47.

Schenke, komm! Das Glas der Tulpe

Ist bereits gefüllt mit Wein:

Bis wie lang noch Mönchsgebräuche,

Und bis wann noch Faselei'n?

Lass denn Stolz und Sprödsinn fahren:

Sah die Zeit doch oft zuvor

Wie ein Kaiser seinen Mantel,

Seine Kron' ein Fürst verlor.

Werde nüchtern, denn schon trunken

Ist der Vogel auf der Flur;

Werde wach, denn Todesschlummer

Ist bereits dir auf der Spur.

Wie du dich so reizend schaukelst,

Holder Zweig des Lenzes du!

Fügten doch des Winters Stürme

Nie ein Ungemach dir zu!

Auf des Himmels Liebesblicke

Darf man keine Hoffnung bau'n:

Zu beklagen sind die Menschen

Die dem Listigen vertrau'n.

Morgen werd' ich durch die Huris

Und den Wein Kjĕwsēr's erfreut;

Durch den mondgesicht'gen Schenken

Und das volle Weinglas heut.

An der Kindheit Tage mahnet

Mich der laue Morgenwind;

Gib der Seele doch ein Mittel

Das den Gram verscheucht, o Kind!

Sieh nicht auf den Prunk und Schimmer

Den zur Schau die Rose trägt:

Wird doch jedes ihrer Blätter

Von dem Winde weggefegt.[141]

Gib zu Hatem Thai's Erinn'rung

Einen schweren Becher her;

In der Geiz'gen schwarzem Buche

Blätt're ich dann nimmermehr.

Jenen Wein, der Farb' und Anmuth

Mitgetheilt dem Ergwanstrauss,

Schwitzt die Anmuth seines Innern

Nun durch seine Wange aus.

Trag' das Kissen in den Garten,

Denn zum Dienste stellt sich an

Die Zipresse, und den Gürtel

Hat das Rohr schon angethan.

Horch, die Sänger auf der Wiese

Stimmten zu der Liebe Sang

Harfe, Barbiton und Laute

Und der Flöte sanften Klang!

Schon gelangt, Hafis, die Kunde

Deiner holden Zauberei

Bis nach China und Egypten

Und bis weit nach Rum und Rai.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 139-143.
Lizenz:
Kategorien: