[797] Kolchis. Wilde Gegend mit Felsen und Bäumen, im Hintergrunde das Meer.
Am Gestade desselben ein Altar, von unbehauenen Steinen zusammengefügt, auf dem die kolossale Bildsäule eines nackten, bärtigen Mannes steht, der in seiner Rechten eine Keule, um die Schultern ein Widderfell trägt. Links an den Szenen des Mittelgrundes der Eingang eines Hauses mit Stufen und rohen Säulen. Tagesanbruch Medea, Gora, Peritta, Gefolge von Jungfrauen.
Beim Aufziehen des Vorhanges steht Medea im Vorgrunde mit dem Bogen in der Hand in der Stellung einer, die eben den Pfeil abgeschossen. An den Stufen des Altars liegt ein von einem Pfeile durchbohrtes Reh.
JUNGFRAUEN die entfernt gestanden, zum Altare hineilend.
Das Opfer blutet!
MEDEA in ihrer vorigen Stellung.
Trafs?
EINE DER JUNGFRAUEN.
Gerad ins Herz!
MEDEA indem sie den Bogen abgibt.
Das deutet Gutes. Laß uns eilen denn!
Geh eine hin und spreche das Gebet.
GORA zum Altare tretend.
Darimba, mächtige Göttin,
Menschenerhalterin, Menschentöterin,
Die den Wein du gibst und des Halmes Frucht,
Gibst des Weidwerks herzerfreuende Spende
Und des Todfeinds Blut:
Darimba, reine, magdliche
Tochter des Himmels,
Höre mich!
CHOR.
Darimba, mächtige Göttin,
Darimba! Darimba!
GORA.
Sieh, ein Reh hab ich dir getötet,
Den Pfeil schnellend vom starken Bogen,
Dein ists! Laß dir gefallen sein Blut!
Segne das Feld und den beutereichen Wald,
Gib, daß wir recht tun und siegen in der Schlacht,
Gib, daß wir lieben den Wohlwollenden
Und hassen den, der uns haßt.
Mach uns stark und reich, Darimba,
Mächtige Göttin!
CHOR.
Darimba, Darimba![797]
GORA.
Das Opfer am Altar zuckt und endet,
So mögen deine Feinde enden, Darimba!
Deine Feinde und die unsern!
Es ist Medea, Aietes Tochter,
Des Herrschers von Kolchis fürstliches Kind,
Die empor in deine Wohnungen ruft,
Höre mich, höre mich,
Und erfülle, was ich bat!
CHOR mit Zimbeln und Handpauken zusammenschlagend.
Darimba, Darimba!
Mächtige Göttin!
Eriho! Jehu!
MEDEA.
Und somit genug! Das Opfer ist gebracht,
Vollendet das zögernde Geschäft.
Nun Pfeil und Bogen her, die Hunde vor,
Daß von des Jagdlärms hallendem Getos
Der grüne Wald ertöne nah und fern!
Die Sonne steigt. Hinaus! hinaus!
Und die am schnellsten rennt und die am leichtsten springt,
Sei Königin des Tages. –
Du hier, Peritta? Sagt ich dir nicht,
Daß du mich meiden sollst und gehn? So geh!
PERITTA knieend.
Medea!
MEDEA.
Kniee nicht! Du sollst nicht knien!
Hörst du? In deine Seele schäm ich mich.
So feig, so zahm! Mich schmerzt nicht dein Verlust,
Mich schmerzt, daß ich dich jetzt verachten muß
Und hab dich einst geliebt!
PERITTA.
O wüßtest du! –
MEDEA.
Was denn? – Stahlst du dich neulich von der Jagd
Und gingst zum Hirten ins Tergener Tal?
Tatst dus? Sprich nein! Du Falsche, Undankbare!
Versprachst du nicht, du wolltest mein sein, mein
Und keines Manns? Sag an, versprachst dus?
PERITTA.
Als ichs gelobte, wußt ich damals –
MEDEA.
Schweig!
Was brauchts zu wissen, als daß dus versprachst.[798]
Ich bin Aietes königliches Kind
Und was ich tu ist recht, weil ichs getan.
Und doch, du Falsche, hätt ich dir versprochen
Die Hand hier abzuhaun von meinem Arm,
Ich täts; fürwahr ich täts, weil ichs versprach.
PERITTA.
Es riß mich hin, ich war besinnungslos,
Und nicht mit meinem Willen, nein –
MEDEA.
Ei hört!
Sie wollte nicht und tats! Geh, du sprichst Unsinn.
Wie konnt es denn geschehn,
Wenn du nicht wolltest. Was ich tu, das will ich,
Und was ich will – je nu, das tu ich manchmal nicht.
Geh hin in deines Hirten dumpfe Hütte,
Dort kaure dich in Rauch und schmutzgen Qualm
Und baue Kohl auf einer Spanne Grund.
Mein Garten ist die ungemeßne Erde,
Des Himmels blaue Säulen sind mein Haus,
Da will ich stehn, des Berges freien Lüften
Entgegentragend eine freie Brust
Und auf dich niedersehn und dich verachten.
Hallo! in Wald! Ihr Mädchen in den Wald!
Indem sie abgehen will, kömmt von der andern Seite ein Kolcher.
KOLCHER.
Du Königstochter, höre!
MEDEA.
Was? Wer ruft,
KOLCHER.
Ein Schiff mit Fremden angelangt zur Stund!
MEDEA.
Dem Vater sag es an. Was kümmerts mich!
KOLCHER.
Wo weilt er?
MEDEA.
Drin im Haus!
KOLCHER.
Ich eile!
MEDEA.
Tus!
Der Bote ab ins Haus.
MEDEA.
Daß diese Fremden uns die Jagdlust stören!
Ihr Schiff, es ankert wohl in jener Bucht,
Die sonst zum Sammelplatz uns dient der Jagd.
Allein, was tuts! Bringt lange Speere her,
Und naht ein Kühner, zahl er es mit Blut!
Nur Speere her, doch leise, leise, hört!
Denn sähs der Vater, wehren möcht er es.[799]
Kommt! – Dort das Mal, von Steinen aufgehäuft,
Seht ihrs dort oben? Wer erreichts zuerst?
Stellt euch! – Nichts da! Nicht vorgetreten! Weg!
Wer siegt, hat auf der Jagd den ersten Schuß:
So, stellt euch und wenn ich das Zeichen gebe,
Dann wie der Pfeil vom Bogen fort! Gebt acht!
Acht! – Jetzt! –
Aietes ist unterdessen aus dem Hause getreten, mit ihm der Bote, der gleich abgeht.
AIETES.
Medea!
MEDEA sich umwendend, aber ohne ihren Platz zu verändern.
Vater!
AIETES.
Du wohin?
MEDEA.
In Wald!
AIETES.
Bleib jetzt!
MEDEA.
Warum?
AIETES.
Ich wills, du sollst!
MEDEA.
So fürchtest du, daß jene Fremden –
AIETES.
Weißt du also? –
Näher tretend, mit gedämpfter Stimme.
Angekommen Männer
Aus fernem Land,
Bringen Gold, bringen Schätze,
Reiche Beute.
MEDEA.
Wem?
AIETES.
Uns, wenn wir wollen.
MEDEA.
Uns?
AIETES.
's sind Fremde, sind Feinde,
Kommen zu verwüsten unser Land.
MEDEA.
So geh hin und töte sie!
AIETES.
Zahlreich sind sie und stark bewehrt,
Reich an List die fremden Männer,
Leicht töten sie uns.
MEDEA.
So laß sie ziehn!
AIETES.
Nimmermehr.
Sie sollen mir –
MEDEA.
Tu was du willst,
Mich aber laß zur Jagd!
AIETES.
Bleib, sag ich, bleib![800]
MEDEA.
Was soll ich?
AIETES.
Helfen! Raten!
MEDEA.
Ich?
AIETES.
Du bist klug, du bist stark.
Dich hat die Mutter gelehrt
Aus Kräutern, aus Steinen
Tränke bereiten,
Die den Willen binden
Und fesseln die Kraft.
Du rufst Geister
Und besprichst den Mond,
Hilf mir, mein gutes Kind!
MEDEA.
Bin ich dein gutes Kind!
Sonst achtest du meiner wenig.
Wenn ich will, willst du nicht
Und schiltst mich und schlägst nach mir;
Aber wenn du mein bedarfst,
Lockst du mich mit Schmeichelworten
Und nennst mich Medea, dein liebes Kind.
AIETES.
Vergiß, Medea, was sonst geschehn.
Bist doch auch nicht immer wie du solltest.
Jetzt steh mir bei und hilf mir.
MEDEA.
Wozu?
AIETES.
So höre denn, mein gutes Mädchen!
Das Gold der Fremden all und ihre Schätze –
Gelt lächelst?
MEDEA.
Ich?
AIETES.
