Erster Auftritt.


[47] Santos. De Silva treten auf. Später Diener.


SILVA.

Und niemand ward inzwischen eingelassen?

SANTOS.

Er blieb allein, wie das Gesetz es will.

Als er ans Tor der Synagoge pochte,

Da hat er Gottes Finger wohl erkannt.

SILVA.

Mit Steinen wirft der Finger Gottes nicht.

SANTOS.

Doch in dem Zorn des Volkes mußt' er fühlen,

Was er zu fühlen selbst sich nicht gestand.

Verhöhnt, ohnmächtig, mit zerrißnen Kleidern,

Sank er im Hof der Synagoge nieder.

In Einsamkeit, von allem abgeschnitten,

Was die Betrachtung hätte stören können,

Erwartet er Befreiung und Versöhnung.

SILVA.

Daß er die eine wie die andre fände!

Vom Krankenbett der Mutter ward ihm nichts

Gemeldet?

SANTOS.

Seine Brüder wünschten Einlaß.[47]

Doch hätt' ihn die Gefahr der Mutter ängst'gen

Als Folge seines Fluchs erscheinen können.

SILVA beiseite.

Großmüt'ge fromme Vorsicht das!

SANTOS.

Auch Judith,

Manasses Tochter, die Prophetin Baals,

Die meinem Fluch die Spitze biegen wollte,

Bat oft um Einlaß –

SILVA.

Auch zurückgewiesen?

Ganz Amsterdam erfüllt die Schreckenskunde

Vom zweiten Sturz Manasse Vanderstratens!

Jochai, o, der hat es wohl verstanden,

Sich ihm als Sproß des reichsten Handelshauses

Mit künstlichen Umstrickungen zu zeigen.

Ein träumerisches Leben hat mein Schwager

In seinen Bildern, seinem Park geführt,

Und im gewohnten Gleise, sicher, sorglos

Trug ihm sein Pfund die immer gleiche Rente.

Da plötzlich stellt der junge Handelskünstler,

Der abgewiesne Schwiegersohn, ihm Fallen,

Wie sich's in London, in Venedig lernt,

Wenn man in einem Pfiff die Handelswelt

Auf eine einz'ge Kasse hetzend jagt.

Mein Schwager unterliegt – und Ben Jochai,

Von Liebesglut entzündet trotz der Rache,

Will jetzt, den Jammer, die Verzweiflung nutzend,

Die Hand zu friedlicher Entscheidung bieten.

Und welche kann das sein? Darf Judith zögern,

Dem Vater sich zu opfern? Muß sie nicht

Das furchtbar Schmerzliche, Verrat des Freundes,

Muß sie den eignen Tod nicht bieten können,

Um den zu retten, der nicht leben kann,

Wenn er in seinem Glücke nicht mehr lebt?

Was sie von Uriel wollte, Widerruf

Um Mutter, Brüder und um sie – das muß

Sie selber jetzt um ihren Vater können.

Und all das, alles habt Ihr ihm verschwiegen?

SANTOS.

Die Prüfungszeit verbietet mit der Welt

Jedweden, selbst den schriftlichen Verkehr.


Ein Diener bringt einen Brief.


DIENER.

An Uriel Acosta dieser Brief.

SANTOS.

Ihr wißt, daß er nicht angenommen wird.

DIENER.

Sein Bruder war es, der ihn brachte, Ruben;

Er bittet flehentlich ihn abzugeben.[48]

SANTOS.

Nehmt diesen Brief zurück – nicht ist's erlaubt.

Daß eine Botschaft in die Zelle dringe,

Wo Reue sich zur Buße vorbereitet.


Der Diener geht mit dem Briefe ab.


SILVA.

Wo stände das geschrieben? Ihr verhindert,

Daß sich ein stiller Seufzer zu ihm stiehlt?

Von Judiths kummervollen Nächten soll,

Vom Sturz Manasses nicht ihm Kunde werden?

Ihr wißt, er widerruft ja nur als Sohn,

Er widerruft um eine Braut. Die Gründe,

Daß er sich beugt, sie haben sich verändert!

Was ein verzweifelnd Herz der Liebe, was

Ein brechend Mutterherz zu melden hat,

Es ist nicht ehrlich, das ihm zu verschweigen.

SANTOS.

Seht dort den Greis Akiba, den der Glaube,

Sein festes Halten an Gesetz und Regel

Noch neunzigjährig wie verjüngt! – Acosta

Wird aus des Rabbi Hand das Formular

Des Widerrufs empfangen. Gehet draußen

Einstweilen zu der betenden Gemeinde

Nach wenig Stunden stillt Ihr Eure Sehnsucht.

SILVA.

Ich werde gehn, doch handelt weise mit

Dem Reuevollen, dem Ihr danken müßtet,

Daß eines solchen Mannes Unterwerfung

Den Zauber Eures Priestertums vermehrt!

Ich wünsche, daß sich dieser Tag zum Guten wende

Und daß Ihr seine Reue nicht bereut.


Ab nach außen.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 47-49.
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Uriel Acosta
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