[54] Georges dichterische Anfänge enthalten nur das was er als Zwanzigjähriger ganz besaß und bis zum Rand füllen konnte. Schon damals duldete er nichts Halbes, Leeres, kein Ungefähr. Die bequemen Füllsel der öffentlichen Bildung oder die wolkigen Vorwegnahmen der Jugendschwärmerei, verblasene Ideale, ungreifliche Ziele und entrückte Denkmale, sowie den ganzen Vorrat der ihm fremden Zeit hat er sich von vornherein versagt. Die ungewohnte Steile und Dunkelheit seiner ersten Bücher ist Abwesenheit der vertrauten Allgemein-inhalte und Mittel-werte, der lockeren und läßlichen Umgangsbilder und -wendungen womit die Epigonenpoesie sich begnügte, aber auch aller handfesten Rohstoffe und Gegenstände die der Naturalismus ankarrte .. kein Droben oder Draußen ging ihn an, bevor er es sich völlig einverleiben und anverwandeln durfte. Er konnte nicht wie noch Goethe mit Behagen aus dem wesensverwandten Erbe einer breiten Kultur schöpfen, und der Glaube an die Wirklichkeit der Rousseau- und Kant-ideale, der noch Schillers erste Werke schwellte und beflügelte, war erloschen. Er mußte ganz und nur in dem ihm zugemessenen eigenen Da-Sein haften, den Grund des ersten Schrittes sichern, ehe er den zweiten tat, jedes Wort meiden worauf der Menge Stempel fleckte, und lieber hart, eng, karg die bedingte Bahn wandeln als mit entlehnten Scheinreichtümern glänzen, mit unerworbenem Erbe wuchern, im unbeherrschten Raume schweifen.
Was war dem rein und sicher gegeben der zunächst weder Geschichte noch Zeit noch Ideale nutzen oder lügen mochte? Als Kraft die glühende Seele mit dem Drang zugleich nach Entlastung und Reinheit, nach Hingabe und Bewahrung, als Mittel des Ausdrucks die deutsche Sprache, als nächster Raum heimatliche Stätten – Landschaften oder Gemächer, als Gegenstände die Träger der Begier oder der Heiligung: Geliebte und Priester.
Georges früheste Gedichte worin er über die kindlichen Nachklänge und Nachempfindungen hinaus zu sich selbst erwacht, die[54] »Zeichnungen in Grau« und die Legenden der Fibel bewegen sich schon in dem Kreis dieser einen leidenschaftlichen Grundspannung, um die später seine Weltstoffe angeschossen sind. Wie Goethes Seele leidet und wirkt aus der Polarität von Formtrieb und All-Suche so die Georges aus der zwischen Leidenschaft und Weihe – zwischen dem rückhaltlosen Drang ins Einzel-Schöne und dem steten Willen schöne Welt zu schaffen, dem Ruf sich dem Gott zu opfern und dem den Gott zu bannen, ja zu zeugen. Jeder Mensch hat nur eine solche Grundspannung, wie er nur ein Gesetz, einen Leib hat: sie bedingt sich nach den Jahren, den Erfahrungsmassen, der steigenden oder sinkenden Kraft, so daß sie vieler Formen und Lagen fähig ist. George wäre seinen Zeitgenossen verständlicher, wenn seine Grundspannung der modernen Welt nicht fremd geworden wäre: man begreift wohl die heftige Leidenschaft, als Gefühlswallung oder Sinnentaumel, man begreift zur Not noch eine gewisse Erhebung oder Versenkung, doch man steht stumpf vor dem gleichzeitigen, gleichstarken und gleich unerbittlichen Verlangen nach tiefer Lebensglut und frommer Bindung. Man vermag beides nicht zugleich zu sehen und kann sich die eine nur durch Ausscheidung der anderen denken. Und doch beruht auf diesem Gleichgewicht mehr als bloß das Verständnis von Georges Dichtung: auch der Sinn seiner Sendung liegt darin daß ihn allein jenes Verlangen füllt nicht nur für sich, sondern für die Menschheit, die solch Gleichgewicht eingebüßt hat .. die ihre letzten Gluten wahllos verschleudert und zerstäubt, ihre letzten Weihen zu leeren Idealen oder billiger Mystik verbläst. Um diese furchtbare Gefahr – die »Entzauberung« der Welt durch Vergeudung der Erde und Aushöhlung des Himmels – zu wittern, zu wissen und zu bannen, mußte George schon als Knabe sie am eignen Leib spüren, und eben dazu aus gestattet sein mit der Grundspannung woraus all seine Worte, Bilder und Lehren stammen: denn es gibt kein wahres Wissen das nicht im Leib seinen Ursprung hat. Auch hier ist die scheinbar privateste Anlage Georges zugleich der persönliche Grund, der geschichtliche Wert und der ewige Sinn seiner Dichtung – und das allerinnerste Menschliche ist mit dem allerweitesten Göttlichen so geheimnisvoll eines wie der unsichtbare Same mit dem ausgefalteten Gewächs und dessen Wirkungsreihe. Hier waltet die »Coinzidenz[55] des Besonderen und des Allgemeinen« wie es Jakob Burckhardt nennt: das heißt die notwendige Entstehung auch der umfassendsten Ideen und Wandlungen aus der unabdingbaren Besonderheit der einmaligen und einzigen Person.
Die »Zeichnungen in Grau« der Fibel geben Georges erste Erschütterung und Spannung noch ohne eigene Sprache – doch schon ohne fremde – die schülerhaften Hüllen sind abgestreift, doch die Form, freie Rhythmen, ist noch befangen, ein schüchternes verhaltenes herbes Sagen mehr als ein Singen, ein unbeholfen trotziger Ausweg zwischen dem Ausdruckverlangen und der Ausdrucksscheu. Schon hier keinerlei bloße Redewendung, künstliche Aufschönung und Stimmungsnebel! .. manch eckige, gläserne und brüchige Stelle, aber keine einzige leere, schwiemelige, weichliche. Sie sind bis zum Rande gefüllt mit »Figur« und unter der Krust ungefüger Worte pocht und hämmert der heftige Puls. Dem Verfasser fällt das Reden schwer und er erschrickt vor dem Wagnis der eigenen Stimme die sein Inneres hinaustragen soll – das Wort ist ihm noch kein Gesetz, sondern erst Ausbruch, und die Scham der Enthüllung ringt mit der Lust der Entladung. Durchaus fehlt die Freude am Spiel, das Hofmannsthalische Wiegen in der beherrschten Klangfülle, das Behagen am hin und wider webenden Gleichnis. Kein Wie: das Gesagte ist wörtlich prall und schwer zu nehmen. Es hat den Sager genug gekostet es sich abzutrotzen, und es widersteht ihm einen Schmuck aus der Not zu machen. Freilich ist auch noch keine Gnade, keine Erlösung in diesen Skizzen – sie sind glanzlos, spröde, beinah heiser. Sie entstammen keinem gehobenen oder entzückten Nu, keiner bezauberten Wallung, und der rosige Nebel, die süß schwebende Jünglings-schwermut, die Frühreife der romantischen Lyrik ist hier eingesogen, weggesengt von der steten lichtlosen Glut einer unterirdischen Begier, worin heiße Sinnlichkeit und eiserner Wille sich durchdringen.
