[485] Lorchen. Christianchen.
CHRISTIANCHEN. Ach, mein liebes Lorchen, ich habe Ihretwegen eine ganze Viertelstunde die bittersten Tränen vergossen. Ich stund an der Türe und hörte zu, wie übel Ihnen die Mama begegnete. Sie meinen es aufrichtig mit mir, und meine Mama kann Ihnen vorwerfen, Sie verführen mich. Lassen Sie mich's nicht entgelten, meine liebe Freundin, Herr Simon wird Ihnen tausendmal mehr Vergnügen verschaffen, als Ihnen meine Mama Verdruß gemacht hat. Sie nehmen mich doch noch mit nach Berlin?
LORCHEN. Ja, meine liebe Christiane, wir reisen gewiß miteinander. Ihre Aufrichtigkeit wird mich zu allem in der Welt geschickt[485] machen, was Sie nur von mir verlangen. Ich will Ihnen mit allem dienen, was in meinem Vermögen ist.
CHRISTIANCHEN. Wollen Sie denn auch meiner Mama vergeben, daß Sie so sehr von ihr sind beleidigt worden?
LORCHEN. Ja, mein Kind. Wir müssen stets so fertig zum Vergeben sein, als es andere sind, uns zu beleidigen. Und wenn kein Mensch in der Welt mehr großmütig wäre: so wollen wir es beide sein. Bittere Beschuldigungen anhören, ist eine große Marter für ein ehrliebendes Herz, allein sie nicht verdienet haben, ist ein weit größeres Vergnügen. Ich kann Ihre Mama nicht besser strafen, als daß ich das alles bleibe oder das werde, wofür sie mich nicht hält. Sie denkt, ich meine es nicht gut mit Ihnen. Doch sie wird erschrecken, wenn es der Ausgang zeigt, daß ich Ihr Glück dem meinigen vorgezogen habe.
CHRISTIANCHEN. Wie werden wir es aber anfangen, daß mich meine Mama mit Ihnen reisen läßt? Sobald sie hören wird, daß Sie Herr Simons Braut sind: so wird sie wieder böse werden und mich nicht reisen lassen.
LORCHEN. Dafür lassen Sie mich sorgen. Eins bitte ich Sie nur: wenn Herr Simon kommt und er wird bald da sein, so tun Sie nicht so furchtsam gegen ihn. Es fehlet Ihnen nicht an dem Vermögen, zu reden. Sie sind nur zu schüchtern und benehmen sich durch Ihre Furcht die Sprache. Herr Simon ist nicht mehr Ihr Bräutigam, sondern der meinige; also können Sie schon etwas freier und ungezwungener mit ihm umgehen. Wollen Sie es tun, mein liebes Kind?
CHRISTIANCHEN. Ja! Ich will recht aufrichtig und vertraut mit ihm reden. Aber werde ich nicht die Freundschaft beleidigen, wenn ich gegen Ihren Bräutigam freundlich tue? Ich bin ihm nunmehr recht herzlich gut, weil er mein Bitten erfüllte und Ihnen sein Herz schenkte. Er muß von Natur recht gütig und liebreich sein. Wie gut werden Sie nicht mit ihm auskommen! Die Mama konnte mir vorhin zumuten, ich sollte ihn hassen, weil sie ihn haßte, aber das tue ich in meinem Leben nicht.
LORCHEN. Nein, hassen Sie ihn nicht! Lieben Sie ihn als Ihren Freund. Je mehr Sie ihn werden kennen lernen, desto liebenswürdiger wird er Ihnen vorkommen.
CHRISTIANCHEN. Aber wenn er mich wieder küssen wollte, das darf ich ihm wohl nicht mehr erlauben, weil ich nicht mehr seine Braut bin? Er wird es auch wohl nicht tun.[486]
LORCHEN. Diesen kleinen Eintrag in meine Rechte will ich Ihnen herzlich gern erlauben. Schlagen Sie ihm einen Kuß nicht ab, wenn er Sie darum bitten sollte. Sie sind ihm dieses Vergnügen für seine Liebe noch schuldig. Aber, mein liebes Kind, machen Sie auch, daß ich nicht zuviel dabei verliere. Sie sind schöner und reizender als ich.
CHRISTIANCHEN. Fürchten Sie nichts! Ich will lieber gar nicht mit ihm reden, wenn ich Ihnen etwa gefährlich sein sollte. Ich dächte nicht, daß ich eben so schön wäre. Gefalle ich Ihnen denn, mein liebes Lorchen?
LORCHEN. Sie gefallen mir, und wenn ich nicht irre, auch Herr Simonen mehr als zu sehr. Wie lange wird es werden; so bringen Sie mich um meinen Bräutigam!
CHRISTIANCHEN. Quälen Sie mich nicht! Wie dächten Sie, daß ich zu so einer Bosheit geschickt wäre? Ach nein, ich bin Herr Simonen gewogen, weil er Ihnen gewogen ist, und ich habe nunmehr das größte Vertrauen zu ihm.
LORCHEN. Wenn ich nun etwa bald sterben sollte, wollten Sie mir's wohl versprechen, ihn nach meinem Tode zu heiraten? Was meinen Sie?
CHRISTIANCHEN. O denken Sie doch nicht an den Tod! Ich höre gar nicht gern von dem Sterben reden. Der Himmel lasse sie noch lange leben.
LORCHEN. Aber wenn ich nun bald sterben sollte, wollten Sie ihn alsdann lieben?
CHRISTIANCHEN. Ja, weil Sie ihn geliebt haben, und weil er Sie geliebt hat, so würde ich ihn auch lieben und ihn zu meinem Manne nehmen. Lassen Sie aber die Gedanken vom Tode fahren; Sie machen sonst mich und Herr Simonen betrübt.