Der fünffte eingang.


[84] Michael. Papias. Ein wächter.


PAPIAS.

Auf herr! Was thun wir! Ach! wir sind dem tod im rachen!

Auf herr! Ach! kan man nun den mann nicht munter machen!

Auf! Auf!

MICHAEL.

Was mangelt dir? Was ist das rasen noth?

Was zitterst du?

PAPIAS.

Wir sind, mein herr! schon lebend tod.

MICHAEL.

Was hör ich? traumt dir?[84]

PAPIAS.

Ach!

MICHAEL.

Sag an!

PAPIAS.

Ich bin verlohren!

MICHAEL.

Was ists!

PAPIAS.

Ich armer! ach! ach! Wär ich nie gebohren!

MICHAEL.

Was kränckt dich?

PAPIAS.

Ach!

MICHAEL.

Nur bald!

PAPIAS.

Die zunge stammelt mir

Für schrecken.

MICHAEL.

Und warum?

PAPIAS.

Der käyser!

MICHAEL.

Schwindelt dir?

PAPIAS.

Ist

MICHAEL.

Was?

PAPIAS.

anietzt bey uns

MICHAEL.

im kercker?

PAPIAS.

hier gestanden.

MICHAEL.

O himmel!

PAPIAS.[85]

Es ist aus! Mein henker ist verhanden.

MICHAEL.

Der käyser? Hier? bey uns? Wie kan es möglich sein?

Wie kan er durch die thür ohn dein eröffnen ein?

PAPIAS.

Er hat die schlüssel selbst in seine macht genommen.

MICHAEL.

Ich spühr, es ist mit uns nunmehr auffs höchste kommen!

Hast du ihn selbst gesehn?

PAPIAS.

Ich? dem die feste ruh

Die müden augen schloß?

MICHAEL.

Wer trug es dir denn zu?

PAPIAS.

Die schaarwach an der thür.

MICHAEL.

Sie wil die furcht uns mehren.

Ruff iemand zu uns her? Komm träumer! lass dich hören!

Welch wahnwitz steckt dich an?

WÄCHTER.

Mein herr! es ist kein wahn.

Ich habe, weil ich hier, kein auge zugethan.

Die helffte dieser nacht war, wie mich dünckt, verlauffen,

Als unversehns der fürst durch die bewehrten hauffen

Biss in den kercker trat.

MICHAEL.

Ist diß wohl ie erhört!

Kennst du ihn?

WÄCHTER.

So als mich.

MICHAEL.

Dich hat ein dunst bethört.[86]

WÄCHTER.

Warum doch glaubt mein herr, dass ich, was falsch, berichte?

MICHAEL.

Der käyser? in der nacht? Es dunckt mich ein gedichte!

WÄCHTER.

Mein herr! was brächt es mir nutz oder schaden ein?

MICHAEL.

Wer schloss den kercker auf?

WÄCHTER.

Er selbst.

MICHAEL.

Kam er allein?

WÄCHTER.

Es war kein mensch um ihn, der ihm zu folgen pfleget.

MICHAEL.

Es sieht unglaublich aus! Wie war er angeleget?

WÄCHTER.

Mit purpur, und er trug mit gold-gestickte schuh.

MICHAEL.

Nun glaub ichs. Sprach er nicht der schaarwach etwas zu?

WÄCHTER.

Kein wort.

MICHAEL.

Ist er bey uns lang in dem zimmer blieben?

WÄCHTER.

Er hat schier so viel zeit als ich allhier vertrieben.

MICHAEL.

Wie stellt er sich, indem er euch den rücken wand?

WÄCHTER.

Er schüttelte den kopff und schnellte mit der hand.

MICHAEL.

Genung!

PAPIAS.

Wer zweiffelt nun?

MICHAEL.

Nicht dieser, der empfindet,

Wie grimmig er erhitzt. Den er mit ketten bindet,[87]

Der auf dem holtzstoß schier den heißen eyfer kühlt.

PAPIAS.

Nicht dieser, der noch frey, doch schon die zangen fühlt.

MICHAEL.

Ich weiß, dass er auf mich itzt neue marter suche.

PAPIAS.

Dass er auf meinen kopff all angst und elend fluche.

MICHAEL.

Blutdürstigster tyrann! Hat wohl die große welt

Ein dir gleich tiegerthier? Hat das verbrennte feld

Des wüsten Lybiens so ungeheure leuen?

Kan uns die hölle selbst mit mehrer mord-lust dräuen?

Verfluchter fürst! Ich irr; kan der ein fürste seyn,

An dem nichts fürstlichs ist, auch nicht der minste schein?

Der nur auf heißen mord bey kalten nächten dencket!

Den unser tod ergetzt, den unser leben kräncket?

Der aus dem käyser sich zum kerckermeister macht

Und ärger denn ein sclav um meine fässel wacht?

Den ewig-stete furcht, den sein verletzt gewissen

Noch härter als mich selbst in diamante schließen?

