Fünfter Auftritt

[371] DÄMON DES KRIEGS sehr schnell auftretend.

Mit Staunen seh' ich euch, mit Freude,

Der ich euch schuf, bewundr' euch heute:

Ihr zieht mich an, ihr zieht mich fort,

Mich muß ich unter euch vergessen:

Mein einzig Streben sei immerfort,

An eurem Eifer mich zu messen.

Des Höchsten bin ich mir bewußt,

Dem Wunderbarsten widm' ich mich mit Lust:

Denn wer Gefahr und Tod nicht scheut,

Ist Herr der Erde, Herr der Geister;

Was auch sich gegensetzt und dräut,

Er bleibt zuletzt allein der Meister.

Kein Widerspruch! kein Widerstreben!

Ich kenne keine Schwierigkeit,

Und wenn umher die Länder beben,

Dann erst ist meine Wonnezeit.

Ein Reich mag nach dem andern stürzen,

Ich steh' allein und wirke frei;

Und will sich wo ein schneller Knoten schürzen,

Um desto schneller hau' ich ihn entzwei.

Kaum ist ein großes Werk getan,

Ein neues war schon ausgedacht;

Und wär' ich ja aufs Äußerste gebracht,

Da fängt erst meine Kühnheit an. –

Ein Schauder überläuft die Erde,

Ich ruf' ihr zu ein neues Werde.


Ein Brandschein verbreitet sich über das Theater.


Es werde Finsternis! – Ein brennend Meer

Soll allen Horizont umrauchen

Und sich der Sterne zitternd Heer

Im Blute meiner Flammen tauchen.

Die höchste Stunde bricht herein,

Wir wollen ihre Gunst erfassen:

Gleich unter dieser Ahnung Schein

Entfaltet euch, gedrängte Massen;

Vom Berg ins Land, flußab ans Meer[371]

Verbreite dich, unüberwindlich Heer!

Und wenn der Erdkreis überzogen

Kaum noch den Atem heben mag,

Demütig seine Herrn bewirtet

Am Ufer schließet mir des Zwanges ehrnen Bogen:

Denn wie euch sonst das Meer umgürtet,

Umgürtet ihr die kühnen Wogen:

So Nacht für Nacht, so Tag für Tag;

Nur keine Worte – Schlag auf Schlag!

HEERESZUG sich entfernend.

So geht es kühn

Zur Welt hinein;

Was wir beziehn,

Wird unser sein:

Will einer das,

Verwehren wir's;

Hat einer was,

Verzehren wir's.


Hat einer gnug

Und will noch mehr,

Der wilde Zug

Macht alles leer.

Da sackt man auf,

Und brennt das Haus,

Da packt man auf

Und rennt heraus.


So zieht vom Ort

Mit festem Schritt

Der Erste fort

Den Zweiten mit;

Wenn Wahn und Bahn

Der Beste brach,

Kommt an und an

Der Letzte nach.[372]


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 371-373.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Epimenides Erwachen
Goethes Werke: Band IV. Faust. Paralipomena zu Faust. Prometheus. Künstlers Erdewallen. Künstlers Apotheose. Elpenor. Des Epimenides Erwachen. Pandora. Nausikaa
Werke in sechs Einzelbänden: Werke, Bd.2, Dramen: Faust I und II. Die Laune des Verliebten. Götz von Berlichingen. Clavigo. Stella. Egmont. ... Pandora. Des Epimenides Erwachen: nur Bd. 2

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon