2.

[20] Als im Beginn des diesjährigen Frühlings Benno von Asselyn mit seinem Freunde Thiebold de Jonge von Witoborn nach der Residenz des Kirchenfürsten zurückreiste, that letzterer »von seinem Standpunkte aus« alles Mögliche, die schmerzlichen Nachklänge des so gänzlich den »gehegten Erwartungen nicht entsprochenen« Witoborner Aufenthaltes zu mildern …

Was nur aus dem unerschöpflichen Born seiner guten Laune zu schöpfen war, gab Thiebold zur Zerstreuung bereitwilligst her, und sogar seine eigene Person …

Doch Benno blieb für alle Anschläge seines erfinderischen Genius unempfänglich …

Ja er verdarb Thiebold sogar den »Spaß«, daß dieser Extrapost nehmen wollte, um in der »Einsamkeit der Landstraße« den »gegenseitigen Gefühlen« Luft zu machen …

Benno kannte diese Thiebold'schen Extrapostfahrten mit ihren »gemüthlichen kleinen Aufenthalten« von vier bis fünf Stunden, ihren Nachtlagern, ihren Wirthshausbekanntschaften, ihren Abstechern auf gerade den Abend angesagte Casinobälle in kleinen Städten, zu denen sich[21] Thiebold sans gêne wie ein alter Stammgast einzuladen verstand …

Sie fuhren mit der Schnellpost und kamen auf diese Art rascher als mit Thiebold'scher Extrapost wieder zurück in ihre »laufenden Verhältnisse« …

Das durch vier Mitpassagiere auferlegte Schweigen über die Resultate der Witoborner Erfahrungen hatte etwas Feierliches … Thiebold verbrauchte seinen letzten Cigarrenvorrath mit Blicken der Resignation … Er gefiel sich in dem von ihm sonst so oft an Peter unerträglich gefundenen System des Au contraire gegen sämmtliche Mitpassagiere, deren Behauptungen ihm in der Regel unbegründet und haltlos erschienen, ob sie nun den Segen der zu erwartenden Ernte oder die projectirten Eisenbahnlinien oder die Zukunft der damals neuerfundenen Stahlfedern oder den Kirchenstreit betrafen … Thiebold wußte zwar, daß er durch seine unausgesetzten: »Erlauben Sie!«, mit denen er seine »thatsächlichen Berichtigungen« einführte, Benno zum stillen Märtyrer machte, aber es blieb ihm unmöglich, die Aufregung seines Gemüths, den »stellenweisen« Schmerz seiner Erinnerungen anders zu beschwichtigen, als durch eine auf fortwährende Berichte von »Augenzeugen« gegründete Polemik … Nur in der Nacht traten Pausen der Ergebung ein, die Thiebold theils durch Schnarchen, theils durch Seufzer ausfüllte … Hätte er nicht von Seiten Benno's das schnöde Wort: »Machen Sie sich nicht lächerlich!« gefürchtet, er würde von den Sternen gesprochen und die von Joseph Moppes immer so zart gesungene Arie mit nachgeahmter Waldhornbegleitung intonirt haben: »Ob sie meiner noch gedenkt?« …[22]

Als dann Thiebold seinem Vater hinter »Maria auf den Holzhöfen« über die »verfehlte Speculation« des Ankaufs der Camphausen'schen Waldungen, infolge des bedeutungsvollen Fundes der Urkunde und des Abbruchs aller Verhandlungen mit Terschka drei Tage vor der ihnen noch nicht bekannten Flucht desselben, berichtet und dafür ein: »Gesegn's Gott!« geerntet hatte, fand sich leider »noch immer die stille Stunde nicht«, nach der sein Herz sich sehnte, die Stunde, um mit Benno »alles durchsprechen« und das Thema variiren zu können: »Ist denn wol das alles ein Traum gewesen?« …

Benno hatte sofort mit den Berichten zu thun, die er Nück zu erstatten hatte …

Thiebold selbst war theils überhäuft mit Commissionen, die ihm die Stiftsdamen mitgegeben, theils war seine Ankunft die erfüllte Sehnsucht aller seiner übrigen Freunde, besonders Piter's, den Treudchen's Flucht ins Kloster und die bevorstehende mögliche Einkleidung des geliebten Wesens »rein in einen Schatten« verwandelt hatte …

Erst die überraschende Mittheilung, daß sich auf einer Reise nach England Wenzel von Terschka einige Stunden in der Stadt aufgehalten, ohne jemanden zu besuchen, brachte den »Austausch der Gefühle zuwege«, nach dem Thiebold so dringend verlangte … Eines Abends sechs Uhr war es, auf der Straße, die Sonne war noch nicht untergegangen, die letzten Austern, »auf die man sich allenfalls noch verlassen konnte«, waren aus Ostende angekommen … Ein stiller Winkel auf dem Hahnenkamm lockte mächtig … Benno wurde gezwungen zu folgen … Benno tadelte keinen einzigen Vorschlag, den[23] Thiebold über die Sorte Wein machte, die sie zu den noch »unbedenklichen« Austern wählen wollten …

»Terschka geht denn also nach England, um die Gräfin über die Urkunde und die gänzliche Veränderung der Dinge auf Schloß Westerhof in Kenntnis; zu setzen« …

Das war das wehmutsvolle Thema und anders noch konnten die Vermuthungen nicht lauten …

Die zweite Schlußfolgerung war die Ahnung von einer Heirath Paula's mit dem Grafen Hugo …

Die dritte die Unentbehrlichkeit Armgart's für Paula und demzufolge – die Heirath mit dem Freund des Grafen, mit Wenzel von Terschka, selbst …

Nie hatte Thiebold seinen männlichen Freund so kleinmüthig gesehen, nie so nachgiebig gegen jede Vermuthung … Benno lehnte selbst die Hypothese nicht ab, daß Armgart »keinem von ihnen beiden hätte wehe thun wollen« … Beide Freunde redeten sich in das Unergründliche so hinein, daß Benno sich zuletzt die schwarzen Locken aus der heißen Stirn strich, wild den Arm aufstemmte und alle jene Anklagen des Schicksals ausstieß, die Thiebold sonst »unmännlichen Weltschmerz« zu nennen pflegte … Heute »unterschrieb« er alles, was Benno in sein grünes Römerglas wetterte … De Jonge! Ich fand Ihre Entsagung natürlich … Ich würde Ihnen Armgart nimmermehr gelassen haben … Vergeben Sie mir diese offenherzige Sprache … Selbst auf Gefahr, Sie zu beleidigen …

Unter Männern volle Wahrheit! entgegnete Thiebold und stieß die leeren Austerschalen zurück, um für neue Platz zu machen, die er wie mit einem Mordmesser behandelte …[24]

Sie konnte in der That nur mich lieben! … Ich habe Vorzüge vor Ihnen … Nicht daß ich lateinisch, griechisch und italienisch verstehe, de Jonge … Sie sprechen englisch und spanisch … aber mein Vorzug liegt im Herzen! … Mein Herz kann lieben, das Ihrige nicht, de Jonge! … Morden Sie mich dafür mit Ihrer Austerngabel! …

Nein im Gegentheil! rief Thiebold und seine Augen leuchteten vor Begeisterung über seinen Freund … Nein! Sie haben recht! Ich schaudere über mich selbst … Ich kann lieben – nie aber auf die Länge! …

