32.

Ich sah im Traume gestern Abends

Wie sich ein Mond erhob in Pracht,

Der durch den Abglanz seiner Wange

Ein Ziel gesetzt der Trennungsnacht.

Wie deut' ich dies? Zurückgekommen

Muss der verreis'te Freund wohl sein;

O träte er – der Himmel geb' es –

Im Augenblick zur Thür herein!

Ich preise ihn, o du mein Schenke,

Der Frohes stets verkündet mir!

Denn mit Pocalen und mit Bechern

Trat immer er herein zur Thür.

Schön wäre es, erblickt' im Traume

Die heimathlichen Fluren er:

Erinn'rung an die Freundschaft führte

Ihn dann die Strasse zu mir her.

Doch wer dein Führer war und wollte,

Dein Herz sollt' hart wie Kiesel sein,

Der stosse sich bei jedem Schritte

Den Fuss an einen Kieselstein.

O liesse sich der ew'ge Segen

Durch Gold erwerben und durch Kraft,

Es hätte Chiser's Lebenswasser

Sich Alexander wohl verschafft.

Ich hätte jenem Herzensschmeichler

Die Seele hingestreut mit Lust,

Wenn er, verklärt gleich einem Geiste,

Gesunken wär' an meine Brust.

Nie werde ich der Zeit vergessen

Wo mir vom Dach und durch die Thür

Vom Freund und Liebling Brief und Kunde

War zugekommen für und für![91]

Wo fände wohl der Nebenbuhler,

Die Möglichkeit so hart zu sein,

Trät' einmal Nachts ein Hartbedrängter

Zu seines Richters Thür herein?

Der Rohe, der noch nie gewandert,

Kennt nicht der Liebe Seligkeit:

Such' dir ein Herz, so weit wie Meere,

Voll Starkmuth und Vollkommenheit.

Und hätt' ein Anderer gedichtet

So zart und lieblich wie Hafis,

Er war des Beifalls eines Königs,

Der die Verdienste schätzt, gewiss.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 89-93.
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