72. Die Mobesin zu Aachen.

[92] (Nach Müller S. 131. Poetisch behandelt von Flecken S. 37.)


Vor vielen hundert Jahren wohnte in einem großen Hause am Hirschgraben ein böses Weib, welches das Volk die Gräfin Mobesin nannte. Wo sie hergekommen war, wußte Niemand, allein sie gab viel Geld aus, hielt[92] sich Pferde und Wagen, hatte jedoch mit Niemand Umgang, in die Kirche aber ging sie gar nicht und die Armen bekamen auch nichts von ihr. Am Tage und des Nachts waren Fenster und Thüre stets verschlossen; so still es aber den Tag über war, des Nachts war es dafür sehr unruhig darin, Licht blinkte durch die Läden und es schien große Gesellschaft bei ihr zu sein. Sie hielt sich eine Köchin, die sie jedoch des Nachts in ihre Kammer einschloß. Einst hatte sie dies jedoch vergessen und da dieselbe gerade nicht schlafen konnte, vernahm sie in der Mitternachtstunde aus dem Saale das Geräusch von Becherklang und von Tanzenden, gleichwohl hatte sie keine Gäste kommen sehen. Da ward sie neugierig und schlich sich auf den Zehen hinaus, um durchs Schlüsselloch zu sehen. Auf einmal hörte sie einen gellenden Ruf: »Schwestern, löscht die Lichter aus!« Und auf einmal war die Köchin blind, am andern Morgen aber bestrich die Mobesin ihr die Augen mit einer Salbe, so daß sie wieder sehen konnte und sprach: »Marikathrin (so heißen nämlich in Aachen vorzugsweise die Köchinnen, während die gewöhnlichen Dienstmädchen Trienchen genannt werden) morgen bist Du auch dabei!«

Ein anderes Mal hörte der an ihrem Hause vorübergehende Nachtwächter ebenfalls einen wüsten Lärm aus ihrem Parterre herausschallen, da dachte er, du mußt doch einmal durch die Läden gucken, vielleicht kannst du jetzt etwas sehen. Er stellte sich also an einen Laden und schaute durch eine Spalte ins Zimmer. Da war eine große Tafel gedeckt, um dieselbe, die hell mit Lichtern erleuchtet war, saßen auf Stühlen eine Menge alte und junge Katzen, die fürchterliche Gesichter schnitten, auf dem Tische aber lagen vor ihnen große Goldhaufen. Den Ehrenplatz aber nahm die große schwarze, in der ganzen Stadt bekannte Lieblingskatze der Mobesin ein.

Diese Katze war aber im Hause der bösen Frau ein gefürchtetes Thier, denn jeder Handwerker, der dort etwas zu arbeiten hatte, mußte von ihr leiden. Sie schlich stets um die Arbeitenden herum und schien sie zu beobachten; wenn einer einen heimlichen Schnaps nehmen wollte, da stieß sie ihm gewiß das Glas oder die Flasche um und wenn namentlich die Maurer mit Feueranschlagen die Zeit vertrödelten, da wußte sie es so einzurichten, daß sie sie stieß, so daß sie sich mit dem glühenden Schwamm die Finger verbrannten. Dies that sie auch einmal einem Dachdecker, der gerade auf dem Dache Ziegel einzog, dieser aber wüthend vor Schmerz griff nach dem Hammer, schlug nach ihr und traf sie so gut, daß er ihr von der Vorderpfote drei Zehen abschlug und das Blut hervorquoll. Die Katze floh brüllend zum Dachfenster herein und unmittelbar darauf hörte man im Hause Schreien und Lärmen. Der Kutscher kam herausgelaufen und rief, seine Herrin sei schwer verwundet. Der Arzt ward geholt und fand, daß der Gräfin drei Finger an der rechten Hand fehlten, welche von einem stumpfen Instrument abgeschlagen zu sein schienen. Da nun dieselbe aber nicht angeben konnte, wo und wie sie die Finger eingebüßt hatte, so suchte man im ganzen Hause nach und fand dieselben schließlich in der Dachrinne. Da aber der Dachdecker aussagte, daß er ihrer Katze zuvor drei Zehen abgeschlagen hatte, so war kein Zweifel mehr, daß sie eine Hexe sei, die sich in eine Katze verwandeln könne. Sie ward gefangen gesetzt und zum Tode verurtheilt, auch auf dem Marktplatze zu Aachen verbrannt, allein wo sie ihre Schätze hin versteckt hatte, gestand sie nicht ein.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 92-93.
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