55.

Der Liebe Bahn ist eine Bahn,

Die keine Grenze kennt,

Und wo man Seelenopfer nur

Als Rettungsmittel nennt.

Wein, drohst du, wehre dem Verstand?

Du schreckst mich nicht; bring' Wein!

In uns'res Landes Wirthschaft mengt

Sich jener Vogt nicht ein.

Wenn du dein Herz der Liebe weih'st,

So lebst du frei von Qual:

Ein gutes Ding bedarf nicht erst

Des Rathes und der Wahl.

Frag', Seele, nur dein eig'nes Aug',

Wer mich dem Tode weih't?

Die Schuld der Sterne ist es nicht,

Noch des Geschickes Neid.

Ein reines Aug' nur kann erschau'n

Hell wie des Neumond's Licht

Das Mondlein dort; es spiegelt sich

In jedem Auge nicht.

Benütz' den Pfad der Trunkenheit;

Denn dieser Talisman

Ist, wie der Weg zu einem Schatz,

Nicht offen Jedermann.

Hafisens Thräne wirkt auf dich

Auf keine Weise ein:

Ich staune über jenes Herz,

Das hart ist wie ein Stein.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 185-187.
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