Zweite Szene

[474] Gipfel des Montblanc. Prächtiges Gemach im Zauberschlosse des Faust. Aussicht auf Alpen und Land.

Faust und der Ritter treten ein.


FAUST zornig.

Erbärmlich ist die Kunst, die du hier zeigtest!

Nicht würdig Ihres Blicks ist dieses Schloß,

Ist dieser Saal! Ich schäme mich darob!

Du willst ein Teufel sein, und kannst nicht einmal

Mit Glanze, sei es auch mit falschem, blenden!

DER RITTER.

Dein Aug ist wohl zu schwach, der Glanz zu stark,

– Denn sag, was mangelt diesem Schloß, wo Perl

Und Diamant, dem tiefsten Ozean,

Dem felsgegründetsten Gebirg entrissen,

Von Wand zu Wand mit Strahlen sich bekämpfen?

Wo Purpur, brennender als Sonnenglut

Aus Afrika, dich überall umflammt?

Wo aller Zonen schönste Frücht und Blüten

Gleich einem Sonnenregen Dach und Vorhöfe

Umträufeln? Nicht der größte Kaiser kann

Solch eines glänzenden Palasts sich rühmen!

FAUST.

Was Kaiser! Was soll das Mir heißen? Mächtger

Bin ich als alle Lebenden – das Schloß

Genügt mir nicht, genügt nicht meiner Neigung

Für Donna Anna.

DER RITTER.

Alles Mögliche

Geschah – Allein du liebst das Grenzenlose!

FAUST.

Die Kunst, die Wissenschaft, Kopf und Herz

Sind ohne Ende und Beschränkung –[474]

Auch meine Liebe!

DER RITTER.

Kraft und Dauer wohnen

Nur in Begrenzungen.

FAUST.

Armselge Lehre!

Sie schmeckt nach dem einseitgen Haß

Der Hölle. Was ich grenzlos fühle, muß

Ich grenzlos zu erringen auch vermögen.

Denn warum fühlt ichs sonst?

DER RITTER.

Darum würd

Ich sagen, wenn die Donna sich nicht nahte!

FAUST.

So mach dich eilends fort aus diesem Zimmer!


Der Ritter ab.


FAUST.

Ihr Geister alle, die ihr mir seid Diener,

Begrüßt sie mit dem Donnerjauchzen, mit

Dem Wonnelispel der Musik – Senkt

Euch nieder Sphären und umtanzt sie trunken

Mit euren Harmonien – Ein Frühlingsleuchten

Soll alle Erden, Meere, Inseln, jetzt,

Da ich sie seh, umglänzen – denn sie ists,

Sie ist es, meine Königin!


Musik und sonniger Glanz. Donna Anna tritt auf.


DONNA ANNA.

Weh mir!

FAUST.

Erzitternd (und es ist das erste Mal,

Daß ich erzittre) nah ich dir, du Holde!

DONNA ANNA.

Du zitterst?


Für sich.


Zittr ich doch selbst vor seinem Zittern –


Laut, sich wieder ermutigend.


– Der Gedanke deiner Schuld durchbebt dich.

FAUST.

Nein, der Anblick deiner Schönheit.

DONNA ANNA.

So wünscht ich, meine Schönheit wäre Feuer,

Dich, den Zertrümmerer von meines Vaters,

Von Don Octavios Lebensglück, verzehrend!

FAUST.

Ha! weißt du wer ich bin?

DONNA ANNA.

Ich gedenke

Nur dessen, was du tatest.

FAUST.

Mädchen, Mädchen,

Hüt dich! Der Mann, der sich das Geisterreich

Bezwungen, weil die Erde ihm zu klein war,

Und dem noch jetzt das Reich der Geister nicht

Genügt: – der Faust – der stehe vor dir![475]

DONNA ANNA.

Sei Faust,

Sei Gott – Wähnst du, du könntest Lieb erzwingen?

FAUST.

O Anna! Meteor der Liebe, blick

Nicht zürnend auf mich nieder. Als du blendend

An meines Lebens Horizonte aufstiegst,

Des Himmels Schmuck, des Herzens Wonne, griff

Ich trunken nach dem Licht, das mich entzückte, –

Ich ward, ich blieb ein Kind – Was mich erfreute,

Wollt ich besitzen.