Thiebold schenkte mit wilder Geberde die Gläser voll … Sein ganzes Sein war aufgelöst in – Behagen nur allein über Benno's »edle Vertraulichkeit« … Ja, zum Beweise, daß er Ursache zum Zorn hätte, doch sich »zu mäßigen wünsche«, warf er sein Glas hinterwärts in tausend Scherben … Was kostet das? setzte er zum erschrocken herbeieilenden Kellner hinzu … Diese Stunde ist mir in dem Grade feierlich, Louis, erklärte er dem Staunenden, daß nie wieder ein Mensch aus diesem Glase trinken soll! Geben Sie mir aber ein neues! …

In dieser Art »sprachen« beide Freunde von sieben bis gegen Mitternacht in einer »stillen Stunde« ihre Witoborner und Westerhofer Erinnerungen, ihre Anschauungen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft »durch« … Beide Jünglingsseelen nenne man deshalb nicht oberflächlich in ihrem Schmerz … Männer bedürfen solches heftigen Ausbruchs ihrer Gefühle … Benno tobte und fand es unerträglich, daß der Kellner sich unterstand, mit dem Besen die Splitter zusammenfegen[25] zu wollen … Hinaus! rief auch er … Beide Freunde warm nicht im mindesten trunken … Das ist die Jugendkraft … Zorn, Eifersucht, Schmerz müssen in jungen Seelen solche Formen haben, um zu den einmal nicht zu ändernden Gesetzen des Lebens zurückkehren zu können …

Acht Tage nach diesem Abend, der nichtsdestoweniger in Benno's Seele nur neue Wunden schnitt, nicht heilte, erhielten beide Nachricht, daß Terschka entflohen und ein Priester, ein Jesuit war …

Das Staunen mußte das mächtigste sein … Sie erfuhren die unglaubliche Kunde zu gleicher Zeit mit der Nachricht, daß Terschka in England zu bleiben gedächte, sich unter den Schutz Englands stellte, seinen Glauben entweder schon geändert hätte oder zu ändern gedächte und ohne Zweifel von Gräfin Erdmuthe, die einen Triumph über das Papstthum, eine Genugthuung für die entsetzenerregende Urkunde sah, Verzeihung erhalten würde …

Ueber Terschka's Verhältniß zu Armgart mußte jetzt eine ganz neue Beleuchtung fallen und wieder begannen die Hoffnungen …

Bonaventura war es dann, der, unterwegs da und dort in Amtsgeschäften aufgehalten, erst vierzehn Tage nach ihnen eintraf und diese Thatsachen bestätigte …

Beide Freunde kannten Armgart's katholischen Sinn … Aber stand nicht Armgart jetzt unter der Leitung ihrer Aeltern, deren freisinnige Richtung allbekannt war? … Jeder wußte, daß Armgart's Aeltern sich um ihrer Principien willen ausgesöhnt hatten … Graf[26] Hugo ist Lutheraner, hieß es auf Nück's Schreibstube, Terschka wird zum Grafen Hugo zurückkehren … Nück aber erklärte dies in Rücksicht auf Oesterreich für unmöglich …

Bonaventura kam trauernd, ernst und schweigsam … Es bestätigte sich: Er war Domcapitular geworden … In so jungen Jahren … Sein schnelles Emporsteigen auf der Staffel der geistlichen Würden war eine Folge der immer heftiger gewordenen Kämpfe mit der Regierung … Die alten Bewohner des Domstifts erlagen diesen Aufregungen … In auffallender Schnelligkeit raffte der Tod die schwachen Greise hinweg, die nicht mehr wußten, wie sie sich zwischen ihren geistlichen und weltlichen Oberhäuptern in der Mitte halten sollten … Der Kirchenfürst und sein Kaplan Michahelles blieben gefangen …

Bonaventura's Stellung zum täglichen Gottesdienst veränderte sich infolge seines Aufsteigens … Doch bei feierlichen Gelegenheiten trat sie in desto höherer Bedeutung hervor … Gleich die Osterzeit theilte auch ihm den ganzen Nimbus mit, den gerade in diesen Tagen die katholische Kirche um sich zu verbreiten weiß … Auf die goldenen Gewänder, die Fahnen und Baldachine fällt gerade in dieser Zeit auch zugleich der Strahl der ersten Frühlingssonne … Jerusalems Palmen grünen in den noch kalten Kirchen … Ueber den Garten von Gethsemane breitet sich das abendliche Dunkel der Vigilien … Selbst den Hahn der Verleugnung glaubt man bei all diesen Nachbildungen der heiligen Leidens- und Ostervorgänge in den katholischen Kirchen rufen zu hören –[27] so weiß man das Alte wach zu halten … Bonaventura bedurfte dieser schönen Phantasmagorieen, um – sein Leiden zu mildern und – sein Denken zu unterbrechen …

Die Beichten kamen wieder, die Prüfungen in dem kleinen Flüsterwinkelchen, das Bonaventura nicht aufgeben durfte … Renate bat ihn um Schonung seiner selbst … Ihr Pflegling kam von Witoborn zurück um Jahre älter geworden … Mittheilsam sprach er ihr wol von der Mutter und breitete alles aus, was diese ihm für die alte Dienerin sowol, wie für ihn selbst mitgegeben … Aber es drückte ihn Schmerz und Unmuth … Er war umsponnen von wie viel geisterhaften Fäden! … Vision und Wirklichkeit hielten ihn in einem steten Zauberbann … Seine alten Zimmer behielt er in dem großen Gebäude des Domstifts … Gerade weil er so viel Neues in seinem Herzen trug, hatte er das Bedürfniß, äußerlich es beim Alten zu lassen …

Bonaventura sah Benno wieder, sah Nück, auch Lucinden … Wie gewaltige Veränderungen waren vorgegangen! … Aeußerlich sowol, wie innerlich … Benno konnte er nicht sehen ohne die tiefste Rührung … Immer und immer empfand er den Reiz, dem Freunde die Binde von den Augen zu reißen und ihn ohne Rückhalt über seinen Ursprung aufzuklären … Noch aber fehlten die vollen Verständigungen darüber mit dem Dechanten und seinem Stiefvater … Von Stunde zu Stunde mußten sie kommen …

Nück war und blieb Bonaventura ein Gegenstand des Grauens … Der Unheimliche umschlich seinem Beichtstuhl und gab nicht undeutlich zu erkennen, daß er[28] von mancher Bürde frei zu werden wünschte … Bonaventura lenkte die Geständnisse, die bald aus diesem Munde an sein Ohr drangen, auf den Brand von Westerhof, auf die Urkunde … Nück stellte sich da völlig nichtwissend … Aber bei den Verirrungen seiner Phantasie blieb er stehen und fragte eines Nachmittags geradezu, was die Kirche riethe, wenn man sich von allen seinen Sünden und Schwächen aufraffen wolle und es auch könne, jedoch von dem einzigen dazu verhelfenden Mittel eingestehen müsse, daß es nicht minder der göttlichen Verzeihung bedürfe … Bald kam die fast geflissentliche Hindeutung auf Lucinden … Das war die ganze Absicht dieses Beichtstuhlbesuchs … An Wahrheit und Aufrichtigkeit konnte einem Nück nicht gelegen sein … Warum sprach er von einem Wesen, das er nicht nannte, das ihn frevlerisch bestricke, von einer verzehrenden Glut ihres Athems, von seinem Bedürfniß, sich von einem so starken weiblichen Willen beherrschen zu lassen, ja daß er schon jetzt nichts mehr ohne sie thäte? … Nück sprach von einer Aenderung seines ganzen Lebens, von einer Aufgabe seiner Geschäfte, einem Zurückziehen ins Privatleben, von Ankauf eines Gutes, von Reisen in südliche Gegenden … An allem ist sie betheiligt! sagte er seufzend und so betonend – als wollte er nur den Priester selbst damit durchbohren …

Das rauhe, struppige Haar des hochberühmten Rechtsgelehrten neben ihm flößte Bonaventura den tiefsten Abscheu ein … Er beeilte sich, von dem häßlichen Bild dieser Seele hinwegzukommen … Abschüttelnd, was vom sogenannten Molinismus oder der Jesuitenmoral[29] in solchen Fällen des Verhältnisses der größern zu kleinern Sünden gerathen wird: Sei wie die entwöhnende Amme! Verwandle, was du dem Sünder bietest, erst in einen dem Kind die gewohnte Milch vergegenwärtigen den Brei! sprach Bonaventura:

Was sind das für geringere Sünden, mit denen man größere austreibt! … Lesen Sie die Schrift und Sie werden David's Leidenschaften und seine Reue finden! … Ich will Sie an den Knaben David erinnern, wie er den Riesen Goliath erschlug … Er hielt sich zu seinem Schleuderwurf fünf Steine bereit, obgleich ihm der Riese wol nicht für die Abschleuderung des zweiten Zeit gelassen hätte … Ein Uebel rottet sich am besten dadurch aus, daß man ihm die Nahrung nimmt … Ergreifen Sie noch vier andere Leidenschaften, ich meine edle Leidenschaften … Sie werden dann an die unedle fünfte nicht mehr denken … Beten Sie ein Ave auf dem Hügel der letztbegrabenen Angehörigen Ihrer Familie … Friedhöfe zu besuchen, das wäre eine der Leidenschaften, die ich meine … Legen Sie sich vier solcher steten Reservebeschäftigungen Ihres Thuns an und Ihre Phantasie hat eine Milderung …

Hendrika Delring war gemeint …

Was gibt es Heilenderes, als die Erinnerung an unsere Vergänglichkeit! … Bonaventura wußte nur nicht, wie wenig Nück's verirrter Seelenzustand am Tode ein Grauen empfand …

Lucinden sah Bonaventura oft genug, nur nicht mehr im Beichtstuhl, den er verboten hatte …

Er sah sie besonders in der Zeit, wo die Kattendyk'sche[30] Familie sich nach Witoborn zu den Exercitien der Frau von Sicking begab …

Statt ihrer hatte sich erst Johannens Verlobter, der Professor a.D. Guido Goldfinger, an diese Uebungen anschließen wollen … Da der praktische Mann jedoch angefangen hatte, sich, erst »nur der Zerstreuung wegen«, auf Delring's verlassenen Comptoirsessel zu setzen und Pitern im Familieninteresse der Jahresdividenden zu überwachen, so ging mit der Mutter und Schwester die Frau Oberprocurator …

In dieser Zeit war Lucinde tagelang in den Kirchen, flüchtete auch oft in die Rumpelgasse zu Veilchen Igelsheimer, auch auf den Römerweg zu Treudchen Ley …

Nück, in übermäßiger Freude über das gänzliche Verschollensein des Brandstifters Jan Picard, nicht einmal belästigt von dessen Drohbriefen um Geld, beruhigt sogar über Hubertus, der in der That mit Pater Sebastus auf Flucht nach Rom war, lebte nur seinen jetzt doppelt entfesselten Begierden … Er suchte Lucinden mit allen nur erdenklichen Kundgebungen seiner Gefühle zu umstricken … Er vernachlässigte seinen Beruf und gab sich Blößen vor allen seinen Arbeitern … Benno bestätigte, was Bonaventura schon aus dem Beichtstuhl wußte … Sie wollen mich jetzt verlassen, jetzt?! rief Nück Benno und seine Augen traten in ihre Höhlen zurück und ließen nur einen einzigen weißen Schimmer sehen … Sie dürfen nicht! Sie müssen bleiben! … Und ich habe es gut mit Ihnen vor! lenkte er ein. Sie müssen eine glänzende Carrière machen … Dieser Staat hier bietet Ihnen nichts … Herr von Asselyn, Sie[31] bleiben? Wenigstens bis zum Herbst? … Ich wickle dann mein Geschäft ab und gebe meine Praxis auf … Werden Sie mein Nachfolger oder – ich erfinde noch etwas ganz Anderes für Sie … On ne marche qu'avec les hommes! sagte Mirabeau, fuhr er fort … An Menschen hänge dich an … Die nur tragen dich, wie der heilige Christophorus das Kind übers Meer trug … Meinungen, Ueberzeugungen, Pflichterfüllung – pah – das ist all nichts … Ich setze Sie auf die Schultern von Menschen – ja des ersten Mannes in der weltlichen Christenheit und Ihren Cousin, den Domcapitular, auf die Schultern des ersten Mannes in der geistlichen … Nur durch Menschen kommen wir vorwärts …

Benno, von Nück oft so auf Kaiser und Papst verwiesen, lachte, hatte aber die tiefste Abneigung gegen ihn … Da er in der Proceßfrage der Camphausen arbeitete, hinderte ihn die eigene Theilnahme, von Nück zurückzutreten, wie er am Tage nach dem Auffinden der verdächtigen Urkunde gewollt hatte … Den Regierungsrath von Enckefuß sah er oft … Er mochte von seinen Ahnungen nicht selbst beginnen und dieser wollte entweder durch Schweigen seine Maßregeln verschleiern oder war zu sehr vom Antreten seiner eignen traurigen Erbschaft in Anspruch genommen … Dionysius Schneid durch Steckbriefe zu verfolgen, wie Herr von Enckefuß schon auf Schloß Westerhof vorgeschlagen, hatte Levinus von Hülleshoven nicht unterstützen wollen, obgleich die Spur des Verwundeten aufzufinden unmöglich war … Hubertus, der ihn geborgen, wurde vernommen, aber seine Aussage lautete auf ein freiwilliges Weiterwandern[32] eines Abenteurers, der für Pater Ivo und Löb Seligmann in den Gewölben einer Klosterkirche verschwunden war … Löb Seligmann hatte sich noch nicht veranlaßt gefühlt, in einer so frommen Gegend mit Zeugenaussagen hervorzutreten gegen Klöster und hohe Adelssitze …

Eines Tages – es war gegen Pfingsten – erhielt Bonaventura folgende Zeilen:

»Hochwürdiger Herr! Eine Novize bei den Karmeliterinnen, Gertrud Ley aus Kocher am Fall, wünscht schon seit lange Ihnen Beicht zu sprechen. Herr Cajetanus Rother verhinderte dies. Jetzt ist er lebensgefährlich erkrankt und bedarf eines Substituten. Es wird Ihnen ein Leichtes sein, von der Curie diese Stellung zu erhalten. Sollten Sie von dem Gerücht, daß Sie Comtesse Paula magnetisirten, Unannehmlichkeiten haben, so wollt' ich Ihnen nur bemerken, daß, wenn auch jeden, der sich auszeichnet, Neid verfolgt, doch in diesem Fall die Intrigue der Frau von Sicking bei Witoborn die Veranlassung etwaiger Verdrießlichkeiten ist …«

Der überraschende Brief war ohne Namen, konnte aber nur, die Handschrift bewies es, von Lucinde kommen …