Was sinnet Papias?

PAPIAS.

Mir fällt vor mich nichts ein

Denn eine schnelle flucht.

MICHAEL.

Wo wilst du sicher seyn?

Fleuch hin, wo Amphitrit den heißen sand umpfählet!

Fleuch hin, wo es der erd an sonn und tage fehlet!

Der fürst ist hinder dir und jagt so hurtig nach,

Als der geschwinde falck den tauben an der bach.

Mainst du nicht, dass er schon die wach auf dich verstärcke

Und alle deine tritt auffs heimlichste bemercke?

PAPIAS.

Wir sind (ich steh es zu) ins grimmsten löwen höll.[88]

MICHAEL.

Der unversehne fall ermuntert meine seel

Und schlägt mir mittel vor! Ach! könt ich iemand finden,

Der sich um höchsten lohn so viel wolt unterwinden,

Dass er, und zwar alsbald, zwey wort trüg in die stadt!

Es leben, die noch gehn um meine noth zu rath,

Die um mein heil bemüht; sie würden alles wagen,

Möcht ihnen meine schrifft ein treuer freund vortragen.

PAPIAS.

Ein freund? der ist nicht fern.

MICHAEL.

Wer?

PAPIAS.

Unser Theoctist.

MICHAEL.

Recht!

PAPIAS.

Doch wie eröffnet man das thor der burg?

MICHAEL.

Durch list.

Gib mir papir und dint; in so bewandten sachen

Muss uns die angst behertzt, gefahr verständig machen.

PAPIAS.

Diß ist ein kurtzer brief!

MICHAEL.

Ich schreibe zwar nicht viel,

Doch der es lesen soll, versteht schon, was ich wil.

Wir wollen das papier nun gantz mit wachs bedecken.

PAPIAS.

So kan es, der es trägt, in seinen mund verstecken.

MICHAEL.

Diß ist die große nacht, in der, was Jesum ehrt,

Bejauchzet seine kripp und heilge lust vermehrt[89]

Durch abgelegte schuld auf priesterlich entbinden.

Die zeit ist recht vor mich und hilfft mir weg erfinden,

Zu gehn durch wach und thor. Gib vor, dass ich begehrt

(Was christen nie versagt und sterbenden gewehrt),

Den geist mit unserm gott in andacht auszusöhnen

Und mein verdammtes haupt durch ernste reu zu krönen.

Auch einen priester heisch, auf dessen trost der tod

Mir nicht mehr tödlich sey! Man wird in letzter noth

Mir seuffzendem so viel nicht füglich weigern können.

Wil man dem Theoctist den ausgang nun vergönnen,

So gib ihm, was ich schrieb! Er klopffe sicher an

An des von Cramben hauß und stell ihm, wie er kan,

Den brief ohn argwohn zu! Wo ich aus dieser ketten,

Aus dieser pein, die mich wil in den abgrund treten,

Aus dieser flut, die mir biss an die lippe geht,

Von diesem messer, das an meiner gurgel steht,

Von diesem sturm, der sich um meinen kahn erreget,

Und donner, der um mich mit lichten blitzen schläget,

Errettet, diese grufft des kerckers lassen soll,

So ist mein leben dein, so geh es beyden wol!

So glaube, dass dein dienst, was du nicht kanst begehren

Und ich nur geben kan, dir reichlich wird gewähren.

Dafern die flamme denn mich gantz verzehren will,

So hab ich doch versucht, was möglich, und du viel.

Es komme nun was kan! Entweder du wirst stehen

Durch mich und neben mir stets, oder bald vergehen.


Reyen der hoffe-junckern.


Satz.


Fallen wir der meynung bey,[90]

Dass die verhängniss uns vor unserem zufall schrecke,

Dass ein gespenst, ein traum, ein zeichen offt entdecke,

Was zu erwarten sey?

Oder ists nur phantasey, die den müden geist betrübet,

Welcher, weil er in dem cörper, seinen eignen kummer liebet?


Gegensatz.


Sol die seel auch selber sehn,

Alsbald der süße schlaff den leib hat überwunden,

(In welchem, wie man lehrt, sie gleichfalls angebunden)

Was zu hoffen, was geschehn?

Die der seuchen pest auszehrt, die der nahe tod umfasset,

Haben freylich offt verkündet, was sich fand, wenn sie erblasset.


Zusatz.


Wir, die alles uns zu wissen,

Von der ersten zeit beflissen,

Können gleichwohl nicht ergründen,

Was wir täglich vor uns finden.

Die der himmel warnt durch zeichen,

Können kaum, ja nicht entweichen;

Auch viel, indem sie sich den tod bemüht zu fliehen,

Sieht man dem tod entgegen ziehen.

Quelle:
Andreas Gryphius: Werke in drei Bänden mit Ergänzungsband. Band 2, Darmstadt 1961, S. 84-91.
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