1225. Der Balksee.

[996] (S. Hintze in d. Zeitsch. d. Histor. Vereins für Niedersachsen 1851 H.I.u.b. Köster a.a.O. S. 233.)


Der Balksee im südlichen Theile des Amtes Neuhaus an der Oste, am Rande der Wingst, einer hohen waldigen Heidegegend gelegen und seine[996] Fluthen zu Norden durch die Aue in die Oste entsendend, hat einen Flächeninhalt von 1000 Calenberger Morgen und ist deshalb der bedeutendste See im Bremischen. Die Umwohner erzählen sich von ihm verschiedene Sagen.

In alter Zeit stand an der jetzigen Stelle des Sees ein reiches Dorf, mit Namen Balk, dessen Bewohner ein dermaßen üppiges Leben führten, daß sie ihre Hausräume statt mit Sand mit reinem Weizenmehl bestreuten. Einst kam ein frommer Mönch zu ihnen, der ihnen ins Gewissen redete und sie aufforderte, Buße zu thun und von ihrem Uebermuthe abzustehen. Allein die schändlichen Prasser verlachten seine gut gemeinten Ermahnungen und jagten den Mönch unter Hohngelächter und Fluchen aus dem Dorfe nach der nahen Wingsthöhe. Kaum war derselbe aber dort angelangt und schaute auf seine Verfolger zurück, da sah er, wie Wasserfluthen aus der Erde quollen und Häuser und Menschen überwogten und für immer bedeckten.

Nach einer andern Sage hätte an der Stelle des jetzigen Sees früher eine reiche Stadt, Balk genannt, gestanden, deren Einwohner aber so verwildert waren, daß selbst die in dem dort befindlichen Kloster wohnenden Mönche ihre Pflichten vergaßen und weder mehr beteten noch läuteten. Einst kam ein Pilger aus fernem Lande hierher und bat ermüdet vom Marsch um ein Unterkommen. An welchem Hause er aber auch anpochte, überall ward er hart und böse abgewiesen, bis endlich eine arme Frau ihm gastlich ihre ärmliche Wohnung öffnete und mit Speise und Trank labte. Als der Pilger am andern Morgen Abschied nahm, fragte er die Frau, was sie für seine Aufnahme verlange, und als dieselbe antwortete: »Nichts«, da meinte er, sie solle sich wenigstens eine Gunst von ihm ausbitten, und sie bat: »Es möge die erste Arbeit, welche sie heute verrichte, kein Ende nehmen!« Nachdem nun der Pilger ihr die Erfüllung ihrer Bitte versprochen und sich entfernt hatte, nahm die Frau ihr Leinenzeug aus der Truhe und fing an solches zu recken, also daß dasselbe unter ihren reckenden Händen zu einem großen Haufen anwuchs, der sich haushoch vor ihr aufthürmte. Dies hörten aber ihre Nachbarn und beneideten sie schwer. Einige Zeit nachher, ums Osterfest, kam nun eben derselbe Pilger wieder nach Balk, ward aber sogleich von einer neidischen Nachbarin jener armen Frau erspäht und fast mit Gewalt gezwungen bei ihr Herberge zu nehmen. Sie setzte ihm das Beste vor, was sie auftreiben konnte, und als er am folgenden Morgen aufbrechen wollte, verlangte sie in ziemlich anmaßendem Tone von ihm dieselbe Gunst, welche er ihrer Nachbarin gewährt hatte. Anfangs wollte der Pilger sich nicht dazu verstehen, als sie aber immer mehr in ihn drang, gab er nach, ermahnte sie aber, sie solle sich wohl vorsehen, was sie thue, damit ihr die erbetene Gunst nicht Schaden zufüge. Die über diese Worte erboste Wirthin ergriff eilig im Zorne einen mit Wasser angefüllten an der Thüre stehenden Eimer und goß ihn dem forteilenden Pilger nach; allein von Stund an nahm diese ihre erste Arbeit des Wassergießens kein Ende, der Eimer blieb in ihren Händen, das Wasser ergoß sich und entquoll demselben so lange, bis Kloster und Stadt den Untergang in den Wellen gefunden hatten. Weil das aber zur Osterzeit geschehen ist, so pflegt der See namentlich beim Eintritt des Frühlings stets gewaltig zu rauschen und ebenso hört man aus seiner Tiefe herauf in der Osternacht die Glocken des mit versunkenen Klosters herauf läuten.[997]

Nach einer noch andern Erzählung waren die Einwohner jenes Dorfes Balk so übermüthig und gottlos geworden, daß sie nicht blos das Gotteshaus überhaupt nicht mehr besuchten, sondern auch noch die Geistlichen verspotteten und verhöhnten. Einst schickte einer der Dorfbewohner nach dem Priester mit der Bitte, er solle einem im Sterben liegenden Kranken Beichte hören, und als dieser sogleich mit dem Sacrament kam, um demselben die letzte Wegzehrung zu geben, und an das Krankenbett geführt wurde, da lag statt eines Kranken ein als Mensch angezogenes Schwein vor ihm da. Wie nun aber Alles über diesen angeblichen guten Spaß jubelte, da stieß der Priester einen schweren Fluch über das gottlose Dorf und seine Bewohner aus, der auch leider sehr schnell in Erfüllung ging. Bereits am folgenden Morgen früh wurden die Bewohner durch ungewöhnliches Rauschen aus dem Schlafe geweckt, denn aus allen ihren Aschen- und Feuerkuhlen krochen ihnen Aale entgegen, bald darauf entquoll allen Orten um sie herum Morast und Wasser, bis nach kurzer Zeit ein See das ganze Dorf verschlang.

Im Grunde des Sees ruht ein riesenhafter weißer Stier, in der ganzen Umgegend der Seebulle genannt. Den größten Theil des Jahres, so lange das Wasser offen ist, verhält er sich still und man merkt nur an den aufsteigenden Blasen und Wasserperlen, wo er liegt und Athem holt, und am aufquillenden Grundwasser, wenn er sich rührt. Sobald aber im Winter sich der See mit Eis überzieht, dann wird er unruhig, weil ihm die Luft entzogen ist, er steigt nach oben, sprengt durch sein heftiges, weithin vernehmliches, donnerähnliches Gebrüll die Eisdecke, so daß sich lange Borsten darin bilden. Je stärker der Frost ist, desto heftiger wird dann sein Brüllen und Toben unter dem Eise, worin er nächtlicher Weise auch mit den Hörnern Löcher stößt oder es mit seinem Athem aufthaut, so daß der Eisverkehr auf dem See dann sehr gefährlich wird.190

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Ueber einen ähnlichen Stier s. oben Nr. 662 S. 615.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 996-998.
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