[191] Delarive. Madeleine.
DELARIVE. Ein Page, den ich nicht kenne –
MADELEINE. Mein Herr, daß Sie nicht jung, nicht alt, nicht hübsch, nicht häßlich sind, das kann ich mir selber sagen, ob Sie aber ein Mann sind, der sich Kammerherr Delarive nennt –
DELARIVE. Hat man dich kleinen Naseweis bei Sr. Majestät angestellt, während wir in Versailles waren?
MADELEINE. Es tut mir leid, mein Herr, daß man dies wahrscheinlich getan hat, ohne Sie zu fragen. Dies Billet soll Sr. Majestät dem König eigenhändig übergeben werden.[191]
DELARIVE. Von wem? Beiseite. Seiner Impertinenz nach zu schließen, scheint der Bursch dem ältesten Adel Frankreichs anzuhören –
MADELEINE. Untersuchen Sie den Brief nicht zu lange! Se. Majestät werden die Handschrift sehr bald erkennen –
DELARIVE. Wissen Sie nicht, daß Sie als Page keinen Brief annehmen dürfen, dessen Empfänger sich nicht genannt hat? Wie lange trägt man dieses Kleid? Beiseite. Ich glaube, es ist der junge Herzog von Crillon!
MADELEINE beiseite. Ich zittere an allen Gliedern; aber ich soll ja dreist und keck auftreten Laut. Erst seit einer Stunde.
DELARIVE. Ohne daß Sie dem diensttuenden Kammerherrn vorgestellt sind? Und dieser grobe Sammet, diese unechten Tressen –
MADELEINE. Sie sehen daraus, Herr Kammerherr, welche Unterschleife man sich in der Intendantur der königlichen Garderobe erlaubt! –
DELARIVE. Ich höre Se. Majestät – Fort! –
MADELEINE. Der Brief ist von einer Dame, mein Herr! Für den Fall, daß Se. Majestät mich als Boten der Antwort zu befehlen geruhen, wart' ich hier im Nebenzimmer – –
DELARIVE drängt Madeleine zur Seite ab. Diese grobe Uniform! Man möchte glauben, der Intendant borgt die Pagenkleider aus Molières Theatergarderobe –
MADELEINE im Abgehen. Oder die Theatergarderobe Molières kauft dem Intendanten die abgelegten Livreen ab. Kennen Sie die Geschichte von der plauderhaften Schere? Es war einmal eine Schere –
DELARIVE. Scheren Sie sich! Der König! Madeleine ab zur Seite.
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