29.

Gestern Nachts lenkt' ich den Strom der Thränen

In des Schlummers Weg und hemmte ihn,

Und, des Flaum's gedenkend deiner Lippe,

Malt' auf Wasser ein Gemäld' ich hin;

Und, des Freundes Braue vor dem Blicke,

Und mit angebranntem Mönchsgewand,

Trank ich auf das Wohl der Altarnische

Einen Becher aus, der vor mir stand;

Und das Antlitz des Geliebten zeigte

Meinem Blicke sich im Strahlenlicht,

Und ich sandte Küsse aus der Ferne

Nach des Mondes hellem Angesicht;

Auf des Schenken Antlitz lag mein Auge,

An dem Klang der Harfe hing mein Ohr,

Und dem Auge sagt' ich und dem Ohre

Künftig noch ein gröss'res Glück bevor.

Deines Angesichtes Traumgemälde

Malt' ich Nachts bis hin zur Morgenzeit

Auf die Künstlerwerkstatt meines Auges,

Das sich leider nie des Schlaf's erfreut.

Bei den Worten dieses schönen Liedes

Griff der holde Schenke nach dem Glas;

Er begann dies Lied mir nachzusingen,

Und ich trank vom reinsten Rebennass;

Und ein jedes Vöglein der Gedanken,

Das vom Lustzweig aufgeflattert war.

Fing ich wieder, da ich sanft es lockte

Mit dem Saitenschwinger, deinem Haar.

Fröhlich ging Hafisen's Zeit vorüber,

Und ein wunscherfüllendes Geschick

Hab' ich d'rum den Freunden auch verkündet

In Bezug auf Leben und auf Glück.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 281-283.
Lizenz:
Kategorien: