Fünfundzwanzigstes Kapitel

[364] Der Knoten beginnt sich zu lösen, und als er sich stecken will, zerschlägt ihn ein Mädchen und zwar mit einem buchenen Scheit


Nun ging es wie an allen Orten, wenn die Hausmutter spät heimkömmt, mit Reden und Fragen; doch war noch keine Stunde verflossen, so wars still in der Glungge, nur im Stalle hörte man den Kohli fressen. Der schöne Schlaf hatte sich über die Bewohner gesenkt und seine Gaben gebracht, das Vergessen alles Leids und manch schön Gaukelspiel vor die bewußtlose Seele. Doch auf einem Bette sah man ihn nicht weilen. Es war ein reinlich Bett, auf demselben lag eine stattliche Federdecke und drinnen ein noch stattliches Mädchen; zu voll war dessen Seele, des Schlafes Eindrücke aufzunehmen. Was jener Stein unterbrochen, das tauchte wieder auf: liebliche Bilder aller Art schwammen über die Seele, flüchtig eilten die einen vorüber, süß und wonniglich weilten andere lange über dem verklärten Mädchen, das sucht in unruhiger Pein hin und her sich werfend den Schlaf suchte, sondern in seliger Hingebung unbemerkt Stunde um Stunde an[364] sich vorüberrinnen ließ. Als kühle Morgenlüfte durch die Täler strichen, da begann ein süßes, banges Sehnen aufzuwallen, des Mädchens Brust zu schwellen, das Sehnen, Uli Ja zu sagen, das Sehnen, ihm zu sagen, es wolle sein sein für immerdar, das Sehnen, ihn auch sein nennen zu können für immerdar. Je dringender dieses Sehnen ward, desto mehr gattete es sich mit der Bangigkeit, das ersehnte Glück machte nur ein Traum sein, möchte sich verflüchtigen wie des Traumes Bilder, am Morgen möchte Uli nicht mehr zu finden sein, könnte erzürnt über Vrenelis Benehmen anderes Sinnes geworden sein. Oh, wie ihm jetzt dieses Zagen und Abweisen leid tat, wie es sich nicht begreifen konnte, wie es ihns mehr und mehr drängte, das Verschulden gut zu machen, zu vernehmen, ob Uli noch gleichen Sinnes geblieben sei die Nacht hindurch.

Es litt es nicht mehr im Bette, leise stund es auf, öffnete ein Fensterchen, atmete Morgenluft, zog sich an und begann sein Morgenwerk, leise, daß niemand es höre. Leise öffnete es die Türe, stille war es draußen, kein Knecht rührte sich noch, kein Pferd scharrte nach Futter. Da ging es leise durch den Schopf dem Brunnen zu, dort im kühlen Wasser sich zu waschen nach üblichem Brauch. Am plätschernden Brunnen stund eine Gestalt gebeugt über den Trog und mit Eifer auch ein solches Werk verrichtend. Mit pochendem Herzen er, kannte Vreneli seinen Uli, da stund der Ersehnte. Da schwanden Nacht und Nebel, wie Morgenrot ging es ihm auf, und wie ein Herz ziehen könne, das fühlte es jetzt. Doch den unwiderstehlichen Zug noch mädchenhaft zu umschleiern, war ihm seine Schalkheit zur Hand, und mit unhörbarem Tritte an Uli getreten, schlug es rasch beide Hände vor dessen Augen. In gewaltigem Schreck zuckte der starke Mann zusammen, ein halber Schrei entfuhr ihm; dann die Hände vor den Augen fassend, erkannte er mit süßer Wonne der schönen[365] Hände schöne Eigentümerin. »Bist du es?« fragte er. Und Vreneli wußte, wen er meine, und seine Hände sanken tiefer, umschlangen den teuren Mann, und wortlos lehnte es sein Haupt an dessen treue Brust. Da, wie aus dem Brunnen Welle um Welle sprudelte hell und klar, so wogte in Uli das Bewußtsein seines Glückes auf in mächtigen, ungetrübten Wogen. Er zog das teure Mädchen an sich, und wie die Wellen des Brunnens plätscherten und Bläschen warfen in blankem Troge, so flüsterte Uli dem Mädchen seine Freude zu, versuchte ein leises Küssen, und kein Stoß warf ihn diesmal zurück von dem holden Ufer, dem er zugesteuert. »Willst du meins sein?« hörte der Brunnen; »bist du mein;« koste es wieder. Und noch manches hörte der Brunnen, aber er sagte es niemand wieder.

