66.

Jener Freund, dem Herzen schmeichelnd,

Weckt bald Dank in mir, bald Klage;

Kennest du den Geist der Liebe,

So vernimm was ich dir sage.

Jeder Dienst, den ich geleistet,

Hat des Lohns und Danks entbehret:

Diene Keiner einem Manne,

Der, o Herr, nicht Huld bewähret!

Niemand will die durst'gen Zecher

Mit ein wenig Wasser laben:

Scheint es doch, dass alle Frommen

Dieses Land verlassen haben.

Lass, o Herz, dich in den Schlingen

Seines Lockenhaars nicht fangen:

Schuldlos abgehau'ne Köpfe

Siehst du dort in Menge hangen.

Mit der Wimper trinkt Sein Auge

All' mein Blut; und dich kann's freuen?

Ungerecht ist es, o Seele,

Blutvergiessern Schutz zu leihen.

Dieser schwarzen Nacht verdank' ich's,

Dass ich meinen Weg verloren;

Tritt denn vor aus deinem Winkel,

Du, zum Leitstern mir erkoren!

Stets vermehrte sich mein Schrecken,

Wo ich auch mich hingewendet:

Hüte dich vor dieser Wüste,

Diesem Weg', der nimmer endet!

Dieses Weges Ende können

Nimmer fassen unsre Sinne:

Hunderttausend Posten zählt er

Nur allein im Anbeginne.[215]

Du, o Sonne aller Schönen!

Siedend braust's mir im Gemüthe:

Gib mir nur ein kurzes Stündchen

Schutz im Schatten deiner Güte!

Fiel dir auch mein Ruhm zum Opfer,

Nie von dir werd' ich mich wenden:

Schöner ist's, wenn Freunde quälen,

Als wenn Feinde Ehren spenden.

Liebe lässt, wenn du sie rufest,

Nicht auf ihre Hilfe warten,

Kennst du, wie Hafis, den Koran

In den vierzehn Lesearten.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 213-217.
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