Ei ja, das viele Gold,
Die bunten Steine und die reichen Kleider,
Wie sollen die mein Mädchen zieren!
MEDEA.
Ei, immerhin!
AIETES.
Du schlaue Bübin, sieh,
Ich weiß, dir lacht das Herz nach all der Zier!
MEDEA.
Kommt nur zur Sache, Vater!
AIETES.
Ich –
Heiß dort die Mädchen gehn!
MEDEA.
Warum?
AIETES.
Ich wills![801]
MEDEA.
Sie sollen ja mit mir zur Jagd.
AIETES.
Heut keine Jagd!
MEDEA.
Nicht?
AIETES.
Nein sag ich und nein! und nein!
MEDEA.
Erst lobst du mich und –
AIETES.
Nun, sei gut, mein Kind!
Komm hierher! Weiter! hierher, so!
Du bist ein kluges Mädchen, dir kann ich trauen.
Ich – –
MEDEA.
Nun!
AIETES.
Was siehst du mir so starr ins Antlitz?
MEDEA.
Ich höre, Vater!
AIETES.
O, ich kenne dich!
Willst du den Vater meistern, Ungeratne?
Ich entscheide was gut, was nicht.
Du gehorchst. Aus meinen Augen, Verhaßte!
Medea geht.
AIETES.
Bleib! – Wenn du wolltest, begreifen wolltest –
Ich weiß, du kannst, allein du willst es nicht.
So seis denn, bleib aus deines Vaters Rat
Und diene, weil du dienen willst.
Man hört in der Ferne kriegerische Musik.
AIETES.
Was ist das? Weh, sie kommen uns zuvor!
Siehst du, Törin? Die du schonen wolltest, sie töten uns!
In vollem Zug hierher die fremden Männer!
Weh uns! Waffen! Waffen!
Der Bote kommt wieder.
BOTE.
Der Führer, Herr, der fremden Männer! –!
AIETES.
Was will er? Meine Krone, mein Leben?
Noch hab ich Mut, noch hab ich Kraft,
Noch wallt Blut in meinen Adern,
Zu tauschen Tod um Tod!
BOTE.
Er bittet um Gehör.
AIETES.
Bittet?
BOTE.
Freundlich sich mit dir zu besprechen,
Zu stiften friedlichen Vergleich.
AIETES.
Bittet? und hat die Macht in Händen,[802]
Findet uns unbewehrt, er in Waffen,
Und bittet, der Tor!
BOTE.
In dein Haus will er treten,
Sitzen an deinem Tische,
Essen von deinem Brot
Und dir vertrauen,
Was ihn hierher geführt.
AIETES.
Er komme, er komme.
Hält er Friede nur zwei Stunden,
Später fürcht ich ihn nicht mehr.
Sag ihm, daß er nahe,
Aber ohne Schild, ohne Speer,
Nur das Schwert an der Seite,
Er und seine Gesellen.
Dann aber geh und biet auf die Getreuen
Rings herum im ganzen Lande,
Heiß sie sich stellen, gewappnet, bewehrt
Mit Schild und Panzer, mit Lanz und Schwert
Und sich verbergen im nahen Gehölz,
Bis ich winke, bis ich rufe. – Geh!
Bote ab.
Ich will dein lachen, du schwacher Tor!
Du aber, Medea, sei mir gewärtig!
Einen Trank, ich weiß es, bereitest du,
Der mit sanfter, schmeichelnder Betäubung
Die Sinn entbindet ihres Dieneramts
Und ihren Herrn zum Sklaven macht des Schlafs.
Geh hin und hole mir von jenem Trank!
MEDEA.
Wozu?
AIETES.
Geh, sag ich, hin und hol ihn mir!
Dann komm zurück. Ich will sie zähmen, diese Stolzen!
Medea ab.
AIETES gegen den Altar im Hintergrunde gewendet.
Peronto, meiner Väter Gott!
Laß gelingen, was ich sinne,
Und teilen will ich, treu und redlich,
Was wir gewinnen von unsern Feinden.
[803] Kriegerische Musik. Bewaffnete Griechen ziehen auf, mit grünen Zweigen in der Hand. Der letzte geht Phryxus, in der linken Hand gleichfalls einen grünen Zweig, in der Rechten ein goldenes Widderfell, in Gestalt eines Panieres auf der Lanze tragend. Bewaffnete Kolcher treten von der andern Seite ein. Die Musik schweigt.
Indem Phryxus an dem im Hintergrunde
befindlichen Altar und der darauf stehenden Bildsäule vorbeigeht, bleibt er, wie von Erstaunen gefesselt, stehn, dann spricht er.