Bonaventura war aufs Aeußerste betroffen … Von der »Seherin von Westerhof« hatte er überall unbefangen gesprochen … Die »Intrigue der Frau von Sicking«? … Diese Dame war von ihm vernachlässigt worden; er hatte gleichgültig von ihren Bußunternehmungen gesprochen … Dafür konnte sie an ihm Rache nehmen? … »Paula magnetisirt?« … Die Geistlichen der Michahelles'schen Richtung beklagten allerdings,[33] daß Paula's Ekstase keine rechtgläubig religiöse war … Die Indifferenten lächelten öfters zweideutig, wenn sie mit Bonaventura von seiner Reise sprachen. Der Weihbischof, ein Greis, hatte ihm manches mitgetheilt, was hinter seinem Rücken gesprochen wurde … Sogar der Onkel Dechant hatte ihn in einem seiner jetzt öfter als sonst geschriebenen Briefe gewarnt vor bösen Gerüchten, auch Hunnius und Rother als seine Gegner genannt … »Gib Acht«, schrieb er ihm, »greift die Intrigue um sich, so verbieten sie Dir trotz Deiner hohen Stellung noch den Beichtstuhl … Halte Dich nur mit dem Generalvicar, der ein, aufgeklärter Mann ist …«

Bonaventura hatte sich gelobt, Lucinden zu betrachten, als wäre sie nicht mehr für ihn auf der Welt … Er hatte zu Renaten, als ihm diese mittheilte, jeden Abend ginge eine verschleierte Dame an einem auf eine kleine Gasse hinausgehenden Fenster seiner Zimmer vorüber und sähe minutenlang hinauf – bittend gesprochen: Reden Sie doch nicht mehr davon! … Er wollte Lucinden vergessen … Er wollte den Muth zeigen, sich nicht zu fürchten vor ihren Drohungen … Bei jeder Leiche, die er segnete, sah er im Geist den Sarg von St.-Wolfgang offen und Lucinde mit dem »Geheimniß über sein Leben« ihn anstarren wie die Sphinx … Er wollte auch jetzt von diesen Zeilen sich nicht erschüttern lassen, wollte nicht durch zu langes Verweilen bei ihrem Inhalt Lucindens wahrscheinliche Absicht unterstützen, mit Gewalt wieder Posten in seinem Innern zu nehmen … Der Abschied von Paula lag zu schmerzhaft noch auf seinem Gemüth … Er sah immer näher kommen,[34] was ihm und Paula der Tod war, die von den Standesrücksichten gebotene Ehe derselben mit dem Grafen Hugo – mit dem Geliebten der leichtsinnigen und verlorenen Schwester Benno's! … Das waren Fernsichten, gegen deren Düster das nächste Leid verschwand …

Da kam in der That ein Brief von der Curie, worin ihm die Inspection der Klöster anzeigte, daß die Damen auf dem Römerwege wünschten, ihn für die andauernde Krankheit ihres Beichtvaters bei sich in Stellvertretung zu sehen … An der kurzen Dauer, in der sich die Curie für die Genehmigung dieser Bitte entschied, sah er doch nur einen geringen Widerstand, der sich gegen ihn zu regen wagte … Freilich bürdete man ihm nur zu schnell jede neue Last auf …

So ging denn Bonaventura eines Tages in erster Morgenfrühe auf den Römerweg …

Er gedachte der ihm so werthen Gertrud Ley, gedachte, wie wol Paula von diesem Kloster zu sprechen pflegte, wenn die Rede ging, daß sie möglicherweise den Schleier nähme … Hier betete Schwester Therese, die ehemalige Verlobte des Pater Ivo, für das Heil der umnachteten Seele ihres Freundes, dem sogar noch ein Gelübde seiner entferntesten Ahnen zu einer Gewissensfrage hatte werden können … Immer lehnte er die Wahl gerade dieses Klosters ab; denn sich Frauen denken zu müssen unter einem geistlichen Führer, wie Cajetan Rother, mußte ihm der Anblick des – von Würmern zernagten heiligen Brotes sein … Er gedachte: Ist dies Haus, das so ganz versteckt und verbaut, äußerlich kaum neben einem kleinen Kirchthurm erkennbar,[35] zwischen dem Waisen- und Jesuitenprofeßhause liegt, der Himmel auf Erden oder die Hölle? … Wer ergründet das? … Die Bischöfe dürfen wol zuweilen diese nur den Frauen gewidmeten Räume betreten; sie dürfen in die Zellen blicken … Auch die Wahl eines fremden Beichtvaters, statt des gewöhnlichen, steht den Nonnen frei … Aber wie viel Dinge sind erlaubt und man versagt sie sich doch … Wie viel Klagen ersterben in Rücksichten … Wehe denen, die in einem Gemeinwesen etwas wagen, das dem allgemeinen Esprit de corps widerspricht … Bei den Nonnen macht sich vor allem die weibliche Natur selbst geltend, die räthselhafte Gattungsstimmung, für die die Männer selten richtiges Verständniß haben … Die weibliche Natur wird an die Gesetze des Lebens, an Hinfälligkeit und Schwäche mehr erinnert als wir … Die Männer bindet dann der Geist; ihre irdische Natur können sie zuweilen abstreifen … Frauen aber stehen immer im Zwang eines gleichen Naturlooses und entbehren der völlig freien Selbstbestimmung … Daher denn in einem Nonnenkloster der doppelt und dreifach gebundene Wille … Ein einziges Gefühl bemächtigt sich aller; der Instinct leitet sie; selbst die Freisten werden hinübergezogen in ein allgemeines Sklaventhum …

Das alles wußte schon Bonaventura … Dennoch hoffte er auf Ausnahmen … Verließ ihn selbst doch nicht die Vorstellung: Wer weiß, ob nicht eines der großen Benedictinerklöster in Oesterreich dir die Weltentsagung in anderem Lichte zeigen würde, als das Kloster Himmelpfort mit Klingsohr und Pater Maurus! …[36]

Die Aebtissin, die er fand, war eine Greisin … Am Stabe daherwankend empfing sie den Domkapitular, der mit der ganzen männlichen Würde seiner äußern Erscheinung und in seinem Ornate kam … Sie geleitete ihn in die Kapelle, wo sich die Vorrichtungen des Beichthörens befinden … Das Kloster war von keiner zu strengen Regel … Einige der Schwestern widmeten sich der Erziehung im Waisenhause, wohin sie durch ein Gewirr von Gängen gelangen konnten … Die Annäherung des hochgefeierten Priesters schien Himmelsmanna für die verhungerten Seelen … Da und dort tauchten eilende Gestalten auf hinter den Gittern der kleinen Kirche … Leben und Bewegung, wenn auch geisterhaft und leise, regte sich ringsum … Dicht am Tabernakel befand sich ein Zimmer … Hier konnte sich Bonaventura ungestört allein angehören … Ein Zugfenster zurückschiebend, sah er in einen düstern Gang, von dem ihn ein einfaches, nicht wie am allgemeinen Sprachgitter übliches doppeltes Gitter trennte … Die Nonnen treten nicht frei in die Kirche. Sie wohnen selbst der Messe nur durch die vergitterten größeren und kleineren Mündungen ihres Klostergebäudes bei … Hier und da diente ein kleiner Ausbau aus der Kirche ins Kloster zu Beichten, wenn deren mehrere zu gleicher Zeit zu nehmen waren bei etwaiger Ueberfüllung an Bewohnern …

Bonaventura nahm in einem dieser kleinen Glaskästen Platz, während sein Akoluth Vorrichtungen traf zur Messe, die er hier morgen halten wollte … Mit dem Pfingsttage naht die österliche Zeit ihrem Ende …[37] Schon waren die drei »Bitt-Tage« vorüber. Die morgende Vigilienfaste gehörte diesem Kloster als ein ganz besonderer Gründungs- und Seelenläuterungstag …

