Vierter Auftritt

[780] Vorige ohne Sappho und Eucharis.


PHAON.

Steh auf, mein Kind! Zu Menschen flehe nicht,

Noch bleiben uns die Götter und wir selbst!

MELITTA.

Ich kann nicht leben, wenn sie mich verdammt!

Ihr Auge war von jeher mir der Spiegel,

Vor dem ich all mein Tun und Fühlen prüfte!

Er zeigt mir jetzt die eigne Ungestalt!

Was muß sie leiden, die gekränkte Frau!

PHAON.

Du leihst ihr dein Gefühl! Ganz andre Wogen

Erheben sich in dieser Stolzen Brust!

MELITTA.

Scheint sie auch stolz, mir war sie immer gütig,

Wenn oft auch streng, es barg die scharfe Hülle

Mir immer eine süße, holde Frucht!

Weh mir, daß ich das je vergessen konnte!

RHAMNES.

Ja wohl, weh dir, daß du es je vergessen!

PHAON.

Was zittert ihr, kennt ihr sie gar so mild?

RHAMNES.

Sie zürnte, als sie ging, und ohne Schranken,

Wie ihre Liebe, ist ihr Zorn! – Drum weh euch!

PHAON.

Was kann sie drohn?

RHAMNES.

Der flüchtgen Sklavin Tod!

PHAON.

Wer sagt das?

RHAMNES.

Die Gesetze dieses Landes!

PHAON.

Ich schütze sie!

RHAMNES.

Du? Und wer schützet dich?

PHAON.

Und gähnte hier die Erde vor mir auf,

Und donnerte die See mich zu verschlingen,

Vermöchte sie die Kräfte der Natur

In grauses Bündnis wider mich zu einen,

Fest halt ich diese, lachend ihres Zorns,

Sie selbst und ihre Drohungen verachtend![780]

RHAMNES.

Verachten? Sapphon! Und wer bist du denn,

Daß du dein Wort magst in die Schale legen,

In der die Menschheit ihre Ersten wiegt,

Zu sprechen wagst, wo Griechenland gesprochen?

Blödsichtger, frevler Tor, dünkt sie dir wertlos,

Weil ohne Maßstab du für ihren Wert,

Nennst du das Kleinod blind, weil es dein Auge?

Daß sie dich liebte, daß sie aus dem Staub

Die undankbare Schlange zu sich hob,

Die nun mit giftgem Zahn ihr Herz zerfleischt,

Daß ihren Reichtum sie an dich vergeudet,

Der keinen Sinn für solcher Schätze Wert,

Das ist der einzge Fleck in ihrem Leben

Und keines andern zeiht sie selbst der Neid!

Sprich nicht! Selbst dieser Trotz, in dem du nun

Dich auflehnst wider sie, er ist nicht dein!

Wie hättest du aus deiner Niedrigkeit,

Von den Vergeßnen der Vergessenste,

Gewagt zu murren wider Hellas Kleinod?

Daß sie dich angeblickt, gab dir den Stolz,

Mit dem du nun auf sie herniedersiehst.

PHAON.

Der Dichtung Ruhm nicht mag ich ihr bestreiten

RHAMNES.

Du magst es nicht? Ei doch! Als ob dus könntest!

Hoch an den Sternen hat sie ihren Namen

Mit diamantnen Lettern angeschrieben,

Und mit den Sternen nur wird er verlöschen!

In fernen Zeiten unter fremden Menschen,

Wenn längst zerfallen diese morschen Hüllen

Und selber unsre Gräber nicht mehr sind,

Wird Sapphos Lied noch von den Lippen tönen,

Wird leben noch ihr Name – und der deine!

Der deine, ja, sei stolz auf die Unsterblichkeit,

Die dir der Frevel gibt an ihrem Haupt!

In fremdem Land bei kommenden Geschlechtern,

Wenn schon Jahrhunderte, noch ungeboren,

Hinabgestiegen in das Grab der Zeit,

Wird es erschallen noch aus jedem Munde:[781]

Sappho hieß die, die dieses Lied gesungen,

Und Phaon heißt er, der sie hat getötet.

MELITTA.

O Phaon –

PHAON.

Ruhig! Ruhig!

RHAMNES.

Armer Tröster!

Gebeutst du Ruh mit unruhvoller Stimme?

Sie kenne ihr Verbrechen und erzittre,

Die Rache wenigstens vermisse Sappho nicht!

Du magst der Dichtung Ruhm ihr nicht bestreiten?

Und welchen sonst bestreitest du ihr denn?

Wagst dus, an ihrem Herzen wohl zu zweifeln,

Der, was er ist, nur ihrem Herzen dankt?

Sieh um dich her! es ist kein einzger hier,

Dem sie nicht wohlgetan, der nicht an sich,

In Haus und Feld, an Gut und bei den Seinen

Von ihrer Milde reiche Spuren trägt,

Nicht einer, dessen Herz nicht höher schlüge,

Wenn er sich Mytilenes Bürger,

Wenn er sich Sapphos Landgenosse nennt.

Frag jene Bebende an deiner Seite,

Genossin, scheints, der Tat mehr als der Schuld,

Wie gegen sich die Herrin sie gefunden?

Was hatte wohl die Sklavin dir zu bieten?

Wenn sie dir wohlgefiel, so war es Sapphos Geist,

War Sapphos milder, mütterlicher Geist,

Der ansprach dich aus ihres Werkes Munde. –

O presse nur die Stirn, du strebst vergebens,

Du löschest die Erinnrung nimmer aus!

Und was willst du beginnen? Wohin fliehn?

Kein Schutzort ist für dich auf dieser Erde,

In jedes Menschen fromm gesinnter Brust

Erhebt ein Feind dem Feinde sich des Schönen.

Vorangehn wird der Ruf vor deinen Schritten,

Und schreien wird er in der Menschen Ohr:

Hier Sapphos Mörder, hier der Götter Feind!

Und vogelfrei wirst du das Land durchirren

Mit ihr, der du Verderben gabst für Schutz.

Kein Grieche öffnet dir sein gastlich Haus,[782]

Kein Gott gewährt dir Eintritt in den Tempel,

Erbebend wirst du fliehn vom Opferaltar,

Wenn Priesters Spruch Unheilige entfernt.

Und fliehst du, wird die grause Eumenide,

Der Unterirdschen schwarze Rachebotin,

Die Schlangenhaare schütteln um dich her,

Dir Sapphos Namen in die Ohren kreischen,

Bis dich das Grab verschlungen, das du grubst!

MELITTA.

Halt ein! Halt ein!

PHAON.

Willst du mich rasend machen?

RHAMNES.

Du warsts, als du die Hohe von dir stießest!

Genieße nun die Frucht, die du gepflanzt!

MELITTA.

Zu ihr!

PHAON.

Wer rettet mich aus dieser Qual!


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 780-783.
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