[402] Julchen. Damis.
JULCHEN. War nicht meine Schwester bei Ihnen? Wo ist sie?
DAMIS in tiefen Gedanken. Sie ging und sagte, sie wollte uns nicht stören.
JULCHEN. Nicht stören? Was soll das bedeuten?
DAMIS. Vergeben Sie mir. Ich habe mich übereilet. Ach, Juliane!
JULCHEN. Sie haben sich übereilet, und woher? Aber ... Ja ... Ich will Sie verlassen. Sie sind tiefsinnig.
DAMIS. Sie wollen mich verlassen? meine Juliane! Mich ...?
JULCHEN. Meine Juliane! so haben Sie mich ja sonst nicht geheißen? Sie vergessen sich. Ich will Sie verlassen.
DAMIS. O gehn Sie noch nicht. Ich habe Ihnen recht viel zu sagen. Ach viel!
JULCHEN. Und was denn? Sie halten mich wider meinen Willen[402] zurück. Ist Ihnen etwas begegnet? Was wollen Sie sagen? Reden Sie doch.
DAMIS bange. Meine Juliane!
JULCHEN mit beweglicher Stimme. Juliane! den Namen höre ich zum dritten Male. Sie schweigen wieder? Ich muß nun gehn. Sie geht. Er sieht ihr traurig nach, und sie sieht sich um. Wahrhaftig, es muß Ihnen etwas Großes begegnet sein. Darf ich's nicht wissen?
DAMIS er kommt auf sie zu. Wenn Sie mir's vergeben wollten: so wollte ich Ihnen sagen; aber nein ... Ich würde Ihre Gewogenheit darüber verlieren, und ... Er küßt ihr die Hand und hält sie dabei. Nein, ich habe Ihnen nichts zu sagen. Ach, Sie sind verdrießlich, meine Juliane?
JULCHEN ganz betroffen. Nein, ich bin nicht traurig. Aber ich erschrecke, daß ich Sie so bestürzt sehe. Ja ... Ich bin nicht traurig. Ich bin ganz gelassen, und ich wollte, daß Sie auch so wären. Halten Sie mich nicht bei der Hand. Ich will Sie verlassen. Ich wollte meine Schwester suchen und ihr sagen ...
DAMIS. Was wollten Sie ihr denn sagen, mein schönes Kind!
JULCHEN. Ich wollte ihr sagen ... daß der Papa nach ihr gefragt hätte und ...
DAMIS. Der Papa? mein Engel!
JULCHEN. Nein, ich irre mich. Herr Siegmund hat nach ihr gefragt und meine Schwester sprechen wollen und mich gebeten ... Sie sieht ihn an. In Wahrheit, Sie sehen so traurig aus, daß man sich des Mitleidens ... Sie wendet das Gesicht beiseite.
DAMIS. Meine Juliane! Ihr Mitleiden ... Sie bringen mich zur äußersten Wehmut.
JULCHEN. Und Sie machen mich auch traurig. Warum hielten Sie mich zurück? Warum weinen Sie denn? Sie will ihre Tränen verbergen. Was fehlt Ihnen? Verlassen Sie mich, wenn ich bitten darf.
DAMIS. Ja.
JULCHEN für sich. Er geht?
DAMIS indem er wieder zurückkehrt. Aber darf ich nicht wissen, meine Schöne, was Ihnen begegnet ist? Sie waren ja am Vormittage nicht so traurig.
JULCHEN. Ich weiß es nicht. Sie wollten ja gehn. Ist Ihnen meine Unruhe beschwerlich? Sagen Sie mir nur, warum Sie ... Sie reden ja nicht.[403]
DAMIS. Ich?
JULCHEN. Ja.
DAMIS. O wie verschönert die Wehmut Ihre Wangen! Ach, Juliane!
JULCHEN. Was seufzen Sie? Sie vergessen sich. Wenn doch Lottchen wieder käme! Bedenken Sie, wenn sie Sie so betrübt sähe, und mich ... Was würde sie sagen? Lottchen tritt aus der Szene hervor.