Ein eigenes Gefühl durchströmte Beide, das Gefühl, ein teures Kleinod gefunden zu haben, das Verlangen, bei diesem Kleinod zu sein für und für und sonder Unterlaß. Wenn jemand einen lieben Brief erhält, wie oft fährt seine Hand in die Tasche und liest ihn von neuem! Wenn jemand einen Acker gekauft hat, wie oft geht er hin des Tages und beschauet seinen Kauf! Wenn jemand eine liebe Seele gefunden und an sich gebunden nicht nur für diese Zeit, sondern auch für die Ewigkeit, soll es ihn dann nicht hin zu dieser Seele ziehen mit Himmelsgewalt, soll es ihn nicht in ihre Augen, die Tore der Seele, hineinziehen, um das Gefühl lebendig zu erhalten, eins mit einer Seele zu sein in Zeit und Ewigkeit? Dieses Einswerden mit einer Seele von ganzem Herzen, ganzem Gemüte und allen Kräften, in welcher Vereinigung alle Ichsucht untergeht, ist das nicht auch ein Vorläufer des Einswerdens mit Gott, welchem ebenfalls unsere Selbstsucht zum Opfer fallen muß? Und wie der, der eins geworden ist mit dem Vater im Himmel, denselben vor Augen hat, wenn die Sonne scheinet und wenn die Nacht Finsternis bringt in jedes Land und jede[366] Kammer, soll dann dem, der eine Seele gewonnen, nicht auch vergönnt sein, diese Seele zu suchen und wieder zu suchen, so oft die Räume und Geschäfte der Erde sie ihm aus den Augen tragen? Der tiefe Seelenzug in diesen Zeiten wird selten recht verstanden, bringt daher auch selten die rechten Früchte. »Sie machen recht närrisch mit einander,« hört man sagen, »sie machen einem Längizyt.« Das glaube ich gerne, aber warum gönnt man ihnen nicht die ungestörte Freude an einander? Ach Gott, die Welt und die Furcht der Welt vor ihrem eigenen Fleische! Ach Gott, die Welt und ihre Neugierde, die sehen will, wie Zwei zusammen tun, und dann, wenn sie keinen rechten Sinn zu einander haben, sagt: »Die Beiden lob ich mir, die sind recht vernünftig; wenn man es nicht wüßte, man merkte es ihnen gar nicht an, daß sie Brautleute wären.« Ich möchte fast sagen, das sei eine vermaledeite Vernünftigkeit, welche für die Seele und ihr Sehnen keine Empfänglichkeit hat, höchstens für des Leibes Reize, deren Empfänglichkeit man allerdings lieber im Dunkeln zeigt, meistens nur für des Geldes verhängnisvolles Klingen. Vreneli und Uli hätten kaum verstanden, was da geschrieben steht, aber diesen Zug der Seelen empfanden sie. Kaum waren sie getrennt worden, so suchten sie sich wieder, und der Brunnen war die heilige Stätte, wo so oft sie sich suchten und fanden. Noch nie hatte Vreneli so viel Wasser in die Küche gebraucht, Uli noch nie so viel zu waschen oder zu tränken gehabt.

Während beim Brunnen ein junges Glück aufging, hielt ein altes Ehepaar im Stübli seine Zwiegespräche. Joggeli und seine Frau erwachten frühe, und den alten Gliedern die nötige Ruhe gönnend, erachteten sie diese Stunde am schicklichsten, ein vertrautes Wort zu wechseln. Nachdem die Frau an Joggelis unruhigem Drehen dessen Erwachen wahrgenommen, fragte sie: Ob er seither nichts von einem Knechte vernommen,[367] ob gestern keiner dagewesen sei? Weihnacht rücke, so könne das doch nicht gehen. Nun begann Joggeli sein altes Klagelied über Elisis Heirat, an der er nicht schuld sei und die ihm Uli forttreibe. Seit der da sei, trage ihm der Hof jährlich tausend Pfund mehr ein. Wenn doch das Meitschi habe heiraten müssen, so wollte er zuletzt lieber, es hätte Uli genommen als so einen ungefütterten Baumwollenhändler. Er hätte keinen Magen, einen andern Knecht zu suchen; wenn er nur Uli wieder haben könnte, es reute ihn kein Geld.