DONNA ANNA.

Mußt du denn besitzen,

Was dich erfreut? – Unerreichbar wandeln

Die Sterne ihre Bahn, und jeder freut

Sich ihrer dennoch!

FAUST.

Flitter, Tand die Sterne!

In deinem Aug nur wohnt mir Leben – Tot

Bin ich, wenn du es mir entziehst. – O Himmel,

Was ist der Haß? der Zorn? Vergängliche

Empfindungen, nichts schaffend, selbst geschaffen!

Lieb ist die einzge schöpferische Allmacht!

– O meine Brust! – sie schwillt empor – mir taumelt

Das Haupt! – All meine alten Welten stürzen

Zusammen, – neue Meere kochen auf

Und werfen neue Erden aus, wie Muscheln!

– Wie schrumpft mir alles ein, nur du nicht! – Für

Das Fleckchen, das dein Fuß hier hat betreten,

Werf ich die ganze Welt weg – – Schämen sollt

Ich mich! – Und du Herzlose, Unbewegte,

Willst zu der Qual der Qualen mich verdammen,

Zur hoffnungslosen Liebe?

Ha!

Antworte mir!

DONNA ANNA sehr ernst.

Wo ist mein Vater? – Fiel

Nicht Don Octavio? –

FAUST.

O Abgottsschlange,

So schön geschmückt, als grausam und zerreißend!

DONNA ANNA.

Der Schreckliche! O rette, Gott! Sein Geist

Schnaubt nach der Liebe, wie nach Blut der Tiger!

FAUST.

– – Sieh! grau und himmelhoch wie ein

Senat uralter Erdtitanen, die

Im stummen eisgen Trotz zur Sonne schaun,[476]

Am Fuß gefesselt zwar, doch nicht besiegt,

Die mit Verheerung stäubender Lauwinen

Das leiseste Geräusch, das sie im Traum

Zu stören wagt, bestrafen, – liegen da

Die Alpen, – – blicke weiter: (meine Kunst

Reißt dir die Fern in den Gesichtskreis)

Dort zieht der Rhone hin, stolz auf Lyon,

Das sich in seiner Wellen Spiegel schmückt, –

– Dann öffnen sich die grünen Auen der

Provence, voll von Lieb und von Gesange,

Und dort, wo, um dein Auge nicht zu hemmen,

Der Pyrenäen Kett ich auseinander sprenge,

Erscheint Hispania, wollüstig in

Zwei Meeren seinen heißen Busen badend, –

Und jene Türme, deren Spitzen, fast

Wie Wetterstrahlen nach den Wolken zucken,

Es sind die Türme deiner Vaterstadt,

Sevillas

DONNA ANNA.

Ach, Sevilla! Herrliches

Und nie erloschnes Bild aus meiner Kindheit –

So seh ich dich jetzt wieder – Ja, du bists –

Der weiße Marmor dort in den Zypressen

Deckt meiner Mutter Grab! Ach meine Mutter!

FAUST.

– Und alles dieses, Berg' und Länder, Ström

Und Meere, schütt ich dir zu Füßen, ja

Selbst meine Tränen!

DONNA ANNA.

Zeigst du mir das Grab

Der Mutter, und du denkst, daß deine Zähren

Mich da noch rühren möchten!

FAUST.

Wahre dich

Vor meinen Tränen – Mürbe Felsen, vom

Gebirg zermalmend stürzend, sind sie!

DONNA ANNA.

Er

Ist wie ein Gott der Tiefen – Doch ich nenn

Ihn bei dem Namen, womit er geboren.

Kühn wirds mich machen gegen ihn: – Mensch,

Gedenke an dein Weib und laß mich frei.

FAUST.

Mein Weib? Wer hat dir das verraten?

DONNA ANNA.

Wüßt

Ichs nicht schon, so verriet' es dein Erröten!

FAUST.

Erröten! Ja, rot wird der Abend, wenn[477]

Des Nachts Gewitter drohen!

Ritter! Ritter!

DER RITTER kommt.

Mein Doktor –

FAUST.

