Zweiter Auftritt

[15] Rosalinde. Dann Adele.


ROSALINDE tritt erregt auf. Er ist's! Alfred, er, der mich vor vier Jahren anbetete, als ich noch frei war! Ich habe ihn gleich erkannt an seinem Tenor und an seiner Keckheit. Nur ein Tenor kann so keck sein, und nur ein kecker Mensch kann so Tenor singen! Er wagt es, hier vor dem Hause meines Gatten mich durch sein hohes A zu kompromittieren!

ADELE eintretend für sich. Keine Seele mehr zu erblicken. – Ah, da ist meine Gnädige! Jetzt heraus mit der Geschichte; sie sei kurz, aber rührend! Laut, kläglich. Gnädige Frau, meine arme Tante ist so krank!

ROSALINDE für sich. Sicher hält er mich für treulos, glaubt vielleicht, ich liebe einen anderen, und ich habe doch bloß geheiratet.

ADELE kläglicher. Gnädige Frau, meine arme Tante ist krank!

ROSALINDE immer noch für sich. Aber wie kommt er, der vor vier Jahren spurlos aus Wien verschwand, so plötzlich in diesen Badeort?

ADELE schluchzend. Gnädige Frau, meine arme Tante ist so krank!

ROSALINDE. Wer ist krank?

ADELE. Meine Tante!

ROSALINDE. Deine Tante?

ADELE. Ja, meine Tante!

ROSALINDE ungeduldig. Aber kann ich sie denn gesund machen?

ADELE. Das verlange ich gar nicht, wenn Sie es auch könnten.

ROSALINDE. Na also!

ADELE weiterschluchzend. Aber es ist doch die Pflicht einer guten Nichte, ihre arme Tante zu besuchen und zu fragen: »Wie geht's? Wie befinden Sie sich? Noch immer fidel und munter?«

ROSALINDE. Deine arme, kranke Tante?

ADELE. Darum bitte ich Sie, mir aus Rücksicht für meine nichtige Liebe freien Ausgang zu gewähren.[15]

ROSALINDE bestimmt. Unmöglich!

ADELE bittend. Gnädige Frau!

ROSALINDE. Unmöglich, sage ich. Hast du denn vergessen, daß mein Gemahl heute seine fünftägige Arreststrafe antreten muß? Dreimal ist sie schon verschoben worden; aber heute muß er sich stellen, sonst wird er gestellt.

ADELE. Aber ich weiß noch immer nicht, warum der gnädige Herr eigentlich eingesperrt wird?

ROSALINDE. Weil er einem Amtsdiener ein paar Hiebe mit der Reitpeitsche gegeben und ihn einen Stockfisch genannt hat.

ADELE. Wegen so einem bisserl?

ROSALINDE. Er hat schon an alle Instanzen appelliert, aber das wird ihm eher schaden als nützen.

ADELE. Wenn es ihm aber dennoch nützt?

ROSALINDE. So wird es dir nichts nützen, denn ich kann dich nicht eine Stunde entbehren.

ADELE. Nicht? O meine arme, arme Tante! So darf ich dich nicht mehr wiedersehen auf Erden? Eine solche Tante wie diese Tante – noch keine Nichte Tante nannte!

Nr. 1a. Ende der Introduktion


ADELE.

Ach, ich darf nicht hin zu dir,

Und du sehnst dich so nach mir,

Deiner heißgeliebten Nichte.

Gar zu traurig ist die G'schichte!

Ach, warum schuf die Natur

Mich zur Kammerjungfer nur?

ROSALINDE.

Nein, du darfst heut nicht zu ihr,

Und wenn sie sich auch sehnt nach dir!

Wohl traurig klingt die G'schichte

Von der geliebten Nichte.

Ja, warum schuf die Natur

Dich zur Kammerjungfer nur?

ADELE schluchzend ab.[16]


Quelle:
Johann Strauß: Die Fledermaus. Text nach H. Meilhac und L. Halévy von C. Haffner und Richard Genée, Stuttgart 1976, S. 15-17.
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