Sie wisse nicht, wie das gehen solle, sagte die Frau; sie habe mit Uli geredet, allein er habe nichts davon hören wollen, länger hier Knecht zu sein. So hätte mans, sagte Joggeli, die Frauen machten alles, wie sie wollten; sie begehrten alles zu regieren, und wenn etwas krumm gehe, so sollten es die Männer gerade machen. Er hätte vorausgesagt, das käme so, sie könne seinethalb jetzt selbst einen Knecht suchen. Wenn das so gemeint sei, sagte sie, so wolle sie mit allem nichts mehr zu tun haben. Wer am Ende bös hätte, wenn alles schlecht ginge, als sie, die die Haushaltung machen müßte? Das Beste wäre, sie würden das Gut zu Lehen geben; sie wüßte eigentlich nicht, für wen sie bös haben sollte bis ins Grab. Es danke ihr doch zuletzt niemand dafür, sondern je mehr sie zusammengehüselet habe, desto mehr lache man sie aus. Das sei ihm auch recht, sagte Joggeli, er begehre nicht länger zu pflanzen, damit ihr Tochtermann komme, die Sache nehme und das Geld für sich behalte. Aus freien Stücken habe er ihm eine Ehesteuer gegeben, größer als mancher Landvogt sie gebe; es schiene ihm, der könnte zufrieden sein und ihn jetzt ruhig lassen. Wenn sie ihm einen anständigen Lehnsmann wüßte, so wollte er noch heute mit ihm die Sache richtig machen. Sie wüßte keinen bessern als Uli, sagte sie. »Uli?« sagte Joggeli. »Ja, wenn der besser hintersetzt wäre und eine anständige Frau hätte, so wäre mir der der Rechte, aber so kann er kein solches[368] Gut übernehmen.« He, sagte die Mutter, eine bessere Frau als Vreneli wüßte sie nicht, und sie glaube, sie hätten nichts wider einander. Daneben sei Uli auch nicht mittellos, und vielleicht würde Vetter Johannes ihm helfen, wenn man es begehrte; es dünke sie, derselbe habe gar viel auf Uli. »So, so,« sagte Joggeli, »es ist also schon alles richtig!« »Was richtig?« fragte sie. »Glaubst du,« sagte Joggeli, »ich solle nichts merken? Du bist nicht umsonst nach Erdöpfelkofen gefahren so mir nichts dir nichts, daß ich mich fast zu Tode gewundert habe, und hast Vreneli und Uli mitgenommen. Du mußt doch nicht meinen, daß ich so dumm sei und nichts merke, was hinter meinem Rücken abgekartet wird. Aber ich bin auch noch da und es ist nicht bravs von dir, so mich zum Narren zu halten und mit fremden Leuten unter dem Hütli zu spielen gegen mich. Aber warte nur, ich will es dir reisen. Ich will zeigen, wer Meister ist.«

