Zweiter Auftritt


[134] Leonore. Tasso.


LEONORE.

Was ist begegnet? Lieber Tasso, hat

Dein Eifer dich, dein Argwohn so getrieben?

Wie ist's geschehn? Wir alle stehn bestürzt.

Und deine Sanftmut, dein gefällig Wesen,

Dein schneller Blick, dein richtiger Verstand,

Mit dem du jedem gibst was ihm gehört,

Dein Gleichmut, der erträgt was zu ertragen

Der Edle bald, der Eitle selten lernt,

Die kluge Herrschaft über Zung und Lippe? –

Mein teurer Freund, fast ganz verkenn ich dich.

TASSO.

Und wenn das alles nun verloren wäre?

Wenn einen Freund, den du einst reich geglaubt,

Auf einmal du als einen Bettler fändest?

Wohl hast du recht, ich bin nicht mehr ich selbst

Und bin's doch noch so gut als wie ich's war.

Es scheint ein Rätsel, und doch ist es keins.

Der stille Mond, der dich bei Nacht erfreut,

Dein Auge, dein Gemüt mit seinem Schein

Unwiderstehlich lockt, er schwebt am Tage

Ein unbedeutend blasses Wölkchen hin.

Ich bin vom Glanz des Tages überschienen,

Ihr kennet mich, ich kenne mich nicht mehr.

LEONORE.

Was du mir sagst, mein Freund, versteh ich nicht

Wie du es sagst. Erkläre dich mit mir.

Hat die Beleidigung des schroffen Manns

Dich so gekränkt, daß du dich selbst und uns

So ganz verkennen magst? Vertraue mir.

TASSO.

Ich bin nicht der Beleidigte, du siehst

Mich ja bestraft, weil ich beleidigt habe.

Die Knoten vieler Worte löst das Schwert

Gar leicht und schnell, allein ich bin gefangen.

Du weißt wohl kaum – erschrick nicht, zarte Freundin –[134]

Du triffst den Freund in einem Kerker an.

Mich züchtiget der Fürst wie einen Schüler.

Ich will mit ihm nicht rechten, kann es nicht.

LEONORE.

Du scheinest mehr, als billig ist, bewegt.

TASSO.

Hältst du mich für so schwach, für so ein Kind,

Daß solch ein Fall mich gleich zerrütten könne?

Das was geschehn ist, kränkt mich nicht so tief,

Allein das kränkt mich, was es mir bedeutet.

Laß meine Neider, meine Feinde nur

Gewähren! Frei und offen ist das Feld.

LEONORE.

Du hast gar manchen fälschlich im Verdacht,

Ich habe selbst mich überzeugen können.

Und auch Antonio feindet dich nicht an,

Wie du es wähnst. Der heutige Verdruß –

TASSO.

Den laß ich ganz bei Seite, nehme nur

Antonio wie er war und wie er bleibt.

Verdrießlich fiel mir stets die steife Klugheit,

Und daß er immer nur den Meister spielt.

Anstatt zu forschen, ob des Hörers Geist

Nicht schon für sich auf guten Spuren wandle,

Belehrt er dich von manchem, das du besser

Und tiefer fühltest, und vernimmt kein Wort,

Das du ihm sagst, und wird dich stets verkennen.

Verkannt zu sein, verkannt von einem Stolzen,

Der lächelnd dich zu übersehen glaubt!

Ich bin so alt noch nicht und nicht so klug,

Daß ich nur duldend gegenlächeln sollte.

Früh oder spat, es konnte sich nicht halten,

Wir mußten brechen; später war es nur

Um desto schlimmer worden. Einen Herrn

Erkenn ich nur, den Herrn der mich ernährt,

Dem folg ich gern, sonst will ich keinen Meister.

Frei will ich sein im Denken und im Dichten,

Im Handeln schränkt die Welt genug uns ein.

LEONORE.

Er spricht mit Achtung oft genug von dir.

TASSO.

Mit Schonung, willst du sagen, fein und klug.

Und das verdrießt mich eben; denn er weiß

So glatt und so bedingt zu sprechen, daß

Sein Lob erst recht zum Tadel wird und daß[135]

Nichts mehr, nichts tiefer dich verletzt als Lob

Aus seinem Munde.

LEONORE.

Möchtest du, mein Freund,

Vernommen haben, wie er sonst von dir

Und dem Talente sprach, das dir vor vielen

Die gütige Natur verlieh. Er fühlt gewiß

Das was du bist und hast, und schätzt es auch.

TASSO.

O glaube mir, ein selbstisches Gemüt

Kann nicht der Qual des engen Neids entfliehen.

Ein solcher Mann verzeiht dem andern wohl

Vermögen, Stand und Ehre, denn er denkt,

Das hast du selbst, das hast du wenn du willst,

Wenn du beharrst, wenn dich das Glück begünstigt.

Doch das was die Natur allein verleiht,

Was jeglicher Bemühung, jedem Streben

Stets unerreichbar bleibt, was weder Gold

Noch Schwert, noch Klugheit, noch Beharrlichkeit

Erzwingen kann, das wird er nie verzeihn.

Er gönnt es mir? Er, der mit steifem Sinn

Die Gunst der Musen zu ertrotzen glaubt?

Der, wenn er die Gedanken mancher Dichter

Zusammenreiht, sich selbst ein Dichter scheint?

Weit eher gönnt er mir des Fürsten Gunst,

Die er doch gern auf sich beschränken möchte,

Als das Talent, das jene Himmlischen

Dem armen, dem verwaisten Jüngling gaben.

LEONORE.

O sähest du so klar, wie ich es sehe!

Du irrst dich über ihn, so ist er nicht.

TASSO.

Und irr ich mich an ihm, so irr ich gern!

Ich denk ihn mir als meinen ärgsten Feind,

Und wär untröstlich, wenn ich mir ihn nun

Gelinder denken müßte. Töricht ist's

In allen Stücken billig sein; es heißt

Sein eigen Selbst zerstören. Sind die Menschen

Denn gegen uns so billig? Nein, o nein!

Der Mensch bedarf in seinem engen Wesen

Der doppelten Empfindung, Lieb und Haß.

Bedarf er nicht der Nacht als wie des Tags?

Des Schlafens wie des Wachens? Nein, ich muß[136]

Von nun an diesen Mann als Gegenstand

Von meinem tiefsten Haß behalten; nichts

Kann mir die Lust entreißen schlimm und schlimmer

Von ihm zu denken.

LEONORE.

Willst du, teurer Freund,

Von deinem Sinn nicht lassen, seh ich kaum,

Wie du am Hofe länger bleiben willst.

Du weißt, wie viel er gilt und gelten muß.

TASSO.

Wie sehr ich lang, o schöne Freundin, hier

Schon überflüssig bin, das weiß ich wohl.

LEONORE.

Das bist du nicht, das kannst du nimmer werden!

Du weißt vielmehr, wie gern der Fürst mit dir,

Wie gern die Fürstin mit dir lebt; und kommt

Die Schwester von Urbino, kommt sie fast

So sehr um deint- als der Geschwister willen.

Sie denken alle gut und gleich von dir,

Und jegliches vertraut dir unbedingt.

TASSO.

O Leonore, welch Vertraun ist das?

Hat er von seinem Staate je ein Wort,

Ein ernstes Wort mit mir gesprochen? Kam

Ein eigner Fall, worüber er sogar

In meiner Gegenwart mit seiner Schwester,

Mit andern sich beriet, mich fragt' er nie.

Da hieß es immer nur, Antonio kommt!

Man muß Antonio schreiben! fragt Antonio!

LEONORE.

Du klagst anstatt zu danken. Wenn er dich

In unbedingter Freiheit lassen mag,

So ehrt er dich, wie er dich ehren kann.

TASSO.

Er läßt mich ruhn, weil er mich unnütz glaubt.

LEONORE.

Du bist nicht unnütz, eben weil du ruhst.

So lange hegst du schon Verdruß und Sorge,

Wie ein geliebtes Kind, an deiner Brust.

Ich hab es oft bedacht und mag's bedenken

Wie ich es will, auf diesem schönen Boden,

Wohin das Glück dich zu verpflanzen schien,

Gedeihst du nicht. O Tasso! – rat ich dir's?

Sprech ich es aus? – Du solltest dich entfernen!

TASSO.

Verschone nicht den Kranken, lieber Arzt!

Reich ihm das Mittel, denke nicht daran,[137]

Ob's bitter sei. – Ob er genesen könne,

Das überlege wohl, o kluge, gute Freundin!

Ich seh es alles selbst, es ist vorbei!

Ich kann ihm wohl verzeihen, er nicht mir;

Und sein bedarf man, leider! meiner nicht.

Und er ist klug, und leider! bin ich's nicht.

Er wirkt zu meinem Schaden, und ich kann,

Ich mag nicht gegenwirken. Meine Freunde

Sie lassen's gehn, sie sehen's anders an,

Sie widerstreben kaum und sollten kämpfen.

Du glaubst, ich soll hinweg, ich glaub es selbst –

So lebt denn wohl! ich werd auch das ertragen.

Ihr seid von mir geschieden – werd auch mir

Von euch zu scheiden, Kraft und Mut verliehn!

LEONORE.

Ach in der Ferne zeigt sich alles reiner,

Was in der Gegenwart uns nur verwirrt.

Vielleicht wirst du erkennen, welche Liebe

Dich überall umgab und welchen Wert

Die Treue wahrer Freunde hat, und wie

Die weite Welt die Nächsten nicht ersetzt.

TASSO.

Das werden wir erfahren! Kenn ich doch

Die Welt von Jugend auf, wie sie so leicht

Uns hülflos, einsam läßt, und ihren Weg

Wie Sonn und Mond und andre Götter geht.

LEONORE.

Vernimmst du mich, mein Freund, so sollst du nie

Die traurige Erfahrung wiederholen.

Soll ich dir raten, so begibst du dich

Erst nach Florenz, und eine Freundin wird

Gar freundlich für dich sorgen. Sei getrost,

Ich bin es selbst. Ich reise, den Gemahl

Die nächsten Tage dort zu finden, kann

Nichts freudiger für ihn und mich bereiten,

Als wenn ich dich in unsre Mitte bringe.

Ich sage dir kein Wort, du weißt es selbst,

Welch einem Fürsten du dich nahen wirst,

Und welche Männer diese schöne Stadt

In ihrem Busen hegt und welche Frauen.

Du schweigst? Bedenk es wohl! Entschließe dich.

TASSO.

Gar reizend ist was du mir sagst, so ganz[138]

Dem Wunsch gemäß, den ich im stillen nähre;

Allein es ist zu neu: ich bitte dich,

Laß mich bedenken, ich beschließe bald.

LEONORE.

Ich gehe mit der schönsten Hoffnung weg

Für dich und uns und auch für dieses Haus.

Bedenke nur, und wenn du recht bedenkst,

So wirst du schwerlich etwas Bessers denken.

TASSO.

Noch eins, geliebte Freundin! sage mir

Wie ist die Fürstin gegen mich gesinnt?

War sie erzürnt auf mich? Was sagte sie? –

Sie hat mich sehr getadelt? Rede frei.

LEONORE.

Da sie dich kennt, hat sie dich leicht entschuldigt.

TASSO.

Hab ich bei ihr verloren? schmeichle nicht.

LEONORE.

Der Frauen Gunst wird nicht so leicht verscherzt.

TASSO.

Wird sie mich gern entlassen, wenn ich gehe?

LEONORE.

Wenn es zu deinem Wohl gereicht, gewiß.

TASSO.

Werd ich des Fürsten Gnade nicht verlieren?

LEONORE.

In seiner Großmut kannst du sicher ruhn.

TASSO.

Und lassen wir die Fürstin ganz allein?

Du gehst hinweg; und wenn ich wenig bin,

So weiß ich doch, daß ich ihr etwas war.

LEONORE.

Gar freundliche Gesellschaft leistet uns

Ein ferner Freund, wenn wir ihn glücklich wissen.

Und es gelingt, ich sehe dich beglückt,

Du wirst von hier nicht unzufrieden gehn.

Der Fürst befahl's, Antonio sucht dich auf.

Er tadelt selbst an sich die Bitterkeit,

Womit er dich verletzt. Ich bitte dich,

Nimm ihn gelassen auf, so wie er kommt.

TASSO.

Ich darf in jedem Sinne vor ihm stehn.

LEONORE.

Und schenke mir der Himmel, lieber Freund,

Noch eh du scheidest, dir das Aug zu öffnen:

Daß niemand dich im ganzen Vaterlande

Verfolgt und haßt und heimlich druckt und neckt.

Du irrst gewiß, und wie du sonst zur Freude

Von andern dichtest, leider dichtest du

In diesem Fall ein seltenes Gewebe,

Dich selbst zu kränken. Alles will ich tun,[139]

Um es entzwei zu reißen, daß du frei

Den schönen Weg des Lebens wandeln mögest.

Leb wohl! Ich hoffe bald ein glücklich Wort.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 134-140.
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