Hund, Verräter!

DER RITTER.

Das sind Worte!

FAUST.

Und dieses ist die Tat: ihr untern Geister,

Die er tyrannisierte, deren Brust

Seit Millionen Säkeln Gall auf Gall

Gehäuft hat wider ihn – Nehmt ihn fort –

Laßt los die Galle, quält und martert ihn,

Bis daß sein Schrei'n selbst seine Feinde rührt

Und schreckt.

DER RITTER.

Freund, säe, säe nur die Saat,

Die du einst heulend ernten wirst – Sie fällt

Auf einen Feuerboden, heiß genug,

Um tausendfältge Frucht aus jedem Korn

Zu treiben, – jede Marter wird mich lehren,

Wie ich in Zukunft sie an dir verdoppele.

FAUST.

Mit Zukunft droht man fortan mir nicht mehr.

Ich fühl es schon: das Jahr ist kurz und lang

Die Stunde. Gibt es Zukunft, Ewigkeiten,

So ists die Gegenwart, in welcher man

Sie findet. Das zeigt mir Ein Blick ins Antlitz

Der Donna Anna. War ich einmal selig,

So bleib ichs stets, trotz aller Höll und Marter.

Ein Teufel nur kann glauben, innres Glück

Mit äußeren Qualen auszutreiben.

DER RITTER.

Der

Hochmütge! Bist viel wen'ger als ein Teufel,

Bist nur ein Mensch!

FAUST.

Mein Ritter – Tief' und Höhe,

Das Weltall hast du mir gezeigt, – doch glaube,

So klein der Mensch ist, größer ist er als

Die Welt, – er ist unendlich stark genug,

Um nicht zu hoffen, daß er Teufel bändge,

Zu hoffen, daß er einst Gott auf dem Thron

Zur Seit sich stelle, wär es auch im Kampfe!

DONNA ANNA.

Entsetzlicher!

FAUST zur Donna Anna.

So sprich du nicht; denn grad

An meiner Liebe Größe, hat mein Geist,

Der bis zur Hölle, bis zu jenem dort[478]

Schon hingekrümmt, sich wieder aufgerichtet –

Ich spür es: ebenbürtig sind die Geister,

Vom höchsten bis zum niedrigsten, und was

Der eine ist, wär er auch noch so groß,

Das kann und darf der andre werden!

DER RITTER.

Werden!

Erzengel wollten werden, wurden Drachen!

FAUST noch immer zur Donna Anna.

Mein teures Mädchen, fürchte nicht – Ich weiß,

Was Liebe ist, – weiß, daß sie eigentlich

Aus Kleinigkeiten, Augenzucken, Spiel

Mit weißen Händen, Wohlgefallen an

Erträglich schöner, nett geschniegelter

Gestalt, aus dunklem Trieb der Sinn' entsteht –

Weiß auch, daß man mit Zuckerwörtchen, mit

Schlechten Sonetten, süßen Blicken, halb

Verstohlnem Angriff die Geliebte heimsucht, –

Ich weiß, daß alles das ein Tand nur ist, –

Doch dieser Tand wirkt auf mich, wie ein Fünkchen,

Gefallen in die Pulvermin der Festung –

Nicht zarte Blicke, – urgeborne Kraft,

Glut bis zum Firmament erregt er mir –

Mit ihr trotz' ich Gott, Satan und mir selbst

– Drum, wenn ich diesen da erniedrige,

Den Himmel stürme, Erd und Meer erschüttere,

So ists nur Lieb zu dir, die darin laut wird,

Jedoch in andrer Art als wie gewöhnlich!

Fort

Mit ihm und peinigt ihn wie ich befohlen!

DER RITTER.

Ah! Oha!


Er wird fortgerissen.


DONNA ANNA.

Gott beschütz mich! Welch Geschrei!

Das waren keine irdsche Töne – das

Vernahm kein Ohr noch, ohne daß das Herz

Gebrochen wäre.

FAUST.

So erklingts, wenn Zorn

Und Jammer, Rache, Schrecken und Zerknirschung

An unzermalmbarn Geisterfürsten malmen!

DONNA ANNA.

Mein Haupt! Mir schmerzt das Haupt!

