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[321] Der Teutoburger Wald Berghöhe zwischen Aliso und Detmold.

Eine Manipel ersteigt sie.


MANIPELFÜHRER. Die Heerstraße gehalten!

EIN SOLDAT. Wer sieht sie unter dem Schneegewirr und Baumgeschling? Das ist ein Marsch: oft gleitet man mehr zurück als man vorwärts kommt. – Ah, Heißhunger! Ich setze mich. Ein Stückchen Brot –

MANIPELFÜHRER. Kennst du den Inhalt dieses Schreibens vom Präfekten des Niederrheins an den Prokonsul Varus?

DER SOLDAT. Wie sollt ich?

MANIPELFÜHRER. Ich kenn ihn auch nicht, und muß dennoch den Brief überbringen, ohne zu murren und müde zu tun. Er zieht eine Liste hervor. »Lucius Cassius Vero, aus Ariminum, dreißig Jahre Soldat.« Bist du's?

VERO. Wär ich ein anderer!

MANIPELFÜHRER. Kommilitonen, wie straft man Ungehorsam des Legionars?

EIN VETERAN. Mit dem Tode durch Rutenhiebe seiner Gefährten.

MANIPELFÜHRER löscht in der Liste. So ists.

VERO. Er löscht meinen Namen, bald werden mein Rücken und mein Leben auch ausgelöscht.

DER VETERAN. Nicht unruhig. Wir hauen aus allen Kräften, lassen einen alten Freund nicht lang zappeln, machens mit ihm kurz ab. Sei ein Römer, halt dich grade! Er entblößt dem Vero den Rücken, und es wird gegeißelt.

VERO. Götter!

DER VETERAN. Nicht geschrieen. Du stirbst eines ehrenvollen Todes. Paß auf!


[321] Vero stürzt und verröchelt.


Weg ist er zu den andren.

MANIPELFÜHRER. – Geknirsch in den Bäumen?

DER VETERAN. Windbrüche. Ich kenne sie aus der Zeit des Drusus, als wir den Elbstrom überschreiten wollten, und jenseits durch die vor ihm niedersinkenden Fichtengehölze das Riesenweib erschien.

MANIPELFÜHRER. Posse.

DER VETERAN. Das soll mir lieb sein.

MANIPELFÜHRER. – – Was wollte das Traumgebild?

DER VETERAN. Es winkte mit langen Leichenfingern zurück, Nebelstreifen und Frost kamen über unser Heer, der Feldherr schwieg, ließ aber bald abziehn, und starb kurz darauf am kalten Fieber, wie man sagte.

MANIPELFÜHRER. Dort zwei Cherusker. Fangt sie.


Der eine Cherusker wird ergriffen, der andere entwischt.


Weshalb treibst du dich in der beschneiten Wildnis umher, just da wir marschieren?

DER CHERUSKER. Tut ihr nicht Gleiches?

MANIPELFÜHRER. Wir haben Marschbefehl. Was gukst du uns an von Kopf bis Fuß?

EIN SOLDAT. Beim Mavors, jetzt sieht er gar nach meinem gestern in den Sträuchen zerrissenen Knopfloch.

DER CHERUSKER nachdem er gehustet hat. Man besieht seine Leute doch erst. – Ich habe Frau und Kind in meinem Kotten. Die dürfen nicht frieren, darum such ich Fallholz und Reisig für sie. Und das ist Notbefehl.

MANIPELFÜHRER. Wie weit noch bis zum Lager des Quintilius?

DER CHERUSKER. Was wollt ihr da?

MANIPELFÜHRER. Hund, kümmerts dich?

DER CHERUSKER für sich. Man darf auch nicht mehr fragen. – Einen Quintilius kenn ich nicht.

MANIPELFÜHRER. So kennst du ihn unter seinem andren Titel und Namen: Prokonsul Varus.

DER CHERUSKER. Fahraus! Ja, der haust hoch an der Grotenburg in der Wohnung unsres Fürsten, in den unter Wimpern von Eichen und Buchen umschauenden Hünenringen. Lauernd. Mein Landesherr wird wohl dort sein und dich gut empfangen?