Es war draußen heiß, in der Kirche kühl … Hinter einem Gitter, das Bonaventura nicht ganz übersehen konnte, saßen die Harrenden in ihren braunen Kutten mit leichten weißen Mänteln und weißen Schleiern, einen schwarzen ledernen Gurt um den Leib … Von jeder, die sich ihm nahte, hörte man auf dem steinernen Boden das Knarren der groben Lederschuhe, die anderswo die heilige Therese entfernt hat, als sie aus den Karmeliterinnen Barfüßerinnen machte, wie ihr Freund, der heilige Petrus von Alcantara, den Orden der Franciscaner verschärfte …

Wer sollte glauben, daß auch diese abgeschlossene Frauenwelt Erlebnisse zu berichten hatte … Ihre Verrichtungen waren so einfach … Gebet, Messe, Essen und Trinken, weibliche Arbeiten, Singen, Beten und Schlafen … Das war die Ordnung jedes Tages, etwa bei vier oder fünf ausgenommen, die Unterricht gaben – eine Licenz, zu deren Erlangung bis nach Rom hin hatte berichtet werden müssen …

Nach den ersten fünf oder sechs Beichten, die schon die Zeit bis fast gegen elf Uhr einnahmen – Treudchen Ley mußte als Neuling bis zuletzt bleiben – übersah der still horchende und murmelnde Märtyrer schon das ganze Seelenleben eines Nonnenklosters … Die hochbetagte Oberin sprach wie ein Kind … Sie schien seit Jahren dieselben Fehler zu bekennen … Sie hatte am[38] Rosenkranzgebet einzelne Kugeln übersprungen … Sie hatte um des geliebten Schlafes willen sich einigemal krank melden lassen … Sie hatte bei einem Uebermaß von Fliegen in ihrem Zimmer sie durch eine Jagd getödtet in den Zwischenpausen ihrer – Gebete … Alledem sprach Bonaventura milde und den Fehl eigentlich in anderm suchend, als die Beichtende ... Da seine Gewohnheit war, durch eine plötzliche Querfrage eingelernte Beichten zu durchkreuzen und lehrreiche Stockungen des Gewissens hervorzubringen, so gestand ihm auch diese gute alte Frau zuletzt ein, daß sie allerdings in Streit und Zank lebte … Zunächst galt dann das Bedürfniß der Neue über leidenschaftliche Ausbrüche ihres Temperaments einer – Henne, die regelmäßig vom benachbarten Profeßhause der Jesuiten über die Mauer flog und durchaus ihre Eier hier bei den Karmeliterinnen im Garten legte. Um diese Henne und um diese Eier war das ganze Kloster in Aufruhr! … Die Aufwärterin von drüben, die Hanne Sterz, begehrte von der verflogenen Henne die Eier und im Kloster war man verschworen, sie nicht herauszugeben, die Vicarin ausgenommen, Schwester Therese … Das war nun die große, wochenlang alles ergreifende Frage unter diesen Frauen … Daran waren alle betheiligt … Wie oft saß Bonaventura zu St.-Wolfgang in seiner Jasmin- und Nachtviolenlaube und las die Worte der Braut im Hohen Liede: »Erquicket mich mit Blumen, labet mich mit Aepfeln, denn ich bin krank vor Liebe!« oder er übersetzte Lope de Vega's Sonett von jenen beiden Frauen, von denen Eva sogleich nach reisen Aepfeln griff und alles verlor,[39] Maria aber nur nach der künftigen Blüte aus der Wurzel Jesse und alles gewann – Renate konnte aber auch da während dessen mit den Nachbarn um Aepfel zanken, die über den Zaun gefallen waren, um Trauben, die bei ihnen reisten, während der Stamm im Pfarrgarten stand … Auf alles das ist ein katholischer Priester auch in der Beichte gefaßt … Daß sich aber auch ein Kloster von achtzehn Bewohnern um die Eier einer Henne in Gewissensscrupeln befand, entsetzte ihn – um Paula's willen …

Die Schwestern dürften die Eier der Gartenverwüsterin und Klosterfriedensbrecherin dem Nachbar vorenthalten, entschied er, wenn sie dies in der Absicht, zu strafen, thäten und die nachlässige Besitzerin der Henne gewöhnen wollten, ihre Henne besser zu hüten … Sie würden es aber wahrscheinlich mit Schadenfreude gethan und sich am Besitz der Eier listig erfreut haben … Da wäre es denn freilich ein Raub … »Sammeln Sie jetzt die Eier und sind es ihrer jedesmal eine Mandel, so schicken Sie sie nebenan ins Waisenhaus!« …

Als die Aebtissin mit diesem Bescheid gegangen war, kamen die alten Nonnen zuerst … Das Warten schien ihnen beschwerlich zu fallen … Rother hatte es auch so eingeführt, wahrscheinlich, um sie rascher zu entfernen … Fanatismus für Formalitäten, wie er namentlich im ehelosen Stand die Frauen mit der Zeit alle Stadien der Qual für sich und andere durchmachen läßt, sprach sich umständlich genug aus … Einige hatten dabei ein nervöses Zucken, andere eine Sprechweise, die vor Ueberhastung nicht einen einzigen geordneten Satz vorbringen[40] konnte … Dann hatte die Art, wie die von ihm auferlegten Bußen sofort ausgeführt wurden, wenn er den sich Entfernenden nachsah, etwas Erschreckendes durch den Mechanismus und den eiligen Eifer der Formalität ohne jeden Duft der Innerlichkeit … Das Schönste am Weibe, die scheue Unsicherheit in solchen Bewegungen, die der Natur und dem sonstigen Triebe des Weibes widersprechen, fiel hier weg … Das Zusammenleben in einem weiblichen Freistaat hob die Grazie auf, die aus dem Zusammenleben mit Männern entspringt … Er sah eine Nonne eine Betglocke an Stricken so hastig ziehen, wie eine Magd den Brunnenschwengel regiert, wenn ihr Salat wartet … Alles wurde mit dem reizbarsten Fanatismus hervorgebracht; die Regel der Tagesordnung, der Küche, der Bekleidung, des Backens, das Scheuern, Beten, Singen und Gewinnen von Geld durch weibliche Arbeiten, wie Blumenmachen, Stickereien, Wäschenähen und -zeichnen – alles wie im Krampf … Eine beaufsichtigte die andere und ganz ersichtlich war es, daß hier nur die geringeren Seelenthätigkeiten des Menschen in beständiger Erregung blieben … Man denke sich die alte Mönchsregel, die einst Sebastus zu Bonaventura wiederholte: »Wir Mönche kommen zusammen und kennen uns nicht, wir leben zusammen und lieben uns nicht, wir sterben zusammen und beweinen uns nicht!« – angewandt auf Frauen … Das weibliche Herz verknöchert, das angeborne Bedürfniß der Liebe erstarrt! …

Die Schulschwester Beate und die Vicarin Therese folgten sich unmittelbar … Wie war jene so häßlich mit ihren Zahnlücken … Und dabei war sie die Einzige,[41] die dennoch zu lächeln versuchte – mit Wehmuth zu lächeln … Sie hatte noch Formen des Zusammenhangs mit der Außenwelt … Vorzugsweise schien der Geist der Intrigue in ihr mächtig zu sein … Sie allein klagte Rothern an … Sie sagte, sie wäre durch die Reihe der Jahre gewohnt, das Sakrament der Buße zu leicht zu nehmen … Sie schlüge sich oft mit der Geißel um Fehler, die sie nur so eingestünde, um vor den andern nichts voraus zu haben … Bonaventura ließ sich nicht irre machen, er rüttelte an der nur halbgeöffneten Thür des Gewissens und sah bald, der hinterhaltige Sinn des starkwilligen Mädchens öffnete nicht … Sie blieb bei Oberflächlichem und mußte, da sie zuletzt nur noch gestand, ihr Herz wol zu sehr an ein Hündchen gehängt zu haben, hören, daß dies allerdings eine Sünde wäre, wenn sie dem Hunde die Liebe schenkte, die sie den Menschen versagte … Voll Unmuth und Staunen über dies Wort erhob sie sich nach der ihr auferlegten Buße, drei Tage lang im Waisenhause für sich allein, ohne Bericht an die Direction, nie einen Fehler mit Züchtigungen zu bestrafen, sondern nur mit Worten … Bonaventura hatte ihre Heftigkeit erkannt … Sie verschwand eilends nach einer entgegengesetzten Seite hin, als die andern Nonnen …

Schwester Therese, die ehemalige Freiin von Seefelden, war klein und blaß und schien mehr von Ergebung, als von Seelenschmerz verzehrt … Sie gehörte scheinbar jener seltsamen Stimmung ihrer Standes- und Stammgenossen an, die die Begriffe der Etikette, Conduite, Tournüre vom Leben auch ohne alles weitere[42] Nachdenken auf das Verhältniß zum geoffenbarten Gott und zur Kirche übertragen … Auch sie zeigte zunächst kein besonderes inneres Leben. Sie hatte nur Formfehler zu beichten und Nachlässigkeiten, die sie sich in ihrem Unterricht zu Schulden kommen ließ … Bonaventura rieth nur auf sie aus der feinern Sprechweise und dachte sich: Das ist also die Nonne, von der eine ganze Landschaft spricht und der sich Paula als Freundin zu nähern hofft! Welch ein Nimbus umgab sie aus der Ferne und nun – wie war auch sie schon abgestorben – schon so schattenhaft geworden – …

Am Schluß der Beichte, die ihn Zweifelhaft ließ, ob er wirklich mit der Verlobten des Pater Ivo, des Mariensängers, gesprochen, rührte ihn die Selbstanklage, daß sie sich freute über jeden Tag, wo im Waisenhause der Schulunterricht ausgesetzt wäre … So auch auf morgen …

Widmen Sie sich dieser Thätigkeit nicht mit voller Befriedigung? … fragte Bonaventura …

Nein – lautete die zögernd gegebene, aber aufrichtige Antwort …

Bonaventura tadelte eine solche Geringachtung der Versüßung des Klosterlebens …

Hochwürdiger Vater, sprach Schwester Therese, das Kloster und das Leben gehen nicht Hand in Hand … Wir sind Erzieherinnen, ja – aber die rechte Erziehung, die Erziehung zur Freiheit des Lebens kann nur von der Freiheit kommen … Die Kinder wollen dem Leben erzogen sein und wir kommen nicht aus dem Leben …

Mein Kind, entgegnete Bonaventura nichtzustimmend,[43] jeder Christ muß in seinem Innern eine Stelle haben, um die es nur allein wie der Friede eines Klosters weht … Selbst im rauschendsten Gewühl des Lebens, selbst im höchsten Genuß der Kraft und der Freude soll die Christenheit etwas achten, was ungefähr dem Leben mit ewig bindenden Gelübden gleichkommt … Für diese heilige Stelle im Gemüth erzieht man überhaupt und erziehen Sie … Selbst die Mütter können so nicht erziehen, wie die Erzieherin … Die Mutter steht zu sehr unter dem Eindruck des eigenen Lebens, um Kindern immer allein den Werth des Hohen und Göttlichen und der von allem Erdenwust befreiten Bildung zu vergegenwärtigen … Wollen Sie nicht in diesem Geiste erziehen? …

Schwester Therese blickte einen Moment mit leuchtenden Augen auf und ging, wie es schien, ermuthigt für ihr langsames Sterben im Kloster …

Bonaventura sah ihr voll Wehmuth nach … Er hatte den Schmerz, sich sagen zu müssen: War denn dein Wort auch wol mehr, als nur eine Phrase? … Du fürchtetest zu hören, daß selbst das Lehren und Unterrichten der Jugend einer vom Leben getrennten Kaste nicht gebühre; du fürchtetest, daß dir wol gar noch die letzte Glorie des Klosterlebens, die Krankenpflege, als Anhalt deines gläubigen Sinnes entzogen würde? …

Zum Nachdenken über solche Zweifel blieb indessen keine Zeit … Neue Stimmen murmelten schon … Kleinigkeiten und Kleinigkeiten … Rother gehörte zu denen, die da lehrten: Die Kirche will alles, auch das Kleinste wissen! »Was ist kleiner«, predigte Beda Hunnius[44] über die Beichte, »als Regentropfen! Und dennoch entstehen daraus Ströme, die Häuser niederreißen! Was ist kleiner, als ein Sandkorn! Aber überladest du ein Schiff damit, so wird es in den Abgrund fahren!« Und darauf hin verlangte er in der Beichte jeden Regentropfen und jedes Sandkorn aus dem Privatleben seiner Gemeinde zu wissen …

Wie sprach da wieder Eine mit der Geschwindigkeit einer Flattermühle, die im Korn die Spatzen verscheuchen soll … Welche Fülle von Sünden gab es auch noch unter den Heiligen … Die ganze Stufenfolge der »sieben Todsünden«, der »sechs Sünden in den Heiligen Geist«, der vier »himmelschreienden« Sünden und der neun »fremden Sünden« … Und als kannte die Schwester Küchenmeisterin vollkommen die Unterscheidung dieser neun »fremden Sünden«, in welchen der Mensch erstens zur Sünde rathen, zweitens die Sünde befehlen, drittens in die Sünde einwilligen, viertens nur passiv zu ihr reizen, fünftens die Sünde loben, sechstens zu ihr stillschweigen, siebentens dieselbe übersehen, achtens selbst daran theilnehmen und neuntens sie bei etwaigem Anlaß blos vertheidigen kann – so blitzten alle diese Facettirungen der Jesuitendialektik auf in der Klage über die Verhältnisse des Marktes, der Speisekammer, des Backens, des dabei vorgekommenen Naschens und aller möglichen Sorglosigkeiten … Hier tauchten jetzt auch zwei halb- und drei ganze Novizen auf und im sprudelnden Mittheilungsdrang zum ersten male mit Namennennung Treudchen Ley, die nach Bonaventura's Warnung,[45] Niemand zu nennen, dann als die Kostgängerin bezeichnet wurde …

Manches Wort aus dem lebensklugen Jesus Sirach, dem Montaigne und Knigge der Bibel, war eigene wie für die Schwester Küchenmeisterin geschrieben … In ihren Bekenntnissen liefen ganz harmlos auch die Schüsseln mit unter, die im Kloster für Cajetan Rother zubereitet und in seine Wohnung geschickt wurden … Am Sprachgitter der Eingangspforte mußten Schachteln und Körbe immer unterwegs sein, denn selbst seine Wäsche ließ der Pfarrer im Kloster waschen – sodaß es Bonaventura nicht Wunder nehmen konnte, von der folgenden Nonne, die die Schwester Wäschmeisterin war unter den heißesten Thränen ein Bekenntniß zu erhalten wo plötzlich wieder Namen fielen wie Eva und Apollonia Schnuphase …

Die Wäschmeisterin beichtete:

Vor vierzehn Tagen kam ein Korb auf einer Kare vor der Thür des Klosters und so schwer stand am Gitter, daß die Damen Schnup –

Keine Namen! sagte Bonaventura …

– die gerade im Kloster waren, selbst, sie vor dem Gitter zu heben, angreifen mußten … Sie sagten, es wären lauter neue Servietten für die Wirthin »Zum goldnen Lamm« … Sie wollten den Korb zum Zeichnen in die Zelle der Gertrud Ley tragen …

Keine Namen! wiederholte Bonaventura aufs strengste …

Ich sehe den großen Waschkorb und sage: Die Zelle der Kostgängerin ist dafür nicht groß genug … Der[46] Korb muß in die Nähstube … Die beiden Fräulein widersprachen … Ich werde darüber zornig und sage: Ich denke, ich bin hier die Wäschmeisterin! Nun ergaben sich die Damen – Sonst so hochmüthig und vornehm – heute trugen sie mit ihren feinen Händen und Handschuhen den Korb selbst und das fiel mir auf … Durchaus wollten sie damit zur Kostgängerin … Diese war im Chor … Sie lernte singen … Wie die beiden Fräulein so durchaus den schweren Korb, statt in die Wäschstube, an der wir schon standen, in die Zelle bringen wollten und niemand auf dem Gange war – die Schwestern waren alle im Chor – sagte ich und schon mit Furcht und Ahnung zu dem Fräulein Eva, der Aeltesten: – Was ist das heute mit dem Korb? Gleich machen Sie auf! … Da wurden die Mädchen blaß wie die Wand und nun ich das sah, da riß ich selbst den Korb auf und – heiliger Joseph! – statt Wäsche stak – eine Mannsperson unter dem Deckel …

Bonaventura mußte der Bekennerin Kraft zur Sammlung lassen …

Ich weiß nicht, hochwürdiger Vater, fuhr sie fort, wo ich es hergenommen habe, daß ich nicht sofort in Ohnmacht fiel … Ich schrie: Herr! Verlassen Sie jetzt nicht sogleich auf demselben Wege, wie Sie hereingekommen sind, so auch wieder hinaus dies Heiligthum unsrer allerseligsten Jungfrau und des gekreuzigten Jesus, so zieh' ich hier an der Glocke und rufe das ganze Kloster zusammen … wehe dann Ihnen und Ihren Helfershelferinnen – Und Sie, meine Fräulein, wandte ich mich zu diesen – Aber nun konnte ich nicht weiter …[47] Die beiden Nichtswürdigen fielen in die Kniee und baten um alle Wunden Jesu, sie nicht zu verrathen … Ein Glück für sie, daß die Orgel so laut ging … Der junge Mann stand noch im Korb und wollte herausspringen, zog auch eine volle Börse, die er mir in die Hände drücken wollte … Nein, schrie ich, danken Sie allen heiligen Märtyrern und Bekennern, daß die Schwestern im Chor singen und die Nähstunde schon geschlossen ist … Entfernen Sie sich augenblicklich! … Damit drückte ich den jungen Mann, so vornehm und stark er war, wieder in den Korb hinunter, zwang ihm den Deckel über den Kopf und die beiden Damen mußten ihn selbst wieder an beiden Henkeln zum Sprachgitter hinausschleppen, wo sie sich bald damit verhoben hätten, um ihn nur an die Oeffnung hinaufzubringen … Da waren denn zwei Kerle, die schon auf alle Fälle bereit standen, nahmen die Last wieder an sich und trugen sie zur Straße hinaus wieder auf die Karre …

Bonaventura konnte bei diesem auf Treudchen berechneten Besuch nur an Piter Kattendyk denken …

Und Ihre Sünde? … fragte er nach einer Weile, ohne sich das Bild: Piter im Waschkorb, in seinem komischen Effect – zu lange auszumalen … Er fühlte sogar Antheil der Freude über einen Beweis so großer Liebe, die Treudchen hatte gewinnen können …

Sünde? Daß ich den Vorfall – verschwieg – sagte die erschöpfte Wäschmeisterin …

Verschwieg? Einer pflichtgetreuen That soll man sich gegen niemanden rühmen …

Muß das Kloster nicht gesühnt werden? …[48]

Nein …

Die beiden ruchlosen Frauen kommen noch immer und ich lass' es zu …

Sie werden sich bessern …

Als der Korb und die Frauen hinaus waren, rannt' ich umher wie sinnlos und –

Mußten es los werden? … Erzählten es also doch? …

Die Beichtende schwieg …

Sie waren mir also jetzt eben unwahr! … Das ist ein Frevel – ich will ihn verzeihen … Die natürlichste Mittheilung, die Sie jedoch machen konnten, war die bei dem armen Kind, dessen Ruf durch diesen Vorfall so heillos bedroht wurde … Thaten Sie das?

Der Pfarrer hat –

Die Stimme stockte …

Dann ergänzte sie zagend:

Hat befohlen, ihr davon nichts zu sagen und – ohnehin – mit ihr kein Wort zu sprechen, das nicht – heilig ist …

Bonaventura konnte nicht die Befehle seines Vorgängers brechen … Er konnte ohne Gefahr für die geistliche Würde nicht fragen: Warum nur Geistliches mit Treudchen Ley? … Er half sich wie öfter in diesem Theil seiner römischen Zauberkunst und hielt sich an die Gesinnung, die sich eben, im Bekennen, offenbarte, nicht an den schwierigen Fall selbst … Er hatte die Nonne auf Lügen ertappt … So sprach er denn von dem bedenklichen Vorfall selbst nicht mehr, sondern von der Wahrheit, deren Umgehung schon Adam mit[49] Nachtheil sich hätte zu Schulden kommen lassen, als er den Genuß der verbotenen Frucht auf Eva schob, und schon Eva, als sie die Schuld wieder der Schlange zuschrieb … Die Lüge der Lügen nannte er es aber, wenn man mit dem ausdrücklichen Schein, wahr sein zu wollen, dennoch lüge … Er legte der Wäschmeisterin eine Buße auf, die seiner immer mehr zunehmenden Reizbarkeit und dem Verdruß, daß hier Alle etwas ausgeplaudert bekamen und nur Die nicht, der dadurch ein Beweis entging, wie sehr sie geliebt wurde, entsprach … Er befahl ihr, sich der nächsten Beichte der – Kinder im Waisenhause anzuschließen, und sagte:

Mein Kind! Als Erwachsene lerne etwas bei dir behalten! …

Die Wäschmeisterin entfernte sich mismuthig …

Das Läuten einer Glocke, die eine Nonne mit der schon geschilderten Hast zog, zeigte Bonaventura an, daß er schon drei Stunden im »Holz der Buße« gesessen hatte … Nur die Spannung, ob denn nicht endlich auch Treudchen Ley erscheinen würde, gab ihm Kraft, noch auszuharren …

Da sah er denn endlich den Gang daher kommen eine kleine Gestalt im braunen Kleide – unverschleiert … Ein Häubchen bedeckte den Kopf, der ihm aus dem Dunkel des Ganges allmählich erkennbar wurde … Ein halbes Jahr hatte die lieblichen Züge des jungen Kindes, das schon so viel des Trüben erfahren hatte, mit melancholischer Verhärmung angehaucht … Die blonden Haare, die bald unter der Schere der Klosterregel fallen sollten, waren in der unkleidsamen Haube[50] versteckt … Um so edler traten die Formen des blassen Antlitzes selbst hervor … Die Melancholie hatte ihnen nichts von der angebornen Schönheit nehmen können …

Treudchen näherte sich mit gefalteten Händen …

Sie schien von einem Gebet zu kommen und leuchtete wie eine Verklärte …

Hoffnungstrahlend und doch zaghaft schritt sie näher und legte jetzt, wie Bonaventura sah, mit ausbrechenden Thränen ihr Haupt auf das Holz, einer Verbrecherin ähnlich, die den Todesstreich erwartet …

Was geht nur in dieser kindlichen Seele vor? dachte sich Bonaventura … Welche Verwüstungen hat ein ruchloser, langsam, aber sicher wühlender Priester, der sie ohne Zweifel in diesem Kloster festhalten will, in ihr angerichtet? …

Schon hatte Bonaventura, da Treudchen noch schluchzte, angefangen aus ihrer Seele zu beten und, wie sie für die Beichte gelehrt war, den Heiligen Geist anzurufen, der dem Menschen erleichtere, sich selbst zu erkennen – da vernahm er hinter sich in der kleinen Kirche ein auffallendes Geräusch …

So wenig ihn sonst beim Spenden des Bußsakraments Reden, Singen, Wandeln in der Kirche zu stören pflegte, jetzt mußte er sein Haupt von der zusammengeschlagenen Stola erheben … Er hörte einen lebhaften und unziemlichen Wortwechsel zweier Männerstimmen …

Sein eigener Akoluth war es, der ihn begleitet hatte,[51] und der Meßner vom Berge Karmel drüben, die miteinander stritten …

Kaum hatte Bonaventura einige Worte unterscheiden können, ohne ganz die Ursache des Streits zu verstehen, als sich beim Umwenden seinem Auge der schreckhafte Anblick eines im Meßornat daherkommenden Priesters darbot, der, kaum sich aufrecht erhaltend, an den Chorstühlen mit den Händen entlang tastete und sich aus ihn zuschleppte … Ein langes Scapulier hing ihm wie einem Mönch von den Schultern herab bis an die Knie … Es war ein Abbild des bekannten Scapuliers, das die allerseligste Jungfrau im 13. Jahrhundert einem General der Karmeliter verehrte und mit dessen Nachahmung behangen jeder Sterbende den seligen Tod gewinnt … Der Pfarrer vom Berge Karmel war es selbst, Cajetan Rother …

Sonst eine hohe, wohlgenährte, mit glühenden Augen ein Bild des Lebens darstellende Persönlichkeit … Heute dahinschleichend, gelb, von Fieberflecken entstellt und offenbar eben aus dem Krankenbett gekommen … Gerufen vielleicht durch die beiden intriguanten Nonnen … Er taumelte unsicher und in jeder Bewegung wie zum Zusammenbrechen …

Bonaventura übersah sofort, daß auch diese üble Nachrede seines Glaubens, daß die Beichtväter der Nonnen von heftigster Eifersucht gegeneinander entbrannt sein könnten, keine Fabel war …

Der Zorn, die Ungeduld, vielleicht auch die Furcht, vielleicht eine Anzeige der Nonnen, hatten den Mann vom Lager getrieben … Ein fremder Wolf bricht in[52] deine Hürde! stand auf seinem verzerrten Antlitz … Er erschien begleitet von seinem Meßner, der gegen Bonaventura's Akoluthen schon seinen frechsten Einspruch erhoben hatte, und redete, erst noch mit gezwungener Freundlichkeit, heiser, vom dumpfhohlen Husten unterbrochen, auf drei Schritte den sich erstaunt erhebenden Bonaventura an:

Mein Herr Bruder! Ei danke! Danke! … Ich bin ja gesund und wieder wohlauf … Bitte! … Sie sind – ja – sehr rasch und – auch hier wieder mein Nachfolger geworden – Ich erfahre das – soeben erst – Bitte – Erlauben Sie – …

Bonaventura ging ihm entgegen und ergriff seine Hand, die sich eiskalt anfühlte … Sie sind krank – sprach er … Ich beschwöre Sie – Gehen Sie nach Hause – …

Mit künstlicher Kraftäußerung schlug der Pfarrer an seine Brust und sprach so laut, daß es in der Kirche weithin schallte:

Gesund bin ich! … Danke, Herr Bruder! … Mit Gott! … Mit Gott! … Adieu! …

Schon drängte er zu dem Gitter, in welchem Treudchen's Haupt unbeweglich lag und nicht aufblickte …

In Bonaventura's Innerm wühlten alle Schwerter des Schmerzes … Auch das, auch das ist möglich – bei unserm Priesterthum! … Dein heiligster Name, Jesus von Nazareth, wird in solchem Mund zur Lästerung! …

Bei dem Gedanken, daß dieser ruchlose Priester nur verzweifelte, Treudchen Ley könnte einem andern vertrauen, was ihre Seele belastete, ergriff es ihn[53] mit solcher Wallung des äußersten Zornes, daß er, nichts mehr achtend von dem, was er sonst, selbst mit Bekämpfung seiner Ueberzeugungen, zu schonen pflegte, rief:

Sie unterbrechen eine heilige Handlung, die ich bereits begonnen habe … Nach einer Stunde überlaß' ich Ihnen den Sitz in diesem Stuhle … Jetzt aber gehen Sie! …

Die Hände des Pfarrers griffen krampfhaft am Scapulier hin und her und wickelten sich bald in das lange Tuch hinein, bald aus ihm heraus … Der Fiebernde konnte kein Wort gewinnen … Die beiden Diener standen wie auf der Flucht in einiger Entfernung … Bonaventura hatte noch die Selbstbeherrschung, am Gitter das Schiebfenster zuzuziehen und Treudchen von dieser unwürdigen Scene zu trennen …

Herr Domkapitular! … sprach Rother mit hämischer Betonung der ihm vorgesetztem Würde und tastete dabei zitternd nach dem Eingang in den kleinen Ausbau … Es war eine Scene, die Bonaventura an sein Erlebniß mit dem Habicht erinnerte, dessen Fänge sich, wie ihn Pater Sebastus in der kleinen dunkeln Kapelle beim Kreuzgang der Kathedrale ergreifen wollte, ebenso an die Altarsäulen festgeklammert hatten, während der Raubvogel mit umgewandtem Kopf dämonisch seinen Angreifer anstarrte …

Sich sammelnd, hauchte er jetzt leise:

Sie erinnern mich zur rechten Zeit an meine Würde! … Ich befehle Ihnen – mir die Functionen zu lassen, die mir die Curie übertrug …

Nun aber lachte Rother hellauf und zog unter seinem[54] Scapulier einen Brief hervor, rief seinem Meßner, hielt den Brief in die Höhe und krächzte mit heiserer Stimme:

Da, Fangohr! … Tragen Sie – den Brief sofort in – die Curie … Die Kirche muß neu geweiht werden – das heilige Holz – exorcisirt –! … Diese reinen Seelen meiner Himmelsbräute – verführt mir ein – Magnetiseur –! …

Dies Wort wurde von dem sich Kraftgebenden wie eine Waffe geschleudert. Ein Wurfspieß konnte nicht drohender fallen. Der Brief war ein Protest des Pfarrers, den er schriftlich aufgesetzt hatte, und Fangohr, sein Meßner, ergriff ihn, um ihn zum Generalvicar zu tragen …

Bonaventura stand starr … Nichts mehr hörte er von alledem, was in fieberhafter Hast, mit frostklappernden Zähnen der selbst in Todeskrankheit noch unbändige Mensch an Verwünschungen und Anklagen gegen ihn schleuderte … Ein dumpfes Brausen benahm ihm die Besinnung … Alles um ihn her schwankte … Seine edelsten Empfindungen waren entweiht, seine heiligsten Gefühle auf die Straße geworfen … Einen Augenblick zuckte seine Hand, dem Meßner die Schrift zu entreißen … Dann beherrschte er sich, ordnete seine in Verwirrung gerathenen Gewänder und verließ, ohne ein Wort der Erwiderung, vom tiefsten Entsetzen durchrieselt, eine Stätte, auf die das Wort des Heilands gepaßt haben würde: »Ihr macht mein Haus zur Mördergrube!« …

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 7, Leipzig 1860, S. 20-55.
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