Kann ich den Augen traun? – Er ists, er ists!
Sei mir gegrüßt, du freundliche Gestalt,
Die mich durch Wogensturm und Unglücksnacht
Hierher geführt an diese ferne Küste,
Wo Sicherheit und einfach stille Ruh
Mit Kindesblicken mir entgegenlächeln.
Dies Zeichen, das du mir als Pfand der Rettung
In jener unheilvollen Stunde gabst
Und das, wie der Polarstern vor mir leuchtend,
Mich in den Hafen eingeführt des Glücks,
Ich pflanz es dankbar auf vor deinem Altar
Und beuge betend dir ein frommes Knie,
Der du ein Gott mir warest in der Tat,
Wenn gleich dem Namen nach, mir Fremden, nicht!
Er kniet.
AIETES im Vorgrunde.
Was ist das?
Er beugt sein Knie dem Gott meiner Väter!
Denk der Opfer, die ich dir gebracht,
Hör ihn nicht, Peronto,
Höre den Fremden nicht!
PHRYXUS aufstehend.
Erfüllet ist des Dankens süße Pflicht.
Nun führt zu eurem König mich! Wo weilt er?
Die Kolcher weichen schweigend und scheu zu beiden Seiten aus dem Wege.
PHRYXUS erblickt den König, auf ihn zugehend.
In dir grüß ich den Herrn wohl dieses Landes?
AIETES.
Ich bin der Kolcher Fürst!
PHRYXUS.
Sei mir gegrüßt!
Es führte Göttermacht mich in dein Reich,[804]
So ehr in mir den Gott, der mich beschützt.
Der Mann, der dort auf jenem Altar thront,
Ist er das Bildnis eines, der da lebte?
Wie, oder ehrt ihr ihn als einen Himmlischen?
AIETES.
Es ist Peronto, der Kolcher Gott.
PHRYXUS.
Peronto! Rauher Laut dem Ohr des Fremden.
Wohltönend aber dem Geretteten.
Verehrst du jenen dort als deinen Schützer,
So liegt ein Bruder jetzt in deinem Arm,
Denn Brüder sind ja eines Vaters Söhne.
AIETES der Umarmung ausweichend.
Schützer er dir?
PHRYXUS.
Ja, du sollst noch hören.
Doch laß mich bringen erst mein Weihgeschenk.
Er geht zum Altar und stößt vor demselben sein Panier in den Boden Medea kommt mit einem Becher.
MEDEA laut.
Hier, Vater, ist der Trank!
AIETES sie gewaltsam auf die Seite ziehend, leise.
Schweig, Törichte!
Siehst du denn nicht?
MEDEA.
Was?
AIETES.
Den Becher gib der Sklavin
Und schweig!
MEDEA.
Wer ist der Mann?
AIETES.
Der Fremden Führer, schweig!
PHRYXUS vom Altare zurückkommend.
Jetzt tret ich leicht erst in dein gastlich Haus!
Doch wer ist dieses blühend holde Wesen,
Das wie der goldne Saum der Wetterwolke
Sich schmiegt an deine kriegrische Gestalt?
Die roten Lippen und der Wange Licht,
Sie scheinen Huld und Liebe zu verheißen,
Streng widersprochen von dem finstern Aug
Das blitzend wie ein drohender Komet
Hervorstrahlt aus der Locken schwarzem Dunkel.
Halb Charis steht sie da und halb Mänade,
Entflammt von ihres Gottes heilger Glut.
Wer bist du, holdes Mädchen?[805]
AIETES.
Sprich, Medea!
MEDEA trocken.
Medea bin ich, dieses Königs Kind!
PHRYXUS.
Fürwahr ein Kind und eine Königin!
Ich nehm dich an als gute Vorbedeutung
Für eine Zukunft, die uns noch verhüllt.
O lächle, Mädchenbild, auf meinen Eintritt!
Vielleicht, wer weiß, ob nicht dein Vater,
Von dem ich Zuflucht nur und Schutz verlangt,
Mir einst noch mehr gibt, mehr noch, o Medea!
AIETES.
Was also, Fremdling, ist dein Begehr?
PHRYXUS.
So höre denn, was mich hierher geführt,
Was ich verloren, Herr, und was ich suche.
Geboren bin ich in dem schönen Hellas,
Von Griechen, ich ein Grieche, reinen Bluts.
