Zehnter Auftritt

[408] Siegmund allein.


Welche entsetzliche Nachricht! ... Julchen! ... Ein ganzes Rittergut! Julchen ... die so viel Reizungen, so viel Schönheit und Anmut besitzt! ... Kennte ich Lottchens Wert nicht: so würde Julchen ... Aber ist Julchen nicht auch tugendhaft ... großmütig ... klug ... unschuldig ...? Ist sie nicht die Sittsamkeit selbst? Ist Lottchen so schamhaft? oder ... Himmel, wo bin ich? Verdammte Liebe, wie quälst du mich! Muß man auch wider seinen Willen untreu werden? ... Warum konnte jene nicht die reiche Erbschaft bekommen? Sah die Muhme auch, daß die jüngste mehr Verdienste hatte? ... Ich Elender! Ich bin ohne meine Schuld um das größte Vermögen gekommen ... Aber habe ich weniger Vorzüge als Damis? Julchen widersteht ja seiner Liebe ... Ist es ein Verbrechen? ... Was kann ich dafür, daß sie mich rührt? Sind meine Wünsche verdammlich, wenn sie mit Julchens Wünschen vielleicht gar übereinstimmen? O Himmel! Sie kommt allein.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 408.
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