Nun bekam die gute Frau keine Antwort mehr, sie mochte vorbringen, was sie wollte, so daß sie endlich sagte: »He nun dann, so sei meinethalben Meister und arbeite meinethalben den Hof selbst und mache die Haushaltung auch noch dazu, ich aber will nichts mehr damit zu tun haben.« Brummend wälzte sie sich auf die andere Seite, schlief wieder ein und stund am Morgen später als sonst, schweigend und schmollend auf. Lustig tanzte Vreneli im Hause herum, es war, als ob es über Nacht Federn in die Beine bekommen hätte und eine Mundharmonika zwischen die Zähne. Ganz verwundert sah die Base dem Wesen zu und sagte ihm endlich, als sie allein waren: »Ist es dir über Nacht anders gekommen, willst du ihn jetzt?« »O Base,« sagte Vreneli, »wenn Ihr mich zwingen wollt, was will ich dagegen machen als mich zwingen lassen? Und so, wenn Ihrs zwingen wollt, so zwingts; aber ich will nicht schuld daran sein, es mag kommen, wie es will!« »Du bist eine gottlose Dirne, mir den Mann zu verspotten,«[369] sagte die Base. »Aber das Lachen wird dir schon vergehen, wenn du hörst, daß Joggeli nichts vom Lehen hören will. Er ist bös darüber, daß alles hinter seinem Rücken abgekartet wurde, und sagt jetzt, er sei Meister, er wolle es uns reisen.« Aber das Lachen verging Vreneli nicht, sondern es lachte nur: Der Vetter wolle auch gezwungen sein, wie es zum Heiraten. Am besten käme man zurecht mit ihm, wenn man nichts mehr von der Sache sage und sich stelle, man wolle fort. Es mache ihm jetzt schon angst, was er um Weihnacht anfangen wolle, zu einem andern Knecht könne er sich nicht entschließen. Wenn er in acht Tagen noch nicht selbst mit der Sache komme, so wolle es den Tischmacher kommen lassen und ihm ein Trögli zu machen befehlen, wie Mägde zu tun pflegen, wenn sie zügeln wollen. Helfe dieses nicht, so müsse man ihm sagen, Uli komme zum Johannes, man habe neuis gemerkt; dann fange er von selbst von der Sache an und sage: »So zwängets, wenn ihrs zwängen wollt, aber ich will an nichts schuld sein, es mag gehen, wie es will.« »Du bist eine Tüfels Hex«, sagte die Base; »ich glaube, du wärest imstande, ein ganzes Chorgericht zum Narren zu halten. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen, und sind wir doch jetzt bald vierzig Jahre bei einander.«

Und richtig: wie Vreneli, das dem Uli eingeschärft hatte, es anzusehen, wie wenn er lauter taub wäre, gesagt hatte, ging es. Der Tischmacher brauchte nicht zu kommen. Lange vor Verlauf der acht Tage fing Joggeli mit seiner Alten zu zanken an: Wie sie alles hinter seinem Rücken mache, zu allen Leuten Vertrauen habe und nur zu ihm keines; er möchte doch endlich wissen, was sie jetzt mit dem Uli ausgemacht habe. Es wäre Zeit, daß er auch etwas davon wüßte. Da sagte sie, sie habe nichts mit ihm ausgemacht und nichts angefangen, das sei seine Sache, sie mische sich nicht darein. Er habe ja gesagt, er sei Meister. Da begehrte Joggeli noch mehr auf, daß[370] seine Frau ihn so im Stich lasse und sich gar nicht darum bekümmere, wie es gehe; es sei doch ihre Sache so gut als seine und er wüßte nicht, warum immer alles an ihn kommen solle. Er wollte, sie solle gehen und mit Uli reden, und wenn er schon eine andere Frau nähme als ds Vreni, so sei es ihm gleich; das sehe ihn seit einiger Zeit so unverschämt und spöttisch an, daß es ihn schon manchmal gelüstet habe, ihm die Hand ins Maul zu geben. Aber seine Frau wollte nicht, nach Vrenelis Instruktionen; das sei Mannssache, behauptete sie. Da sagte er, wenn sie nicht gehen wolle, so schreibe er dem Tochtermann, er solle ihm einen Knecht oder einen Lehenmann senden, der werde ihm das schon machen. Da ließ die Alte das Herz fallen und übernahm den Auftrag. Als sie mit demselben zu Vreneli kam, sagte dieses: »O du gute Mutter, hast du dich zwingen lassen! Aber Mutter, Mutter, wie konntest du glauben, daß es Joggeli Ernst sei, vom Tochtermann einen Knecht oder einen Lehenmann zu nehmen! Hättest du nur noch einmal herzhaft Nein gesagt, so hätte er gesagt: He nun, wenn du mir nichts zu Gefallen tun willst, so will ich mit Uli reden, aber ds Vreni, die Täsche, begehre ich nicht, und es mag herauskommen, wie es will, so bin ich nicht schuld daran, mir wäre es nie in Sinn gekommen. Schicke ihm aber Uli hinein, er soll und muß doch mit ihm zuerst z'grechtem davon reden.«

So geschah es auch.

Die Weitläufigkeiten der ganzen Unterhandlung zu beschreiben, wäre für manchen Lehenmann belehrend, allein für diesmal aus guten Gründen nur Folgendes. Joggeli war die ganze Sache mehr als recht, und doch machte er Umstände und Vorbehälte, an denen die ganze Sache hätte scheitern müssen, wenn er fest darauf bestanden hätte; aber so wie er erfinderisch war im Ersinnen, so war er wieder schwach im Nachgeben, sobald man ihn zu fassen wußte, und das verstund[371] der Vetter Johannes, der als Mittelsmann und Bürge recht gefällig sich finden ließ. Und wenn alle an waren, so wußte Vreneli noch den besten Rat und fand den Ausweg. Joggeli sagte aber oft: Er könne nicht begreifen, warum Uli so eine nähme mit einem blutten Füdle und einem Maul wie eine Schlange. Wenn er so ein Bursch wäre und ein solches Lehen in den Händen hätte, er wollte viel tausend Pfund erwyben. So eine Gexnase würde er nicht mit dem Rücken an, sehen, und dreißig Kronen wollte er ihm das Lehen wohlfeiler geben, wenn das Ketzer Meitschi ihm wegkäme; das würde dem lieben Gott Blau für Weiß machen, wenn sie je zusammenkämen, was er aber nicht glaube.

Man war fast richtig, als der Tochtermann die Sache vernahm und einen Mordsspektakel begann. Der wolle erst gar nichts davon wissen und behauptete, sie hätten ja die Verabredung getroffen, daß er ihnen die Produkte abnehme und zu hohen Preisen seinen Bekannten verkaufe. Er hätte deshalb Akkorde getroffen und könne nicht zurück. Endlich wollte er den Hof selbst ins Lehen nehmen trotz seinem brillanten Geschäft, von dem er behauptete, es trage mehr ab als sechs solcher Höfe. Er tat so wüst, drohte auf solche Weise und ds Elisi mußte wüst tun und mit allem Gräßlichen drohen, daß die ganze Geschichte fast rückgängig geworden wäre. Den beiden Alten kam es gräßlich vor, wenn sie an einem Unglück schuld sein sollten, wenn ds Elisi mit seinem Mann deswegen in Streit käme oder es krank würde oder es ihm sonst schadete in seinen Umständen. Ein jedes sagte: »Mach, was du willst, aber gib mich dann zuletzt nicht an die Axt, ich will nicht schuld sein.« Da gab Vreneli dem Sohn Johannes einen Wink, daß es darauf und daran wäre, daß sein geliebter Schwager Lehenmann in der Glungge würde. Johannes, dem es, seit er Gaden und Spycher durch seinen Schwager gefährdet sah, sehr recht war, daß das Gut in eines Lehenmanns[372] Hände kam, und Uli als einen guten Landwirt recht gerne darauf sah, indem er einst den Hof lieber gut als schlecht zuhanden nahm, kam mit Trinette dahergefahren wie eine Bombe und traf es eben, daß ds Elisi und sein Mann auch da waren. Das gab nun Donnerwetter um Donnerwetter, obgleich es mitten im Winter war. Der Tochtermann machte sich zuerst sehr aufbegehrisch und wollte den Johannes von oben herab traktieren und ihn einschüchtern mit Oberarm Dreinreden. Aber Johannes kannte als Wirt diese Sorte von Leuten auch und redete noch mehr Oberarm drein, zudem hatte er eine gewaltige Faust, die dem Baumwollenhändler abging; mit dieser schlug er auf die Tische, daß alle Türen aufsprangen. Auch hielt er dem Baumwollenhändler Sachen vor, die dieser lieber hier nicht gehört hätte, seine vielen Schulden und vielen Streiche. Woher er den Landbau kennen wolle, da er im Bettel aufgewachsen? Sie hätten seinen Vater oft hier in der Glunggen über Nacht gehabt im Stall, sie sollten sich nur an den alten, verhudelten Mann mit der Drucke und den Schuhen ohne Sohlen erinnern. Er möchte nur die Alten aushäuteln, den Lehenzins könnten sie im Himmel suchen. Uli müßte das Lehen haben, und sollte er den Donners Bauelebueb mit eigenen Händen erwürgen, brüllte er und manövrierte demselben mit seinen dicken Händen so nahe am Halse herum, daß alles Zetermordio schrie und ds Elisi sicher ohnmächtig geworden wäre, wenn es gewußt hätte, wie man das mache. Aber der Baumwollenhändler hatte eine zähere Natur als seine Bauele. Kaum war er nicht mehr blau im Gesicht, so gab er mit Verachtung den Gedanken, selbst Lehenmann zu werden, auf. Er wollte ein Narr sein, sagte er, ihnen seine Hülfe aufzudringen, sein Geschäft trage ihm hundertmal mehr ab als so ein Schyßgüetli. Gerade ihretwegen, damit sie nicht mir fremden Leuten es machen müßten, hätte er es übernehmen wollen. Wenn man ihm seine Guttätigkeit so aufnehme, so[373] könnten sie machen was sie wollten, er sei recht froh darüber. Aber das fordere er, daß man das Gut an eine Steigerung bringe und es dem Meistbietenden gebe, das hätte er das Recht zu fordern. Er wüßte nicht, warum man einem solchen Lümmel, da nicht fünfe zählen könnte, ohne fünfmal zu verirren, den Vorzug geben wolle.

Da ging der Streit von vornen an, in den nun auch Joggeli sich mischte, da er sich vom Sohn unterstützt sah. Das gehe ihn hell nichts an, sagte Joggeli seinem Tochtermann; er könne verleihn, wie er wolle, er sei denn doch noch nicht bevogtet. Solange er lebe, solle in der Glungge keine Steigerung sein, und auch nach seinem Tode nicht; er wolle es ihm vermachen, daß es hafte, er sei ihm gut dafür. So einer, von dem man noch jetzt nicht wisse, wo er jung gewesen, solle ihm nicht kommen und ihm hier in der Glunggen befehlen wollen. Er sei sein Lebtag dagewesen, und Vater und Großvater. So weit man sich hintern besinnen möge, sei der Hof in der Familie gewesen; da solle Keiner kommen, der auf der Gasse jung gewesen, und ihm befehlen, was er auf demselben machen solle. Er solle ihm zahlen, was er ihm weggenommen. Es dünke ihn, er sollte für einmal genug haben und sich schämen, noch mehr zu begehren, und er solle nicht meinen, weil er so herrschelig daherkomme, so könnte er mit ihnen machen, was er wolle. Wenn er die Kleider nicht aus ihrem Gelde bezahlt hätte, so wisse man nicht, ob er noch solche tragen würde.

Der Tochtermann ließ sich aber nicht erschrecken. Er lasse sich das Geld nicht vorhalten, sagte er. Ob sie denn eigentlich so dumm seien, zu glauben, er hätte seine Frau wegen etwas anderem als wegem Geld genommen? Daß sie ein halbwitzigen Schlärpli sei, hätte ihr ja jedermann angesehen. Aber wenn er eigentlich gewußt hätte, was sie für ein wüstes Reibeisen, eine hässige Krot, eine faule Sau sei, er hätte sie mit keinem[374] Stecklein anrühren mögen, und wenn sie noch einmal so viel Geld gehabt hätte. Jetzt hätte er sie ins Teufels Namen und müßte sie einstweilen behalten; jetzt wolle er dazu sehen, daß er auch zu dem Geld komme, das ihm gehöre. Er lasse sich noch lange nicht absprengen, und sie sollten versichert sein, daß je wüster sie gegen ihn seien, er um so wüster tue und alles seine Plättere entgelten lasse; die wolle er rangieren, daß es des Salzfaktors Jagdhunde besser haben sollten als sie. Da fiel dem Joggeli und der Mutter das Herz, und sie wären vielleicht dem aufbegehrischen Tochtermann hingekniet, aber Johannes war da. »Mach es nur,« sagte der, »je wüster, desto besser, wir wollen dir den Marsch bald gemacht haben. Je eher du abgesprengt wirst, desto besser ists. Denke an die Krone zu – und was du da treibst! Du verfluechte Bueb! Mit fünfzig Kronen scheiden wir, und dann wirst du zum Geltstag getrieben, das ist das Beste für einen solchen Donner, wie du bist; dann kannst du ds Land ab und Rüben fressen.« Sie erschrecken ihn noch lange nicht, antwortete der Tochtermann. Mit dem Geltstag könnten sie es probieren, wenn sie wollten, sie kämen an den Unrechten. Was bei der Krone gegangen sei, gehe sie nichts an, er wolle es auf eine Untersuchung ankommen lassen, und wenn man zu Frevligen nachfragen wollte, so brächte man vielleicht viel ärgere Dinge heraus. Wenn sie die Schande haben wollten, daß ihre Tochter so bald sich scheiden müsse, so sei es ihm recht, er frage nichts darnach. Er wolle ihnen dann aber den Marsch machen.

Indessen er so aufbegehrisch redete, zog er doch in etwas seine Pfeifen ein, besonders da Johannes sich nun auf seine Worte berief: Sie sollten jetzt sehen, was sie für einen Donner von Tochtermann hätten. Es geschehe ihnen aber recht, sie hätten nichts glauben wollen, und er sollte sie jetzt eigentlich im Stiche lassen mit ihm. Aber es sei ihm auch um seinetwegen; wenn er den Donner machen lasse, so käme es bald dahin,[375] daß die Glungge an eine Steigerung kommen müßte. Davor wolle er sein, er könne darauf zählen. Von einer Steigerung mußte der Tochtermann endlich schweigen; aber nun wollte er sich in den Akkord mischen und ihn machen nach seinem Sinn, also auf eine Weise, daß Uli unmöglich hätte eintreten können. Er warf ihn aufs Papier, und Joggeli gefiel er so übel nicht; er fand von manchem, daran hätte er nicht gedacht, die Mutter aber und Johannes widersetzten sich: Was wollte doch so ein baueliger tusigs Donner von einem Lehenakkord wissen: keinem Hund würde man einen solchen machen, und je wüstere Akkorde man mache, desto weniger würden sie gehalten und desto mehr müsse das Gut darunter leiden.

Während man darüber stritt im Stübli, versuchte der Baumwollenherr Privatgeschäfte bei Vreneli, wollte mit ihm so unterhandeln, daß wenn es ihm nachgebe, so wolle er auch mit dem Akkord nachgeben, und ließ sich wohl nah zu ihm her, an. Das aber, nicht faul, nahm ein buchenes Scheit, fuhr auf ihn dar wie eine Furie und traktierte ihn jämmerlich. Das gab gräßlichen Spektakel. Vreneli schlug, der Tochtermann schrie, die ganze Verwandtschaft schoß zu allen Türen aus und sah den Herren vor Vrenelis Scheit in alle Ecken fliehen. Die Einen lachten, die Andern schrien, Johannes hatte gute Lust, zuzugreifen; niemand gab Auskunft, es war wie beim Turmbau zu Babel. Endlich schoß der Herr in eine geöffnete Türe, und Vreneli wurde vom Verfolgen abgehalten. Wie eine glühende Siegesgöttin stund es da mit dem Scheit in der Hand oder wie ein Engel mit flammendem Schwerte vor dem Paradiese der Unschuld und rief dem fliehenden, blutenden Baumwollenhändler nach: »Weißt du jetzt, wie ein Bernermeitschi akkordiert und mit was es den Akkord unterschreibt, du keibelige Uflat!« Und frankweg ohne Hehl erzählte es, was der Lumpenhund ihm für Anträge gestellt. Da öffnete dieser die[376] Türe und rief: »Du lügst!« Aber ehe das Wort noch recht aus dem Munde war, fuhr das buchene Scheit aus Vrenelis starker Hand akkurat durch die geöffnete Türe dem Lügner ins Gesicht mitten hinein, und rückwärts fiel er zurück, fuhr mit der Hand ins Gesicht, und drei ausgeschlagene Zähne rollten ihm entgegen. Nun neuer Lärm von allen Seiten. Des Johannese Stimme schallte vor allen in gewaltigem Lachen. Ds Elisi wußte nicht, sollte es auf den Mann los oder auf Vreneli und machte nach beiden Seiten hin seine kleberigen Fäustchen. Vreneli rief: »Sag noch einmal, ich lüge, wenn du darfst! Es sind noch mehr Scheiter da!« Die weiche Mutter lief nach Wasser und einem Lumpen, Trinette kickerte und sagte: So einen herrscheligen Mann, der meine, alle seien für ihn da, begehre es nicht. Joggeli schüttelte den Kopf, ging ins Stübli und las den Akkord wiederum.

