Fünfter Auftritt

[474] Christianchen und die Vorigen.


CHRISTIANCHEN zu Lorchen. Die Mama schickt mich her. Ich will es Ihnen heimlich sagen.

LORCHEN. Meine Herren, die Frau Richardin läßt bitten, sie nicht weiter mit Ihrem Besuche zu stören, sie hätte ihre Betstunde schon angefangen.

FERDINAND. So unhöflich wollen wir nicht sein. Wir wollen gleich gehen. Herr Simon, sagen Sie es Jungfer Christianchen, daß die Mama –[474]

CHRISTIANCHEN. Ich weiß es, meine Herren. Und ich will es Ihnen aufrichtig sagen, Herr Simon, daß mir die Mama befohlen hat, nicht weiter an Sie zu gedenken. Nehmen Sie meine Aufrichtigkeit nicht übel. Ich halte Sie hoch; aber ich habe noch keine Lust zu heiraten.

SIMON. Also erlauben Sie mir, daß ich mein Wort zurückziehen darf?

CHRISTIANCHEN. Ja. Werden Sie nur nicht ungehalten auf mich. Ich habe alle Hochachtung für Sie.

SIMON. Auch ich, liebstes Christianchen, werde Sie ewig hochschätzen und Ihnen einen viel würdigern Mann wünschen, als ich bin. Bleiben Sie meine gute Freundin und nehmen Sie zum Beweise, daß Sie mich nicht hassen, folgende kleine Geschenke, die ich zu Ihrem Mahlschatze bestimmt hatte, von mir an. Dieses ist die einzige Gefälligkeit, die ich mir vor meinem Abschiede von Ihnen ausbitte.

CHRISTIANCHEN. Ja, ich will es tun; aber Sie müssen mir erlauben, daß ich mir auch von Ihnen etwas ausbitten darf! Doch ich bin wohl zu frei. Ich will es Ihnen sachte sagen, wenn Sie nicht zürnen wollen. Sie redet heimlich mit ihm.

SIMON. An Lorchen soll ich denken!

CHRISTIANCHEN. O! Warum sagen Sie es denn laut? Nun sehe ich, daß Sie mich beschämen wollen.

LORCHEN. Warum soll denn Herr Simon an mich denken?

CHRISTIANCHEN. Sie wissen ja, daß ich Sie liebe. Ach, wenn ich Ihnen nur zeigen könnte, wie sehr ich Ihnen gewogen bin. Mein liebes Lorchen, darf ich Ihnen wohl die Juwelen anbieten, die mir Herr Simon geschenkt hat?

LORCHEN. Mein liebes Kind, Sie machen mich durch Ihre Güte unruhig. Ich habe es gut mit Ihnen gemeint; aber gewiß, Sie meinen es noch besser mit mir.

FERDINAND. Wienach soll denn Herr Simon an Jungfer Lorchen denken?

CHRISTIANCHEN. Ich kann es nicht sagen. Es wäre zu frei.

SIMON. Sagen Sie es, mein Engel. Keine Bitte kann so groß sein, daß man sie Ihnen abschlagen sollte. Mein Vermögen ist zu Ihren und zu Lorchens Diensten das wenigste, was Sie begehren können.

CHRISTIANCHEN. Nein, es ist kein Vermögen. Ich wünschte, daß Sie –[475]

SIMON. O sagen Sie doch, was Sie wünschen. Ich bitte Sie von Herzen.

CHRISTIANCHEN. Ich wünschte – Nein, ich kann es nicht sagen. Ich möchte Lorchen oder Sie mit meiner Aufrichtigkeit nicht beleidigen.

LORCHEN. Fürchten Sie nichts! Ich kenne Ihr redlich Herz. Entdecken Sie uns Ihr Verlangen, die Mama möchte sonst kommen.

CHRISTIANCHEN. Herr Simon, Sie sollen das Herz, das Sie mir geben wollten, –

SIMON. Lorchen geben?

CHRISTIANCHEN. Ach ja! Tun Sie es doch! Sie ist Ihrer viel würdiger, als ich bin. Ich bin zu jung. Ich habe wenig Lebensart. Aber Lorchen – Ach, wenn doch mein Bitten –

SIMON. Hören Sie wohl, mein liebstes Lorchen, was Ihre gute Freundin sagt?

LORCHEN. Ich bin über diese unschuldige Aufrichtigkeit so gerührt, daß ich gehen muß, wenn Sie nicht die Zeichen meiner Schwachheit in meinen Augen sehen sollen.

CHRISTIANCHEN. Ach, gehen Sie noch nicht!

SIMON zu Lorchen. Wollen Sie Christianchens Wünschen und mein Bitten stattfinden lassen? Darf ich hoffen, angenehmes Kind? Verlangen Sie keine weitere Erklärung von mir! Ich bin zu zärtlich gerührt, als daß ich viel reden könnte. Mein Glück steht bei Ihnen; und ich will es nicht meinen Bitten, sondern Ihrem freiwilligen Entschlüsse zu danken haben.

LORCHEN zu Christianchen. Dir, redliches Kind, soll ich deinen Liebsten rauben? Dieses kannst du mir zumuten?

CHRISTIANCHEN. Ach! wenn ich Sie nur glücklich machen könnte. Sie haben ja weit mehr Verdienste als ich. Ich bin noch zu jung, und ich gönne Herr Simonen niemanden als Ihnen. O, wenn ich doch die Freude erleben sollte! Gott weiß es, daß ichs aufrichtig meine.

SIMON zu Lorchen. Entschließen Sie sich; doch nicht sowohl nach meinem als nach Ihrem Gefallen. Fragen Sie Ihr Herz, ob Sie mich lieben können. Ich liebe Sie und wünsche nichts, als Ihnen zeitlebens meine Liebe zu beweisen.

FERDINAND zu Lorchen. Lassen Sie uns doch glücklich nach Hause reisen! Wie vergnügt wird unsere Reise sein, wenn wir Ihre Gewogenheit und, noch mehr, Ihr Jawort mit uns nehmen!

LORCHEN. Gott, was ist dieses für ein Ausgang! Wenn habe ich an[476] eine Heirat gedacht, und wenn habe ich meiner besten Freundin einen liebenswürdigen Mann entziehen wollen? Herr Simon, überlegen Sie meine Umstände wohl. Mein Herz ist mein Reichtum, sonst besitze ich nichts.

CHRISTIANCHEN. Ich will die Mama bitten, daß sie Ihnen von meinem Vermögen etliche tausend Taler gibt.

LORCHEN. Mein Kind, sei stille, sonst bringt mich deine Aufrichtigkeit zu der äußersten Wehmut.

SIMON. Wenn Sie kein ander Bedenken haben als Ihre Umstände: so bin ich glücklich. Ihr Verstand und Ihre Tugend ist kostbarer als alle meine Reichtümer. Und warum schützen Sie Ihre Umstände vor? Besitzen Sie nicht ein Kapital, das ich Ihnen vorhin geschenkt habe? Soll ich hoffen, liebstes Lorchen?

LORCHEN. Ja! Ich überlasse Ihnen mein Herz und bitte um das Ihrige; aber bei allem meinem Glücke mache ich meine beste Freundin vielleicht unglücklich.

CHRISTIANCHEN. Nein, nein, gutes Lorchen! Bringen Sie es nur so weit, daß Herr Ferdinand mich zu sich nach Berlin nimmt und daß er mir die Erlaubnis von meiner Mama schafft, Sie dahin zu begleiten, damit ich zuweilen um Sie sein und von Ihnen lernen kann.

LORCHEN. Das ist eben mein Wunsch, Sie bei mir zu sehen. Ach, wenn doch Ihre Mama in ihrem Leben wenigstens einmal gütig sein wollte!

SIMON. Ich will es durch meine Freunde in Berlin gewiß so weit bringen.

FERDINAND zu Christianchen. Ich verspreche Ihnen, daß ich nicht eher ruhe, bis Sie Ihren Aufenthalt bei mir und meiner Frau haben. Es soll alles zu Ihren Diensten sein, und ich will mit Ihnen als mit meiner Tochter umgehen.

CHRISTIANCHEN. Nun bin ich glücklich. Aber, Herr Simon, wenn wollen Sie Lorchen abholen?

SIMON zu Lorchen. Darf ich bitten, daß Sie mich itzt gleich nach Berlin begleiten: so will ich noch einige Tage hier warten.

LORCHEN. Ja. Ich folge Ihnen, wohin Sie wollen, wenn meine Christiane mit mir ziehen darf.

CHRISTIANCHEN. Ich will gehen und meine Mama bitten.

SIMON. Ich will indessen mit Herr Ferdinanden in das Porzellangewölbe gehen und »einen Aufsatz von gutem Porzellan ausnehmen« und ihn der Mama herschicken, so wird sie das Kaffeeschälchen[477] und ihren Zorn gegen mich schon vergessen. Zu Lorchen. So sind Sie denn meine Braut?

LORCHEN. Ich bin die Ihrige und vollkommen glücklich, wenn ich mir Ihre Liebe zeitlebens erhalten kann. Und morgen bin ich schon bereit, Ihnen zu folgen.

CHRISTIANCHEN. Sehen Sie, mein liebes Lorchen, dieses ist die Belohnung für Ihren Verstand und für Ihr edles Herz. Meine Mama hat Ihnen viel Verdruß gemacht. Vergeben Sie es ihr, und vertreten Sie an mir die Stelle der Mutter. Kommen Sie, wir müssen doch mit ihr reden.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 474-478.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon