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[269] Eine schöne, anmuthige und lesenswürdige Historie von der unschuldig betrengten heiligen Pfalzgräfinn Genoveva, wie es ihr in Abwesenheit ihres herzlieben Ehegemals ergangen. Cöln und Nürnberg.


Eine stille, einsame Kapelle in tiefer Waldeseinsamkeit, der Poesie, der Treue und der Ergebung gebaut, um die rund umher sich eng verschlungenes Dickigt zu, über der alte Eichen in heissem Sommertages Brand flüsternd sich bewegen, durch deren Zweige gebrochen dann das Licht durchstreift, und ein Schattengewölke über die Wände gießt, und spielend an ihnen auf und niederzittert, während von innen halbdunkle Kühle, erfrischende Stille herrscht, und hinten in der Nische das Bild der Heiligen dämmernd und freundlich durch das Gitter blickt, in dem Waldblumen halb welkend niederhängen, und unten auf der Steinstufe der bekannte Alte betend kniet, während Vogelschlag eindringt durch die offene Thüre, und Waldgerüche, und kühles Luftgesäusel und grüner Schein und Baches Rauschen, und Alles feyerlich und betend rund umher, bis auf die Wolken, die einzeln wie Pilger, hell in innerem Verlangen erglänzend, auf blauer Himmelsbahn hinwandeln zum Lande der Verheißung, und die Winde, die wie Stumme der Natur nur im Hauche beten: so blickt das Gedicht mit dem bescheidnen kleinen Glockenthurme aus des Mittelalters dicht verwachsenem Hain vom fernen, grauen Berg herab, und Jahrhunderte durch läutet das kleine Glöckchen oben fort und fort, zum Trost einladend dem Wandrer zu, daß er zu dem Bilde komme und sich Stärke hohle und freudigen Lebensmuth. Unter allen den verschiednen Büchern dieser Gattung ist die Genoveva durchaus das Geschlossenste und am meisten Ausgerundete; stellenweiße ganz vollendet, und in seiner anspruchlosen Natürlichkeit unübertrefflich ausgeführt, im Ganzen in einem rührend unschuldigen Ton gehalten, kindlich, ungeschmückt, und in sich selbst beschattet und erdunkelnd in heiligem Gefühl. Und so war es denn werth, wie es da ist, zwei treffliche Dichter zu begeistern. Tieck, daß er uns in seinem Gedichte, wie ein Zauberer im Crystalle, die ganze romantische Liebe in einem zarten Luft- und Gluth- und Farbengewebe aus einer lichtklaren Morgenröthe kunstreich zur Gestalt gebildet zeigt, und der Mahler Müller, in seinem Fragmente, die Heilige als eine Hünenjungfrau vom Riesengebürge mahlt, die mit dem Serpent Golo kämpft, der bald in vielfachen[269] Farben brennend und glühend, sie verführerisch umzüngelt, und sie dann das Schwerd ergreift und zürnt:


Sieh her, her, hab ein Schwerd.

Ha meines Siegfrieds Schwerd!

Will tief in's Herz mir's drücken,

Anlachen dich.

Ich, Ich?

Lieber den Teufel als dich!

Entweich Scheusal tödtest mich,

Hölle sind mir deine Blicke,

Verrätherischer, elender Mann,

Lächelst du mich noch einmal an,

So stoß ich zu, so ist's gethan.


Dann aber, wenn er Gift und Feuer und Flammen sprühend, sie und ihr Kind zu vernichten droht, ihm entgegenflammt:


Lieber erwürgt' ich gleich,

Diesen mit eignen Armen,

Schläng' diese Lock' und sein'n Hals,

Erdrosselt' ihn ohn Erbarmen,

Als daß ich durch Schand und Schmach,

Ihn wollt verfluchen – Erwach

Henker, – ich verlache dich.

Komm fessel mich, komm tödte mich!

Bring alle Marter, Feuer und Schwerd,

Vertilg mich heimlich von der Erd,

Der Himmel wird's sehen, – hören die Welt,

Mein Siegfried lebt, es lebt mein Held.


Unendlich bescheiden steht das Volksbuch hinter diesen Efulgurationen der poetischen Kraft, aber in dem ruhigen, stillen, lieblichen Schein, in dem es strahlt, bricht derselbe poetische Geist, nur leise phosphoreszirend hervor, der in Tiecks und Müllers Werken in lichten Flammen aufbrennt und glüht.

Das Volksbuch ist gearbeitet nach der Schrifft des Pater Ceriziers: L'innocence reconnue, das in einem pretiösen, geschraubten Tone die Begebenheiten erzählt, und sich dabei auf des Puteanus St. Genovevae Iconismus, Raderi Bavaria pia und Aubert le Mires Chronicon belgicum a Julio Caesare ad annum 1636, als seine Gewährsmänner beruft. Der teutsche Bearbeiter, indem er das Buch zum Grunde legte, hat eine ganz verständige Auswahl, und zugleich mit ihr den Ton getroffen, der einer Schrift dieser Art zukömmt. So erzählt der Jesuit, wie der Wolf der Genoveva das Schaaffell gebracht: »Die fromme Gräfinn nahme das Geschenk wohl an; gabe aber zugleich dem Wolfe einen Verweis, daß er das Leder gestohlen, und den armen Leuten gegeben.« Ein andermal, als Genoveva zufällig im Wasser ihre Runzeln und Magerkeit erblickt, sey ihr die Königin der Engelen erschienen, und habe sie also angeredt: »Also fein Genoveva, also fein! Wohl schöne Ursache hast du, dich zu beklagen über einen Verlust, der höchlich zu[270] wünschen ist. Ach liebe G., wüßtest du, wie sich mein Sohn verliebe in diese deine schwarzbraune Farb, es würde dir leid seyn, daß du einmal bist weiß gewesen« u.s.w. Sonst soll noch in früheren Zeiten ein Manuskript über sie von M. Emichius, einem Carmeliten in der Carthause zu Coblenz, aufbewahrt worden seyn. Auch im Closter Laach, nahe bei dieser Stadt und dem Schauplatz ihrer Leiden und ihrem Grabe, bewahrte man ein gleiches altes Manuskript, das indessen in den letzten Zeiten verloren gieng.

Quelle:
Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher, in: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, Band 3: Geistesgeschichtliche und literarische Schriften I (1803–1808). Köln 1926, S. 269-271.
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