Sobald der Baumwollenhändler das Blut sich ausgewischt und recht wieder reden konnte, begehrte er auf über Vreneli, redete vom Verklagen und wie er es nicht tue, daß es hier auf dem Hofe bleibe, und Joggeli nickte mit dem Kopfe dazu. Vreneli aber stund ungesinnet vor ihm und hätte ihn gleich noch einmal in die Finger genommen, wenn die Mutter ihns nicht gehalten, aber seine Zunge konnte ihm niemand halten. »Verklag du nur,« rief es, »ich will dann mit den andern Jungfrauen kommen; sie können auch sagen, was sie von dir er, fahren, vielleicht wissen die Knechte auch etwas.« »Beweise es, daß ich etwas mit dir gewollt oder mit den Jungfrauen. Ich kann beweisen, wie du mich geschlagen.« »Du Kuh! Da ist einer nicht ein Esel und nimmt Zeugen mit, wenn er ein Mädchen verführen will. Aber es wäre böse, wenn ein Mädchen sich seiner Ehre nicht mehr wehren dürfte, so stark es mag, oder es hätte Zeugen, und wenn es einem den Grind ab, schlüge und nicht nur Zähne in den Hals!« »Wir wollen sehen, was der Richter sagt«, rief der Baumwollenhändler.[377]

»Meinethalben kann er sagen, was er will, und wenn er ein Bock ist wie du und dir recht gibt, so mache ich es ihm wie dir. Wenn das Gesetz für die Hurenbuben und Diebe und Händler und Richter da ist, so schlägt man euch das Gesetz um dGringe, bis ihr gesetzlich zufriedengestellt seid. Ich bin nur ein Meitschi, aber es nimmt mich wunder, ob ich diesen Weg das Gesetz nicht noch viel kräftiger anwenden könnte als so ein abgejagtes Böcklein, wie du bist und mancher Andere. Hast du dich nicht still, so wollen wir sehen!«

Aber der Händler hatte sich nicht still, räsonierte fort und fort, jedoch ungefähr so, wie eine Kolonne, die sich zurück, ziehen will, um so hitziger feuert, um den Rückzug zu decken. Er sagte dem Elisi: In einem solchen Haus bleibe er nicht länger, wo er sei wie vogelfrei und ein jedes Rindvieh auf ihn schlagen dürfe und ein jedes ertaubete Mädchen; dem wolle er es aber zeigen und ihm sagen, wie und mit wem er es angetroffen. Er machte einen Lärm mit seiner Unschuld, daß ds Elisi auch halb taub wurde, begriff, ds Vreneli hätte eigentlich seinen Mann verführen wollen, und eilenden Schrittes ging, diesem wüst zu sagen. Während es sich dort fast Schläge holte, ging er in den Stall, befahl anzuspannen und begegnete dabei dem Uli, der bereits von der andern Geschichte wußte, so puckt, daß der ihm sagte, wenn er sich nicht alsobald zum Stall aus mache, so werfe er ihn ins Bschüttiloch, a wolle ihm seine Hitz vertreiben. Derselbe begehrte auf und sagte Uli: Er solle nicht meinen, weil er eine unehliche, schlechte Dirne zöke, die etwas verwandt sei, so sei ihm alles erlaubt; er sei der Knecht und sie ein schlecht Mensch und damit punktum. Da sagte Uli, er wisse ganz genau, welche das schlechter Mensch sei, ob ds Elisi oder Vreneli, und wenn er es hätte machen wollen wie er, so wäre Elisi nicht seine Frau geworden. Aber die Rechten seien aneinander gekommen, sie schickten sich zusammen wie Mist und Mistbähre. Er solle jetzt schweigen[378] und gehen, sonst zeichne er ihn auch noch, obgleich es ihm zuwider sei, einen anzurühren, den ein Meitschi geprügelt. Der Baumwollenhändler wollte vielleicht Streit, aber Uli ließ sein Roß herausführen; das trieb den Herrn aus dem Stall, und als er wieder hineinkam, war Uli nicht mehr da. Endlich reisten er und Elisi ab, aber unter vielen Drohungen: Wie man erfahren solle, was man an ihnen getan, und wie man sie nicht mehr sehen werde an einem Orte, wo man sie so behandelt.

Es leichtete allen ordentlich, als sie fort waren, und Johannes versprach dem Vreneli ein Stück Hausrat zur Ehesteuer, es könne auslesen, was es wolle, weil es den Schwager so tüchtig abgeklopft. Er wollte gerne eine Dublone geben, wenn er klagen würde; dem wollte er Sünden einbrocken, daß er daran ersticken sollte.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 1, Zürich 1978, S. 364-379.
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