Die Begier wird zwar nicht als Sünde empfunden, aber als Gefahr und Lockerung .. mitten in dem schwelenden Düster hält der Jüngling fest an seinem Wunschbild von Reinheit, Höhe, Jugend, dem die Begehrte oder er selber sich opfern muß. Derselbe Kampf der sich bekundet in der Form dieser Versuche beherrscht auch die Motive. Die Suche und die Abwehr, die Anbetung und die Bewältigung,[56] der Ausbruch und die Selbstbehauptung sind nur als Seeleninhalte was die Verse als Sprachgebärde darstellen, und schon hier wird nicht von »Sünde oder Sitte« gesprochen, sondern von dem eingeborenen Adel der das Gesetz seines Trägers enthält. Das schwerste Leid ist, wenn
das göttliche ziel verschwindet
Und des augenblicks flamme
Ein bild von lehm verklärt.
Das ist der schüchterne Vorklang zu den späteren Versen:
Und wenn wir endlich unser gut umklammern
Daß es gekrönt verehrt genossen kaum
Den sinnen wieder flüchtet fahl und mürbe ..
All unsre götter schatten nur und schaum.
Aber noch kennt der Jüngling nur das Leid, nicht die Lösung dieses Schicksals .. noch gehört er zu den »Priestern die selber zum Opfer sich bringen«, da der Gott in ihnen sich noch nicht offenbart hat, und die ihn vernehmen, ohne ihn schon bannen zu können. Um diesen Punkt kreist Georges ganze Frühdichtung: den Gott aus sich herauszustellen, von dem er sich besessen und gepeinigt fühlt, das gepreßte Innen zu füllen in die entleerte Welt, kurz: dem Wort Fleisch zu schaffen.
Die drei Legenden der Fibel sind nur ein weiterer Schritt auf diesem Weg: sie haben wenn auch noch keinen volleren Ton, so doch bereits längeren Atem, dichtere Anschauung, festeren Stil und Abstand als die »Zeichnungen.« Auch hier noch dieselbe Scheu vor der rednerischen Ausladung, aber energisch eigenwilliges Wortgepräge und Satzgefüge .. die Zagheit vor der Sprache ist dem gewaltsamen Griff gewichen und der Dichter kündigt sich an der jedes Wort aus der Alltagsluft reißt und ganz in den einmalig eignen Sinnbereich bannt .. hier noch krampfhaft, ungestüm und gleichsam gegen den Willen der Worte die ihm später freudig oder fromm gehorchen. Er hat Herrschaft über die Sprache, aber eine Tyrannis, noch kein wahres Königtum. Auch das entspricht nur dem inneren Zustand den die Legenden als Inhalte wiedergeben: alle drei, »Erkenntnis« »Frühlingswende« »Der Schüler« zeigen das Ringen zwischen Leidenschaft und Weihe doch sie stellen es dar als persönlichen Zwiespalt,[57] als »Erlebnis« des puren Ich, noch nicht als Geschehen des welthaltigen Selbst und gesetzliche Form des überpersönlichen Seins. Antik gesprochen: sie sind noch »titanisch«, nicht »heroisch«.
»Erkenntnis« handelt von den Skrupeln der ersten leidenschaftlichen Liebe, die im ersehnten Wesen das unerreichbare Wunschbild wähnt, beargwöhnt, erschafft und zerstört. Die Enttäuschung oder der Zweifel an der Geliebten ist ein typisches Jünglingserlebnis und ein Grundthema aller Lyrik, doch nur George konnte daran als an Selbstentweihung leiden, da nur in ihm die wilde Begier und die Heiligung von vornherein untrennbar eines sein wollen: schon hier als dumpfer Trieb: Vergottung des Leibs. Es ist abermals eine unreife Vorform zu dem XII. Gedicht des Vorspiels, gefüllter, wissender, wilder als die erwähnte Skizze »an eine Sklavin«, doch immer noch ohne Lösung. Nur der Riß der Gegensätze, nicht ihre Überwölbung kommt zu Wort.
Dieselbe Erfahrung die hier von der Liebe aus gemacht wird zeigt sich in der zweiten Legende von der Weihe aus: die Liebe enttäuscht hier nicht, sondern stört die Weihe – diese ist hier der ursprüngliche, gemäße, fromm gehegte Zustand, wie dort die Liebe das alldurchdringende Glück und Leid ist. Dort fällt die Weihe der Leidenschaft zum Opfer, hier die Leidenschaft der Weihe. In der dritten Legende wird derselbe Gehalt nicht als eine Einzelerschütterung, sondern als eine Gesamtentwicklung dargestellt: das allmähliche Erwachen des bisher ganz dem Gottesdienst streng geweihten Adepten zum sinnlich schönen, gefährlichen Lebenszauber: zur »Weisheit der Leiber, der Blumen und der Wolken und der Wellen«.
Über allem Einzelnen wichtig für Georges Gesamtart ist uns die frühe Polarität, d.h. die Spannung dieser beiden Seelenmächte. Sein ganzes Werk beruht später auf der Einung beider nicht nur in seinem Ich, sondern zu einer Welt der lebenhaltigen Sprache.