Es lebet niemand, der sich höhrer Abkunft,
Sich edlern Stammes rühmen kann als ich,
Denn Hellas Götter nenn ich meine Väter,
Und meines Hauses Ahn regiert die Welt.
MEDEA sich abwendend.
Ich gehe, Vater, um –
AIETES.
Bleib hier und schweig!
PHRYXUS.
Von Göttern also zieh ich mein Geschlecht!
Allein mein Vater, alten Ruhms vergessend
Und jung-erzeugter Kinder Recht und Glück,
Erkor zur zweiten Eh ein niedrig Weib,
Das, neidisch auf des ersten Bettes Sprossen
Und übrall Vorwurf sehend, weil sie selbst
Sich Vorwurf zu verdienen war bewußt,
Den Zorn des Vaters reizte gegen mich.
Die Zwietracht wuchs und Häscher sandt er aus,
Den Sohn zu fahn, vielleicht zu töten ihn.
Da ging ich aus der Väter Haus und floh,
In fremdem Land zu suchen heimisch Glück.
Umirrend kam ich in die Delpherstadt
Und trat, beim Gotte Rat und Hilfe suchend,
In Phöbos reiches, weitberühmtes Haus.
Da stand ich in des Tempels weiten Hallen,
Mit Bildern rings umstellt und Opfergaben,[806]
Erglühend in der Abendsonne Strahl.
Vom Schauen matt und von des Weges Last
Schloß sich mein Aug und meine Glieder sanken;
Dem Zug erliegend schlummerte ich ein.
Da fand ich mich im Traum im selben Tempel,
In dem ich schlief, doch wachend und allein
Und betend zu dem Gott um Rat. Urplötzlich
Umflammt mich heller Glanz, und einen Mann
In nackter Kraft, die Keule in der Rechten,
Mit langem Bart und Haar, ein Widderfell
Um seine mächtgen Schultern, stand vor mir
Und lächelte mit milder Huld mich an.
»Nimm Sieg und Rache hin!« sprach er und löste
Das reiche Vließ von seinen Schultern ab
Und reichte mirs; da, schütternd, wacht ich auf.
Und siehe! von dem Morgenstrahl beleuchtet
Stand eine Blende schimmernd vor mir da
Und drin, aus Marmor künstlich ausgehaun,
Derselbe Mann, der eben mir erschienen,
Mit Haar und Bart und Fell, wie ichs gesehn.
AIETES auf die Bildsäule im Hintergrunde zeigend.
Der dort?
PHRYXUS.
Ihm glich er wie ich mir.
So stand er da in Götterkraft und Würde,
Vergleichbar dem Herakles, doch nicht er.
Und an dem Fußgestell des Bildes war
Der Name Kolchis golden eingegraben.
Ich aber deutete des Gottes Rat;
Und nehmend, was er rätselhaft mir bot,
Löst ich, ich war allein, den goldnen Schmuck
Vom Hals des Bildes, und in Eile fort.
Des Vaters Häscher fand ich vor den Toren,
Sie wichen scheu des Gottes Goldpanier,
Die Priester neigten sich, das Volk lag auf den Knieen
Und vor mir her es auf der Lanze tragend,
Kam ich durch tausend Feinde bis ans Meer.
Ein schifft ich mich, und hoch als goldne Wimpel
Flog mir das Vließ am sturmumtobten Mast,[807]
Und wie die Wogen schäumten, Donner brüllten
Und Meer und Wind und Hölle sich verschworen,
Mich zu versenken in das nasse Grab,
Versehrt ward mir kein Haar, und unverletzt
Kam ich hierher an diese Rettungsküste,
Die vor mir noch kein griechscher Fuß betrat.
Und jetzo geht an dich mein bittend Flehn,
Nimm auf mich und die Meinen in dein Land.
Wo nicht, so faß ich selber Sitz und Stätte,
Vertrauend auf der Götter Beistand, die
Mir Sieg und Rache durch dies Pfand verliehn!
– Du schweigst?
AIETES.
Was willst du, daß ich sage?
PHRYXUS.
Gewährst du mir ein Dach, ein gastlich Haus?
AIETES.
Tritt ein, wenn dirs gutdünkt, Vorrat ist
Von Speis und Trank genug. Dort nimm und iß!
PHRYXUS.
So rauh übst du des Wirtes gastlich Amt?
AIETES.
Wie du dich gibst, so nehm ich dich.
Wer in des Krieges Kleidung Gabe heischt,
Erwarte nicht sie aus des Friedens Hand.
PHRYXUS.
Den Schild hab ich, die Lanze abgelegt.