FAUST.

Ich hab Arznei

Zur Heilung.

DONNA ANNA.

Weinend bitt ich dich um Gift,[479]

Daß ich vor dir mich rette.

FAUST.

Nein, du sollst

Die meine bleiben, auch trotz deines Willens.

– Du sprachst von meinem Weibe – Hattest recht –

Ich hab ein Weib – – Schau hin, nach Norden – dort

Der Strom, die graue Stadt –

DONNA ANNA.

Grausig und finster

Gleich dir!

FAUST.

Respekt vor ihr! Es wandelt da

Am Elbstrom der Zertrümmerer, des Feder,

Als er an Wittenbergs Schloßkirche

Die Wahrheit schrieb, daß alle Erdensatzung

Dem Wort und der Vernunft ist unterworfen,

Gleich dem Kometenschweife wuchs und wuchs,

Bis daß sie über Deutschland und die Schweiz drang,

Und eurem Papst die dreigetürmte Kron

Vom Haupte fegte!

DONNA ANNA.

Ach, der Ketzer Luther –

Und dieser sein Bewunderer – Mein Christ,

In welche Hand bin ich geraten!

FAUST.

Wie

Papistisch und nach spanischer Erziehung

Das klingt – so lieblich tönts in deinem Munde.

Der fromme Irrtum selbst macht reizend dich

Und reizender – bringt dich dem Menschen näher.

Dem schönsten Antlitz fehlt zur höchsten Zierde,

Oft nur ein Blattergrübchen, eine Narbe.

DONNA ANNA.

Man sollte lächeln. Flammst du Liebe, und

Philosophierst?

FAUST.

Ich bin ein Deutscher und Gelehrter,

Und die beobachten auch in der Hölle,

Auch in dem Schoß von Gottes Herrlichkeit,

Und dann auch, wenn sie rasen!

– Jene Frau

Im kleinen Zimmer jener Stadt, die seufzend

Die Hände ringt – sie ist mein Weib – sie weint

Um mich – du aber wirfst mir vor, ich sei

Mit ihr vermählt – Ich winke mit der Hand –

Pestblässe überzieht sie, sie sinkt hin!

– Sprich ferner nicht von meinem Weib – ich habe[480]

Keins mehr!

DONNA ANNA aufschreiend.

Ha! Gattinmörder!

FAUST.

Königsmörder

Und Volkserwürger, Schiffszertrümmerer

Und Landverwüster, alles was du willst,

Um deinethalben!

DONNA ANNA.

Vater! Vater! nimm

Den Kreuzgriff deines Schwerts im Namen Jesu

Und rett dein Kind vor diesem Dämon!

FAUST.

Törin!

Dein Vater hat den Don Octavio

Nicht eine Stunde überlebt. Tot ist er!

DONNA ANNA.

Tot!

FAUST.

Don Juan erschlug ihn!

DONNA ANNA erbleichend.

Don Juan!

FAUST.

Den liebst du?

DONNA ANNA.

Lieben! Ihn? Wärs auch – ich flehe:

Räch meinen Vater an ihm! Denn dir ward

Die Macht – ich spür es nur zu wohl!

FAUST.

Und selbst wenn

Du ihn nicht liebtest – ich weiß, Er liebt dich –

Auch das soll er nicht wagen – streben soll

Er, und verzweifeln, je dich zu erreichen!

DONNA ANNA.

Mein Haupt – Ich danke dir, o Haupt, daß du

Dich mein erbarmst! – Du brennst, du schmerzest, daß

Ich fast das größre Weh davor vergesse.

– Denk mein am Thron der Gottheit, Vater – Sollt

Die Rach ihr angehören, so gehört

Doch uns (ich fühls) gewiß der Schmerz!


Sie sinkt in einen Sessel.


FAUST.

Und läg

Sie da im Blut, nicht wankt ich in dem Vorsatz,

Sie zu erobern! –

Geister auf!

Mit Wunderbalsam heilet sie – Ich merk,

Es naht der Don Juan – Ganz fremd nicht ist

Er ihrem Herzen. – Laßt uns ihm begegnen!


Ab.
[481]


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 474-482.
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