Suleika

[107] Ach, um deine feuchten Schwingen,

West, wie sehr ich dich beneide:

Denn du kannst ihm Kunde bringen,

Was ich in der Trennung leide!


Die Bewegung deiner Flügel

Weckt im Busen stilles Sehnen;

Blumen, Augen, Wald und Hügel

Stehn bei deinem Hauch in Tränen.
[107]

Doch dein mildes sanftes Wehen

Kühlt die wunden Augenlider;

Ach, für Leid müßt ich vergehen,

Hofft ich nicht, zu sehn ihn wieder.


Eile denn zu meinem Lieben,

Spreche sanft zu seinem Herzen;

Doch vermeid, ihn zu betrüben,

Und verbirg ihm meine Schmerzen.


Sag ihm aber, sag's bescheiden:

Seine Liebe sei mein Leben,

Freudiges Gefühl von beiden

Wird mir seine Nähe geben.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 107-108.
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