AIETES.
Das Schwert ist, denkst du, gegen uns genug?
Doch halt es, wie du willst.
Leise zu Medea.
Begehr sein Schwert!
PHRYXUS.
Noch eins! An reichem Schmuck und köstlichen Gefäßen
Bring ich so manches, was ich sichern möchte.
Du nimmst es doch in deines Hauses Hut?
AIETES.
Tu, wie du willst!
Zu Medea.
Sein Schwert, sag ich, begehr!
PHRYXUS.
Nun denn, Gefährten, was wir hergebracht,
Gerettet aus des Glückes grausem Schiffbruch,
Bringt es hierher in dieser Mauern Umfang
Als Grundstein eines neuen, festern Glücks.
AIETES zu Medea.
Des Fremden Schwert!
MEDEA.
Wozu?[808]
AIETES.
Sein Schwert, sag ich!
MEDEA zu Phryxus.
Gib mir dein Schwert!
PHRYXUS.
Was sagst du, holdes Kind?
AIETES.
Fremd ist dem Mädchen eurer Waffen Anblick
Bei uns geht nicht der Friedliche bewehrt.
Auch ists euch lästig.
PHRYXUS zu Medeen.
Sorgest du um mich?
Medea wendet sich ab.
Sei mir nicht bös! Ich weigr es dir ja nicht!
Er gibt ihr das Schwert.
Den Himmlischen vertrau ich mich und dir!
Wo du bist, da ist Frieden. Hier mein Schwert!
Und jetzo in dein Haus, mein edler Wirt!
AIETES.
Gehe nur, ich folg euch bald!
PHRYXUS.
Und du, Medea?
Laß mich auch dich am frohen Tische sehn!
Kommt, Freunde, teilt die Lust, wie ehmals die Gefahr!
Ab mit seinen Gefährten.
Medea setzt sich auf eine Felsenbank im Vorgrunde und beschäftigt sich mit ihrem Bogen, den sie von der Erde aufgehoben hat. Aietes steht auf der andern Seite des Vorgrundes und verfolgt mit den Augen die Diener des Phryxus, die Gold und reiche Gefäße ins Haus tragen. – Lange Pause.
AIETES.
Medea!
MEDEA.
Vater!
AIETES.
Was denkst du?
MEDEA.
Ich? nichst!
AIETES.
Vom Fremden mein ich.
MEDEA.
Er spricht und spricht;
Mir widerts!
AIETES rasch auf sie zugehend.
Nicht wahr? Spricht und gleist
Und ist ein Bösewicht,
Ein Gottverächter, ein Tempelräuber!
Ich töt ihn!
MEDEA.
Vater!
AIETES.
Ich tus!
Soll er davontragen all den Reichtum,[809]
Den er geraubt, dem Himmel geraubt?
Erzählt' er nicht selbst, wie er im Tempel
Das Vließ gelöst von der Schulter des Gottes,
Des Donnerers, Perontos,
Der Kolchis beschützt.
Ich will dir ihn schlachten, Peronto!
Rache sei dir, Rache!
MEDEA.
Töten willst du, den Fremden, den Gast?
AIETES.
Gast?
Hab ich ihn geladen in mein Haus?
Ihm beim Eintritt Brot und Salz gereicht
Und geheißen sitzen auf meinem Stuhl?
Ich hab ihm nicht Gastrecht geboten,
Er nahm sichs, büß ers, der Tor!
MEDEA.
Vater! Peronto rächet den Mord!
AIETES.
Peronto gebeut ihn.
Hat der Freche nicht an ihm gefrevelt?
Sein Bild beraubt in der Delpherstadt?
Führt der Erzürnte ihn nicht selbst her,
Daß ich ihn strafe, daß ich räche
Des Gottes Schmach und meine?
Das Vließ dort am glänzenden Speer,
Des Gottes Kleid, der Kolcher Heiligtum,
Solls ein Fremder, ein Frevler entweihn?
Mein ists, mein! Mir sendets der Gott
Und Sieg und Rache, geknüpft an dies Pfand,
Den Unsern werd es zuteil!
Tragt nur zu des kostbaren Guts!
Ihr führet die Ernte mir ein!
Sprich nicht und komm! daß er uns nicht vermißt,
Gefahrlos sei die Rach und ganz!
Komm, sag ich, komm!
Beide ab ins Haus.
Ein kolchischer Hauptmann mit Bewaffneten tritt auf.
HAUPTMANN.
Hierher beschied man uns. Was sollen wir?