MANIPELFÜHRER. So viel ich weiß, ist er noch abwesend, als unser Agent im Norden.[322]

DER CHERUSKER für sich. Nun betrügt er sie alle, oder nie trieb ich meinen Grauschimmel nachts auf des Nachbars Weide. – Sich bei den Fremden anstellen und von ihnen verschicken lassen? Ein Fürst? Glaubs der Teufel! Ich täts nicht und bin ein armer Bauer.

MANIPELFÜHRER. Führ uns zu den Ringen. Hier dein Lohn.

DER CHERUSKER. Doch nicht Giftiges? Ne, es klappert wie gutes Silber. In sich. Hinführen muß ich sie, ich nahm den Lohn dafür. Aber die Wege sollen sie nicht kennen und wiederfinden lernen und geleitete ich sie neunzigmal hin und her.


Laut.


Folgt mir, wenns beliebt. Er marschiert mit der Manipel abwechselnd bergauf und bergunter.

MANIPELFÜHRER. Noch nicht da?

DER CHERUSKER. Nur noch 'nen Katzensprung.

MEHRERE SOLDATEN. Jupiter, so sprachen unsre früheren Boten auch, und ein Katzensprung begriff jedesmal ein paar Meilen.

MANIPELFÜHRER. Eure Katzen haben lange Pfoten.

DER CHERUSKER. Je nachdem. Zerrt man sie bis sie die Krallen ausrecken, dann ist nicht gut bei ihnen wohnen. – Rechts!

MANIPELFÜHRER. Abseit?

DER CHERUSKER. Das Luder von Weg dreht sich nicht anders. Wir müssen nach. – Was die Raben und Eulen früh abends schreien, und jener Wald wird schwarz von Dohlen. Auf den Gehöften bellen auch die Hunde, ganz zur ungewohnten Zeit. Nächstens viel Aas.

EIN ALTES WEIB hinkt an einer Krücke vorbei. Guten Abend, liebe Männchen.

DER CHERUSKER. Antwortet ihr nicht, sonst hat sie uns. Die triefäugige Hexe aus Lippspring ists. Uns die Schwindsucht an den Hals zu zaubern, ist der so leicht, als äß ich einen Topf Grütze. – Über dies Gewässer – behutsam auf seinem Windeise. Weiter, lustig! Hier wieder zurück über die Berlebecke, so nennt man nämlich den scilicet, wie ihr bei jeder Gelegenheit sagt, oder über den Bach, wie wir sagen.

MANIPELFÜHRER. Enden deine Zickzacke nicht bald, so –

DER CHERUSKER. Sie enden. Hier stehen wir vor der Grotenburg[323] mit ihren schneeglänzenden Waldungen. Wie mitten darunter die Hünenringe dampfen und sieden! Die Fürstin läßt allzu gut kochen und braten für euch Spitzbuben. Sie sollt es Landeskindern geben. – Doch – wer weiß, wie es da oben eigentlich steht und hergeht. – Hingeführt hab ich euch. Wie ihr hinaufkommt, sorgt selbst.


Entwischt.


MANIPELFÜHRER. Ein Lump! – Axtträger lüftet den Weg durch das dichte Holz.


Zwei Axtträger treten vor und hauen Bahn.


ERSTER. Laß deinen Ellbogen aus meiner Seite.

ZWEITER. Schau links um.

ERSTER. In die Nacht?

ZWEITER. Siehst du nicht neben dir den großen, struppigten Wolf?

ERSTER. Ha – Gespenst –

ZWEITER. Das Beil nach ihm! Er wirft es. Ein Cherusker geht vorüber und verschwindet im Gebüsch.

MANIPELFÜHRER. Was stört euch in der Arbeit? Was schritt da vorbei?

STIMME AUS DEM WALDE. Ein Wehrwolf und Wehrmanne!

MANIPELFÜHRER bezwingt seinen Schauder. Haut weiter und bekümmert euch nur um euer Geschäft.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 321-324.
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