2.

Ich schrieb an meine Freundin

Mit meines Herzens Blute:

»Mir ist wie am Gerichtstag,

Getrennt von dir, zu Muthe.

Mein Aug' hat hundert Zeichen

Die Trennung zu bewähren:

Das einz'ge Zeichen leider

Sind nicht die vielen Zähren;«

Und was ich auch versuchte,

Es wollte nicht gelingen:

Versucht man schon Versuchtes,

Wird es nur Reue bringen.

Mit einem Arzt berieth ich

Mich meiner Freundin wegen;

Er sprach: »Qual bringt die Nahe,

Doch die Entfernte – Segen.«

Jäh hob der Ost den Schleier

Von meines Mondes Wangen:

Da schien die frühe Sonne

Aus Wolken aufgegangen.

Ich sprach: »Man wird mich tadeln,

Wenn ich dein Dorf umschleiche.«

Bei Gott! wo ist die Liebe,

Die Tadel nicht erreiche?

Gib was Hafis begehrte:

Ein Glas. Bei'm süssen Leben!

Es wird ihm die Genüsse

Der Wunderschale geben.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 495-497.
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