75.

Beginn' ich beim Abendgebete

Der Fremdlinge weinend zu stöhnen,

Erzähl' ich gar selt'ne Geschichten

In fremden und klagenden Tönen;

Und weine, des Freund's in der Heimath

Gedenkend, so stark, dass auf Erden

Der Brauch und die Sitte des Reisens

Durch mich zur Unmöglichkeit werden.

Ich bin ja dem Lande des Freundes,

Nicht fremdem Gebiete, entsprossen:

D'rum sende, allmächt'ger Beschützer,

Mich wieder zu meinen Genossen!

Beim einigen Gotte beschwör' ich

Dich, Führer, mir Hilfe zu bringen,

Um wieder im Gaue der Schenke

Die Fahne der Freude zu schwingen!

Wie könnte der rechnende Scharfsinn

Mich unter die Greise versetzen?

Ich spiele ja Spiele der Liebe

Mit einem noch kindischen Götzen.

Mich kennt nur der Ost und der Nordwind,

Und sonst kennt mich Niemand hienieden:

Mein Theurer, denn ausser dem Winde

Ward, ach, mir kein Trauter beschieden!

Die Luft in der Wohnung des Freundes

Ist Wasser, das Leben mir spendet:

O bringe mir, Ostwind, ein Düftchen

Schĭrăsischer Erde entwendet!

Die Thräne erschien, um die Schande

Mir offen in's Antlitz zu sagen:

Ein Hausfreund war's, der mich verrathen:

Wen soll ich nun diesfalls verklagen?

Die Harfe Sŏhrē's liess am Morgen

– Ich hört' es – die Worte erklingen:

»Ich bin aus der Schule Hafisens,

Der lieblich kann sprechen und singen.«

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 399-401.
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