Der Kampf zwischen Leidenschaft und Weihe kennt drei typische Entscheidungen: einmal den Satanismus, das Lucifertum, die titanische Abkehr von der unerreichbaren, doch im Herzen nie vergessenen Weihe. Urfaust, Byron, Baudelaire sind drei moderne Stufen dieser Lösung – die sich vom Genußtum und Triebtum der gewöhnlichen »Sünder« immer durch hoffnungsloses Heimweh nach dem Himmel[58] oder dem Gesetz sondert. Die zweite Entscheidung ist die priesterliche oder mönchische Weltflucht. Georges eigentümliche Größe ist daß er die dritte Lösung gefunden hat: den Drang als Weihe, die Weihe als Drang, eben die Vergottung des Leibs und die Verleibung des Gottes. Dem bloßen Sonder-ich, dem noch so genialen Eigenwillen, der titanischen Anstrengung bleibt diese dritte Lösung versagt: es ist eine Sache der Gnade, einer Allkraft der die Einzelseele eins wird.
Um ein Element das ihm ganz eigen und neu angehöre und dem er dennoch ganz sich einlassen, worin er sich ausweiten könne, um eine solche Eingebung, Eingießung sehen wir George schon früh ringen. Die bloße Leidenschaft ist für ihn solange Frevel, als er ein solches Element der Weihe nicht gefunden hat. Dem geborenen Dichter erscheint es als Verkündung, als Wort. Das Heilige will von ihm nicht nur gefühlt, es will geschaut, offenbart werden – und so erscheint der Engel mit dem er ringt dem Dichter schon früh als Sprache.
Die Sprache ist kein Einzelding, kein Handwerksgerät, kein Kleid, sie ist für den Dichter das Blut seiner Seele – und die Heiligung die diese fordert muß in seiner Sprache sein. So wenig der Alltagsbürger etwas ahnt von dem Bedürfnis nach Würde, und Reinheit so fremd bleibt ihm das Verlangen nach der geläuterten Sprache: beide gehören zusammen. Der Eingeweihte schweigt entweder oder er schafft sich seine eigene Sprache. Unüberbrückbar wird der Abstand zwischen der Alltagsrede und der dichterischen freilich erst in Zeiten entgotteter Gesellschaft. Die Sprache ist zugleich das Eigenste und Besonderste, die unterscheidende Gebärde des Dichters und das allgemeinste geistige Element das er mit seinem Volke teilt. Ein Schriftsteller der Ausdruck und Diener seiner Gesellschaft sein will wird mühelos deren Tonfälle und Inhalte nutzen und sie durch sein Temperament färben, durch sein Talent schmücken oder steigern. Dahin gehören etwa Horaz, Ariost, Voltaire. Ein Schriftsteller der vor allem seine eigene Seelenfülle entladen muß, als Urgeist oder Neugeist, wird neue Worte prägen, neue Klänge suchen und den gegebenen Sprachschatz umschmelzen und bereichern, aus verschollenen Bildungsschichten oder aus augenblicklicher Eingebung – wie der junge Goethe .. in kleinerem Maß jedes bloße »Genie«.[59]
»Genie« hat nicht immer den gleichen Wert: in gesellschaftlich gefügten Zeiten kann es ein Befreier und Erneuerer sein, in Zeiten der Seelenwillkür und der Allerweltserlaubnis ist die bloße begabte Einzelperson gleichgültig oder schädlich. Da hilft alle bloße Originalität nichts, sondern nur das über die Einzelbegabung hinausreichende, in ihr beschlossene welthaltige Gesetz. Es gibt für tiefere Menschen solcher Zeiten nichts armseligeres als den Trutz des puren Originalgenies: »ich bin ich selbst allein«. Es ist die Not Nietzsches gewesen diese Kluft zu überschwingen: das erhabenste Genie seit Goethe in einer Zeit, da bloßes Genie nichts mehr half, schon mit dem Wissen dieser Lage, – mit dem Willen, aber nicht der Fülle neuer Weihe, neuen Gesetzes, neuen Gottes. Denn »Weihe« hat man nicht als noch so große Person: sie ist Ausfluß und Zeichen eines ewigen Himmels oder einer neuen Welt. Weihe haben heißt welthaft gottgefüllt sein .. nicht durch »Erlebnis« oder Pathos oder Gefühlswallung oder erhabene Gedanken, sondern durch Sein, Tun und Wirken.
Auf der Geniestufe ist George schon in den Legenden .. sie haben eine völlig eigenartige Sprache, bis zum Bersten mit Inhalt gestopfte, bis zum Reißen gespannte Rhythmen, brennend zähe und scharfe Naturansicht, persönliche Erfahrung, Erkenntnis, Gesinnung und Seelenkunde. Die letzte Legende, nicht mehr krampfig geballt, schon gelöst und vollströmend, ist auch formal ein Meisterstück. Die Worte, die Grammatik, die Bildinhalte sind einmalig, sie gehören einem deutlich umrissenen unverwechselbaren Ich an, die Tonfälle tragen Georges heftiges Geblüt und stetigen Willen, und überall waltet eine gequälte ungeduldige Leidenschaft die nicht ihresgleichen in deutscher Sprache hat. Dennoch verkünden sie keine eigene Welt: sie stehen und fallen mit dem Ich ihres Verfassers. Sie haben noch nicht den ebenso unbeschreibbaren wie unverkennbaren überselbstigen Ton der sich weder machen noch lügen, weder rufen noch zwingen läßt, weil er dem Kairos untersteht. Ein reicher und starker Geist kann sein Ichbild und sein Weltbild durch den bloßen Willen hinausstellen. Die Wortwahl, die Zeichenwahl, sogar das Tempo, den größeren oder geringeren Nachdruck, alles Räumliche, Stoffliche und selbst Klangliche hat er weitreichend in der Gewalt die ihm überhaupt als einer Person zusteht, womit er »begabt« ist: aber mit aller Begabung[60] kann er den Seelenton nicht finden der ihn »zum Dröhnen der heiligen Stimme« macht, und der ganz allein das Zeichen der Weihe, der Einweihung ist, des Durchbruchs auf eine Ebene jenseits der bloßen Personalität oder des Einbruchs überpersönlicher Welt, Zeichen der wirkenden Einswerdung mit dem Urwesen, man nenne es Natur oder Gott.
Dieser Ton ist nicht wissenschaftlich zu erklären: man vernimmt ihn oder man vernimmt ihn nicht. Er gehört zu den Urphänomenen die nicht aufzulösen sind. Wo er fehlt verraten auch die erhabensten Inhalte und Aussagen das Nichtwissen, das Nichtinnesein. Wo er da ist hat die Einweihung stattgefunden, von was auch immer die Rede sein mag: es ist kein Orakelton und kein Prophetengetue, keine Aufhöhung, sondern eine natürliche Höhe. Z.B. ist der weltliche Shakespeare eingeweiht .. dagegen die ganze neuere Mystik und Theosophie bleibt altkluges Reportergerede, Hintertreppenklatsch übers Jenseits, nicht weil sie inhaltlich wahnschaffen ist, sondern weil ihr Ton die Leere und Plattheit verrät. Napoleons Proklamationen sind in jedem Sinn eingeweihter als die »Geheimlehren« der Indien-gänger. Auch mit »gutem Stil« hat der Ton nichts zu tun, wie er denn überhaupt durch Merkmale nicht bezeichnet wird. Merkmale lassen sich immer lernen und fälschen, bis sehr hoch hinauf. Wir verweilen bei diesem Punkt, weil der Durchbruch von dem persönlichen Stil der Legenden zu dem überpersönlichen Ton der Hymnen das entscheidende Ereignis für George und nicht nur für George ist. Der Ton ist kein ästhetisches Zubehör, sondern das Zeichen des seelischen Raums, der Welt welcher sein Finder und Künder angehört, und die ihn von allen heutigen Autoren trennt. Innerhalb dieses Raums haben erst seine Bilder und Sätze ihr Gewicht. Man muß sie in ihrem Ton hören: mit dem Es dem sein Ich sich eingelassen hat, das in sein Ich eingebrochen ist.
Welches Erlebnis George diesen Ton finden ließ hat er nicht ausgesprochen: die Findung ist selbst das Erlebnis und als solches leitet es das eigentliche Georgische Schaffen ein. Das Eröffnungsgedicht der Hymnen feiert die »Weihe« als Vision .. eine der ewigen Grundformen wodurch das Überschreiten des Ich-bannes, die Offenbarung weiteren Daseins, der Zuspruch der Gottheit, das Gewahr-werden[61] der Berufung sich dem seh- und sagewilligen Geist aufdrängt. Mächtiger als die noch konventionelle Erscheinung selbst kündet George den Zustand der ihn für sie reift: die vollkommene Verdichtung aller Kräfte auf das Ursprüngliche, Reinigung von »allen fremden Hauchen«, von »der Denkerstörung« (denn alles Grübeln gehört der bloßen Person an) Zurücktauchen in die vorgedankliche Einheit von Seele und All für die »Raum und Zeit nur im Bilde bleiben« – philosophisch ausgedrückt: unmittelbare Schau des Seins jenseits der Kategorien. Dies als dichterischer Zustand, als jähe Erleuchtung ist der Eingang zu Georges Werk.
Es bleibt bei ihm nicht ein einmaliges Seelenereignis: er hat die neu erschlossene Ebene schrittweise erobert, zäh behauptet und nie wieder verlassen. Er hat sich nirgends mit dem bloßen »Erlebnis« begnügt. Sein Kairos ist nicht der Einbruch der Weihe in den Unbereiten, sondern ihr Ausbruch in dem immer Bereiten. Ein neuer Raum, nicht ein neuer Inhalt war mit dem Ton gewonnen – Stimme, nicht Worte. Die Leiden und Spannungen Georges waren zunächst noch dieselben – nur spielten sie sich nicht mehr in der bloßen Gefühlssphäre ab, im maß- und bodenlosen Innern: ein Fußbreit festen Grundes, ein Gesetz war da. Die Sprache war durch die »Weihe«, – ihren Akt wie ihr Ergebnis – dem Bereich der Einzelwallungen und -schwankungen entrückt. Die Rettung der Sprache, die allererste Aufgabe des Dichters, noch ehe ihm objektive Ich- und Weltbilder glücken konnten, war gesichert.
Wodurch unterscheidet sich nun der neue Ton? Was bedeutet er neues im deutschen Schrifttum überhaupt, abgesehen von den Inhalten die er trug, abgesehen von Georges Charakter? Die frühere deutsche Lyrik, die liedhafte wie die odenhafte, die volkstümliche wie die kunstmäßige, kommt aus dem jeweiligen Einzeldrang der Gefühlswallung, auch wo mehrere Einfälle zyklisch gereiht werden. Die einzige Ausnahme macht der späte Hölderlin: seine letzten Hymnen sind das Schwingen eines lyrischen Dauerzustandes, das Ertönen anhaltender Weihe, beständigen Verkehrs mit den Göttern. Sie sind nur die dichterische Stimme eines dichterischen Schweigens – nicht die dichterische Unterbrechung eines Werktags, der jähe Ausbruch verschlossener Melodien in die Sprache. Der Zauber der Goethischen[62] Lyrik, die durch Höhe, Tiefe und Breite hier für die deutsche Gesamtlyrik stehen darf (Klopstock und Platen sind viel mehr lyrische Rhetoren als Lyriker) ist der immer neue einmalige Durchbruch, das »imprévu«, der Einfall, die »Gelegenheit«, das Auf und Ab – die Melodie, die Er-hebung, Schwellung, Ent-zückung, das »Motiv« (die »Bewegung«). Jedes solche Gedicht ist eine einheitliche Weltschwingung, ein geschlossenes Sonder-bild (Eidyllion) oder das Glied einer unendlichen Reihe. Der individualistische, protestantische Zug des deutschen Gemüts, der Riß zwischen Ich und Welt, der nur durch Sehnsucht, Ausbruch oder Aufschwung überbrückt wird, beherrscht auch seine Dichtung, und eben aus diesem Abgrund ist sie entstanden.
Die antike Lyrik (an der die katholische Hymnik und die romanische Versrhetorik miterzogen sind) setzt dagegen eine stete Festlichkeit voraus, einen durchgehends gehobenen Gesamtzustand der durch den Ton seiner stärksten, vollsten und dichtesten Stunden ausgedrückt, nicht aufgehoben oder durchbrochen wurde. Antike Dichtung ist Feier, nicht Wunder .. Weihe, nicht Gnade, und ihr Zyklismus ist geschlossenes Rund, nicht gereihte Kette. Es ist dabei gleichgültig ob die dauernde Festlichkeit, der stete Götterdienst, öffentlich oder priesterlich, esoterisch oder exoterisch war: genug, die Dichter waren nicht Improvisatoren ihrer persönlichen Erlebnisse, sondern Verkünder der gelebten Götterkräfte, sie hatten daher von vornherein einen durchgehaltenen Ton, eine durch waltende Rhythmik, die unendlicher Modulationen fähig war, aber keine Stegreif-melodien für jede Erregung.
Den Dauerton, das Zeichen der antiken oder katholischen Dichtgesinnung, hat George – polyphoner, schallender und gedrungener als Hölderlin – endgültig der deutschen Sprache erobert, nicht nur als eine persönliche Begnadung, sondern als eine Gesamt-Lage, als Stil, als Schule. Man mag seine wenigen freiwilligen und zahllosen unfreiwilligen Schüler einschätzen wie man will: zum erstenmal seit dem mittelalterlichen Minnesang (der europäischen, nicht deutschen Gesetzen folgte) gibt es in Deutschland durch und um George eine dichterische Tradition, nicht der Motive oder der Gattung, sondern des Stils. [Die schlesischen Schulen der deutschen Barockzeit waren[63] Rhetoren- und Gelehrten-Zünfte und haben mit Dichtung so wenig zu tun wie die Meistersinger.] Auch hier ist George antik als Deutscher und sein neuer Ton ist die Wiedergeburt, nicht die Nachahmung jener gesamtmenschlichen Ursprünge. Die katholische Hymne, Dante, Shakespeare und die besten romanischen Dichter haben aus verwandten Gründen gleichfalls die rhythmische Lyrik gegenüber der melodisch individuellen, und Gedichtkreise statt der Gelegenheitslieder. Wie Georges antike Lebensart ist auch sein Ton ein Wie das sich an jedem Was bewähren kann, eine Form des Gesamtsagens, nicht ein neuer Stoff.
Man hat nun die auffallende, Den anziehende, Jenen abstoßende Neuheit des Georgischen Tons, zumal eh seine Inhalte deutlich waren, erklären wollen aus technischen Kunstgriffen, aus allerlei den Romanen abgelernten Handwerksmitteln, eigentümliche Vokalauswahl, »audition colorée« und dergleichen. Das wird sehr überschätzt. So gewiß George ein Künstler ist und das Handwerkliche der Dichtung mit kundiger Sorgfalt pflegt, so falsch ist es, sein Können oder Wissen von seinem Sein, sein Handwerk von seiner Art zu sondern: es gibt bei ihm keine Einzelheiten, und noch seine Schreibweise, die kleinen Anfangsbuchstaben und wenigen Satzzeichen, bezeugt den selben Willen zur letzten Einfalt, zur harten Schlichtheit und dichten Sachlichkeit, zur Ausscheidung aller nicht für die Gestalt unbedingt notwendigen Erleichterungen und Schnörkel, Vermittlungen und Zierrate, der noch seine höchsten Gedanken formt. Es gibt für ihn nur das notwendige Wesen und dessen notwendigen Ausdruck: was nur verständlich und bequem, üblich oder leidlich ist hat in seinem Werk keinen Platz. Ein selbständiges Spiel mit bloß sinnlichen Formen und Lauten kennt er ebenso wenig wie eine selbständige vom Leib und Leben ablösbare Lehre. Die Betonung des Handwerklich-Sinnlichen der Dichtung in den ersten Heften der Blätter für die Kunst, das »Ästhetenhafte«, ist nur die zeitlich-erzieherische Abwehr der formblinden, bürgerlich-lehrhaften Kunstauffassung und -übung die damals gäng und gäbe war. Jene Sätze sind nur relativ zu nehmen mit Bezug auf die jeweilige Widerwelt: sie enthalten das was jeweils dem Draußen zu hören gut ist, nicht die ewige Wahrheit.
Die äußerste Klangreinheit, Bildfülle und Tonstärke sind allerdings[64] Gebote der Schönheit und der Weihe: sie sind mehr als ein »Formales«, sie gehören zur Verleibung des Gottes die Georges Religion ist, und nur von dieser Religion aus, nicht als Ateliergeheimnisse haben die Sprach-mittel Georges einen Sinn. Er hat sie nicht gemacht oder verwendet: sie sind mit dem unwillkürlichen Durchbruch des neuen Tons von selbst entstanden.
Aber freilich ist in den Hymnen die Rettung der Sprache, die Eroberung der Weihe noch eine neue Aufgabe und trägt die Zeichen jedes Durchbruchs an sich: die Gewaltsamkeit, die heraustreibende, übertreibende Scheu vor dem Rückfall in das Überwundene, das Pochen nach schwerer Müh, die Anstrengung des ersten Siegs. Dazu kommt noch der Mangel an äußerer Welt, an Weite und Wölbung, da George nichts berührt was er nicht füllen kann .. und noch eignet ihm ja nichts als das neue Wort für die steile und stete Spannung der einsamen Seele zwischen Leidenschaft und Weihe. Um diese Achse mußte gleichsam die »Sprache an sich« zunächst noch rotieren inmitten der leeren Zeit, noch geschichtsfremd und naturscheu. So erklären sich die Zwänge, Künstlichkeiten und Härten des Erstlingsbuchs. Es ist durchaus extrem und nicht nur die innere Dichte, die demantene Festheit des eigenen Gebildes lag dem Neuerer am Herzen, sondern auch die schroffste Abgrenzung, der zackigste Umriß. Der neue Ton sollte nicht nur ruhig da sein, sondern auch undurchdringbar und unnahbar den alten ausschließen.
Dein geist zurück in jenes jahr geschwenkt
Begreift es heut nicht welche sternenmeilen
Vom ort dich trennten wo die menschen weilen.
So hat George später vom schon gesicherten Sprachraum aus die beseligende und schaurige Ferne und Einsamkeit seines Durchbruchsjahres besungen. Die seltenen Worte, die gepflegte und abgewogene Klangfülle – zumal der runden und reinen Reime, die oft absichtlich gewaltsame Syntax: all das sind nur die Sprachgebärden des Dichters dem zum erstenmal die weltweite Kluft zwischen Eingebungswort und Mitteilungswort, zwischen »Urduft« und »Denkerstörung«, zwischen Schau und Gewohnheit aufgerissen ist. Auf keinem Wort durfte mehr der Menge Stempel flecken, jede Verknüpfung mit dem etwaigen Prosasinn, mit dem bloß schriftstellerischen oder gesprächlichen[65] Gebrauch der Worte sollte zerschnitten, am liebsten nur einmalige, erstmalige, nur dieser Dichtung erlaubte Worte geprägt werden .. »Worte aus Anschauungsfreude, aus Rausch und Klang und Sonne«, gereinigt von allem Staub des Verkehrs und der Bildung oder Lehre. Die Sprache sollte für George zuerst ein keuscher Urstoff sein, nur für ihn da, und eine Form seines Ich, nur durch ihn da.
Er hatte diesen dunklen dichterischen Urtrieb nach einem ganz unentweihten erst von ihm zu weihenden, ganz ungestalten erst von ihm zu gestaltenden Ausdrucksmittel schon als achtjähriger Knabe betätigt, also noch bevor er sich in irgendeinem Gegensatz gegen die Zeit fühlte: Jahre lang hat er immer wieder sich Geheimsprachen mit eigenem Laut- und Wortschatz, eigener Grammatik und eigener Schrift ausgesonnen. Diesen Drang hinunterzutauchen in die vorgedankliche Sprache, in das Blut und das dunkle Meer »Sprache«, ehrt er neben der Antike und der Kirche als einen seiner »Ursprünge« im Siebenten Ring, und er schließt dort eines seiner Gedichte mit Sätzen aus dieser Erstlingssprache. Wörtlich und tatsächlich zu nehmen sind die Verse:
Schon als die ersten kühnen wünsche kamen
In einem seltnen reiche ernst und einsam
Erfand er für die dinge eigne namen.
Also nicht aus einem Gegensatz, sondern aus einem Urtrieb kam Georges Sprachschöpfertum. Freilich konnte erst eine so völlig entweste, mit Ableitungen begnügte, stoff-fremde Zeit dies Sprachschöpfertum so deutlich, so leidenschaftlich und einsam machen. Es war ein kindliches Spiel aus dem bloßen Ich heraus ein Element zu ersinnen, es war ein Jünglingstraum und -überschwang den Ur-zauber aus dem Fernsten und Fremdesten zu erschaffen .. erst dem gereiften Dichter erschloß er sich im Gesetz mächtiger als in der Ausnahme, in der breiten Fülle reiner als in der einsamen Höhe, und er bewährte seine Gewalt nicht mehr knabenhaft in der Ersinnung eines neuen Mediums, nicht mehr jünglingshaft in der Erzwingung eines besonderen, sondern meisterlich in der Verwandlung des allgemeinen Elements.
In den ersten Büchern ist das Verlangen nach seltener Klangfülle[66] noch gefärbt mit der Lust am Fremden, und auf dieser Stufe wirken noch die Steigerungen und Filterungen der romanischen, vor allem der neuen französischen Lautkunst auf das Gehör des jungen Dichters. Er hat sie für sich triebhaft entdeckt, lang eh sie in Deutschland bekannt, geschweige Mode war. Georges Verhältnis zur parnassischen und symbolistischen Lyrik des Westens war durchaus sinnlich, nicht geistig .. weniger der gepflegte Geschmack, die abgefeimte Bildung hat ihn gelockt als die ungewohnten Tonfolgen und -fälle und die knappe Spannung, vor allem Baudelaires. Nicht die endschaftlichen Einzelinhalte, sondern den rätselhaften Duft, die gesammelten Energien und das unterirdische Pochen eines neuen europäischen Schauers, den Beginn einer unbürgerlichen Welt hat er darin vernommen und sich daran »verhört« wie man vom Versehen der Schwangern spricht: denn weit weniger bewußtes Lernen oder gar Nachahmen bewirkt den romanischen Flaum auf Georges Frühwerk als eine solche magisch-sinnliche Einwirkung.
Lag im vergnügen an faßlichen tönen
Die mir seit monden im munde dröhnen
Zu neuer erscheinung ein keim?
Von diesem Vers der Pilgerfahrten aus versteht man den »romanischen Fernzauber« dem Georges Anfänge unterlagen: die faßlichen und zugleich fremden Töne, die klare und zugleich satte Farbe, die bestimmte und zugleich entrückte Form der Nachbarn suchte er im deutschen Schrifttum vergeblich. »Luft die wir atmen gibt nur der Lebendige« .. alle großen Gedanken und selbst Gebilde deutscher Vergangenheit konnten ihn nicht nähren mitten in zuchtloser Banalität, schwammigem Behagen oder gierigem Lärm zeitgenössischen deutschen Versgeredes. Darum hatte er außer dem zwar sichern und gefüllten aber noch beklommenen und engen eigenen Muss, bei seiner Abwehr aller bloßen Bildung, bei seiner eigensinnigen Beschränkung auf das Urtümliche des Herzens und der Sprache, von der Sprache her zunächst keine Anregung, kein »Außen« als das lebende Frankreich. Als später englische und italienische, holländische und polnische Zeitgenossen in seinen Gesichtskreis traten, hatte er bereits seinen eigenen Sprachraum erobert und bedurfte keiner Anregung mehr. Rossetti, Swinburne, d'Annunzio, Verwey, Lieder konnten ihm[67] auf seiner Höhe nicht mehr das sein was ihm in seinen Anfängen Baudelaire, Verlaine und Mallarmé waren: beflügelnder Hauch und erster Fremdzauber.
Das weitaus wichtigste an den Hymnen und den Pilgerfahrten ist der neue Ton. An ihm bewähren sich zunächst das neue Menschentum und die neue Seelenebene die mit George erscheinen. In seiner Findung, in der Hebung und Rettung der deutschen Dichtersprache, im Durchbruch aus gesellschaftlichem Bildungsgerede und romantischen Gefühlsergüssen zum ursprünglichen Wort ist vorerst noch beinahe die ganze Kraft Georges gebunden und es wird nur wenig frei für Bild, Lehre oder Bekenntnis .. für dichterische »Selbstdarstellung« oder »Weltanschauung«. Von Georges späterer Entfaltung rückschauend kann man in der Art seines Sagens freilich schon erkennen daß hier mehr am Werk ist als gleichsam abstraktes Sprachschaffen, weil neue Kunde zuerst ein neues Künden sein muß, das neue Was ein neues Wie fordert: aber wer nach Motiven, nach ablösbaren Inhalten in den Hymnen suchte und noch nicht aus Sprachgeberden, Rhythmen, Tonfällen und Wortwahl die »Welt« eines Dichters vernehmen konnte der durfte von ihnen enttäuscht werden. Sie enthalten freilich keine Weltanschauung, keine tiefen Gedanken oder Sinnbilder, sondern zunächst nur »Weltart« noch eingebettet gleichsam in das Sagen, noch nicht herausgestellt als Gesagtes. Sie steckt mehr in der Motio als in den Motiven.
Die überpersönliche Weihe, die persönliche Liebesleidenschaft mit ihren Erhöhungen, Freuden, Bräuchen, Qualen .. die Spannungen zwischen Wunsch und Ruf, zwischen Ich und Du, die Jünglingshaften Begierden, Träume, Verzichte, – das sind die Beweger dieser Hymnen, aber alle streng beschränkt auf sinnlich umrissenen Raum, ohne gefühlsmäßige und gedankliche Ausladung. Straffstes Ansichhalten, ja Zurückpressen, und äußerste Verdichtung, lieber Härte und Nüchternheit als hohler Bausch und verblasenes Gewölk, keine Abstraktionen, keine großen Worte, sondern nur bezeichnende, lieber Bild als Erguß, und das Bild mit einem Mindestmaß von Rede .. weder Romantik noch Rhetorik, weder Schwung noch grüblerischer Tiefsinn. Angeborene Intensität und Großheit der Seele, unabhängig von der Größe der Stoffe und der Fülle der Erlebnisse die man nur[68] sehen, nie messen kann, geben das Gewicht: »Monumentalität« ist hier nicht Hoheit der Gedanken, Tiefe der Probleme oder Weite des Horizonts, sondern ein Urgepräge, wie etwa römische Nutzbauten nicht durch die Zwecke oder Ideale ihrer Erbauer »monumental« sind, sondern durch deren angeborene Macht.
Der moderne Mensch kennt Größe kaum noch als ein Urphänomen, sondern bemißt sie nach einem Quantum von Kräften, Inhalten und Wirkungen. Das ist an sich richtig und notwendig: denn diese sind das sicherste Zeichen und praktisch fast der einzige Maßstab der Größe. Geschichtlich ist niemand groß ohne die Bewältigung der Weltmassen, die sich in Leistungen, Inhalten, Wirkungen ausdrückt. Dennoch ist Größe vor diesen ihren Funktionen da und hat sie zur Folge, nicht zur Voraussetzung. Wer Größe erst aus einer Summe von Folgen, nicht als ein angeborenes Sein kennt, weiß nichts von ihr. Den ursprünglichen Seelenrang bestimmen keine Meßbarkeiten, und wie im Tierreich etwa nicht Gaben und Leistungen das angeborene Adlertum oder Spatzentum bestimmen, so auch in der menschlichen Größenreihe. Goethe ist nicht groß, weil er den Faust geschrieben, sondern er schrieb den Faust, weil er groß war und dies war er an sich, und wiederum ist der Faust nicht groß, weil er sich mit den ewigen Menschheitsfragen beschäftigt, sondern weil Goethes angeboren großer Seele diese Fragen begegnet sind. Früher oder später wird freilich jede große Seele die weiten Inhalte, Räume, Mittel suchen, um nicht zu ersticken. Aber wer Sinn für Größe hat muß sie nicht nur in der Ausdehnung, sondern in der Eindringlichkeit fassen, und dies ist die einzige Form unter der sie bei George zuerst erscheint. Seine Kraft äußert sich vor allem als Konzentration, Aufbau, Auswahl. Jedes Gedicht enthält in straffstem Gefüge einen Lebenszustand, eine Situation, aus jedem Wort wird das äußerste zugleich an Klang- und Bildwirkung herausgeholt, nichts bloß gebeichtet, das Ich als Er oder Du vergegenständlicht, Stimmungen zu Landschaften, Gefühle und Gedanken zu Geberden, Winken, Haltung verdichtet und entrückt. Das ganz gefüllte Bild, das lückenlose Gefüge, die geschlossene Schau bei solch leidenschaftlichem Beben des gehaltenen Tons und solcher Glut des in Bildern verfangenen Lichts, das ist das erste engste Zeichen des Willens zum Kosmos. Die Scheu[69] vor Ausbruch, vor Gefühlserguß, vor subjektiven Klagen und »Eröffnungen«, die Strenge, Ferne, Kargheit und Keuschheit, das ist das erste Zeichen für den Willen zum Gesetz. Wäre nicht der Ton, so könnte es dekoratives Genügen des »salbentrunknen Prinzen«, marmornes Parnassiertum sein. Aber Georges Herz, nicht der Geschmack verrät sich im Rhythmus und selbst in den Motiven, in dem was ihm zum Motiv werden kann.
Was Georges spätere Gedichte und Mahnrufe immer wieder enthalten, die Urlehre vom Fortgang des Lebens durch den Zauber, vom Schutz des heiligen Feuers durch die Gestalt, von der Bewahrung der Kräfte durch stumme Tat und heiliges Bild, seine bis zum Weltgraun gesteigerte Scheu vor der Lösung der Siegel, dem Zerschwatzen des Geheimnisses und dem Ausguß der Seele in töriges Spiel und lockere Geisterei – all das regt sich schon keimhaft in den Hymnen und Pilgerfahrten, noch nicht als Weltmysterium dargestellt und verkündet, aber bereits als heimlicher Selbstschutz einer gefährdeten Natur merkbar. Denn wer ist gefährdeter als der Empfängliche und Entzündbare durch die Reize der Sinnenwelt? Die süßen Stimmen raunen ihm inniger, die Farben leuchten ihm lauterer, und all ihre Fasern umsaugen und umdrängen ihn mächtiger und zärtlicher. Und wer ist versuchter sich hinzugeben, sich auszuschütten, sich zu erleichtern als das besessne Innere, das selbständige Herz dem Sitten und Gebote von außen keine Bindung bedeuten? Wer muß so erschütterlich und so verwundbar sein, so dehnbar und schwank wie die Träger geistiger Sendung? für sie gibt es keine Wände, keine Puffer und Schalen .. sie haben nackt mit den nackten Gewalten zu tun. Sie sind immer von Zerreißung und von Zerfaserung bedroht, wie die Lenz, Bürger, Lenau, wenn sie nicht wissentlich oder triebhaft sich schützen durch ein eigenes bindendes, hegendes und sammelndes Seelengesetz. Fast überängstlich hat George zuerst seine bedrohte und verlockte Seele mit Form, mit Augen- und Tast-zeremoniell umhegt, als einer der eine Gefahr ahnt, ohne sie noch zu kennen. Je deutlicher er sie erblickt, desto sicherer, kühner, freier bekämpft er sie, später macht er das Wort nicht mehr zum Versteck, sondern zum Leib der Weihe.
Schutz der Weihe vor den Sinnen und Wünschen, Verzicht der[70] Sinne und Wünsche vor dem Gebot der Weihe – das ist der Grund der Hymnen und Pilgerfahrten. Die Lockungen sind verschieden, von den lieblichen Stimmen eines Maitags im Park bis zu den verzehrenden Wunschbildern der Liebe und der Macht, von den leichten Spielen zärtlicher Geselligkeit bis zu den beschaulichen Wonnen des Frommen, von morgendlichen Hügellandschaften bis zu den schwülen Rauschnächten des Neusüchtigen .. Lockungen aus dem Geberdenkreis des Velazquez wie des Fra Angelico, aus dem Stimmungsbereich Watteaus und Baudelaires, immer verfangen und verhalten im rhythmischen Gefüge und in geberdeter oder räumlicher Sicht, nie bloß herausgeklagt oder -getönt. Wie die Bewegung dieser Reize begrenzt wird durch die strenge Form, so ihr Inhalt durch Zucht, Scheu und Stille:
Der Dichter auch der töne lockung lauscht
Doch heut darf ihre weise ihn nicht rühren
Weil er mit seinen geistern rede tauscht ... ..
Schon nahm er scheu das göttliche geschenk
Von leiser trennungswehmut nur betaut
Der klage bar des ruhmes ungedenk ... ..
Des glückes hoffnung mißt ich gern für immer
Nach deinem preise schlöß ich meinen psalter
Und spottete dem schatten einer ehre
Und stürbe wertlos wie ein abendfalter.
Wie auch immer »frommer Wunsch mit süßer Gier sich mischt«, nie darf die Erhebung und Versenkung der Seele gestört werden durch Mißklang und Unmaß. Maß ist freilich nicht die »aurea mediocritas«, sondern Harmonia, Zusammenklang der Seele mit dem Schicksal es sei wie es wolle – Ausgleich zwischen der Leidenschaft und der Weihe ohne Bruch, Riß, Schrei, ohne das Hadern oder das Toben des unbefriedigten Ich. Schon damals kennt George »vorm Schicksal wenig Klage, wenig Haß« und meidet »was siecht und vermorscht, was hastet und brüllt.« Eh ihm das Gesetz seines Daseins bewußt ist, erfüllt er es durch die dumpf-sichere gespannte, ja wohl überspannte Abwehr des Ungesetzes, und gemäß seiner damaligen Enge, Zärte[71] und Gefährdung findet er für dies Maßgefühl jene überfeinen Formeln die ihm das übliche Gelächter eingetragen haben:
In jenen chören
Wird jungfräulicher flaum den einklang stören.
Je strenger er seine eignen damaligen Grenzen spürt und schützt, desto strenger füllt er sie auch aus: er geht im Gefühl wie im Ausdruck immer bis an den äußerst möglichen Rand der Sprache und der Regung. Je enger der Kreis ist worin er sich noch bewegt, desto gepreßter und gespannter ist auch alles was darin geschieht, so daß man fürchten muß er zerreiße. Wenn er keine leere, bildlose, tonlose Stelle duldet, so glückt ihm noch selten eine gelöst quellende, frei ausladende und goethisch blühende ... Alle Kraft wird noch aufgezehrt von der Beherrschung des persönlichen Zwiespalts, und die Rundung die damit erzielt werden kann ist die eines gottbesessenen Ich mit seiner Sprache. Noch fehlt der äußere Raum worin dieses Ich seinen Gehalt entladen kann – es fehlt an sichtbar ausgefalteter Welt, zumal an ergiebiger Menschenwelt. Ein geliebtes Du, einige Landschaften, einige Gemälde und einige fremdartige Situationen (»Neuländische Liebesmahle«) waren das ganze Außen worin ein so überfülltes, weltdurstiges und weltmögliches Innere sich spiegeln oder gießen konnte, zu ehrlich um sich etwas vorzutäuschen, zu herb um mit so engem Stoff Mannigfaltigkeit zu spielen. Ein bloßer Gefühlspoet hätte mit solchem Innen eine ergiebige Beredtsamkeit entfalten können: für den ich-scheuen Sinnbildner, der nichts sagen durfte was nicht Bild, Form, Geberde war, wurde sein Reichtum an Spannungen zu einer künstlerischen Not und Gefahr. Es fehlt ihm noch an realen Bildern seines Sinnes, und so mußte er vielfach undeutlich schweigen, wo er am meisten gedrängt war, oder halb-sagen, weil er keinen ganz gemäßen Umriß fand. Den Ton für seine Bewegung hatte er gefunden, die Sprache für seine Weihe, aber noch nicht die Schau für seine Fülle – die Ausfaltung seiner intensitas, die Helle seiner Glut. Vieles von dem was man als gespreizte Ziererei und zeitflüchtige Genüßlichkeit verhöhnt hat, ist die peinvolle Ehrlichkeit des noch verschlossenen und umschränkten Charakters und seine keusche Weltsuche in ihren Anfängen. »Welt« ist nicht nur Kraft, sondern auch[72] Raum und Masse, nicht nur Gesetz, sondern auch Fülle und für den Seher Gestaltenfülle.
Es war Georges nächste Aufgabe, Qual und Lust, seine engen Grenzen zu erweitern und den spärlichen Anschauungsvorrat mit dem er bisher seine Innenfülle äußern mußte zu mehren. Erst allmählich reifte er der Augenwelt zu oder sie ihm. Erst langsam wuchs er zur Einsicht was seinem Gesetz unterstand und schrittweise eroberte er sich von draußen sein vorbestimmtes Erbe. Die eine Form die Dinge zu künden war ihm seit den Hymnen gewiß, um aber die tausend Formen der Dinge zu fassen bedurfte er eines Menschenalters. Nicht hastig ließ sich das ihm eingeborne Gesetz erfüllen durch sein Ich und mit Welt.
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