Achter Auftritt

[46] Alcest in Gedanken. Der Wirt.


DER WIRT verlegen und bittend.

Ich bin recht sehr bestürzt, daß ich erfahren muß –

Ich sehe, gnäd'ger Herr, Sie sind noch voll Verdruß.

Doch bitt ich, vorderhand es gnädigst zu verschweigen,

Es wird sich wohl ein Weg zum Wiederkommen zeigen.

Kommt's einmal in die Stadt, da freun die Neider sich,

Und ihre Bosheit schiebt wohl gar die Schuld auf mich.

Es kann kein Fremdes sein, ein Hausdieb hat's genommen.

Sein Sie nur nicht erzürnt, es wird schon wiederkommen.

Wie hoch beläuft sich's denn?

ALCEST.

Auf achtzig Taler!

DER WIRT.

Ei!

ALCEST.

Doch achtzig Taler –

DER WIRT.

Pest! sind keine Kinderei.

ALCEST.

Und dennoch wollt ich sie vergessen und entbehren,

Wüßt ich, von wem sie mir, wie sie entwendet wären.

DER WIRT.

Wenn man das Geld nur hat, da fragt man nicht einmal,

Ob's Michel oder Hans und wann und wie er's stahl.[46]

ALCEST vor sich.

Mein Diener hat es nicht, er ist kein Mensch zum Rauben.

Und in dem Zimmer war – Nein, nein, ich mag's nicht glauben.

DER WIRT.

Sie brechen sich den Kopf, es ist vergebne Müh.

Genug, ich schaff das Geld.

ALCEST.

Mein Geld?

DER WIRT.

Ja, wetten Sie?

Genug, schaff ich sie nicht, die achtzig bare Taler,

So nennet mich Pick As, Mann von Papier, Hans Prahler.

ALCEST.

Sie wissen also –

DER WIRT.

Hum! Ich bring's heraus, das Geld.

ALCEST.

Ei, sagen Sie mir's doch!

DER WIRT.

Nicht um die ganze Welt.

ALCEST.

Wer nahm's? Ich bitte Sie.

DER WIRT.

Ich sag, ich darf's nicht sagen.

ALCEST.

Doch jemand aus dem Haus?

DER WIRT.

Sie werden's nicht erfragen.

ALCEST.

Vielleicht die junge Magd?

DER WIRT.

Die gute Hanne? Nein.

ALCEST.

Der Kieper hat's doch nicht?

DER WIRT.

Der Kieper, das kann sein.

ALCEST.

Die Köchin ist zu dumm.

DER WIRT.

Ich wollte nicht drauf schwören.

ALCEST.

Der Küchenjunge Hans?

DER WIRT.

Ja, ja, das läßt sich hören.

ALCEST.

Der Gärtner könnte wohl –

DER WIRT.

Bald, balde sind Sie da.

ALCEST.

Der Sohn des Gärtners?

DER WIRT.

Nein!

ALCEST.

Vielleicht –

DER WIRT.

Der Haushund? Ja!

ALCEST vor sich.

Wart nur, du dummer Kerl, ich weiß dich schon zu kriegen.


Laut.


So hab es denn, wer will, daran kann wenig liegen,

Wenn's wiederkömmt.


Er tut, als ging' er weg.
[47]

DER WIRT.

Jawohl.

ALCEST als wenn ihm was einfiele.

Herr Wirt, mein Dintenfaß

Ist leer; und dieser Brief verlangt expreß –

DER WIRT.

Ei was!

Erst gestern kam er an, und heute schon zu schreiben!

Es muß was Wichtigs sein!

ALCEST.

Es darf nicht liegenbleiben.

DER WIRT.

Es ist ein großes Glück, wenn man korrespondiert.

ALCEST.

Nicht eben allemal; die Zeit, die man verliert,

Wird uns nicht stets ersetzt.

DER WIRT.

Eh, das geht wie im Spiele.

Da kömmt einmal ein Brief und tröstet uns für viele.

Verzeihn Sie, gnäd'ger Herr, der gestrige enthält

Viel Wichtigs? Dürft ich wohl!

ALCEST.

Nicht um die ganze Welt.

DER WIRT.

Vielleicht von Norden her?

ALCEST.

Ich sag, ich darf's nicht sagen.

DER WIRT.

Aus Polen, denk ich wohl!

ALCEST.

Sie werden's nicht ertragen.

DER WIRT.

Vielleicht vom Könige.

ALCEST.

Vom armen König? Nein!

DER WIRT.

Gewiß vom Türkenmarsch.

ALCEST.

Vom Türken! Das kann sein.

DER WIRT.

Doch nicht vom Paoli.

ALCEST.

Ich wollte nicht drauf schwören.

DER WIRT.

Vom Prinz von Travental.

ALCEST.

Nun ja, das läßt sich hören.

DER WIRT.

Vom heil'gen Vater Papst.

ALCEST.

Bald, balde sind Sie da.

DER WIRT.

Ein neuer Brief an ihn?

ALCEST.

Vom großen Mogol! Ja!

DER WIRT.

Sie scheinen gar nicht viel auf Ihren Knecht zu bauen.

ALCEST.

Wer selbst mißtrauisch ist, verdienet kein Vertrauen.[48]

DER WIRT.

Und was verlangen Sie für ein Vertraun von mir?

ALCEST.

Wer ist der Dieb? Mein Brief steht gleich zu Diensten. Hier!

Sehr billig ist der Tausch, wozu ich mich erbiete!

Nun, wollen Sie den Brief?

DER WIRT konfundiert und begierig.

Ach! allzu viele Güte.


Vor sich.


Wär's nur nicht eben das, was er von mir begehrt.

ALCEST.

Sie sehen doch, der Dienst ist wohl den andern wert.

Und ich verrate nichts; ich schwör bei meiner Ehre.

DER WIRT halb entschl[ossen].

Wenn nur der Brief nicht gar zu appetitlich wäre.

Allein, wie, wenn Sophie – Ei gut, das mag sie sehn.

Die Reizung ist zu groß; kein Mensch kann widerstehn.

Er wässert mir das Maul wie ein gebeizter Hase.

ALCEST.

So stach kein Schinken je dem Windhund in die Nase.

DER WIRT beschämt, nachgebend und noch zaudernd.

Sie wollen's, gnäd'ger Herr, und Ihre Gütigkeit –

ALCEST.

Jetzt beißt er an.

DER WIRT.

Zwingt mich auch zur Vertraulichkeit.


Zweifelnd und halb bittend.


Versprechen Sie, soll ich auch gleich den Brief bekommen?

ALCEST reicht den Brief hin.

Den Augenblick.

DER WIRT der sich langsam dem Alcest, mit unverwandten Augen auf den Brief, nähert.

Der Dieb –

ALCEST.

Der Dieb?

DER WIRT.

Der's weggenommen –

Ist –

ALCEST.

Nur heraus!

DER WIRT.

Ist mei –

ALCEST.

Nun!

DER WIRT mit einem herzhaften Tone und fährt zugleich zu und reißt Alcesten den Brief aus der Hand.

Meine Tochter![49]

ALCEST erstaunt.

Wie!

DER WIRT läuft hervor an die Lichter, reißt für geschwindem Aufmachen das Kuvert in Stücken und fängt an zu lesen.

»Hochwohlgeborner Herr!«

ALCEST geht auf den Wirt los und kriegt ihn bei der Schulter, der seine Unzufriedenheit über dieses Stören bezeigt.

Sie war's! Nein, sagen Sie

Die Wahrheit.

DER WIRT ungeduldig.

Ja, sie ist's. So lassen Sie mich lesen.


Er liest.


»Insonders« –

ALCEST wie oben.

Nein, es kann nicht sein, daß sie's gewesen.

DER WIRT reißt sich los und fährt, ohne ihm zu antworten, fort.

»Hochzuverehrender« –

ALCEST wie oben.

Ich bin ganz stumm davon!

DER WIRT wie oben.

Ich wollt, er wär es. »Herr« –

ALCEST wie oben.

So hören Sie!

DER WIRT wie oben.

»Patron« –

ALCEST.

Sie sind ein dummer Kerl!

DER WIRT.

Von Herzen gern.

ALCEST.

Sie taugen

Zu nichts!

DER WIRT.

Ja, gnäd'ger Herr.

ALCEST.

Ich will es schon gebrauchen.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 46-50.
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