorstellungen oder der Unschuld meiner Braut die Liebe von neuem zu danken habe. Denn ich war völlig entschlossen, mein Christianchen zu vergessen.

LORCHEN. Hierzu sind Sie zu großmütig.

FERDINAND zu Simon. Also wollen Sie bei dem Entschlüsse bleiben und sie heiraten?

SIMON. Ja, Christianchen soll die Meinige sein. Ich will sie ziehen, wie ich sie mir wünsche.

LORCHEN. Das vergnügt mich von Herzen. Wissen Sie was, Herr Simon? Versprechen Sie sich itzt mit ihr und schieben Sie die Hochzeit noch ein Jahr auf; aber sagen Sie es Ihrer Frau Schwiegermutter nicht. Warten Sie noch ein paar Tage hier, und alsdann nehmen Sie Ihr Christianchen gleich mit. Ich will ihr Gesellschaft leisten. Machen Sie uns nur bei der Frau Richardin in Berlin ein Quartier aus. Ich will um Ihre Braut sein. Ich will sie in Gesellschaft bringen. Ich will mit ihr reden. Ich will ihr gute Bücher oder vernünftige Romane vorlesen. Ich will ihr so viel Französisch lernen, als ich kann. Sie soll allemal über den ändern Tag einen Brief an Sie schreiben.

SIMON. Dies wollen Sie tun?

LORCHEN. Ja, Sie sollen sie alle Tage besuchen; aber im Anfange nur eine halbe Stunde. Sie sollen sie zärtlich machen. Sie sollen ihr die größten Gefälligkeiten erweisen, damit sie anfängt, Sie recht zu wünschen und zu verlangen. Dieses Verlangen wird sie beleben und ihr ein Antrieb zu alle dem werden, was man Lebensart und Artigkeit nennt. Ich weiß es gewiß, sie wird in kurzer Zeit so munter und angenehm sein, als sie unschuldig und schön ist.

SIMON. Wie glücklich bin ich! Sie wollen sich die Mühe geben und mein Christianchen ziehen und mir eine glückliche Ehe machen? Herr Ferdinand, Sie sagen nichts dazu?

FERDINAND. Was soll ich sagen? Lorchen beschämt uns alle beide an[463] Einsicht. Sie verdient Hochachtung und Gehorsam. Folgen Sie ihr! Mein Rat ist kein andrer als der ihrige.

LORCHEN. Herr Ferdinand, Sie wollen gewiß sehen, ob ich bei einer Lobeserhebung noch rot werde? Wenn mein Rat gut ist, so habe ich ihn nicht sowohl meiner Einsicht als der Liebe zu einer unschuldigen und noch nicht erzogenen Freundin zu danken. Ich weiß mir die Welt und Herr Simonen, dem ich schon so viel Höflichkeit schuldig bin, nicht verbindlicher zu machen, als wenn ich eine zufriedene Ehe bewerkstelligen helfe. Es soll mir das größte Vergnügen sein, wenn ich diese guten Absichten bei unserer Christiane erreiche, und ich zweifle nicht einen Augenblick daran.

SIMON. Großmütige Freundin, womit kann ich Ihre Redlichkeit belohnen? Sie wissen, daß ich mehr Vermögen habe, als ich vielleicht bei einer ordentlichen Lebensart brauche. Das Glück ist nicht so liebreich gegen Sie gewesen als die Natur. Erlauben Sie mir, daß ich diesen Mangel ersetzen und Ihnen eine Verschreibung von fünftausend Talern anbieten darf. Solange ich lebe, und solange Sie in Berlin bleiben wollen: so sollen Sie nicht für das geringste zu sorgen haben. Das Geld aber können Sie zu Ihrem freien Gebrauch anwenden.

LORCHEN. Ich, mein Herr –

SIMON. Dieses Geld soll mit der Bedingung das Ihre sein, daß Sie sich nicht dafür bei mir bedanken. Gesetzt, daß auch meine Christiane in dem ersten Jahre nicht so würde, als es meine Liebe verlangt: so werde ich Ihnen die Schuld nicht beimessen. Ich belohne nicht den Ausgang der Sache, sondern Ihre edlen Absichten.

LORCHEN. Überhäufen Sie mich nicht mit Wohltaten. Ich verlange den Reichtum ebensowenig als die Armut. Fünftausend Taler würden mich beunruhigen, wenn ich sie behielte; und sie würden mich auch beunruhigen, wenn ich sie nicht allemal wohl anwendete. Und so viel traue ich mir nicht zu. Nein, Herr Simon, machen Sie mich nicht reich. Geben Sie mir nur so viel, als man braucht, wenn man nicht gehorchen und nicht befehlen will. Es ist Glück genug, wenn ich in die Umstände komme, daß ich mir von der Frau Richardin keine Wohltaten mehr erweisen lassen darf und die unschuldige Christiane so erziehen kann, als ich wünsche. Ich will gehen und ihr unsern Vorschlag eröffnen. Kommen Sie mit, Herr Ferdinand, damit es mehr Eindruck hat! Sie aber, Herr Simon, können indessen zu Ihrer Frau Schwiegermama[464] ins Betzimmer gehen. Sie wird Ihnen die Zeit nicht lang werden lassen. Doch in ihrer Betstunde wird sie Ihren Besuch wohl nicht annehmen. Suchen Sie sie nur auf: sie wird doch wenigstens mit Ihnen in diese Stube gehen müssen.


Ende des ersten Aufzugs.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 461-465.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Bozena

Bozena

Die schöne Böhmin Bozena steht als Magd in den Diensten eines wohlhabenden Weinhändlers und kümmert sich um dessen Tochter Rosa. Eine kleine Verfehlung hat tragische Folgen, die Bozena erhobenen Hauptes trägt.

162 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon