Vierter Auftritt


[142] Antonio. Tasso.


ANTONIO.

Hier bin ich, Tasso, dir ein Wort zu sagen,

Wenn du mich ruhig hören magst und kannst.

TASSO.

Das Handeln, weißt du, bleibt mir untersagt,

Es ziemt mir wohl zu warten und zu hören.

ANTONIO.

Ich treffe dich gelassen, wie ich wünschte,

Und spreche gern zu dir aus freier Brust.

Zuvörderst lös ich in des Fürsten Namen

Das schwache Band, das dich zu fesseln schien.

TASSO.

Die Willkür macht mich frei, wie sie mich band;

Ich nehm es an und fordre kein Gericht.

ANTONIO.

Dann sag ich dir von mir: Ich habe dich

Mit Worten, scheint es, tief und mehr gekränkt,

Als ich, von mancher Leidenschaft bewegt,

Es selbst empfand. Allein kein schimpflich Wort

Ist meinen Lippen unbedacht entflohen;

Zu rächen hast du nichts als Edelmann,

Und wirst als Mensch Vergebung nicht versagen.

TASSO.

Was härter treffe, Kränkung oder Schimpf,

Will ich nicht untersuchen; jene dringt

Ins tiefe Mark, und dieser ritzt die Haut.

Der Pfeil des Schimpfs kehrt auf den Mann zurück,[142]

Der zu verwunden glaubt, die Meinung andrer

Befriedigt leicht das wohlgeführte Schwert –

Doch ein gekränktes Herz erholt sich schwer.

ANTONIO.

Jetzt ist's an mir, daß ich dir dringend sage:

Tritt nicht zurück, erfülle meinen Wunsch,

Den Wunsch des Fürsten, der mich zu dir sendet.

TASSO.

Ich kenne meine Pflicht und gebe nach.

Es sei verziehn, sofern es möglich ist!

Die Dichter sagen uns von einem Speer,

Der eine Wunde, die er selbst geschlagen,

Durch freundliche Berührung heilen konnte.

Es hat des Menschen Zunge diese Kraft,

Ich will ihr nicht gehässig widerstehn.

ANTONIO.

Ich danke dir, und wünsche, daß du mich

Und meinen Willen dir zu dienen gleich

Vertraulich prüfen mögest. Sage mir,

Kann ich dir nützlich sein? ich zeig es gern.

TASSO.

Du bietest an was ich nur wünschen konnte.

Du brachtest mir die Freiheit wieder, nun

Verschaffe mir, ich bitte, den Gebrauch.

ANTONIO.

Was kannst du meinen? Sag es deutlich an.

TASSO.

Du weißt, geendet hab ich mein Gedicht,

Es fehlt noch viel, daß es vollendet wäre.

Heut überreicht ich es dem Fürsten, hoffte

Zugleich ihm eine Bitte vorzutragen.

Gar viele meiner Freunde find ich jetzt

In Rom versammelt, einzeln haben sie

Mir über manche Stellen ihre Meinung

In Briefen schon eröffnet. Vieles hab ich

Benutzen können, manches scheint mir noch

Zu überlegen; und verschiedne Stellen

Möcht ich nicht gern verändern, wenn man mich

Nicht mehr, als es geschehn ist, überzeugt.

Das alles wird durch Briefe nicht getan;

Die Gegenwart löst diese Knoten bald.

So dacht ich heut den Fürsten selbst zu bitten:

Ich fand nicht Raum; nun darf ich es nicht wagen,

Und hoffe diesen Urlaub nun durch dich.

ANTONIO.

Mir scheint nicht rätlich, daß du dich entfernst[143]

In dem Moment, da dein vollendet Werk

Dem Fürsten und der Fürstin dich empfiehlt.

Ein Tag der Gunst ist wie ein Tag der Ernte,

Man muß geschäftig sein sobald sie reift.

Entfernst du dich, so wirst du nichts gewinnen,

Vielleicht verlieren was du schon gewannst.

Die Gegenwart ist eine mächtge Göttin;

Lern ihren Einfluß kennen, bleibe hier!

TASSO.

Zu fürchten hab ich nichts; Alfons ist edel,

Stets hat er gegen mich sich groß gezeigt:

Und was ich hoffe, will ich seinem Herzen

Allein verdanken, keine Gnade mir

Erschleichen; nichts will ich von ihm empfangen

Was ihn gereuen könnte daß er's gab.

ANTONIO.

So fordre nicht von ihm, daß er dich jetzt

Entlassen soll; er wird es ungern tun,

Und ich befürchte fast, er tut es nicht.

TASSO.

Er wird es gern, wenn recht gebeten wird,

Und du vermagst es wohl sobald du willst.

ANTONIO.

Doch welche Gründe, sag mir, leg ich vor?

TASSO.

Laß mein Gedicht aus jeder Stanze sprechen!

Was ich gewollt ist löblich, wenn das Ziel

Auch meinen Kräften unerreichbar blieb.

An Fleiß und Mühe hat es nicht gefehlt.

Der heitre Wandel mancher schönen Tage,

Der stille Raum so mancher tiefen Nächte

War einzig diesem frommen Lied geweiht.

Bescheiden hofft ich, jenen großen Meistern

Der Vorwelt mich zu nahen; kühn gesinnt

Zu edlen Taten unsern Zeitgenossen

Aus einem langen Schlaf zu rufen, dann

Vielleicht mit einem edlen Christenheere

Gefahr und Ruhm des heilgen Kriegs zu teilen.

Und soll mein Lied die besten Männer wecken,

So muß es auch der besten würdig sein.

Alfonsen bin ich schuldig was ich tat,

Nun möcht ich ihm auch die Vollendung danken.

ANTONIO.

Und eben dieser Fürst ist hier, mit andern

Die dich so gut als Römer leiten können.[144]

Vollende hier dein Werk, hier ist der Platz,

Und um zu wirken eile dann nach Rom.

TASSO.

Alfons hat mich zuerst begeistert, wird

Gewiß der letzte sein der mich belehrt.

Und deinen Rat, den Rat der klugen Männer,

Die unser Hof versammelt, schätz ich hoch.

Ihr sollt entscheiden, wenn mich ja zu Rom

Die Freunde nicht vollkommen überzeugen.

Doch diese muß ich sehn. Gonzaga hat

Mir ein Gericht versammelt, dem ich erst

Mich stellen muß. Ich kann es kaum erwarten.

Flaminio de' Nobili, Angelio

Da Barga, Antoniano und Speron Speroni!

Du wirst sie kennen – Welche Namen sind's!

Vertraun und Sorge flößen sie zugleich

In meinen Geist, der gern sich unterwirft.

ANTONIO.

Du denkst nur dich und denkst den Fürsten nicht.

Ich sage dir, er wird dich nicht entlassen;

Und wenn er's tut, entläßt er dich nicht gern.

Du willst ja nicht verlangen was er dir

Nicht gern gewähren mag. Und soll ich hier

Vermitteln was ich selbst nicht loben kann?

TASSO.

Versagst du mir den ersten Dienst, wenn ich

Die angebotne Freundschaft prüfen will?

ANTONIO.

Die wahre Freundschaft zeigt sich im Versagen

Zur rechten Zeit, und es gewährt die Liebe

Gar oft ein schädlich Gut, wenn sie den Willen

Des Fordernden mehr als sein Glück bedenkt.

Du scheinest mir in diesem Augenblick

Für gut zu halten was du eifrig wünschest,

Und willst im Augenblick was du begehrst.

Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende

Was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt.

Es fordert meine Pflicht, so viel ich kann

Die Hast zu mäßgen, die dich übel treibt.

TASSO.

Schon lange kenn ich diese Tyrannei

Der Freundschaft, die von allen Tyranneien

Die unerträglichste mir scheint. Du denkst[145]

Nur anders, und du glaubst deswegen

Schon recht zu denken. Gern erkenn ich an,

Du willst mein Wohl, allein verlange nicht,

Daß ich auf deinem Weg es finden soll.

ANTONIO.

Und soll ich dir sogleich mit kaltem Blut,

Mit voller klarer Überzeugung schaden?

TASSO.

Von dieser Sorge will ich dich befrein!

Du hältst mich nicht mit diesen Worten ab.

Du hast mich frei erklärt, und diese Türe

Steht mir nun offen, die zum Fürsten führt.

Ich lasse dir die Wahl. Du oder ich!

Der Fürst geht fort. Hier ist kein Augenblick

Zu harren. Wähle schnell! Wenn du nicht gehst,

So geh ich selbst, und werd es wie es will.

ANTONIO.

Laß mich nur wenig Zeit von dir erlangen,

Und warte nur des Fürsten Rückkehr ab!

Nur heute nicht!

TASSO.

Nein, diese Stunde noch,

Wenn's möglich ist! Es brennen mir die Sohlen

Auf diesem Marmorboden, eher kann

Mein Geist nicht Ruhe finden, bis der Staub

Des freien Wegs mich Eilenden umgibt.

Ich bitte dich! Du siehst, wie ungeschickt

In diesem Augenblick ich sei mit meinem Herrn

Zu reden; siehst – wie kann ich das verbergen –

Daß ich mir selbst in diesem Augenblick,

Mir keine Macht der Welt gebieten kann.

Nur Fesseln sind es, die mich halten können!

Alfons ist kein Tyrann, er sprach mich frei.

Wie gern gehorcht ich seinen Worten sonst!

Heut kann ich nicht gehorchen. Heute nur

Laßt mich in Freiheit, daß mein Geist sich finde!

Ich kehre bald zu meiner Pflicht zurück.

ANTONIO.

Du machst mich zweifelhaft. Was soll ich tun?

Ich merke wohl, es steckt der Irrtum an.

TASSO.

Soll ich dir glauben, denkst du gut für mich,

So wirke was ich wünsche, was du kannst.

Der Fürst entläßt mich dann und ich verliere

Nicht seine Gnade, seine Hülfe nicht.[146]

Das dank ich dir und will dir's gern verdanken;

Doch hegst du einen alten Groll im Busen,

Willst du von diesem Hofe mich verbannen,

Willst du auf ewig mein Geschick verkehren,

Mich hülflos in die weite Welt vertreiben,

So bleib auf deinem Sinn und widersteh!

ANTONIO.

Weil ich dir doch, o Tasso, schaden soll,

So wähl ich denn den Weg den du erwählst.

Der Ausgang mag entscheiden wer sich irrt!

Du willst hinweg! Ich sag es dir zuvor,

Du wendest diesem Hause kaum den Rücken,

So wird dein Herz zurück verlangen, wird

Dein Eigensinn dich vorwärts treiben: Schmerz,

Verwirrung, Trübsinn harrt in Rom auf dich,

Und du verfehlest hier und dort den Zweck.

Doch sag ich dies nicht mehr, um dir zu raten,

Ich sage nur voraus was bald geschieht,

Und lade dich auch schon im voraus ein,

Mir in dem schlimmsten Falle zu vertraun.

Ich spreche nun den Fürsten wie du's forderst.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 142-147.
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