[292] Eugenie. Mönch.
EUGENIE die eine Zeitlang vor sich hingesehen, indem sie die Augen aufhebt und den Mönch erblickt.
Ich darf nicht zweifeln, ja! ich bin gerettet!
Ja! dieser ist's, der mich bestimmen soll.
Gesendet auf mein Flehn, erscheint er mir,
Der Würdige, Bejahrte, dem das Herz
Beim ersten Blick vertraut entgegenflieht.
Ihm entgegen gehend.
Mein Vater! laß den, ach! mir nun versagten,
Verkümmerten, verbotnen Vaternamen
Auf dich, den edlen Fremden, übertragen.
Mit wenig Worten höre meine Not.
Nicht als dem weisen, wohlbedächt'gen Mann,
Dem gottbegabten Greise leg' ich sie,
Mit schmerzlichem Vertraun, dir an die Brust.
MÖNCH.
Was dich bedrängt, eröffne freien Mutes.
Nicht ohne Schickung trifft der Leidende
Mit dem zusammen, der als höchste Pflicht
Die Linderung der Leiden üben soll.
EUGENIE.
Ein Rätsel statt der Klagen wirst du hören,
Und ein Orakel fordr' ich, keinen Rat.
Zu zwei verhaßten Zielen liegen mir
Zwei Wege vor den Füßen, einer dorthin,
Hierhin der andre – welchen soll ich wählen?[292]
MÖNCH.
Du führst mich in Versuchung! Soll ich nur
Als Los entscheiden?
EUGENIE.
Als ein heilig Los.
MÖNCH.
Begreif' ich dich, so hebt aus tiefer Not
Zu höhern Regionen sich dein Blick.
Erstorben ist im Herzen eigner Wille,
Entscheidung hoffst du dir vom Waltenden.
Jawohl! das ewig Wirkende bewegt,
Uns unbegreiflich, dieses oder jenes
Als wie von ohngefähr zu unserm Wohl,
Zum Rate, zur Entscheidung, zum Vollbringen,
Und wie getragen werden wir ans Ziel.
Dies zu empfinden, ist das höchste Glück,
Es nicht zu fordern, ist bescheidne Pflicht,
Es zu erwarten, schöner Trost im Leiden.
O wär' ich doch gewürdigt, nun für dich,
Was dir am besten frommte, vorzufühlen!
Allein die Ahnung schweigt in meiner Brust,
Und kannst du mehr nicht mir vertraun, so nimm
Ein fruchtlos Mitleid hin zum Lebewohl.
EUGENIE.
Schiffbrüchig fass' ich noch die letzte Planke!
Dich halt' ich fest und sage wider Willen
Zum letztenmal das hoffnungslose Wort:
Aus hohem Haus entsprossen, werd' ich nun
Verstoßen, übers Meer verbannt und könnte
Mich durch ein Ehebündnis retten, das
Zu niedren Sphären mich herunterzieht.
Was sagt nun dir das Herz? Verstummt es noch?
MÖNCH.
Es schweige, bis der prüfende Verstand
Sich als ohnmächtig selbst bekennen muß.
Du hast nur Allgemeines mir vertraut,
Ich kann dir nur das Allgemeine raten.
Bist du zur Wahl genötigt unter zwei
Verhaßten Übeln, fasse sie ins Auge
Und wähle, was dir noch den meisten Raum
Zu heil'gem Tun und Wirken übrigläßt,
Was deinen Geist am wenigsten begrenzt,
Am wenigsten die frommen Taten fesselt.
EUGENIE.
Die Ehe, merk' ich, rätst du mir nicht an.[293]
MÖNCH.
Nicht eine solche, wie sie dich bedroht.
Wie kann der Priester segnen, wenn das Ja
Der holden Braut nicht aus dem Herzen quillt?
Er soll nicht Widerwärt'ges aneinander
Zu immer neu erzeugtem Streite ketten;
Den Wunsch der Liebe, die zum All das Eine,
Zum Ewigen das Gegenwärtige,
Das Flüchtige zum Dauernden erhebt,
Den zu erfüllen, ist sein göttlich Amt.
EUGENIE.
Ins Elend übers Meer verbannst du mich.
MÖNCH.
Zum Troste jener drüben ziehe hin.
EUGENIE.
Wie soll ich trösten, wenn ich selbst verzweifle?
MÖNCH.
Ein reines Herz, wovon dein Blick mir zeugt,
Ein edler Mut, ein hoher, freier Sinn
Erhalten dich und andre, wo du auch
Auf dieser Erde wandelst. Wenn du nun,
In frühen Jahren ohne Schuld verbannt,
Durch heil'ge Fügung fremde Fehler büßest,
So führst du, wie ein überird'sches Wesen,
Der Unschuld Glück und Wunderkräfte mit.
So ziehe denn hinüber! Trete frisch
In jenen Kreis der Traurigen. Erheitre
Durch dein Erscheinen jene trübe Welt.
Durch mächt'ges Wort, durch kräft'ge Tat errege
Der tief gebeugten Herzen eigne Kraft;
Vereine die Zerstreuten um dich her,
Verbinde sie einander, alle dir;
Erschaffe, was du hier verlieren sollst,
Dir Stamm und Vaterland und Fürstentum.
EUGENIE.
Getrautest du, zu tun, was du gebietest?
MÖNCH.
Ich tat's! – Als jungen Mann entführte schon
Zu wilden Stämmen mich der Geist hinüber.
Ins rohe Leben bracht' ich milde Sitte,
Ich brachte Himmelshoffnung in den Tod.
O! hätt' ich nicht, verführt von treuer Neigung,
Dem Vaterland zu nützen, mich zurück
Zu dieser Wildnis frechen Städtelebens,
Zu diesem Wust verfeinerter Verbrechen,
Zu diesem Pfuhl der Selbstigkeit gewendet![294]
Hier fesselt mich des Alters Unvermögen,
Gewohnheit, Pflichten; ein Geschick vielleicht,
Das mir die schwerste Prüfung spät bestimmt
Du aber, jung, von allen Banden frei,
Gestoßen in das Weite, dringe vor
Und rette dich! Was du als Elend fühlst,
Verwandelt sich in Wohltat! Eile fort!
EUGENIE.
Eröffne klarer! was befürchtest du?
MÖNCH.
Im Dunklen drängt das Künft'ge sich heran,
Das künftig Nächste selbst erscheinet nicht
Dem offnen Blick der Sinne, des Verstands.
Wenn ich beim Sonnenschein durch diese Straßen
Bewundernd wandle, der Gebäude Pracht,
Die felsengleich getürmten Massen schaue,
Der Plätze Kreis, der Kirchen edlen Bau,
Des Hafens masterfüllten Raum betrachte:
Das scheint mir alles für die Ewigkeit
Gegründet und geordnet; diese Menge
Gewerksam Tätiger, die hin und her
In diesen Räumen wogt, auch die verspricht,
Sich unvertilgbar ewig herzustellen.
Allein wenn dieses große Bild bei Nacht
In meines Geistes Tiefen sich erneut,
Da stürmt ein Brausen durch die düstre Luft,
Der feste Boden wankt, die Türme schwanken,
Gefugte Steine lösen sich herab,
Und so zerfällt in ungeformten Schutt
Die Prachterscheinung. Wenig Lebendes
Durchklimmt bekümmert neuentstandne Hügel,
Und jede Trümmer deutet auf ein Grab.
Das Element zu bändigen, vermag
Ein tiefgebeugt, vermindert Volk nicht mehr,
Und rastlos wiederkehrend füllt die Flut
Mit Sand und Schlamm des Hafens Becken aus.
EUGENIE.
Die Nacht entwaffnet erst den Menschen, dann
Bekämpft sie ihn mit nichtigem Gebild.
MÖNCH.
Ach! bald genug steigt über unsern Jammer
Der Sonne trübgedämpfter Blick heran.
Du aber fliehe, die ein guter Geist
Verbannend segnete. Leb' wohl und eile![295]
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