EIN KOLCHER aus dem Hause.
Heda![810]
HAUPTMANN.
Hier sind wir!
KOLCHER.
Leise!
HAUPTMANN.
Sprich! Was solls?
KOLCHER.
Verteilt euch rechts und links und wenn ein Fremder –
Doch still jetzt! Einer naht! – Kommt! hört das weitre!
Alle ab.
PHRYXUS mit ängstlichen Schritten aus dem Hause.
Ihr Götter! Was ist das? Ich ahne Schreckliches.
Es murmeln die Barbaren unter sich
Und schaun mit höhnschem Lächeln hin auf uns.
Man geht, man kommt, man winkt, man lauert.
Und die Gefährten, einer nach dem andern
Sinkt hin in dumpfen Schlaf; ob Müdigkeit,
Ob irgend ein verruchter Schlummertrank
Sie einlullt, weiß ich nicht. Gerechte Götter!
Habt ihr mich hergeführt, mich zu verderben?
Nur eines bleibt mir noch: Flacht auf mein Schiff.
Dort samml ich die Zurückgebliebenen,
Und dann zur Rettung her, zur Hilfe- Horch!
Schwertgeklirr und dumpfe Stimmen im Hause.
Man ficht! – Man tötet! – Weh mir, weh! – Zu spät!
Nun bleibt nur Flacht. Schnell, eh die Mörder nahn!
Er will gehn. Krieger mit gefällten Spießen treten ihm entgegen.
KOLCHER.
Zurück!
PHRYXUS.
Ich bin verraten! – Hier!
Von allen Seiten treten Bewaffnete mit gesenkten Speeren ihm entgegen.
GEWAFFNETE.
Zurück!
PHRYXUS.
Umsonst. Es ist vorbei! – Ich folg euch, Freunde!
An den Altar hineilend.
Nun denn, du Hoher, der mich hergeführt,
Bist du ein Gott, so schirme deinen Schützling!
Aietes mit bloßem Schwert aus dem Hause. Medea hinter ihm. Gefolge.
AIETES.
Wo ist er?
MEDEA.
Vater, höre!
AIETES.
Wo, der Fremdling?
Dort am Altar. Was suchst du dort?[811]
PHRYXUS.
Schutz such ich!
AIETES.
Gegen wen? Komm mit ins Haus!
PHRYXUS.
Hier steh ich und umklammre diesen Altar;
Den Göttern trau ich; o, daß ich es dir!
MEDEA.
O Vater, höre mich!
PHRYXUS.
Du auch hier, Schlange?
Warst du so schön und locktest du so lieblich,
Mich zu verderben hier im Todesnetz?
Mein Herz schlug dir vertrauensvoll entgegen,
Mein Schwert, den letzten Schutz, gab ich in deine Hand
Und du verrätst mich?
MEDEA.
Nicht verriet ich dich!
Gabst du dein Schwert mir, nimm ein andres hier
Und wehre dich des Lebens.
Sie hat einem der Umstehenden das Schwert entrissen und reicht es ihm.
AIETES ihr das Schwert entreißend.
Törichte!
Vom Altar fort!
PHRYXUS.
Ich bleibe!
AIETES.
Reißt ihn weg!
PHRYXUS da einige auf ihn losgehen.
Nun denn, so muß ich sterben? – Ha, es sei!
Doch ungerochen, klaglos fall ich nicht.
Er reißt das Panier mit dem goldenen Vließ aus der Erde und tritt damit in den Vorgrund.
Du unbekannte Macht, die her mich führend,
Dies Pfand der Rettung huldvoll einst mir gab
Und Sieg und Rache mir dabei verhieß;
Zu dir ruf ich empor nun! Höre mich!
Hab ich den Sieg durch eigne Schuld verwirkt,
Das Haupt darbietend dem Verräternetz
Und blind dem Schicksal trauend statt mir selber,
So laß doch Rache wenigstens ergehn
Und halte deines Wortes zweite Hälfte!
AIETES.
Was zauderst du?
PHRYXUS.
Aietes!
AIETES.
Nun, was noch?
PHRYXUS.
Ich bin dein Gast, und du verrätst mich?[812]
AIETES.
Mein Gast? Mein Feind.
Was suchtest du, Fremder, in meinem Land? Tempelräuber!
Hab ich dir Gastrecht gelobt? dich geladen in mein Haus?
Nichts versprach ich, Törichter! Verderbt durch eigne Schuld!
PHRYXUS.
Damit beschönst du deine Freveltat?
O, triumphiere nicht! Tritt her zu mir!
AIETES.
Was solls?
PHRYXUS.
Sieh dieses Banner hier, mein letztes Gut,
Die Schätze alle hast du mir geraubt,
Dies eine fehlt noch.
AIETES darnach greifend.
Fehlt? Wie lange noch?
PHRYXUS.
Zurück! Betrachts, es ist mein letztes Gut
Und von ihm scheidend, scheid ich von dem Leben.
Begehrst dus?
AIETES.
Ja!
PHRYXUS.
Begehrst dus?
AIETES die Hand ausstreckend.
Gib mir es!
PHRYXUS.
Nimms hin, des Gastes Gut, du edler Wirt,
Sieh, ich vertrau dirs an, bewahre mirs
Mit erhöhter Stimme.
Und gibst dus nicht zurücke, unbeschädigt
Nicht mir, dem Unbeschädigten, zurück,
So treffe dich der Götter Donnerfluch,
Der über dem rollt, der die Treue bricht.
Nun ist mir leicht! Nun Rache, Rache, Rache!
Er hat mein Gut. Verwahre mirs getreu!
AIETES.
Nimm es zurück!
PHRYXUS.
Nein! Nicht um deine Krone
Du hast mein Gut, dir hab ichs anvertraut,
Bewahre treu das anvertraute Gut!
AIETES ihm das Vließ aufdringend.
Nimm es zurück!
PHRYXUS ihm ausweichend.
Du hast mein Gut, verwahr es treu!
Sonst Rache, Rache, Rache!
AIETES ihn über die Bühne verfolgend und ihm das Banner aufdringend.
Nimm es, sag ich![813]
PHRYXUS ausweichend.
Ich nehm es nicht. Verwahre mirs getreu!
Zur Bildsäule des Gottes empor.
Siehst du? er hats, ihm hab ichs anvertraut,
Und gibt ers nicht zurück, treff ihn dein Zorn!
AIETES.
Nimm es zurück!
PHRYXUS am Altar.
Nein, nein!
AIETES.
Nimms!
PHRYXUS.
Du verwahrsts!
AIETES.
Nimms!
PHRYXUS.
Nein!
AIETES.
Nun, so nimm dies!
Er stößt ihm das Schwert in die Brust.
MEDEA.
Halt, Vater, halt!
PHRYXUS niedersinkend.
Es ist zu spät!
MEDEA.
Was tatst du,
PHRYXUS zur Bildsäule empor.
Siehst dus, siehst dus!
Den Gastfreund tötet er und hat sein Gut!
Der du des Gastfreunds heilig Haupt beschützest,
O räche mich! Flach dem treulosen Mann!
Ihm muß kein Freund sein und kein Kind, kein Bruder,
Kein frohes Mahl- kein Labetrunk –
Was er am liebsten liebt – verderb ihn! –
Und dieses Vließ, das jetzt in seiner Hand,
Soll niederschaun auf seiner Kinder Tod! –
Er hat den Mann erschlagen, der sein Gast –
Und vorenthält- das anvertraute Gut –
Rache! – Rache! –
Stirbt. Lange Pause.
MEDEA.
Vater!
AIETES zusammenschreckend.
Was?
MEDEA.
Was hast du getan?
AIETES dem Toten das Vließ aufdringen wollend.
Nimm es zurück!
MEDEA.
Er nimmts nicht mehr. Er ist tot!
AIETES.
Tot! –
MEDEA.
Vater! Was hast du getan![814]
Den Gastfreund erschlagen,
Weh dir! Weh uns allen! – Ha! –
Aufsteigts aus den Nebeln der Unterwelt,
Drei Häupter, blutge Häupter,
Schlangen die Haare,
Flammen die Blicke,
Die hohnlachenden Blicke!
Höher! höher! – Empor steigen sie!
Entfleischte Arme, Fackeln in Händen,
Fackeln! – Dolche! Horch!
Sie öffnen die welken Lippen,
Sie murren, sie singen
Heischern Gesangs:
Wir hüten den Eid,
Wir vollstrecken den Fluch!
Fluch dem, der den Gastfreund schlug!
Fluch ihm, tausendfachen Fluch!
Sie kommen, sie nahen,
Sie umschlingen mich,
Mich, dich, uns alle!
Weh über dich!
AIETES.
Medea!
MEDEA.
Über dich, über uns! Weh, weh!
Sie entflieht.
AIETES ihr die Arme nachstreckend.
Medea! Medea!
Ende.
[815]
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